Die jüngst durch Papst Leo XIV. erfolgte Heiligsprechung des „Cyber-Apostels“ Carlo Acutis blendet dessen fehlende Reflexion des antijudaistischen Kontextes der von ihm gesammelten „eucharistischen Wunder“ aus.
Von Thomas Tews
Am 7. September 2025 wurde in Rom der als „Cyber-Apostel“ apostrophierte und bereits 2018 als erster „Millenial“ (um die Jahrtausendwende geborener Mensch) seliggesprochene Carlo Acutis (1991–2006) durch Papst Leo XIV. zur „Ehre der Altäre“ erhoben, d. h. heiliggesprochen, was nach offizieller katholischer Lehre als Akt päpstlicher Unfehlbarkeit gilt.
Der im Alter von 15 Jahren an einer aggressiven Form der Leukämie wenige Tage nach deren Diagnose verstorbene, internetaffine, italienische Jugendliche Acutis hatte zu Lebzeiten eine Liste von 136 „eucharistischen Wundern“ in der Welt auf einer mehrsprachigen Webseite zusammengestellt. Dabei handelt es sich zumeist um „Hostienwunder“ oder „Blutwunder“, bei denen sich vermeintlich Blut an konsekrierten Hostien materialisiert (in Wirklichkeit ist die rote Verfärbung wohl auf das Bakterium Serratia marcescens oder den Schimmelpilz Neurospora crassa zurückzuführen). Berichte über derartige Vorkommnisse tauchten vermehrt ab dem 11. Jahrhundert auf, wobei dem „Wunder“ zumeist ein „Hostienfrevel“ vorausging, auf den die Hostie angeblich reagierte, indem sie etwa zu bluten begann.
Diese Legenden um „Hostienfrevel“ sind ein klassisch antijüdischer Topos, da Juden der Diebstahl und die „Schändung“ des eucharistischen, gemäß der 1215 dogmatisierten Transsubstantiationslehre in den Leib Christi gewandelten Brotes angelastet wurde. Ihnen wurde vorgeworfen, die Hostien zu durchstechen, um so Christus erneut zu kreuzigen. Infolgedessen führten „eucharistische Wunder“ zu Judenverfolgungen in Form von Pogromen und Exekutionen. Dies alles bleibt in Acutis’ „Wunder“-Auflistung unerwähnt, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen:
„Wunder von Brüssel“ (1370)
Acutis’ Darstellung: „Im Jahre 1370 entwendeten Gottlose geweihte Hostien und stachen verächtlich mit Messern auf sie ein, doch da begannen die Oblaten zu bluten. Die Wunder wurden bis vor wenigen Jahrzehnten verehrt. In verschiedenen Epochen wurden zahlreiche Monstranzen für die Hostien des Miracle du Saint Sacrament angeschafft, welche sich in der antiken Kapelle des Allerheiligsten Sakraments, heute Museum neben der Kathedrale, befinden. Es gibt auch Wandteppiche aus dem 18. Jahrhundert, welche das Wunder dokumentieren.“
Antijüdischer Kontext: Juden wurden der „Hostienschändung“ beschuldigt, was dazu führte, dass bis zu 20 Mitglieder der jüdischen Gemeinde hingerichtet und die übrigen vertrieben wurden.
„Wunder von Poznan“ (1399)
Acutis’ Darstellung: „In der Stadt von Poznan wurden im Jahre 1399 drei geweihte Hostien geraubt, welche von den Gottesfrevlern dann mit spitzem Werkzeug bearbeitet wurden. Doch aus den Oblaten floss ein ununterbrechbarer Blutstrom und jeglicher folgende Versuch, die Hostien zu zerstören, war vergeblich. So beschlossen die Missetäter, die heiligen Partikel in den Sumpf zu werfen, um nicht entdeckt zu werden, doch die Hostien erhoben sich leuchtend in die Luft. Nur nach eifrigem Gebet konnten sie vom Bischof geborgen werden und noch heute werden sie in der Fronleichnamkirche von Poznan verehrt.“
Antijüdischer Kontext: Aufgrund der Hostienfrevelbeschuldigung wurden ein jüdischer Rabbiner sowie 14 jüdische Gemeindemitglieder öffentlich verbrannt.
In Acutis’ Darstellungen wird durchgängig verschwiegen, dass es sich bei den beschuldigten „Missetätern“ um Juden handelte. Dass diese fehlende kritische Reflexion des sich im Zusammenhang mit den „Blutwundern“ manifestierenden christlichen Antijudaismus im Heiligsprechungsverfahren offensichtlich keine Berücksichtigung fand, veranlasst den ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ Otto Friedrich zu folgendem ernüchterndem Fazit:
„60 Jahre nach der Unterzeichnung der Konzilserklärung ‚Nostra Aetate‘ über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum scheint katholische Frömmigkeit immer noch nicht ohne Antijudaismus auskommen zu wollen.“
Literatur:
Otto Friedrich, Bluthostien und Antijudaismus. Herder Korrespondenz 4/2025, S. 28–30.
Norbert Scholl, Die „eucharistischen Wunder“ des Carlo Acutis. Christ in der Gegenwart 35/2025, S. 4.
[zuerst erschienen am 15. September 2025 bei haGalil.com]