Nützliches tun statt Schädliches arbeiten – Radikale Arbeitszeitverkürzung als Zukunftsprojekt

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 12. Oktober 2023, 19.00 Uhr, Wiesbaden

Kreativfabrik, Murnaustraße 2, 65189 Wiesbaden

Eine Veranstaltung von Kreativfabrik Wiesbaden e.V. in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung RLP

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Immer noch mehr Autos, noch mehr Plastik im Meer, noch höhere Finanzgebirge, noch mehr CO2. Unsere Wirtschaft beruht auf dem Zwang zu ewigem Wachstum.

Wir arbeiten für eine Megamaschine, die Mensch und Natur ihrem Diktat unterwirft. Die Klimakrise ist der sichtbarste Ausdruck. Doch auch die Kluft zwischen Reich und Arm wächst. Gesundheit, Bildung und Soziales werden vernachlässigt. Wohnen und Rentensystem werden unbezahlbar. Wir arbeiten viel zu viel Schädliches und wir tun viel zu wenig Nützliches.

Gleichzeitig leiden immer mehr Menschen unter dem Arbeitsdruck und wollen raus aus der Mühle. Da klingt es wie ein Hohn, wenn Politik und Arbeitgeber noch „mehr Bock auf Arbeit“ verlangen. Arbeiten ohne Ende, womöglich noch mit 75? Viele haben andere Vorstellungen von einem erfüllten Leben. Und warum sollen wir eigentlich immer länger arbeiten, obwohl die Computer und Roboter immer besser werden?

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Sticker: Emanzipation zum Anhören!

SEIT 2007: AUDIOS und VIDEOS

GEGEN Kapitalismus und regressiven Antikapitalismus
Antisemitismus und Antizionismus
Patriarchat und Kollektivismus

FÜR Emanzipation, Solidarität und freie Assoziation der Individuen
Einen neuen, nicht regressiven Antikapitalismus
Selbstbestimmung und Selbstorganisation

Unsere Sticker sind unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 International Public License frei verfügbar, um sie z.B. selbst in den Druck zu geben. Siehe hier.

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Bullshit-Arbeit, Klimakrise und das Versagen des Prinzips Gelderwerb

Von Lothar Galow-Bergemann

Statement auf der Podiumsdiskussion „Ökologische und soziale Frage zusammendenken! Und wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?“ des Vereins Teilhabe e.V. am 11. Mai 2023 in Berlin

Die ganze Veranstaltung wurde bei Radio Aktiv Berlin gesendet ist dort nachzuhören

Frage: Die Krisis-Gruppe hatte ja anfangs die Klimakrise nicht im Mittelpunkt. Was ist von ihrer Theorie trotzdem für die Klimabewegung interessant? Welchen Stellenwert hat eine Theorie aktuell in der Kooperation zwischen Klima- und Arbeiterinnenbewegung?

Die Klimakrise stand tatsächlich nicht im Mittelpunkt für krisis, als die Gruppe in den 80er Jahren entstand. Doch seit langem befasst sie sich auch ganz explizit damit. 2020 erschien z.B. das Buch „Shutdown. Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus“. Ich persönlich halte seit über zehn Jahren Vorträge wie „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte von Nachhaltigkeit schweigen. Warum wir mit ‚unserer Wirtschaft‘ nie eine nachhaltige Gesellschaft erreichen werden.“ Implizit war die Klimakrise allerdings von Anfang an bei krisis mitgedacht. Denn krisis geht davon aus, dass die Logik des Kapitals zwangsläufig in die globale Katastrophe führt, wenn es nicht gelingt, aus ihr auszusteigen. Krisis unterscheidet sich von anderen durch eine spezifische Krisentheorie (daher auch der Name). Kapitalistische Krise heute ist weit mehr als die bekannten „Überproduktions/Unterkonsumtionskrisen“ mit ihren schweren sozialen Folgen. Der Kapital-Ismus befindet sich in einer fundamentalen Systemkrise. Er untergräbt zunehmend seine eigene Grundlage – die Arbeit. Auslöser ist der historisch präzedenzlose Produktivkraftschub durch die Mikroelektronik, der in den 70er Jahren begann. Das Wissen wird zur maßgeblichen Produktivkraft. Die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft allein reicht für die Kapitalakkumulation nicht mehr aus, sie benötigt dafür zunehmend die Finanzmärkte. Das ist der Hintergrund für die Aufblähung der gigantischen Finanzblasen, von denen die Weltwirtschaft und damit unser aller Leben abhängt. Die Blasen werden immer größer und haben eine unangenehme Eigenschaft: sie können platzen – und mit ihnen die ganze Gesellschaft.

