Bärbel Illi, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Stuttgart und Mittlerer Neckar, wirbt für eine sachliche und faire Beschäftigung mit Israel.
Waiblinger Kreiszeitung, 15. September 2012
“… In meinem Wohnort war kürzlichan einer Hausmauer zu lesen: „Erhebt euch gegen Israel.“ Das könnte ein Neonazi oder eine Linksradikale gesprüht haben. Leute, die sich als links verstehen, rufen auf der Stuttgarter Königstraße immer mal wieder zum Boykott israelischer Produkte auf. Das halte ich für antisemitisch. Sie verwenden Aktionsformen und zielen auf dieselben Ressentiments wie die Nazis in den dreißiger Jahren. …”
Kernen-Rommelshausen. Bärbel Illi ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Stuttgart und Mittlerer Neckar der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Mit ihren Mitstreitern steht sie regelmäßig auf der Königstraße, um mit Argumenten für den Staat Israel zu werben. Im Interview erklärt sie, warum sich dieser Einsatz lohnt.
Frau Illi, sind Sie Jüdin? Warum tretenSie für Israel ein?
Nein, ich bin keine Jüdin. Ich engagiere mich für Israel, weil es nur einen jüdischen Staat gibt und er eine Art Lebensversicherung für alle Juden ist. Ausgerechnet dieser Staat wird bedroht wie kein anderer. Natürlich sehe ich mich auch in der Verantwortung aufgrund der mörderischen deutschen Vergangenheit. Dass Israel in seiner Existenz bedroht wird, habe ich leider erst spät in meinem Leben verstanden.
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Sicherheit Israels, der Zufluchtsortfür die Überlebenden des Holocaust undihrer Nachkommen, deutsche Staatsraison. Laut Stern-Umfrage vom Frühjahrstehen 70 Prozent der Deutschen Israel jedoch kritisch gegenüber. Warum hat das Land so viele Sympathien verloren?
Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 drehte sich die Stimmung, weil viele Deutsche Israel die Schuld an diesem Krieg gaben. Dabei griff Israel erst an, als die arabischenTruppen bereits unterwegs waren. Hätte es sich damals nicht verteidigt, gäbe es heute keinen jüdischen Staat mehr. Mit dem Finger auf Israel zu zeigen und das Land schlecht zu reden – das brauchen offenbar viele unter uns Nachgeborenen. Nach dem Motto „Israel behandelt die Palästinenser so wie die Nazis damals die Juden“ glaubt man, sich von der Last des Holocaust befreien zu können.
Ist Kritik an Israels Politik per se antisemitisch? Wo ziehen Sie die Grenze?
Nirgendwo steht geschrieben, dass Israel nicht kritisiert werden dürfe. Für nicht zulässig halte ich es, wenn Israel mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere. Dass Saudi-Arabien die weltweit längste Maueran seiner Grenze zu Yemen und Irak errichtet hat, dass die EU einen sechs Meter hohen Zaun rund um Ceuta in Nordafrika hat, kritisiert niemand. Doch diese Zäune sollen Flüchtlinge abwehren, während Israel mit seinem Zaun Terroristen abwehrt. Kritisiert wird aber nur Israel. Das ist verleumderisch.
Gegen Israel hetzen Neonazis und sogenannte antiimperialistische Linke. Esgibt Boykottaufrufe. Segeln da rechte undlinke Antisemiten unter einer Flagge?
Eindeutig ja. In meinem Wohnort war kürzlichan einer Hausmauer zu lesen: „Erhebt euch gegen Israel.“ Das könnte ein Neonazi oder eine Linksradikale gesprüht haben. Leute, die sich als links verstehen, rufen auf der Stuttgarter Königstraße immer mal wieder zum Boykott israelischer Produkte auf. Das halte ich für antisemitisch. Sie verwenden Aktionsformen und zielen auf dieselben Ressentiments wie die Nazis in den dreißiger Jahren.
59 Prozent der vom Stern befragten Deutschen halten Israel für aggressiv. Könnte das damit zu tun haben, dass beide Seiten unterschiedliche Lehren aus dem 2. Weltkrieg gezogen haben? Die Deutschen: Nie wieder Krieg. Die Juden: Nie wieder Auschwitz.
Ja. Für die große Mehrheit der Juden ist klar, dass sie einen eigenen Staat brauchen, um sich zu schützen. Die Israelis mussten fünf Kriege führen, um ihr Land zu verteidigen. Hätten sie auch nur einen verloren, gäbe es keinen jüdischen Staat mehr. Heute droht durch die iranische Atombombe ein zweiter Holocaust. Viele Deutsche wollen diese Situation nicht wahrhaben und lehnen Militär rundweg ab. Ich möchte daran erinnern, dass Holocaust und Nationalsozialismus nicht von den Deutschen, sondern von den Alliierten beendet wurden und zwar mit militärischen Mitteln.
