Kritische Männlichkeit

Eine theoretische Hinführung zu einer praktischen Perspektive

von Markus Textor

Zuerst veröffentlicht auf queerfem.de

Ein Gespenst geht um in progressiven Politkreisen – das Gespenst der kritischen Männlichkeit(1). Doch was ist überhaupt kritische Männlichkeit und warum ist sie so wichtig für den Kampf gegen Ungleichheitsverhältnisse? Bisweilen sind keine mir bekannten wissenschaftlichen Texte zum Thema kritische Männlichkeit erschienenen. Darüber hinaus gibt es auch wenige sonstige Materialien zum Thema. Gibt mensch den Begriff in eine Suchmaschine ein, werden Ergebnisse angezeigt, die auf Workshops, Vorträge oder sonstige Formate schließen lassen, bei denen die Thematik besprochen wird. Grundsätzlich, und vor allem in (queer-)feministischen, gendersensiblen, diskriminierungskritischen und anderen gesellschaftspolitischen und -kritischen Kontexten, erscheint allerdings der Eindruck, dass das Schlagwort kritische Männlichkeit bei einigen Menschen ein großes Interesse hervorruft(2). In diesem kleinen Aufsatz möchte ich vor allem die Theorie der „hegemonialen Männlichkeit“ (Connell 2015) vorstellen und anhand dieser versuchen zu verdeutlichen, wie kritische Männlichkeit sich gegen hegemoniale Männlichkeit positionieren kann. Der hier vorliegende Text ist also in seinem Aufbau ähnlich wie die Workshops, die ich(3) bisher zum Thema gehalten habe. Dieses Vorgehen ist mein persönlicher Vorschlag, um eine theoretisch fundierte Perspektive der kritischen Männlichkeit anzubieten.

Verortung innerhalb der Genderforschung

In der Geschlechter-, bzw. Genderforschung (Gender Studies) hat sich eine eigene Forschungstradition mit ein paar wenigen Protagonist*innen herausgebildet, die sich macht- und herrschaftskritisch mit der Konstruktion von Männlichkeit auseinandersetzt: Die kritische Männerforschung(4). Kritisch ist diese Männerforschung deshalb, weil nicht davon ausgegangen wird, dass die Kategorie Mann eine rein biologische, bzw. naturgegebene Kategorie ist, sondern, dass Mannsein und Männlichkeit ständig gesellschaftlich hergestellt werden. Diese Herstellung ist nicht frei von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, sondern ist geradezu von diesen abhängig. Vereinfacht kann gesagt werden, dass geschlechtliche Positionen, aber in diesem Text speziell die Männlichkeiten, erst durch Macht- und Herrschaftsverhältnisse und die Unterwerfung unter diese, hergestellt werden können. Das heißt im Umkehrschluss, dass auch „der Mann“ nicht einfach zur Welt kommt, sondern zum Mann wird. Die Ähnlichkeit zu Simone de Beauvoirs einflussreicher Feststellung, dass man nicht als Frau zur Welt kommt, sondern dass man zur Frau wird, ist mehr als augenscheinlich. Wie ein solches Werden von Geschlecht unter Macht- und Herrschaftsverhältnissen erfolgen kann, wurde eindrücklich von Judith Butler dargestellt und mit ihrer Begrifflichkeit des „performativen Geschlechts“(5) beschrieben. Butlers herausragende Arbeiten werden in den Gender Studies und darüber hinaus breit rezipiert und finden auch in aktivistischen Kontexten große Akzeptanz. In diesem Text soll aber weniger auf Butlers philosophische Herangehensweise aufmerksam gemacht werden, sondern auf Raewyn Connells handlungsorientierte Soziologie. Die von ihr beschriebene „hegemoniale Männlichkeit“ gilt in der kritischen Männerforschung als akzeptierte Theorie- und Analyseperspektive und hat derselben einen neuen Forschungshorizont eröffnet (vgl. Böhnisch 2012). Womöglich würden sich Butler und Connell in ihren Studien nicht widersprechen, dennoch bleibt deren grundlegende Herangehensweise eine verschiedene: Butler untersucht in ihren Studien Texte und Connell interviewt Menschen, um Theorie zu formulieren. Darüber hinaus ist es Connell möglich geworden, Männlichkeit als gewordene Kategorie greifbar zu machen und eine Theorie zu entwickeln, die es zulässt, hegemoniale Männlichkeit zu kritisieren.