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Audio: „Das Recht, Rechte zu haben“ (Hannah Arendt)

Anmerkungen zum Verhältnis von Menschenrechten und Widerstandsakten

Vortrag von Claus Baumann

gehalten am 20. April 2023 in Stuttgart

Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Gegenwart sind die Menschenrechte in den öffentlichen Debatten präsent. Sie gelten als eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 verkündet wurde, feiert dieses Jahr ihr 75. Jubiläum.
Wie in den historischen Vorläufern, dem Virginia Bill of Rights von 1776 oder der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, werden auch in der Erklärung von 1948 bestimmte Grundsätze für die Gestaltung des Verhältnisses von Individuum, Staat und Gesellschaft formuliert, so beispielsweise das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit der Person, auf körperliche Unversehrtheit, auf Meinungs- und Pressefreiheit, auf Freizügigkeit, auf freie Berufswahl und auf Bildung. In geschichtlicher Hinsicht reagierte die Erklärung von 1948 auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und auf die präzedenzlose deutsche Barbarei mit ihrem Zivilisationsbruch der Shoah. Diese historische Bezugnahme markiert inhaltlich eine neue Qualität der Allgemeinen Erklärung von 1948 gegenüber ihren historischen Vorläufern, die insbesondere im Verständnis der Menschenwürde zum Ausdruck kommt, die vor den „Akten der Barbarei“ zu schützen sei (siehe Präambel von 1948).
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Moderne Naturverhältnisse

Antikapitalismus zwischen Naturbeherrschung und Wissenschaftskritik

Workshop und Diskussion mit Julian Bierwirth

Dienstag, 1. August 2023, 16.30 – 18.00 Uhr, Hannover

im Rahmen des System Change Camp (Ende Gelände) in Hannover (UG-Zelt), 16.30 – 18:00 Uhr. Das Camp findet statt im Georgengarten Hannover

In der Klimagerechtigkeitsbewegung prallen zwei unterschiedliche Vorstellungen davon aufeinander, wie gesellschaftliche Naturverhältnisse jenseits von Raubbau und Naturzerstörung gedacht werden können.
Einerseits gibt es eine Vorstellung, die aus der marxistischen Tradition stammt. Sie fasst die Natur als etwas außerhalb des Menschen stehendes, auf das der Mensch äußerlich zugreift. Er tut dies durch den Einsatz von Werkzeugen und die Verbesserung dieser Werkzeuge gilt dann als die Geschichte der menschlichen Zivilisation (“Produktivkraftentwicklung” heißt das dann). Als Problem im Kapitalismus gilt es dann, dass die Naturbeherrschung unkontrolliert von einzelnen Unternehmen verantwortet wird (“Privateigentum an Produktionsmitteln”). Der Ausweg aus den ökologischen Krisen liegt dann in einer verbesserten Naturbeherrschung, nur diesmal demokratisch legitimiert und egalitär verteilt. So wird der Staat zum zentralen Modus der Krisenlösung – eine Position, die wir beispielsweise bei Andreas Malm finden.

Eine andere Vorstellung hat ihre Wurzeln in der radikalen Ökologie, in (Differenz-)feministischen Ansätzen und in der postmodernen Philosophie. Hier wird die Vorstellung, die Mensch und Natur als etwas wesenhaft unterschiedliches trennt bereits einer radikalen Kritik unterzogen. Die Dualität von Subjekt und Objekt, die das moderne Denken seit René Descartes beherrscht und die sich in den marxistischen Vorstellungen von Naturbeherrschung spiegelt, gilt hier nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems. Eine Überwindung der herrschaftsförmigen Naturbeherrschung wird hier zur Voraussetzung für eine emanzipative Überwindung ökologische Krisen.

