Wie ich die Ostermärsche ernst nehmen könnte

Kurze Kritik und Vorschlag für ein Plakat

von Lothar Galow-Bergemann

Weltweit wächst ein alt-neuer Autoritarismus. Die Putins, Trumps, Erdogans, Orbans, Le Pens, Höckes und Co stützen sich auf Massen von Menschen, die rassistisch, sexistisch, nationalistisch, antisemitisch, homophob und transphob – kurz inhuman – auf die Krise reagieren.

Die globale autoritäre Welle erwächst aus der globalen kapitalistischen Krise. Sie macht sich in allen Ländern und Kontinenten breit. Die platte Rede vom guten Westen und dem bösen Rest der Welt verbietet sich. Aber dass man keine Angst haben muss, von einer Geheimpolizei in Folterkeller verschleppt oder von der Regierung vergiftet zu werden, ist von riesengroßem Wert für demokratische und emanzipatorische Bewegungen. Ohne demokratische Rechte und Freiheiten keine sozial-ökologische Transformation, kein Ausstieg aus dem Kapital-ismus.

Autoritäre hassen diese Freiheiten. Frech bezeichnen sie ihre Gegner als Faschisten und sich selbst als Antifaschisten. Man kennt es von der AfD. Auch das Putinregime spielt auf diesem Klavier. Dabei nimmt es zunehmend selbst faschistoide Züge an. Es erklärt Kritiker*innen zu „ausländischen Agenten“ und steckt sie ins Gefängnis, verfolgt Homosexuelle, verbannt Oppositionelle in Lager, ermordet Regierungsgegner*innen. Putin beschwört „nationale Werte“, will „russische Erde sammeln“ und bestreitet der Ukraine das Existenzrecht. Sein Regime verabscheut die angebliche „Dekadenz“ westlicher Gesellschaften. Es fürchtet die Beispielwirkung. Ob in Syrien, Belarus oder Kasachstan – permanent schlägt es Aufstände gegen autoritäre Herrscher nieder. Zu seinem Überfall auf die Ukraine ließ sich Putin den widerlichen Spruch einfallen „Ob’s dir gefällt oder nicht, du wirst dich fügen müssen, meine Schöne!“ So viel zum „Antifaschisten“ Putin.

Wer die AfD bekämpft, muss auch das Putinregime bekämpfen. Aus den gleichen Gründen.

Das Putinregime ist nicht einfach „so imperialistisch wie andere auch“. Es ist ein besonders aggressiver Verlierer in der mörderischen kapitalistischen Weltmarktkonkurrenz, der extrem reaktionär ideologisch aufgeladen ist. Es unternimmt alles in seiner Macht Stehende, um autoritäre Bewegungen und Parteien zu unterstützen und an die Macht zu bringen. Es fördert vorsätzlich die weltweite Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Die Sympathie von Trump, Le Pen, Orban, AfD&Co für Putin hat Gründe.

Antifaschist*innen wissen: Mit jedem Fußbreit Boden, den man Autoritären und Faschisten überlässt, werden sie noch aggressiver. Nie war die Trennung zwischen Außen- und Innenpolitik so obsolet wie heute. Das Putinregime ist wie AfD mit Geheimpolizei, Panzern und Hyperschallraketen. Die AfD muss verlieren. Putin muss verlieren.

Das Ende von Sanktionen gegen Russland und den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine fordern, heißt das Putinregime unterstützen. Aber sein Sieg wäre eine globale Katastrophe für den Antifaschismus und emanzipatorische Bewegungen. Nicht auszudenken, welch (weiteren) Auftrieb die autoritären und faschistischen Sympathisanten und Seelenverwandten dieses Regimes auf der ganzen Welt erhielten. Eine Niederlage des Putinregimes im Ukrainekrieg wäre dagegen ein wichtiger Zeitgewinn im globalen Kampf gegen die autoritäre Welle. Demokratische und emanzipatorische Bewegungen hätten wieder ein bisschen mehr Luft. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Für eine neue Friedensbewegung

Die alte Friedensbewegung ist moralisch bankrott. Zur Stelle war sie nur, wenn es um Kriege der USA und des Westens ging. Wo Putin intervenierte und bombte, schwieg sie – sei es in Syrien, Tschetschenien, Georgien oder Libyen. Vieles ließ sie kalt. Nie nahm sie demokratische und emanzipatorische Stimmen in Osteuropa ernst. Nie interessierte sie sich für deren Einschätzung und Forderungen. Welch beschämende Nähe zur offiziellen deutschen Politik. Bis zum 23. Februar 2022 hielt sie Putins Kriegspläne für US-Propaganda. Ihr plattes, manichäisches Weltbild ist blamiert bis auf die Knochen.

Kurz zugeben, dass man sich getäuscht hat und dann weitermachen wie vorher reicht da nicht aus. Die alte Friedensbewegung muss in den Spiegel sehen und sich eingestehen, dass sie von Ressentiment geleitet ist. Sie redet viel von Antifaschismus. Aber sie ist naiv gegenüber Diktaturen, mitunter ist sie ihnen sogar hörig.

Höchste Zeit für eine bessere Friedensbewegung. Eine, die klare Kante gegen reaktionäre und faschistische Regime zeigt. Eine, die glaubwürdiger ist. Und deshalb stärker sein wird. Wo Friedensbewegung drauf steht, muss auch Friedensbewegung drin sein:

– Russland raus aus der Ukraine!
– Nieder mit dem Putinregime!
– Demokratische Opposition in Russland unterstützen!

So eine Friedensbewegung wäre ernst zu nehmen.

Das Putinregime muss schon deshalb fallen, weil es ein Geschenk des Himmels für alle Militaristen ist. Putins Krieg gibt der NATO ungeahnten Auftrieb, er fördert die Akzeptanz für Aufrüstung und Militarisierung in den westlichen Gesellschaften. „Gut“ wäre die Welt folglich nach einer Niederlage des Putinregimes noch lange nicht.

Ausbeutung und Zerstörung von Menschen und Natur, Klimakrise, Hunger, Flucht, Elend, Armut und Kriegsgefahr werden weiter herrschen. Die tiefe globale Krise ist nicht im Rahmen der tödlichen kapitalistischen Ellenbogenkonkurrenz des „Jeder gegen Jeden“ und des „Immer mehr und nie Genug“ zu lösen. Das gilt für Autoritarismus, Klima, Migration, Hunger und Armut genauso wie für Krieg und Frieden. Die Menschheit sitzt im Wortsinne auf einem Pulverfass. Eine neue, bessere Friedensbewegung muss sich einen Frieden auf die Fahne schreiben, aus dem kein neuer Krieg mehr erwächst. Das aber heißt die zerstörerische kapitalistische Logik zu thematisieren und die Systemfrage zu stellen.

Zur Vertiefung sei Justus Ciders Auseinandersetzung mit der Rede vom „linken Bellizismus“ empfohlen: Linke Fesselspiele