Hegemoniale Männlichkeit

Connell entwirft in ihrem Buch, das in der deutschen Übersetzung übrigens „Der gemachte Mann“(6) heißt, die Theorie der „hegemonialen Männlichkeit“, die beschreibt, welche Form der Männlichkeit in westlichen Gesellschaften die vorherrschende ist (Connell 2015).

Die herausragende Leistung Connells ist meiner Meinung nach, dass sich das Wesen des Patriarchats, vor allem im Zuge der spätkapitalistischen (Post-)Moderne, verändert hat, aber trotz verschiedener Ausnahmen und Widerstände immer noch als allgemeingültige Struktur begriffen werden kann. Sie beschreibt diese Ausnahmen und Widerstände wie folgt: „[W]enn beispielsweise Frauen den Haushaltsvorstand darstellen oder weibliche Dozent[*inn]en männliche Studenten unterrichten […]“ (ebd., 127). Aber auch eine Bundeskanzlerin oder eine Premierministerin sind Beispiele dafür. Pointiert gesagt, bedeutet dies: Die Herrschaft des Patriarchats muss trotz der Angriffe und Erwirkungen der Frauenbewegung und anderer antipatriarchaler Bewegungen weiter gewährleistet werden. Das Patriarchat muss sozusagen zeitgemäßer auf diese Angriffe antworten.

Vor allem aber das Verhältnis unter den Männern ist für Connell bedeutungsvoll: „Auf das Geschlechterverhältnis unter Männer muss man achten, um die Analyse dynamisch zu halten, damit die Vielfalt an Männlichkeiten nicht zu einer bloßen Charaktertypologie erstarrt […]. ‚Hegemoniale Männlichkeit‘ ist kein starr, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann“ (ebd., 130).

Hegemonie bedeutet übersetzt so viel wie Vorherrschaft, kann aber in der hier gebrauchten Form nicht ohne die Herrschaftskonzeption Antonio Gramscis verstanden werden. Dieser fand heraus, dass Herrschaft in modernen Gesellschaften nicht mehr unmittelbar durch Zwang, sondern auch oder vor allem durch gesellschaftlichen Konsens durchgesetzt werden kann. Für Gramsci war vor allem der Nicht-Staat, also die Zivilgesellschaft, ein wichtiger Faktor, um zu begreifen, wie Macht und Herrschaft in der Bevölkerung durchgesetzt werden können. Macht und Herrschaft können demnach also ohne großen staatlichen Zwang, so wie es bspw. aus totalitären Staaten bekannt sein dürfte, sondern durch Zustimmung und Akzeptanz ausgeübt werden (vgl. z.B. Hall 2012, 70-72). Connell, die sich auf Gramscis Hegemoniekonzeption bezieht, verwendet diese, um ihre Theorie der hegemonialen Männlichkeit zu beschreiben(7): „Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen(8) gewährleistet (oder gewährleisten soll)“ (Connell 2015, 130).

Aus diesem grundlegenden Zitat wird einerseits ersichtlich, dass es ein ordnendes System gibt, innerhalb dessen Frauen, nicht-hegemoniale Männer und andere Geschlechtsidentitäten, untergeordnet werden und andererseits, dass das Patriarchat ein Problem hat sich zu legitimieren, bzw. eine neue Gestalt oder Form benötigt. Anstelle des ursprünglichen Patriarchats, bildlich repräsentiert von einem absolut herrschenden Mann, wie bspw. dem männlichen Bild Gottes, tritt nun die hegemoniale Männlichkeit, die ihre patriarchale Macht durch gesellschaftliche Zustimmung und Akzeptanz sichert. Um ein beispielhaftes Männerbild unserer Zeit zu finden, kann einfach das Wort „Mann“ in eine Suchmaschine eingegeben werden. Angezeigt werden Bilder, die auf den ersten Blick alle erschreckend ähnlich aussehen. Sie geben eventuell Auskunft darüber, welches Männerbild als relativ akzeptiert gilt, lassen allerdings keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Hegemonie, also bspw. auch nicht auf den sozioökonomischen Stand, dieser Männer zu.