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Fallstricke der Emanzipation

Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Freitag, 28. Juli 2023, 15 Uhr, Mellnau (Hessen)

Eine Veranstaltung von krisis Kritik der Warengesellschaft

im Rahmen von Krise. Kritik. Kapitalismus. Wertkritisches Sommercamp der Gruppe Krisis von Mo. 24. – So. 30. Juli 2023

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

Das kann sich in Männlichkeitskult und sexistischem Verhalten äußern, in der Vorliebe fürs Agitieren statt fürs Argumentieren oder in der Vorstellung, antifaschistische Akteur*innen seien stets im Recht, was auch immer sie tun. Aber auch im Glauben, man sei zur „Führung der Arbeiterklasse“ berufen. Der Griff in die Mottenkiste staatssozialistischer Parteidiktaturen und Sympathie für autoritäre Führergestalten wie Lenin liegen da oft nahe. Der Glaube, „die Klasse und das Volk“ brauche eigentlich nur die richtigen Führer, korreliert zudem mit zwei ebenso absurden wie folgenreichen Fehleinschätzungen: Nationalsozialismus und Antisemitismus seien die Folge rechter Verführungskünste und bürgerlich-rechtsstaatliche Verhältnisse seien letztlich ebenfalls „faschistisch“.

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Mit Plan oder im Chaos?

Vielleicht braucht es ein Fukushima für den Verkehr

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 640 am 5. Juli 2023)

Stephan Krull wünscht sich eine Halbierung der Menge an Autos in Deutschland. Denn eine Verkehrswende müsse viel grundlegender ansetzen als beim Austausch von Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe, sagt der Ex-VW-Betriebsrat.

Er ist das erste Mal in Schwäbisch Hall, erzählt Stephan Krull, und eigentlich hätte er sich die Stadt gerne genauer angeschaut. Dafür blieb ihm keine Gelegenheit. Seinen Plan, schon gegen Mittag anzukommen, vereitelte die Deutsche Bahn. Mit vielen Stunden Verspätung und nach hochkomplizierten Umleitungen hat es der Gewerkschafter aus Hamburg gerade noch rechtzeitig zu seinem Vortrag geschafft. Der startet um 20 Uhr im Club Alpha 60 und die Ereignisse rund um Krulls Ankunft passen gut zu den Inhalten, die er vorträgt: „Solche Reisen zeigen, warum eine Verkehrswende nötig ist.“

Krull war 16 Jahre lang Betriebsrat bei VW und im Vorstand der IG-Metall-Geschäftsstelle Wolfsburg. Er ist also bestens vertraut mit den Mechanismen der Interessenvertretung für Beschäftigte, hat daran mitgewirkt, bei VW 6-Stunden-Schichten einzuführen und sagt über die Bedürfnisse der Arbeiterschaft, dass es im wesentlichen darum gehe, sich selbst und seinen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Was laut Krull auch eine gewisse Offenheit für Umweltschutz bedeute, teils Einsicht in die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation – aber eben auch und vielleicht sogar vor allem: Sichere Beschäftigung, die materiell keine Einbußen zum Ist-Zustand bedeute.

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Aufruf: Unsere Solidarität mit der Klimabewegung

Alle reden über Klimakleber. Tun wir was gegen die Klimakatastrophe!

Zeichnet die Petition auf weact.campact.de

(Der Förderverein Emanzipation und Frieden e.V. gehört zu den Erstunterzeichnenden dieses Aufrufs – hier im Original. Danke an die Initiator*innen aus dem Umfeld der Naturfreundejungend Berlin)

Wir mussten in den letzten Wochen eine bittere Wahrheit erkennen: Die Staaten dieser Welt schauen der Klimakatastrophe nicht nur weitgehend tatenlos zu. Viele Regierungen breiten der fossilen Industrie weiterhin den roten Teppich aus. Und sie gehen sogar aktiv und mit Gewalt gegen die Klimabewegung vor. Eine Allianz aus rechten Hetzer*innen sowie konservativen, sozialdemokratischen und selbst grünen Politiker*innen versucht, die unbequeme Stimme der Klimabewegung zu kriminalisieren und zum Schweigen bringen. Unterstützt werden sie dabei von Teilen der Medien und der Wirtschaft. Hinzu kommen körperliche Angriffe auf Aktivist*innen auf der Straße durch Menschen, die sich durch diese Hetze zur Selbstjustiz ermächtigt fühlen.

