Das Märchen vom Ende der Krise

von Lothar Galow-Bergemann, gesendet im Freien Radio für Stuttgart, 13. April 2011
Zum Anhören oder Downloaden

Noch jede Krise ist auf dem Rücken der Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Klein- und Mittelverdiener „gelöst“ worden. Sei es durch Arbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialabbau oder in den besonders krassen Fällen durch Inflation und sogar Krieg. Die Frage, ob denn die Krise, die 2008 mit den Börsencrashs begonnen hat, nun eigentlich vorbei ist oder nicht, ist deswegen für die meisten Menschen von wesentlichem Interesse. Verlässt man sich nur auf den Augenschein, könnte man der Illusion verfallen, die Krise habe sich in Luft aufgelöst. Wachstum wird bejubelt, das Gespenst der Kurzarbeit scheint einer längst vergangenen Zeit anzugehören, bei Daimler werden Überstunden gekloppt bis zum Umfallen, die Arbeitslosenzahlen gehen leicht zurück. Also alles klar und zurücklehnen? Weit gefehlt. Die gegenwärtigen Erfolgsmeldungen sind auf Sand gebaut. Tatsächlich gewinnt die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise sogar an Dynamik. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass mittlerweile ein offener Währungskrieg zwischen den konkurrierenden Wirtschaftsblöcken ausgebrochen ist. USA und EU drängen China zur Aufwertung des Yuan, die Chinesen wehren sich dagegen, der Euro gerät ins Wanken, die US-Notenbank wirft Milliarden Dollar auf den Markt und wertet ihn damit praktisch ab, Spekulationen über die Wiedereinführung der DM werden laut, der große Run aufs Gold, schon immer ein zuverlässiger Krisenindikator, hat schon lange begonnen.

Die weltweite Wirtschaftskrise hat eine neue Stufe erreicht: Nach Immobilien- und Finanzkrise, nach Rezession und Staatsschuldenkrise, treffen die Nachbeben des großen Crashs nun den internationalen Währungsmarkt … Eine fatale Kettenreaktion ist in Gang: Die Supermächte USA und China drücken durch ihre Konjunkturpolitik den Außenwert ihrer Währungen künstlich nach unten und verschaffen sich so Handelsvorteile … Andere Staaten ziehen nach … Jedes Mal, wenn eine Regierung den Kurs der eigenen Währung drückt, geraten die Währungen anderer Länder unter Druck – je einflussreicher der Staat ist, desto größer der Effekt. Immer mehr Regierungen werden so dazu verleitet, die eigenen Wechselkurse zu manipulieren. Die Währungskrise nährt sich selbst; sie droht, außer Kontrolle zu geraten. Manche warnen schon vor dem Schlimmsten. Brasiliens Finanzminister Guido Mantega sieht die Welt mitten in einem ‚Währungskrieg’, auch Dominique Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds, benutzte diese Vokabel. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warnte, der Währungskrieg könne zum Handelskrieg werden.“ (Staaten rüsten zum Weltkrieg der Währungen, Spiegel online 27.10.10) Wie zur Bestätigung dessen kündigte China Anfang März an, seinen Außenhandel nicht mehr in Dollar, sondern in Yuan abzuwickeln – eine Verschärfung der globalen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft auf dem Währungsmarkt mit unabsehbaren Folgen.

Das ganze Währungssystem erweist sich jetzt vor aller Augen als das, was es im Prinzip schon immer ist, wenn das auch in relativ ruhigen Zeiten der kapitalistischen Ökonomie nicht gleich auf den ersten Blick so scheinen will: als eine äußerst windige Angelegenheit. Da kursieren Milliarden bunt bedruckter Papierzettelchen, auf denen neben mehr oder weniger großen Zahlen meistens ebensolche Persönlichkeiten abgebildet sind. Diese Zettel sind, vernünftig betrachtet, ganz anders als beispielsweise Wasser, Legosteine oder Brausebonbons zu kaum etwas zu gebrauchen. Jedenfalls verstehen das wenigstens kleine Kinder noch recht gut. Wer nun aber erzwingen kann, dass man sich ausgerechnet mit solch wertlosem Papierkram – er heißt im allgemeinen Sprachgebrauch „Geld“ – etwas kaufen kann, der muss schon ziemlich viel Macht haben. Soviel Macht haben gemeinhin nur Staaten. Deswegen stehen hinter jeder Währung ein (oder mehrere) Staaten mit ihren Zentralbanken, die den „Wert des Geldes“ garantieren.

