Nichts Neues unter der Sonne

Ein Abgesang auf den Mainstream der Globalisierungskritik

von Lothar Galow-Bergemann und Klaus Blees, erschienen in iz3w Nr. 324 Mai/Juni 2011

Globalisierung ist nichts substantiell Neues, seitdem die siamesischen Zwillinge Kapitalverhältnis und Weltmarkt das Licht der Welt erblickt haben, also seit ein paar hundert Jahren. Der Wegfall der Ost-West-Konkurrenz, die mikroelektronische Revolution und die Aufblähung des Finanzsektors haben die dem Kapital eigene Dynamik in den letzten beiden Jahrzehnten allerdings beträchtlich intensiviert und beschleunigt. Doch was seit Ende der 1990er Jahre als “Globalisierungskritik“ durch Diskurs wie soziale Bewegungen geistert, hat bis heute wenig zur Analyse dieser Vorgänge beigetragen. Wo die Empörung über die Barbarei der Verhältnisse nicht zugleich auch deren Konstitution kritisch reflektiert, landet sie bei der Wut auf die fiesen Konzerne, statt das Lohnsystem zu kritisieren. Was Kapitalismuskritik auf der Höhe der Zeit sein sollte, ergießt sich in Hass auf „die Gierigen da oben“.

Die globalisierungskritische Bewegung kam kaum darüber hinaus, neoliberale Schweinereien anzuprangern und staatszentrierte keynesianische Rezepte anzupreisen. Dabei musste sie ausblenden, dass letztere bereits in den 1970er Jahren gescheitert waren und der Neoliberalismus die systemnotwendige Antwort darauf war. Würde sich die Bewegung dem stellen, gerieten ihre ideologischen Grundfesten ins Wanken. Globalisierung erscheint ihr nämlich als ein willentlich „von den Herrschenden“ in ihrer Profitgier betriebenes Projekt, das, säßen nur die Richtigen an den staatlichen Schalthebeln, überhaupt nicht hätte sein müssen. Doch selbst dass „die Herrschenden“ mittlerweile den Kampf um die „Regulierung der Finanzmärkte“ selber führen und ausgerechnet ein George W. Bush zuletzt mehr Banken und Versicherungskonzerne nationalisierte als Attac je gefordert hat, bringt GlobalisierungskritikerInnen nicht von ihrem Glauben ab, sie seien besonders radikal.

Eine offene Flanke

Der starke Professionalisierungsschub der globalisierungskritischen Bewegung verschaffte ihr zwar Detailwissen auf vielen Gebieten, in punkto Nichtwissen(wollen) um die großen Zusammenhänge ist sie jedoch die alte geblieben. Anstatt den Staat als mit dem Markt unlösbar verbundenen Teil des Problems zu kritisieren, versteht sie jenen als positiven Gegenpol zu diesem. Wo es doch gerade zu erkennen gälte, dass selbst der Staatssozialismus, dessen Zusammenbruch bis heute bleiern auf der Suche nach Alternativen liegt, niemals aus dem Koordinatensystem von Markt und Staat ausbrach. Kritik kann nur dann einer humanen Alternative den Weg ebnen, wenn sie aus eben diesem Käfig herausfindet.

Doch diese Hoffnung besteht bei der Antiglobalisierungsbewegung nicht. Erst kürzlich empfahl eine von Attac publizierte Fake-Zeitung mit dem Titel „Financial Crimes“ allen Ernstes „demokratische Banken“ als Mittel gegen die Krise. Anstatt zu thematisieren, dass Marktwirtschaft nicht ohne Finanzsphäre funktioniert, machen Globalisierungskritiker den vermeintlichen Gegensatz von produktivem und Finanzkapital auf und müssen so logischerweise gierige Subjekte als Verursacher der Krise ausmachen. Ohne diese Figur kommt auch die theoretisch besonders niveaulose „Zinskritik“ nicht aus, die nicht zufällig ein Revival in der globalisierungskritischen Bewegung feiert.