Angesichts der sich entfaltenden Klimakatastrophe ist es an der Zeit, die Prioritäten anders zu setzen. Statt über die Aktionsformen der Klimabewegung zu debattieren, sollten wir über das eigentliche Problem sprechen: die fortschreitende Zerstörung unserer Umwelt. Lasst uns die Perspektive zurückgewinnen und uns bewusst machen, dass alle Aktionsformen harmlos sind im Vergleich zur ökologischen Katastrophe. Was ist eine Straßenblockade gegen einen verwüsteten Planeten? 

Wir verurteilen daher mit aller Schärfe die völlig überzogene Repression gegen Klima-Aktivist*innen, aktuell insbesondere gegen die Letzte Generation. Wir stehen hinter den Zielen der Klimabewegung und rufen dazu auf, endlich die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Planeten zu ergreifen!

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Ist ein ökologischer Kapitalismus machbar?

Diskussion mit Julian Bierwirth

Sonntag, 9. Juli 2023, 18.00 Uhr, Göttingen

im Rahmen des Sommerfestes des Essbaren Waldgarten Grone

Das Sommerfest beginnt um 14.30 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Es gibt Führungen durch den Garten, Programm für Kids & direkt im Anschluss an die Diskussion ein Lagerfeuer.

Im Angesicht der ökologischen Krisen bleibt nicht viel Zeit, um das Ruder herumzureißen und ein qualitativ neues Mensch-Natur-Verhältnis zu etablieren. Die Zeit scheint so knapp zu sein, dass ein Ausweg oftmals nur innerhalb der bereits Bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse denkbar scheint.

Wir wollen bei dieser Diskussionsveranstaltung genauer hinsehen: Wie ist es um die Möglichkeit eines ökologischen Kapitalismus bestellt? Kann uns eine öko-soziale Marktwirtschaft, wie sie Teile der aktuellen Bundesregierung befürworten, vor der Klimakatastrophe retten? Welche Rolle spielen möglicherweise die globalen Konkurrenz- und Handelsbeziehungen, in die unsere Ökonomie eingebunden ist? Ist eine Veränderung des Naturverhältnisses möglich, ohne zentrale gesellschaftliche Beziehungsformen zu transformieren?


Wie im Kapitalismus

Das Konzept der Arbeitszeitrechnung stellt keine Alternative zum Kapitalismus dar

In einer nach dem Konzept der Arbeitszeitrechnung organisierten Gesellschaft bliebe der Austausch von Arbeitsleistungen das zentrale Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung. Einen Ausweg aus den Zwängen der warenproduzierenden Gesellschaft böte das nicht.

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen in Jungle World vom 22.6.2023)

Mit der verstärkten Hinwendung zur Ökonomiekritik in linken Debatten rückt auch die Frage, wie eine postkapitalistische Gesellschaft organisiert sein könnte, wieder in den Mittelpunkt. Felix Klopotek, Christian Hofmann und Philip Broistedt haben das Konzept einer Arbeitszeitrechnung (AZR) ins Gespräch gebracht, das die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) vorgelegt hatte. Das Modell, das 1930 in der Schrift »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« dargestellt wurde, erweist sich jedoch als kaum geeignet, um vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Situation und heutiger linker Kämpfe eine emanzipatorische Perspektive zu skizzieren.

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CSD in Freiburg: Antifa als Publikumsmagnet?

