Die AfD – eine Alternative für AntisemitInnen?

von Lucius Teidelbaum

„Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“. So fasste es Theodor W. Adorno einmal prägnant zusammen. Leider ist Antisemitismus immer noch nicht tot, er riecht nur schlecht. Antisemitismus als Vorurteil und Welterklärungsmodell hat sich immer wieder modernisiert, angepasst und in die herrschenden Verhältnisse integriert. Er scheint unzerstörbar zu sein.

Er findet sich in allen Bevölkerungsgruppen und – leider – auch in allen politischen Richtungen. Ihn auf den rechten Rand beschränken zu wollen, wird dem Wesen dieses Phänomens nicht gerecht.

Doch natürlich gibt es Antisemitismus auch und gerade in der politischen Rechten. Hier gibt es seit einigen Jahren ein interessantes Phänomen. Im Zuge einer Modernisierung trennte sich scheinbar ein Teil der extremen Rechten vom Antisemitismus und dessen nahen Verwandten Antizionismus und wurde vordergründig anti-antisemitisch und pro-israelisch. Tatsächlich wurde der Antisemitismus als Punkt im offiziellen Programm bei einigen rechten Parteien raus gestrichen.

Diese Wende war nicht unumstritten. Besonders von Neonazis wurde dieser Schwenk als „Verrat“ gekennzeichnet und angegriffen.

Ein genauerer Blick offenbart aber, dass diese Wende oftmals eher vordergründig ablief und im Hintergrund weiter ein antisemitischer Nährboden fortlebt.

Antisemitismus in der AfD

Auch in der AfD und ihrem Umfeld lebt der Antisemitismus fröhlich fort. Daran ändert der demonstrative Anti-Antisemitismus dieser Partei nur wenig. Antisemitismus steht vielleicht nicht im offiziellen Parteiprogramm, aber er wird weithin akzeptiert und hingenommen.

So berichtet etwa die Presse dass kürzlich im Streit um die Einrichtung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung im Parteivorstand hämische Stimmen laut wurden, ob es dann auch Mossad-Geld für die Stiftung geben würde. Wer den israelischen Geheimdienst Mossad in der deutschen Innenpolitik entdeckt, die/der ist nicht mehr weit vom Verschwörungsantisemitismus entfernt.

In der besagten AfD-nahen Stiftung sitzt im Kuratorium auch der österreichische Historiker und FPÖ-Vordenker L. H. Im Jahr 1999 verfasste er einen Beitrag zu einer Festschrift für den Holocaustleugner David Irving. Dessen revisionistische und holocaustleugnende Thesen hatte Höbelt 1998 als „historische Diskussionen“ bezeichnet, die unzulässig durch staatliche Gerichte entschieden würden.

Auch die Beschwörung des christlich-jüdischen Abendlandes von AfD, PEGIDA und Co. entpuppt sich schnell als eine Geisterbeschwörung. Eine gemeinsame, harmonische Vergangenheit von christlicher Mehrheitsgesellschaft und jüdischer Minderheit hat es so nie gegeben. Davon legt die Verfolgungsgeschichte der jüdischen Minderheit im christlichen Abendland Zeugnis ab. Das wird von den AbendlandverteidigerInnen aber gerne mal ignoriert. Stattdessen bezieht man sich positiv gerne auf die Kreuzritter und die christliche Rückeroberung Spaniens, genannt „Reconquista“. Die blutigen Massaker der Kreuzritter an den jüdischen Gemeinden im Rheinland oder die Vertreibung der spanischen Jüdinnen und Juden im Zuge der „Reconquista“ werden dabei aber lieber verschwiegen.

Historisches Wissen und eine daraus resultierende Sensibilität? Fehlanzeige! Ein anderes Beispiel: In Kreisen der AfD macht das Wort „Remigration“ Karriere. Damit soll die Abschiebung und Deportation von Flüchtlingen und MigrantInnen aus Deutschland beschrieben werden. Ursprünglich bezeichnete das Wort „Remigration“ aber eigentlich die Rückkehr überlebender jüdischer und politischer Flüchtlinge in das vom Nationalsozialismus befreite Deutschland und Europa.