„Natürlich sind Traditionslinke und ähnlich denkende GlobalisierungsgegnerInnen nicht per se Antisemiten – ein unbestreitbares Problem ist aber, dass ein auf die Unterscheidung zwischen Produktiv- und Finanzkapital fixierter Antikapitalismus nicht nur die kapitalistische Vergesellschaftung falsch begreift, sondern von der Struktur der Argumentation her immer eine offene Flanke zum Antisemitismus hat“. Diese Diagnose von Udo Wolter, die bereits vor zehn Jahren im iz3w-Sonderheft „Gegenverkehr“ erschien, gilt unverändert. Denn gerade in diesem Punkt zeigt sich die Globalisierungskritik kritikresistent. Antisemitismus wird vom Großteil der Bewegung als ein Problem behandelt, das es in der Bewegung nicht gibt und ihr lediglich von außen eingeredet werden soll.

Zwar setzte sich Attac als eine der einflussreichsten Organisationen innerhalb der Bewegung mit Antisemitismus auseinander. Doch lief das im Wesentlichen auf eine Abwehr der Vorwürfe oder gar eine Retourkutsche gegenüber den KritikerInnen hinaus, denen ihrerseits eine Instrumentalisierung des „Antisemitismusvorwurfs“ vorgeworfen wurde. Als der Koordinierungskreis von Attac Deutschland 2002 in einem Positionspapier eine offensive Absage an antisemitische Tendenzen forderte, blieb er damit marginalisiert. Der Attac-Ratschlag als höchstes Entscheidungsgremium wies 2003 jeden Antisemitismusverdacht kategorisch zurück und machte so genannte „Antideutsche“ als Verleumder aus. Die AutorInnen des wenig später erschienenen Attac-Readers „Globalisierungskritik und Antisemitismus“ stießen ins selbe Horn.

Von Anfang an gab es innerhalb des heterogenen globalisierungskritischen Spektrums Stimmen, die den verbreiteten Antisemitismus und Antizionismus ablehnten. Im Gegensatz zur deutschen Sektion analysierte etwa Attac Österreich Antisemitismus als reales Problem der Bewegung, so bei dem 2004 in Wien abgehaltenen Kongress „Antisemitismus und Globalisierungskritik“ und dem 2005 daraus hervorgegangenen Reader „Blinde Flecken der Globalisierungskritik“. Doch im Mainstream der No Globals blieb die teils aggressive Abwehr der Kritik bis heute dominierend. Welch militante Ausmaße das annehmen kann, musste die Aktion 3.Welt Saar, die sich selbst als Teil der globalisierungskritischen Bewegung versteht, beim 2. Europäischen Sozialforum 2003 in Paris erleben. Mitglieder der Organisation traten dort mit einem moderat formulierten, in französischer, englischer und deutscher Sprache verteilten Flugblatt für die Existenz Israels ein. Sie wurden physisch bedroht, als „Faschisten“, „Rassisten“ und „Zionisten“ beschimpft und erhielten von den Veranstaltern Platzverweise. Bezeichnenderweise ereigneten sich einige dieser Angriffe auf einer Veranstaltung, die sich vorgeblich dem Kampf gegen Antisemitismus widmete. Keine Probleme hatten die Veranstalter hingegen, den Islamisten Tariq Ramadan als Redner einzuladen.

Der grassierende Hass in der Bewegung auf den jüdischen Staat ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich. So will etwa die Attac AG „Globalisierung und Krieg“ nichts vom Terror gegen Israel wissen und nennt islamistisches Gemetzel lieber „gnadenlosen Kampf um selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben“. Viele prominente Figuren und Gruppen der Globalisierungskritik widmen sich antiisraelischen Aktivitäten. Im Zentrum stehen Boykottkampagnen gegen Israel einschließlich Drohungen gegen diejenigen, die sich solchen Aufrufen nicht beugen. Als eine der vielen EinheizerInnen betätigte sich dabei eine Säulenheilige der Bewegung, Naomi Klein, Autorin des Bestsellers „No Logo“. Während des israelischen Krieges gegen die Hamas in Gaza 2009 erschien ihr Aufruf „Enough. It’s time for a boycott“ in der linksliberalen britische Zeitung Guardian. Ihre Kampagne vergleicht sie explizit mit den Boykotten gegen Südafrika zur Beendigung der Apartheid. Zahlreiche Organisationen sprangen Klein bei, und eine Woche später veröffentlichte der Guardian einen Boykottaufruf überwiegend britischer AkademikerInnen, der offen einen Sieg der Hamas über Israel forderte.