Trotz eines Boykotts durch drei Schwulen- und Lesbenverbände wurde der CSD am vergangenen Wochenende zum größten, den es je in Freiburg gab

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 639 am 28. Juni 2023)

Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

Screenshot @csdfreiburg

Die Reaktion kam spät, war aber heftig: Knapp zwei Monate nachdem das Logo für den diesjährigen Christopher-Street-Day (CSD) in Freiburg publik geworden war, zeigten sich der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD BW) und die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart „entsetzt“. Am 21. Juni begründeten beide Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung ihren Boykott der Demonstration. Denn beworben wurde die Veranstaltung unter anderem mit einem Schwarzwaldmädel, das neben einem regenbogenbunten Bollenhut auch eine Sturmmaske trägt. Daneben zu sehen: ein leicht abgewandeltes Logo der Antifaschistischen Aktion. „Wir können als familienorientierter Verband an keiner Veranstaltung teilnehmen, die offen für Linksradikalismus wirbt oder im direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen steht“, erklärte Kersin Rudat aus dem Vorstand des LSVD BW. Beide Zusammenschlüsse kritisierten, „dass solch eine Provokation auch krasse Gegenreaktionen erzeugen und rechtsextreme Gruppierungen erst recht locken könnte“. Und Detlef Raasch vom CSD Stuttgart betonte: „Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab.“ Bemerkenswert sind diese Aussagen vor dem Hintergrund der Historie des Christopher-Street-Days.

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Technologieoffenheit als Treppenwitz. Der drohende Einbruch deutscher Autoexporte

Das selbstfahrende Auto dürfte noch lange auf sich warten lassen. Außerdem haben deutsche Autobauer den Umstieg auf Elektroantriebe verschlafen

von Minh Schredle

(Zuerst gekürzt und unter einem anderen Titel in der Jungle World 2023/23 vom 8. Juni 2023 erschienen.)

Wie eine Straßenbahn ohne Gleise oder ein Bus, den man sich mit niemandem teilen muss, so soll automatisiertes Fahren funktionieren. „Schon seit Jahren sind die Ingenieure fast aller Autohersteller mit Systemen zum automatisierten und hochautomatisierten Fahren unterwegs“, informierte jüngst der ADAC, der enorme Potenziale in dieser Technologie sieht. Einschränkungen ergeben sich allerdings bei der Umsetzung, denn „der ambitionierte Zeitplan“ zur Markteinführung habe sich „immer wieder verschoben“. An knausrigen Geldgebern liegt es eher nicht: Nach Angaben von McKinsey haben Fahrzeugproduzenten und Risikokapitalgeber zwischen 2010 und 2020 mehr als 100 Milliarden Dollar in selbstfahrende Systeme investiert. Doch weltweit bleiben die Erfolge hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland scheint der Optimismus ohnehin überschaubar. Nur „21 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger glauben, dass klassische deutsche Hersteller den Wettbewerb um das autonome Fahren für sich entscheiden werden“, ergab eine repräsentative Befragung im Auftrag des Marktforschungsunternehmens Bitkom Ende 2022. Hingegen waren 43 Prozent überzeugt, „dass neue Automobilhersteller wie Tesla letztlich an der Spitze stehen“. Allerdings läuft es auch beim vermeintlichen Branchenprimus alles andere als rund.

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Arbeit, Wachstumszwang und Autoritarismus

Zum Charakter der Krise und antifaschistischen Perspektiven

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 6. Juli 2023, 15.30 Uhr, Nordrhein-Westfalen

Eine Veranstaltung von Antifa.NRW im Rahmen von Sommer, Sonne, Antifa! Festival 2023

Die Erde erwärmt sich unaufhörlich, die Ozeane werden vermüllt. Hunger und Armut wachsen, selbst in den reicheren Weltregionen. Eine Zoonose und Pandemie folgt auf die nächste. Kriege und Kriegsgefahr werden immer bedrohlicher. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht.

Es mangelt nicht an Konferenzen und Beschlüssen „zur Nachhaltigkeit“. Doch eine Wirtschaftsweise, der unendliches Wachstum, maximaler Profit und steigende Aktienkurse wichtiger sind als das Leben künftiger Generationen, schafft Probleme, die sie selbst nicht lösen, sondern nur weiter vertiefen kann.