Antisemitismus in der Südwest-AfD

Auch mit dem Anti-Antisemitismus in der Südwest-AfD ist nicht weit her. Wir erinnern uns dass der Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon sich spätestens mit seinen Büchern 2009 offen als Antisemit outete. Trotzdem kam er auf der Liste der AfD in den Landtag und besitzt bis heute ein AfD-Parteibuch. Seine Parteiausschlussverfahren wurde eingestellt. Zwar verursachte er eine Bruch in der AfD-Landtagsfraktion, aber auch die Gedeon-UnterstützerInnen sind heute wieder Teil der wiedervereinigten AfD-Fraktion. Der dazu aufgesetzte „Zusammenführungsvertrag“ wurde von einem weiteren AfD-Landtagsabgeordneten wegen der Präambel zur Abgrenzung von Antisemitismus und Rassismus nicht unterzeichnet. Immer wieder gab es Bestrebungen Gedeon, der die Landtagsfraktion verlassen hat, wieder zu integrieren. Der Antisemitismus von Gedeon wurde dagegen geleugnet oder klein geredet.

Antisemitismus findet sich aber nicht nur an der Basis oder bei den Abgeordneten, … [Die folgende Passage mussten wir aus rechtlichen Gründen entfernen.]

Es ist eher unwahrscheinlich dass solche Enthüllungen in der heutigen AfD zu Sanktionen oder gar zum Rauswurf führen werden.

Die AfD ist nämlich mit der Zeit selber ein ganzes Stück nach rechts gerutscht und hat mehr Toleranz und Akzeptanz für Antisemitismus entwickelt.

Auch der ehemalige Gedeon-Kritiker Jörg Meuthen versuchte sich unlängst in die rechte Kampagne gegen den US-Milliardär Georg Soros einzureihen. Dessen jüdische Herkunft wird von seinen FeindInnen gerne thematisiert und betont, etwa in Form von Plakaten in Ungarn, auf denen seine Nase grafisch verlängert wurde.

Offenbar ist die AfD auch eine Alternative für AntisemitInnen, denen die NPD zu erfolglos ist.

Fazit

Die rechtspopulistische AfD schwingt sich seit einiger Zeit zur plakativen Verteidigerin Israels und der Juden und Jüdinnen in Deutschland auf. Dieser Kurs ist zwar besonders an der Basis nicht unumstritten, wird aber gehalten.

Doch ähnlich wie Frauenrechte oder der Homophobie-Kritik geht es der AfD bei ihrer Kritik des Antisemitismus gar nicht grundsätzlich um die Sache. Der Antisemitismus-Vorwurf dient dabei vor allem als Instrument. Antisemitismus, Sexismus und Homophobie werden nur bei den Gruppen kritisiert, denen man aus rassistischen Motiven feindlich gegenüber steht: Muslime und MigrantInnen.

Dabei hat die AfD in der Sache tatsächlich nicht immer unrecht. Etwa wenn sie im Zuge der Echo-Verleihung mit vielen anderen den Antisemitismus von „Kollegah“ und „Farid Bang“ kritisiert.

Die halbe Wahrheit ist aber eben doch eine ganze Lüge. Wer über den Dreck beim Nachbarn schimpft, aber das eigene Haus nicht sauber hält, die/der macht sich unglaubwürdig.

Die Thematisierung des Antisemitismus mit Migrationshintergrund dient darüber hinaus der Dethematisierung des eigenen, deutschnationalen Antisemitismus. Ähnliches gilt für Sexismus und Homophobie.

Der Antismitismus ist fester Bestandteil der DNA der extremen Rechten in Deutschland. Er kann verborgen werden. Er kann dethematisiert werden. Er kann aber offenbar nicht wirklich entfernt werden. Zu wirkmächtig ist er. Nicht alle AfD-Mitglieder sind antisemitisch, aber alle sind offenbar bereit Antisemitismus in ihrer Partei zu tolerieren und zu ignorieren. Sonst hätten sie die Partei inzwischen verlassen.

Der Antisemitismus entspringt dabei nicht nur einer deutschen Traditionslinie, sondern auch der Art der Kritik von AfD und Co. Kritisiert und angegriffen werden Einzelpersonen wie Soros oder einzelne Organisationen wie die „Kartellparteien“ oder die „Lügenpresse“. Unangetastet und unanalysiert bleiben dabei aber die herrschenden Verhältnisse.

Das Raunen an der Basis von den fremden Mächten im Hintergrund, die die Strippen ziehen, führt schnell in den Verschwörungsantisemitismus. Man fängt bei der New World Order, den Illuminati oder der Hochfinanz an und kommt fast schon automatisch bei der „jüdischen Weltverschwörung“ heraus.

Ein echter Anti-Antisemitismus darf keine Unterschiede machen. Der Antisemitismus muss in jeder Gestalt verurteilt und bekämpft werden. In Rap-Videos ebenso wie bei AfD-Landtagsabgeordneten. Bei der AfD ebenso wie in türkisch-nationalistischen Organisationen oder bei in linken antizionistischen Gruppen wie dem BDS.