von Lothar Galow-Bergemann, erschienen in Streifzüge 32/2004
Wie würden Sie sich fühlen? Nehmen Sie an, Sie sind Anfang 20. Sie haben ihre dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester fast hinter sich gebracht. Langsam aber sicher geht es in den Endspurt ums Examen. Ein bisschen Bammel gehört dazu, aber in der Hauptsache freuen Sie sich, dass Sie jetzt bald Krankenschwester sind. Sie sind motiviert und wollen loslegen.
Sie haben 10, 20, vorsichtshalber vielleicht sogar 40 Bewerbungen für einen Arbeitsplatz geschrieben. Absage um Absage flattert Ihnen in die Bude. Aber so leicht sind Sie nicht unterzukriegen. Sie doch nicht. Schließlich wissen Sie, was Sie können. Sie bekommen ein Vorstellungsgespräch bei Ihrem Arbeitgeber – und Folgendes zu hören:
“Sie sind gut, wir erkennen Ihre Leistung an. Leider müssen wir Ihnen sagen, dass wir nur wenige Stellen freihaben.” Sie blicken zu Boden. Sie haben sich schon so was gedacht. Es geht weiter: “Falls Sie zu den Glücklichen gehören, denen wir eine Stelle anbieten können, bekommen Sie aber lediglich einen befristeten Vertrag über zwei Jahre. Wie’s danach weitergeht, können wir Ihnen heute nicht sagen.” Sie schlucken. Naja, in zwei Jahren sind Sie 24, irgendwie wird’s schon weitergehen. “Aber da ist noch was. Womöglich gibt es eine Wiederbesetzungssperre. Das heißt, wir können Ihnen auch dann keine Stelle anbieten, wenn eine frei wird.” Wie bitte? Brauchen die denn keine Krankenschwestern? “Es geht leider nicht darum, was wir bräuchten, sondern darum, was wir finanzieren können. ”
Dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, das haben Sie öfters mal gehört. Irgendwie fanden Sie den Spruch gut. Für Ihre Berufswahl war er nicht ganz unwichtig. Aber soeben hat man Ihnen nicht weniger gesagt als dies: Sie stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Was Sie sind und was Sie können, mag ja ganz interessant sein. Aber entscheidend ist, ob Sie sich betriebswirtschaftlich rechnen oder nicht.