Weltweit kämpfen viele Menschen gegen die Folgen an. Die Einsicht, dass Umweltkrise, soziales Elend, rassistische und sexistische Unterdrückung miteinander zusammenhängen, verbreitet sich. Immer weniger Menschen finden sich mit Diskriminierung ab, immer mehr fordern das Recht ein, ohne Angst verschieden sein zu können. Sie verlangen, „dass es nicht mehr so weitergeht“.

Aber viele bestehen auch explizit darauf, „dass es so weitergeht“. Je tiefer die Krise, desto mehr klammern sie sich an das, was keine Perspektive mehr hat. Anstatt darüber nachzudenken, was sie eigentlich denken, behaupten sie lieber, sie dürften „nicht mehr sagen, was sie denken“. Rassistische, sexistische, antisemitische und nationalistische Reaktionen verschärfen die Krise weiter. Verschwörungsphantasien verbreiten sich. Hass und Hetze gegen Klimaaktivist*innen und „Woke“ wirken bis in die „Mitte der Gesellschaft“. Ein neu-alter Autoritarismus wächst heran. In ihm gärt rohe Gewalt.

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Gesellschaftskritik und Klassentheorie

Zur Notwendigkeit, unsere Vorstellung von sozialen Kämpfen zu reformulieren

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen bei Disposable Times)

Der Text basiert auf einem Input, das der Autor bei der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche am 29. Mai in Frankfurt am Main gehalten hat.

Die Kategorie „Klasse“ hat in den Diskussionen um die Ausrichtung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik und die Stoßrichtung sozialer Kämpfe in den vergangenen Jahren erneut eine große Bedeutung erlangt. Das Revival der Klassenpolitik wird dabei als große Chance für eine präzisere Bestimmung der gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen und eine Radikalisierung sozialer Kämpfe verstanden. Für beides scheint der Begriff bei genauerer Betrachtung jedoch wenig geeignet. Es braucht ein anderes Paradigma, um die notwendigen Auseinandersetzungen im Kapitalozän zu führen.

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Autoritäre Versuchungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Moderation: Martin Gohlke

Dienstag, 11. Juli 2023, 15.00 bis 16.45 Uhr, Online

Eine Veranstaltung von Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich

Zugang über Zoom Meeting-ID: 829 2788 5661; Kenncode: X0bdtA

Klima, Krieg, Inflation, Sorge um die wirtschaftliche Existenz und sozialen Abstieg… Vieles beunruhigt. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber manchen erscheinen sie verlockend. Autoritäre Politikkonzepte werden attraktiver. Freiheit wird mit Ellenbogenegoismus verwechselt. Die Suche nach „den Schuldigen“ vermischt sich mit der Sehnsucht nach dem „starken Mann“. Krisenzeiten waren selten gut für die Demokratie. Wie können wir die Gesellschaft angesichts großer ökologischer und sozialer Herausforderungen krisenresistenter gestalten und auf einen guten Weg kommen?

System Change not Climate Change?

Warum wer von Kapitalismus nicht reden will, auch von Nachhaltigkeit schweigen sollte

Workshop mit Franziska Sander

im Rahmen des AUFSTAND 2023 der NAJU Baden-Württemberg

Sonntag, 11. Juni 2023, 10 Uhr, Waldenbuch

Waldjugendzeltplatz Jungviehweide in 71111 Waldenbuch

Klimagerechtigkeit, System Change not climate change, dies das – von all den Begriffen kann einem schon mal der Kopf brummen. Wir beschäftigen uns im Workshop mit der Frage, was Klimagerechtigkeit eigentlich genau heißt, mit Grundzügen der Kapitalismuskritik und damit, warum es sich lohnt, für „System Change not climate change“ zu kämpfen.