9/11 als Lackmustest

Zu einem weiteren Lackmustest für das vorherrschende Bewusstsein der Bewegung kam es schon kurz nach den Protesten in Genua: Die Anschläge von 9/11 wurden ebenso problemlos wie schizophren sowohl als Triumph über die Bösewichte („endlich trifft’s mal die Richtigen“) als auch als Werk der Bösewichte selbst („man wird doch noch mal fragen dürfen“) verarbeitet.

Gab es in den 1990er Jahren noch Grund zur Annahme, dass sich nach dem Zusammenbruch des Systemkonkurrenten so etwas wie eine pax americana über den Globus legen könne, so blamierte sich die Rede von der Neuen Weltordnung, die „der Westen unter Führung der USA“ dem Planeten aufdrücken wolle, schon bald an der Tatsache, dass Widersprüche von nie gekannter Schärfe innerhalb des Westens öffentlich ausgetragen wurden. Von einer globalen „Führung der USA“ konnte weniger denn je die Rede sein. Es kam im letzten Jahrzehnt zu einem deutlichen Machtverlust des Westens, besonders der USA, gepaart mit einem Aufstieg weltpolitischer Akteure wie China, Iran, Deutschland, Indien, Brasilien, teils auch Venezuela, Türkei und Russland. Eine (selbst)kritische Reflexion dieser grotesken Fehleinschätzung der Globalisierungskritik steht bis heute aus. Ob es möglicherweise antiamerikanisches Ressentiment ist, das die eigene Analysefähigkeit trübt, wird in der Bewegung nicht ernsthaft diskutiert, sondern als böswillige Unterstellung abgewehrt.

Beschämend ist die Abstinenz der Globalisierungskritik von der Unterstützung der iranischen Demokratiebewegung. Dschihadistischen Terror behandelt sie, wenn überhaupt, fast ausschließlich in der Form von Anwürfen gegen den Westen und die Staatsmacht, etwa in der beliebten Formulierung, „unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung“ werde dies und jenes betrieben. So wenig falsch solche Vorwürfe an sich sein können, so einseitig sind sie, wenn Terrorismus und Islamismus nie als eigenständige und ernst zu nehmende Probleme behandelt werden. Mit traumwandlerischer Sicherheit macht man einen großen Bogen um Taliban, Bassidschi, Reitermilizen, Hamas, Hisbollah, Al Quaida, Ahmadinedschad, al-Bashir, Nasrallah oder Gaddafi. Bestenfalls sind sie aus dem Bewusstsein ausgeblendet, schlimmstenfalls sind sie heimliche Verbündete. Erst seit einigen Wochen findet der Bewegungsprominente Jean Ziegler, ein wortgewaltiger Kämpfer gegen „Bankster und Spekulanten“, auch Worte gegen den libyschen Despoten. Zuvor hatte er den Gaddafi-Menschenrechtspreis als „Anti-Nobelpreis der Dritten Welt“ begrüßt.

Gemeinschaft der Guten

Von Beginn an prägte Theoriefeindlichkeit die Bewegung: „Unsere Devise ist Zusammenarbeit über politische Differenzen hinweg statt lähmender rechthaberischer Diskussionen, von denen nur die Gegenseite profitiert“, so Lena Bröckl von Attac Berlin. Entgegen dem ersten Anschein entsprang die begeisterte Rezeption von Hardt/Negris Bestseller „Empire“ genau diesem Bedürfnis. Denn so meilenweit der schwammige Begriff der widerständigen „Multitude“ von kritischem Denken entfernt ist, so sehr bediente diese Neuauflage des ewigen „Wir da unten, Ihr da oben“ das Wohlfühlbedürfnis, zur Gemeinschaft der Guten zu gehören.

Eine bessere Welt, die ein gutes Leben für alle ermöglichte, wäre aber keine der Multituden, Völker und Kulturen. Sie wäre eine, die das Glück der Individuen zur Grundlage hätte, sie wäre kosmopolitisch – und selbstverständlich wäre sie globalisiert. Was sonst?

Lothar Galow-Bergemann und Klaus Blees sind Mitarbeiter der Aktion 3. Welt Saar.

 

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