Da Connell auch betont, dass die Form der hegemonialen Männlichkeit kein starrer Charakter ist, muss erst analysiert werden, welche Form der Männlichkeit in welchem jeweiligen Kontext und unter welchen jeweiligen Bedingungen eine hegemoniale Männlichkeit ist. „Damit ist nicht gesagt, dass die jeweils offensichtlichsten Vertreter einer hegemonialen Männlichkeit auch die mächtigsten Männer sind“ (ebd., 131). Dennoch muss betont werden, dass es Überschneidungen und Übereinkünfte zwischen der akzeptierten Form von hegemonialer Männlichkeit und der tatsächlich regierenden Form der hegemonialen Männlichkeit gibt, auch wenn hegemoniale Männlichkeit alleine nicht zum Regieren legitimiert. „Aber diese Hegemonie entsteht trotzdem nur, wenn es zwischen dem kulturellen Ideal und der institutionellen Macht eine Entsprechung gibt, sei sie kollektiv oder individuell. Die Führungsebenen von Wirtschaft, Militär und Politik stellen eine recht überzeugende korporative Inszenierung von Männlichkeit zur Schau, die von feministischen Angriffen und sich verweigernden Männern immer noch ziemlich unberührt scheint“ (ebd., 131).

Um die Beziehung zwischen den Männern zu charakterisieren, beschreibt Connell neben der hegemonialen Männlichkeit noch drei weitere Formen der Männlichkeit, die allesamt von der hegemonialen Männlichkeit dominiert werden (ebd., 131-135):

1) Untergeordnete Männlichkeit: beschreibt jene Form der Männlichkeit, die von der hegemonialen Männlichkeit untergeordnet positioniert wird. Die auffallendste untergeordnete Männlichkeit ist laut Connell die schwule Männlichkeit, wobei auch andere Männlichkeiten untergeordnet werden: So z.B. die Transmännlichkeit, andere geschlechtliche Identitäten, aber auch Männlichkeitskonstruktionen, die nicht der hegemonialen Norm entsprechen. Dies wird bspw. durch Schimpfwörter, die diese untergeordneten Männlichkeiten beschreiben sollen, verdeutlicht: „Schwächling, Schlappschwanz, Muttersöhnchen, Waschlappen […]“ usw. (ebd., 132). Connell betont an selber Stelle eine „symbolische Nähe zum Weiblichen“. Dies impliziert die patriarchale Auffassung, dass weiblich nicht nur mit nicht-männlich, sondern auch mit schwach assoziiert wird. Exemplarische beleidigende Sätze für eine solche Beschreibung sind bspw.: „Du Pussy“ oder „Du weinst wie ein Mädchen“.

2) Komplizenschaftliche Männlichkeit: Connell geht davon aus, dass nur wenige Männer dem normativen Bild der hegemonialen Männlichkeit bzw. diesem Idealtypus von Norm entsprechen können. Genauer gesagt, geht sie sogar davon aus, dass nur relativ wenige Männer diesem Bild entsprechen. Alle, die diesem Bild nicht entsprechen, jedoch dennoch aus dem Vorteil der Männer gegenüber der Frauen profitieren, rechnet sie der komplizenschaftlichen Männlichkeit zu. Wie der Name vermuten lässt, sind diese Männer die Komplizen jener Gruppe, die als hegemonial bezeichnet wird. Das patriarchale Verhältnis, das dieser Komplizenschaft zugrunde liegt, nennt Connell „patriarchale Dividende“ und beschreibt dies als einen „[…] allgemeinen Vorteil, der den Männern aus der Unterdrückung der Frauen erwächst“ (ebd., 133). Demnach muss man nicht zwangsläufig ein hegemonialer Mann sein, um nicht-männliche Personen unterdrücken zu können oder zumindest vom patriarchalen Vorteil zu profitieren.