Manchem erscheint die Macht dieser Staaten unendlich groß. Doch die Krise offenbart, dass dem nicht so ist. Denn auch die Staaten sind letztlich vom Wohl und Wehe der Konjunktur abhängig. Zwar haben sie ein paar Trümpfe in der Hand, die sie in der Krise auch ausspielen. Aber die verlieren zusehends an Wert. Staaten können – anders als du und ich – die besagten Papierzettelchen legalerweise drucken, bzw. heutzutage auch am Bildschirm herbeizaubern und damit riesige Konjunkturprogramme finanzieren. Doch je mehr sie das tun, umso mehr gefährden sie die Geldwertstabilität selbst. Auch können Staaten – auf den ersten Blick ebenfalls ganz anders als du und ich – geradezu exorbitante Schulden aufhäufen. Doch auch dieser Krug geht nur solange zum Brunnen, bis er bricht. Es funktioniert nur so lange, wie das eigentliche Macht- und Regelzentrum der kapitalistischen Ökonomie – der Markt – den Staaten zutraut, dass sie ihre Schulden auch wieder zurückzahlen können. Ist jedoch der Punkt erreicht, wo dieses Vertrauen schwindet, ergeht es jedem Staat am Ende eben doch so wie dir und mir: er geht pleite. Weswegen wir es weltweit mit Staatsbankrott und Inflationsgefahr zu tun haben. Was los wäre, wenn erst Staaten wie die USA bankrott gingen oder China die Inflation nicht in Griff bekäme, lässt sich nur mit einem Wort beschreiben: Super-Gau. Sie glauben, das wird schon nicht so kommen? Hätten Sie vor drei Jahren geglaubt, dass ganze Großbanken, Konzerne und sogar Staaten pleite gehen können?

Am 10. März schreibt Welt online: „Zu den beunruhigenden Zeichen zählt vor allem eine Neuigkeit aus den USA: Der Total-Return-Investmentfonds des weltgrößten Anlegers in Staatsanleihen, Pimco, trennt sich eigenen Angaben zufolge vollständig von seinen US-Staatsanleihen. Bei der Allianz-Tochter geht man davon aus, dass die amerikanischen Staatsbonds drastisch an Wert verlieren, wenn die US-Notenbank solche Anleihen ab Mitte des Jahres nicht mehr aufkauft.“ Am 12. März lesen wir im selben Blatt: „Wie pleite ist der amerikanische Staat wirklich? … Die Investment-Welt misstraut Amerika. Es gruselt die professionellen Geldverwalter, wenn sie auf die gigantischen Verbindlichkeiten des Staates schauen. In immer mehr Köpfen kommt die Erkenntnis an, dass dies langfristig nicht gut gehen kann. Inflation oder Zahlungsausfall – dies scheinen die einzig möglichen Auswege. Und beides hätte kaum auszumalende Auswirkungen für Sparer und Anleger, nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande.“ Und spricht von einem „perfekten Teufelskreis: Spart der Staat, so haben die Menschen weniger Geld und konsumieren weniger, die Wirtschaft bricht also ein. Sparen die Menschen mehr und finanzieren so die Staatsschulden, dann gilt dasselbe. Der einzige Ausweg wäre, dass niemand spart und das Geld einfach weiterhin gedruckt wird. Doch was kommt dann? Die nächste Krise kommt.“ Und das alles lesen wir wohlgemerkt in der Welt, einem Blatt, das bisher nicht durch besonders eifrige Kapitalismuskritik aufgefallen wäre.

Das deutsche Wirtschaftswachstum beruht einseitig auf Export und nicht etwa auf inländischer Konsumnachfrage. Und das entscheidende Exportgut heißt Automobil. „Jedes sechste ins Ausland gelieferte Gut sei 2010 ein Kraftwagen oder ein Fahrzeugteil gewesen, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Die Ausfuhren der Autobranche kletterten um fast 30 Prozent auf 159,4 Milliarden Euro und machten damit die Einbrüche aus dem Rezessionsjahr 2009 mehr als wett.“ (Spiegel online, 2.3.11) Wer die Autos kauft, ist kein Geheimnis: Chinesen. Aber nur solange sie das Geld dazu haben. Seit Jahresbeginn häufen sich die Meldungen über wachsende soziale Spannungen in China, weil die Inflation vielen Menschen in den Geldbeutel greift. Wie lange da wohl noch Daimler gekauft werden? Auf wie wackligen Beinen die derzeitige Konjunktur steht, zeigen auch vermeintlich kleine Meldungen wie diese: Weil in Peking wegen gigantischer Umweltzerstörung die Neuzulassung von PKW eingeschränkt wird, ist der vielbejubelte Absatzboom der deutschen Automobilindustrie im Handumdrehen schon wieder gefährdet (FTD 27.12.10).

Traumzahlen exportierter deutscher Autos machen schlechte Luft in China. Schlechte Luft in China könnte ganz schnell wieder für Kurzarbeit in Deutschland sorgen. So absurd ist Marktwirtschaft. Würde nicht unser aller Zukunft dran hängen, wäre das eigentlich zum Lachen. So aber müssen wir nach Alternativen suchen. Jenseits von Markt und Staat.