Iran: Unterlassene Hilfeleistung – Teil 1

Mangelnde Einsicheten und was sonst noch an der Solidarität hindert

Eigentlich kann man sich nur an den Kopf fassen: Da stehen Millionen gegen ein Unterdrückerregime auf, Menschen versammeln sich unter Einsatz ihres Lebens auf den Straßen, werden von den Schergen des Regimes niedergeknüppelt, gefoltert und erschossen. Solidarität mit den Unterdrückten sollte doch eigentlich selbstverständlich sein – und trotzdem muss man dafür werben. Was behindert die Entwicklung einer breiten und effektiven Solidarität mit der demokratischen Massenbewegung im Iran?

Seit der manipulierten Präsidentenwahl am 12. Juni, den darauf folgenden Massenprotesten und dem brutalen Vorgehen des „Gottesstaates“ gegen die „eigene“ Bevölkerung hat nicht nur dieser sein wahres Gesicht gezeigt. Auch die hiesige Öffentlichkeit hat sich geoutet: als – wenn überhaupt – bestenfalls mäßig interessiert. Ihre Distanzierung vom iranischen Regime bleibt merkwürdig zögerlich und bezieht sich oft nur auf die so genannten Hardliner innerhalb der Islamischen Republik Iran, nicht aber auf deren politisch-ideologisches System als Ganzes. Manche zeigen selbst jetzt noch mehr oder weniger unverblümte Sympathie für das Regime. Darunter sind auffällig viele friedensbewegte Linke, die damit nicht nur jeden emanzipatorischen Anspruch verraten und ihr Ressentiment offenbaren, sondern auch einmal mehr demonstrieren, dass sie der Politik Deutschlands und der EU viel näherstehen, als sie glauben. (Siehe dazu Teil 2 dieses Textes: „Ressentiment und Eiertänze. Das Trauerspiel der friedensbewegten Linken“

Die Politik Deutschlands und der EU hat das iranische Regime von Anfang an gestützt. Alle Bundesregierungen seit 1979, dem Jahr der islamistischen Revolution, haben dem „Gottesstaat“ nach Kräften dabei geholfen, am Leben zu bleiben. Ob Rot-Gelb unter Bundeskanzler Schmidt, Schwarz-Gelb unter Kohl, Rot-Grün unter Schröder oder Schwarz-Rot unter Merkel: das Regime wurde mit massiven Wirtschaftsbeziehungen kontinuierlich stabilisiert, mit der Politik des „kritischen Dialogs“ wurde ihm überhaupt erst zu internationalem Gewicht und Ansehen verholfen.

Arbeitsplätze und Profite: Deutschland ist nach China der zweitwichtigste Handelspartner des Iran

Auch Daimler gehört neben Siemens, Volkswagen und Dillinger Stahl zu den Hauptprofiteuren des deutschen Irangeschäftes. Bereits im Frühjahr 1989 wurden im Hamburger Hafen 80 Daimler-Benz-Lkws auf den iranischen Frachter „Iran Gheyamat“ verladen. Empfänger im Iran war entweder das Ministerium für die Pasdaran (das sind die „Revolutionswächter“, die sich derzeit mit besonderer Brutalität gegen die Protestierenden hervortun) oder die Armee (abgerufen am 23. Dez. 2007) . 2004 durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Zentrale von DaimlerChrysler und das LKW-Werk in Wörth. Es ging um 453 Lkw, die offiziell nach Saudi-Arabien verkauft, aber offensichtlich in den Iran verschoben und dort vermutlich für Kriegszwecke umgerüstet wurden. (abgerufen am 12. Dezember 2004) . 2005 vereinbarte Daimler mit der staatlichen iranischen Autofirma IKD die Produktion von jährlich 2500 bis 5000 Pkws (abgerufen am 25. Dez. 2007). Auch die Träger-Lkw für die atomar bestückbare Mittelstreckenrakete Shahab-3 sind vermutlich von Daimler.

Erst vor kurzem erhielt das Regime völlig neue und effektive Mittel, um Menschen zu verfolgen und zu unterdrücken: Überwachungstechnik, mit dem es die Kommunikation der Opposition abhört, unterbricht und ausspioniert. Die Lieferanten heißen Siemens und Nokia. Damit machen sich Deutschland und die EU unmittelbar der Beteiligung an der Unterdrückung der Menschen im Iran schuldig. Mit 1750 Mitgliedsunternehmen ist die Deutsch-Iranische Handelskammer eine der allergrößten. Ihr Geschäftsführer erklärte, „dass rund zwei Drittel der iranischen Industrie maßgeblich mit Maschinen und Anlagen deutschen Ursprungs ausgerüstet sind, die Iraner sind durchaus auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen.“ (M. Tockuss, Focus online 13.02.06, abgerufen 28.12. 2007) Dass Russland, China und andere „die Lücke füllen könnten“, sollte Deutschland den Iran boykottieren, ist folglich falsch. Deutschland hätte – ganz anders als z.B. die USA – ein außerordentlich starkes Druckmittel gegen das iranische Regime in der Hand, das es bisher jedoch kaum nutzt. Das ist unterlassene Hilfeleistung für die Menschen im Iran. Und für das vom iranischen Regime mit Vernichtung bedrohte Israel. Denn die deutsche Zusammenarbeit mit Iran steht in schreiendem Widerspruch zur permanenten Beteuerung des „Existenzrechts Israels“ und macht einen Krieg objektiv wahrscheinlicher.