3) Marginalisierte Männlichkeit: Connell betont in einem rassismuskritischen Kontext die Vorherrschaft von weißer(9) Männlichkeit. Nicht-weiße Männlichkeit ist demnach entscheidend für den Prozess von hegemonialer Männlichkeit, die überwiegend weiß ist. Hegemoniale, komplizenschaftliche und untergeordnete Männlichkeiten sind „interne Relationen der Geschlechterordnung“, während die marginalisierte Männlichkeit außerhalb dieser Ordnung steht (ebd., 133). Außerhalb, oder an den Rand gedrängt (marginalisiert), sind sie deshalb, weil sie unter anderem eine Projektionsfläche hegemonialer Männlichkeit darstellen und durch deren Unterdrückung die Macht der hegemonialen Männlichkeit garantieren: „So werden beispielsweise schwarze Sportstars zu Musterbeispielen männlicher Härte, während die Phantasiegestalt des schwarzen Vergewaltigers in der Geschlechterpolitik unter Weißen eine bedeutende Rolle spielt, die von den rechten Politikern in den USA nur zu gerne instrumentalisiert wird. Andererseits hält die hegemoniale Männlichkeit unter Weißen die institutionelle und physische Unterdrückung aufrecht, welche den Rahmen für die Konstruktion einer schwarzen Männlichkeit bilden“ (ebd., 134). Letzter Punkt wird vor allem von postkolonialen Theoretiker*innen diskutiert und unter dem theoretischen Begriff des Otherings beschrieben (vgl. Hall 2016 [2004]; Saïd 2014 [1978]; Spivak 1985).

Connell betont allerdings auch, dass Kategorien wie bspw. Klasse ebenfalls zu einer solchen Marginalisierung führen können. Weiter betont sie, dass Marginalisierung auch unter untergeordneten Männlichkeiten passieren kann und erinnert, dass alle Typen von Männlichkeiten, die sie beschreibt, keine starren Eigenschaften besitzen: „Ich möchte noch einmal betonen, dass Begriffe wie „hegemoniale Männlichkeit“ oder „marginalisierte Männlichkeit“ keine festen Charaktertypen bezeichnen, sondern Handlungsmuster, die in bestimmten Situationen innerhalb eines veränderlichen Beziehungsgefüges entstehen. Jede brauchbare Männlichkeitstheorie muss diesen Veränderungsprozess mit einbeziehen“ (Connell 2015, 135).

Connell geht es also zusammengefasst um Veränderungen und Dynamiken von Männlichkeiten, aber auch um die fortdauernde strukturelle Existenz des Patriarchats. Letzteres hat sein Wesen im Lauf der Zeit und unter Anbetracht der antipatriarchalen Angriffe, welche es akzeptieren musste gewandelt und muss nun eine andere Gestalt annehmen, die mittels Akzeptanz regieren kann und somit die Dominanz über nicht-hegemoniale Männlichkeiten sicherstellen kann. Des Weiteren haben wir Connell die kluge Einsicht zu verdanken, dass sich Männlichkeiten auch untereinander unterdrücken können und nicht lediglich Frauen unterdrücken.

Dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit kann vorgeworfen werden, dass es sich in der Anwendung, also der konkreten Analyse von Männlichkeit, weniger gut eignet, weil es zu vielschichtig und komplex sei. Diesem Punkt kann entgegengehalten werden, dass die Welt in der wir leben gewissermaßen komplex ist und dass es auf komplexe Probleme keine einfachen Lösungen geben kann. Ein weiterer Kritikpunkt am Konzept ist, dass dasselbe wenig Aufschluss über die tiefenpsychologischen Auswirkungen auf die Subjekte liefert (vgl. Böhnisch 2012). Dieser Kritikpunkt findet sicherlich Berechtigung und kann als Perspektive für weitere Forschungen betrachtet werden(10).

Dennoch kann die Theorie der hegemonialen Männlichkeit als Schablone verwendet werden, um herauszufinden, wann und in welcher Form eine Männlichkeit als eine hegemoniale begriffen werden kann und inwiefern diese Form der Männlichkeit eine Dominanz über Nicht-Männlichkeiten und andere Männlichkeiten darstellt. Grundlegend ist die Theorie deshalb interessant, weil sie als moderne Patriarchatskritik verstanden werden kann und dabei nicht die unbedingt offensichtlich männlichen Männer (Hypermaskulinität) in den Blick nehmen muss, sondern die akzeptierteste Form der Männlichkeit. Diese wird dann wiederum im Kontext der jeweiligen Kultur und der jeweiligen Beziehungen unter Männern betrachtet. Das heißt im Umkehrschluss, dass auch die auf den ersten Blick nicht männlich wirkenden Männer dennoch dominant sein oder zumindest von ihrer Männlichkeit profitieren können. Durch die Einführung des Begriffs der patriarchalen Dividende hat Connell m.E. ein wichtiges Analyseinstrument geschaffen, um genau diese patriarchalen Strukturen zu erkennen und nachzuvollziehen, wie patriarchale Vorteile unter Männlichkeiten bewusst und unbewusst geteilt werden können. Vor allem aber unter jenen Männlichkeiten, die nicht unbedingt hegemonial sind.