Welche Rolle spielt die deutsche Medien-Berichterstattung über Israel bei den Vorbehalten hierzulande?
Zwei Drittel der Deutschen glauben, Israel gefährde den Weltfrieden am meisten. Die Medienleute bilden da offenbar keine Ausnahme. In meiner Tageszeitung finde ich fast jeden Morgen einen unfairen Artikel über Israel. Negative Nachrichten über Ultraorthodoxe, Siedlungspolitik und Überlegungen, sich gegen die iranische Bombe militärischzu wehren, lese ich jeden Tag. Andere Nachrichten finde ich komischerweise nicht, zum Beispiel, dass fast jeden Tag Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte niedergehen. Das interessiert hierzulande niemand. Und richtig gute Nachrichten,dass beispielsweise Israel die meisten Erfindungen pro Kopf der Bevölkerung hervorbringt, lese ich in meiner Zeitung so gut wie nie.
Sie wollen über Israel sachlich informieren. Was sagen Sie zur Kritik, auch von Diaspora-Juden wie der amerikanischen Adorno-Preisträgerin Judith Butler, Israel sei ein Apartheidsstaat?
Das ist hanebüchen. Es gibt keine sogenannte Rassentrennung in Israel. Ja, in der Westbank gibt es tatsächlich Straßen, auf denen vorwiegend Juden fahren. Aber deshalb,weil jeder jüdische Mensch dort strikt beschützt werden muss vor der militanten Aggressivität vieler Palästinenser. In Israel selber leben die 20 Prozent Palästinenser ganz ungestört in der jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Abbas sagte 2010, dass er nie einem Israeli erlauben werde, auf palästinensischem Land zu wohnen. Wer betreibt hier Ausgrenzung? Frau Butler darf natürlich sagen, was sie will. Aber warum bekommt sie in Deutschland einen Preis? Ich sage, weil es für Deutsche sehr bequem ist, sich hinter einer Jüdin zu verstecken, die Israel angreift.
Welche Position nimmt die DIG im Konflikt der Palästinenser mit dem Staat derJuden ein?
Wir sind nicht gegen die Palästinenser und auch nicht gegen einen palästinensischen Staat. Er kann aber nur auf dem Verhandlungswege erreicht werden. Die palästinensische Seite verweigert sich Verhandlungen, weil die Mehrheit auch nach 65 Jahren noch nicht bereit ist, ihren Staat neben dem der Juden aufzubauen. Eine Lösung des Konflikts wird es nur geben, wenn die arabische Seite bereit ist, Israel als mehrheitlich jüdischen Staat zu akzeptieren. Die sozialeLage der arabischen Menschen in Israel und auf der Westbank sollte verbessert werden. Sie ist jedoch um vieles besser als die der Palästinenser im Libanon oder Jordanien. Und da ist auch die Palästinensische Autonomiebehörde in der Pflicht, die vielen internationalen Gelder sinnvoll einzusetzen.
Für junge Israelis ist das weltoffene Berlinein attraktiver Wohnort geworden. Vor kurzem wurde der Rabbi Daniel Altervon Jugendlichen niedergeschlagen, weiler eine Kippa trug. Leben Juden in Deutschland sicher?
Leider nein. Jede Synagoge in Deutschland muss bewacht werden. Kurz nach dem Überfall auf den Rabbiner wurden in Berlin junge Frauen antisemitisch beleidigt und bedroht. Es wird für Juden zunehmend ungemütlicher. In der Debatte um Beschneidungen werden sie oft als brutale Kinderquäler verleumdet. Gewaltbereite rechnen dann damit, dass ihre soziale Umwelt Gewalt gegen Juden duldet. Doch wenn die Beschneidung nach jüdischem Ritus nicht mehr möglich sein sollte, wird jüdisches Leben in Deutschland unmöglich. Das hatten wir schon mal.
Den antisemitischen Bodensatz – Neonazis und radikale Islamisten – werden Sie nicht überzeugen. Wie wollen Sie die anderen Israelkritiker gewinnen, die Argumenten zugänglich sind?
Mit Informationen und Argumenten. Das Bedürfnis nach Entlastung ist aber bei vielen so groß, dass wir damit oft gar nicht durchdringen. Manche können an unserem Infostand nur noch schreien oder reden und reden und lassen uns nicht zu Wort kommen. Ihnen ist Kritik zur Obsession geworden. Wir versuchen natürlich, auch die guten Botschaften aus Israel zu verbreiten. Zum Beispiel, dass Israel weltweit das einzige Land ist, das am Ende des 20. Jahrhunderts grüner war als zu Beginn des Jahrhunderts. Obsessive Israelkritiker können solche Informationen aber gar nicht aufnehmen, geschweige denn annehmen.
Das Interview als pdf-Datei zum Download finden Sie hier.