Anreisebeschreibung

Emanzipatorisches Subjekt – Klasse & Kritische Theorie

Podiumsdiskussion mit Julian Bierwirth und Lena Reichardt

auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche

Montag, 29. Mai 2023, 19.30 – 20.45 Uhr, in Frankfurt/Main

In den letzten Jahren hat sich in den kritischen Gesellschaftstheorien eine zunehmende Rückbesinnung auf die Klasse bemerkbar gemacht. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung und der Subjektivierung durch »Klasse«. Der Klassenbegriff ist einer von mehreren zentralen Begriffen kritischer Gesellschaftstheorie, welcher mit den Krisendynamiken der letzten Jahrzehnte auch in die öffentliche Diskussion zurückgekehrt ist. Es stellt sich also die Frage, wie sich eine kritische Gesellschaftstheorie angesichts der weltweit ausgetragenen Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung heute positioniert und welches explanatorische Potential der Klasse dabei zukommt. In der Veranstaltung soll deswegen die Bedeutung der Klasse für eine kritische Gesellschaftstheorie diskutiert, und danach gefragt werden, inwiefern eine theoretische, wie praktische Rehabilitation der Klasse als emanzipatorisches Subjekt in heutigen Zeiten möglich erscheint.

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Audio: Die ökologische Krise: Wie radikal ist realistisch?

Vortrag von Bernd Ulrich

Stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit

gehalten am 23. März 2023 in Stuttgart            

In den achtziger Jahren stand die damalige ökologische Avantgarde in den westlichen Gesellschaften vor einem gravierenden demokratischen Problem: Wie kann man die Menschen davon überzeugen, jetzt ihr Verhalten zu ändern wegen Problemen, die erst in dreißig Jahren auftreten? Letztlich haben die Ökologen von damals dieses Problem nicht lösen können. Zwar haben sie viel Umdenken bewirkt, doch ging zugleich die Schere zwischen ökologisch Gebotenem und ökologischem Tun immer weiter auseinander. Nun aber sind diese dreißig Jahre vorbei, der Klimawandel hat eingesetzt, die Meere befinden sich in einem äußerst kritischen Zustand, das Artensterben galoppiert. Der Menschheit wird hier und heute der ökologische Kragen eng, sie hat zu lange zu wenig getan und muss sich jetzt sputen, wenn die Erde, wie wir sie kennen, noch leidlich gerettet werden soll.

Die Normalität, die diese Krise vorantreibt, ist weitgehend ungebrochen. Doch alle Versuche, sich diesem „Extremismus der Normalität“ durch eine „realistische Radikalität“ entgegenzustellen, können – bislang – einigermaßen erfolgreich als radikal im Sinne von extremistisch, randständig oder gar undemokratisch gebrandmarkt werden. Warum ist das so und wird das so bleiben? Der Journalist Bernd Ulrich plädiert in dieser Diskussion für ein „neues Rendezvous mit der Wirklichkeit“ und eine „besonnene Radikalität aus der Sache heraus.“

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Mehr Bock auf weniger Arbeit

Die IG Metall geht mit der Forderung nach der Viertagewoche in die Offensive

von Lothar Galow-Bergemann

(leicht gekürzt erschienen am 27. April 2023 in Jungle World #17/2023)

Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen endlich mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbunden werden.

Kurz vor Ostern überraschte die Gewerkschaft IG Metall mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Viertagewoche mit 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die Gewerkschaft in die Ende 2023 anstehende Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gehen. Ihr Vorsitzender Jörg Hofman erwartet gar eine gesamtgesellschaftliche Wirkung: Die Stahlindustrie sei schon oft Vorreiter für fortschrittliche Regelungen gewesen. Insofern habe diese Forderung eine „grundsätzliche Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus“.

Mit Recht verweist die IG Metall auf die intensiver werdende Debatte über Arbeitszeitverkürzungen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Viertagewoche.

Die Ankündigung der Gewerkschaft kommt zur richtigen Zeit, sie setzt einen Kontrapunkt zu den belehrenden und anmaßenden Tönen von Politikern und Arbeitgebern. Erst im Februar ermahnte Andrea Nahles, ehemalige SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, junge Menschen mit erhobenem Zeigefinger: „Arbeiten ist kein Ponyhof.“ Und Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, forderte längere Arbeitszeiten und „mehr Bock auf Arbeit“. Arrogante Ansprüche, die meilenweit entfernt sind von dem, was immer mehr Menschen bewegt, die aus guten Gründen eben keinen Bock haben.

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