Ich habe auf diesen Seiten versucht das theoretische Konzept der hegemonialen Männlichkeit zu beschreiben, da ich die kritische Männlichkeit, zu der es scheinbar noch keine passende Theorie gibt, als Gegenstück oder als Kritik zur hegemonialen Männlichkeit betrachte.

Frei nach Michel Foucault kann Kritik verstanden werden als „Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992, 12). Demzufolge kann die kritische Männlichkeit als kritische Praxis zur Theorie(11) der hegemonialen Männlichkeit verstanden werden. Im folgenden Kapitel möchte ich kurz auf die Ausgestaltung der Workshops, die ich zum Thema gehalten habe, eingehen.

Eine praktische Perspektive

Bei der Ausgestaltung der Workshops lege ich einen speziellen Fokus auf den Umstand, dass es nicht unbedingt einfach ist, die hegemoniale Männlichkeit bei der ersten Betrachtung zu erkennen. So zeige ich gerne Bilder von sehr erfolgreichen Männern, die bspw. gar keine explizite Männlichkeit(12) nach außen tragen, dennoch aber eine sehr hegemoniale männliche Stellung innehaben. Gleichermaßen zeige ich Bilder von Männern, die eine sehr explizite Männlichkeit nach außen tragen und ebenfalls eine sehr hegemoniale Stellung innehaben. Zu nennen sind hier bspw. gewisse Staatsoberhäupter, die einerseits eine extreme Form von Männlichkeit zur Schau stellen und gleichermaßen ganze Nationalstaaten regieren. Letzter Punkt wurde oben mit Connell bereits benannt, indem sie trotz ihres dynamischen Verständnisses von Männlichkeiten erkennt, dass die Führungsebene von Politik immer noch sehr männlich dominiert wird und sich dort manche Männer auch sehr männlich inszenieren. Als „Bastion der Männlichkeit“ bezeichnet Connell bspw. die Waffenlobby (Connell 2015, 278).

Der weitaus spannendere Punkt an einer praktischen Perspektive ist aber, sich mit den Teilnehmenden des Workshops über Männlichkeiten zu unterhalten. Dies passiert entweder in der offenen Diskussion oder in Kleingruppen, in denen anhand folgender Fragen diskutiert werden kann: 1) Was stellt ihr euch unter hegemonialer Männlichkeit vor? 2) Wann fällt euch dominantes männliches Verhalten auf? 3) Wie reagiert ihr auf diese Form von Männlichkeit? 4) Was macht es besonders schwierig darauf zu reagieren? 5) Wie könnte angemessen darauf reagiert werden?

Diese Fragen können im Hinblick auf verschiedene Lebensbereiche gestellt werden, so sind doch Familie, Freund*innenkreis, Beruf oder öffentlicher Raum total verschiedene Orte, an denen man*frau auch unterschiedlich reagieren kann bzw. muss. Eine solche Diskussion kann dazu führen, dass sich die Teilnehmenden eines solchen Workshops Gedanken hinsichtlich der Konstruktion von Männlichkeit, der Dominanz und der Dekonstruktion derselben machen. Darüber hinaus kann eine solche Beschäftigung mit dem Thema kritische Männlichkeit bewirken, dass die Teilnehmenden einen angemessenen Umgang mit entweder anderen oder sogar (im Idealfall) ihrer eigenen Männlichkeit finden können. Abschließend bleibt zu bemerken, dass kritische Männlichkeit als Prozess begriffen werden muss. Hegemoniale Männlichkeit zu erkennen ist vor allem in Anbetracht der komplexen Welt kein einfaches Unterfangen. Eigene oder andere Männlichkeiten zu kritisieren und zu verändern ein womöglich noch schwierigeres, jedoch lohnt es sich damit anzufangen.