Verkannt: Antisemitischer Vernichtungswahn, Kriegsstreben und Weltherrschaftsphantasien

“Die eigentlichen Regisseure aller Aktivitäten der Amerikaner sind der Jude, der Zionist und sogar die Christen mit zionistischen Tendenzen. Hollywood, der Verein, der weltweit Unsitte und Verderbtheit der Großkapitalisten verbreitet, ist in den Händen von Juden, Zionisten oder Menschen, die in ihrer Gewalt sind.“ M. Rahimian, Stellvertreter Chameneis

“Die Anwendung einer einzigen Atombombe würde Israel völlig zerstören, während sie der islamischen Welt nur begrenzte Schäden zufügen würde.” Das hat nicht Ahmadinedschad gesagt, sondern der angebliche „Reformer“ Haschemi Rafsandschani

Auf der Seite des Senders IRIB – Voice of the Islamic Republic of Iran ist zu lesen: “The Mahdi’s far sightedness and firmness in the face of mischievous elements will strike awe. After his uprising from Mecca all of Arabia will be submit to him and then other parts of the world as he marches upon Iraq and established his seat of global government in the city of Kufa. Then the Imam will send 10 thousand of his forces to the east and west to uproot the oppressors. At this time God will facilitate things for him and lands will come under his control one after the other.”

Der Charakter dieses Regimes wird in Deutschland auffallend wenig zur Kenntnis genommen. Antisemitischer Vernichtungswahn und apokalyptisches Endzeitdenken, gepaart mit der Mentalität von Selbstmordattentätern, greifen in Gestalt des iranischen „Gottesstaates“ nach der Atomwaffe. Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand. Nicht auszudenken, wenn es heute schon die Atombombe hätte.

Unterschätzt: „Gottesstaat“ statt Demokratie

Dem System der „Islamischen Republik Iran“ liegt die Ideologie des politischen Islam zugrunde. Die „obersten Führer“ üben weitgehend unkontrollierte Macht aus. Staat und Religion sind nicht getrennt. Der Allmachtsanspruch der Religion erstreckt sich auf das ganze gesellschaftliche Leben. Frauen werden besonders unterdrückt und diskriminiert. Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es noch nicht einmal auf dem Papier. Es gibt keine Versammlungs-, Meinungs-, Presse-, und Koalitionsfreiheit und kein Streikrecht. „Wahlen“ sind grundsätzlich manipuliert. Grausame Strafen wie Todesstrafe, Steinigung und Amputationen werden verhängt. Folter ist an der Tagesordnung. Menschen „verschwinden“ einfach. In keinem Land der Welt gibt es bezogen auf die Bevölkerung so viele Todesurteile. Die demokratische Massenbewegung im Iran stellt nicht „die soziale Frage“. Es geht ihr nicht um Arbeitslosigkeit und Krise, schon gar nicht um Alternativen zu Kapital, Arbeit, Staat und Nation, sondern „nur“ um die Herstellung säkular-demokratischer Verhältnisse, um das Mindestmass an persönlicher Freiheit, das mit ihnen verbunden wäre. Das ist, wenn man es nicht hat, verdammt viel. Der Kampf dafür verdient jede Unterstützung.

Grundsätzlich: Nichts muss so bleiben, wie es ist

Die Menschen im Iran stellen das „Weiter so“ infrage. Das lähmende „Wir können ja doch nichts machen!“ zählt für sie nicht mehr. Das ist die grundlegende Voraussetzung für die Überwindung jeder Form von Herrschaft und inhumaner Zustände. Nix da mit „There is no alternative“. Ganz im Gegenteil: Wo Menschen anfangen, über den Tellerrand des Bestehenden hinauszublicken, nicht mehr länger glauben, sie könnten sich nur so verhalten, wie sie es „schon immer“ tun, können sie die Welt verändern.

Auch dies lässt sich – bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangslage und Probleme – von den IranerInnen lernen.

Emanzipation und Frieden, August 2009

Lesen Sie die Flugschrift hier im Layout: Iran: Unterlassenen Hilfeleistung – Teil 1

Siehe auch Iran: Unterlassene Hilfeleistung – Teil 2  –  Ressentiment und Eiertänze. Das Trauerspiel der friedensbewegten Linken