Literatur

Böhnisch, Lothar (2012): Männerforschung: Entwicklung, Themen, Stand der Diskussion. Online verfügbar: http://www.bpb.de/apuz/144853/maennerforschung-entwicklung-themen-stand-der-diskussion?p=all

Butler, Judith (2014): Das Unbehagen der Geschlechter. 17. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Butler, Judith (2017): Körper von Gewicht. 9. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. 4. Aufl. Wiesbaden: Springer VS

Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin: Merve-Verl. (Merve, 167).

Hall, Stuart (2014 [1989]): Gramscis Erneuerung des Marxismus und ihre Bedeutung für die Erforschung von ‚Rasse‘ und Ethnizität. In: Hall, Stuart (Hg.): Ideologie, Kultur, Rassismus. 6. Auflage. Hamburg: Argument Verlag (Argument classics, / Stuart Hall ; 1), S. 56–91.

Hall, Stuart (2016 [2004]): Das Spektakel des ‚Anderen‘. In: Hall, Stuart (Hg.): Ideologie, Identität, Repräsentation. 5. Aufl. Hamburg: Argument Verlag (Argument classics, / Stuart Hall ; 4), S. 108–166.

Saïd, Edward W. (2014 [1978]): Orientalismus. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer (S. Fischer Wissenschaft).

Spivak, Gayatri Chakravorty (1985): The Rani of Sirmur. An Essay in Reading the Archives Author(s). History and Theory, Vol. 24, No. 3 (Oct., 1985) 247-272.

(1) Wird von Männlichkeit oder Männern gesprochen, wird von cis-Männlichkeiten ausgegangen. Cis-geschlechtlich ist das Gegenteil von trans-geschlechtlich, bedeutet also, dass das biologische und das soziale Geschlecht miteinander übereinstimmen. Sofern andere Männlichkeiten angesprochen werden, wird dies markiert. Der einseitige Fokus auf cis-Männlichkeiten sollte zwar immer kritisiert werden, jedoch ist genau dieser Fokus im Artikel relevant, um hegemoniale Männlichkeiten zu kritisieren.

(2) So bilden sich in den letzten Jahren wieder vermehrt kritische Männergruppen, die sich sowohl mit ihren eigenen Männlichkeiten, als auch mit Möglichkeiten der Unterstützung feministischer und anderer anti-patriarchaler Kämpfe, beschäftigen.

(3) Ich beschäftige mich schon seit mehreren Jahren sowohl beruflich und akademisch als auch privat mit Männlichkeiten und Gender. Seit 2017 halte ich Workshops zum Thema und versuche darin, gemeinsam mit den Teilnehmenden, Perspektiven für eine kritische Männlichkeit zu erarbeiten. Ich bin weiß und cis-männlich positioniert und habe in vielerlei Hinsicht viele Privilegien.

(4) Ein kurzer Überblick dieser Forschungen findet sich z.B. bei Böhnisch (vgl. Böhnisch 2012).

(5) vgl. Butler 2014; 2017.

(6) In der Originalausgabe heißt das Buch „Masculinities“ also Männlichkeiten.

(7) Gleichermaßen betont Connell aber auch, dass der Staat eine männliche Institution ist (vgl. Connell 2015, 124).

(8) Hier sind auch andere Geschlechtsidentitäten und nicht hegemoniale Männer gemeint. Alle werden im System der hegemonialen Männlichkeit derselben untergeordnet.

(9) Weiß wird hier verstanden als politische Kategorie und bedeutet übersetzt so viel wie ‚nicht von Rassismus betroffen‘.

(10) Weitere Kritikpunkte finden sich ebenfalls bei Böhnisch (vgl. Böhnisch 2012).

(11) Diese ist wiederum aus Empirie entstanden, also aus einer Studie, die von Connell und ihrem Team durchgeführt wurde, um das Verhältnis unter Männern zu rekonstruieren, woraus wiederum Schlüsse über patriarchale Verhältnisse gezogen werden konnten.

(12) Die meisten werden allerdings erfahrungsgemäß als Männer gelesen.