Linke Fesselspiele

Eine Auseinandersetzung mit Ingar Soltys Argumentation zum „Linken Bellizismus“

von Justus Cider

zuerst erschienen bei Disposable Times

Die Haltung zum Ukraine-Krieg prägt die linke politische Debatte nun seit mehr als einem Jahr. Die einen halten den Krieg für eine imperialistische Konfrontation zwischen Russland und der NATO, die anderen für den Angriffskrieg einer neoautoritären, chauvinistischen Diktatur. Und viele stehen irgendwo in der Mitte zwischen den beiden Positionen. Um Letztere ging es wohl, als Ingar Solty in der Jungen Welt einen vielbeachteten Text zum „linken Bellizismus“ veröffentlicht hat, der die Argumentation linker Befürwortung von Waffenlieferungen dekonstruieren will. 

Solty ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist seit vielen Jahren in den entsprechenden sozialen Bewegungen aktiv und kann wohl als einer derer gelten, von denen wir in dieser Frage eine fundierte Expertise erwarten dürfen. 

Falsche Gleichsetzungen

Zunächst wirft er den Befürworter:innen von Waffenlieferungen vor, sie würden in ihrer Argumentation mit falschen Gleichsetzungen gearbeitet. So werde das Putin-Regime mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt und Putin als eine Art Wiederkehr Hitlers bezeichnet. Aus der falschen historischen Gleichsetzung würden dann moralische Rechtfertigungen für militärisches Engagement gestrickt.  

Das gelte auch für die Betrachtung der Ukraine, die mit anderen historischen Ereignissen wie dem Spanischen Bürgerkrieg oder dem Befreiungsprojekt Rojava verglichen werde. Auch das seien falsche Gleichsetzungen, die dem Charakter der jeweiligen Gesellschaften nicht gerecht würden – und die nur dazu dienten, illegitime Forderungen nach Waffenlieferungen zu untermauern. 

Dabei ist nun aber auffällig, dass sich auch in Soltys Text keine näheren Ausführungen zum Charakter dieser Regime finden lassen.  Und noch mehr: Was völlig fehlt, ist eine Analyse der Beziehungen der beiden Regime zueinander und deren Bedeutung in der Politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Was bei Solty völlig fehlt, ist also eine Kritik der Politischen Ökonomie. 

Diese würde zeigen, dass es tatsächlich ein Fehler wäre, Putins Russland mit den faschistischen Diktaturen des letzten Jahrhunderts zu identifizieren. Ebenso wie es falsch wäre, die Ukraine mit Befreiungsprojekten wie Rojava oder auch nur den spanischen Anarchist:innen in den 1930er-Jahren gleichzusetzen. 

Der Faschismus war im Wesentlichen ein Phänomen der kapitalistischen Modernisierung. Er hatte (neben allen ideologischen Mucken) die Funktion, bestimmte Modernisierungserfolge der kapitalistischen Ökonomie zu organisieren. Das Putin-Regime hingegen hat eher den Charakter einer kleptokratischen Zerfallsgesellschaft. Spätestens mit dem Ende der Sowjetunion haben die russischen Eliten begonnen, möglichst große Stücke der russischen Ökonomie zur privaten Bereicherung zu nutzen. Allerdings ohne dabei eine Perspektive für ökonomische Entwicklungen zu schaffen, wie das im Kontext von Modernisierungsdiktaturen für gewöhnlich noch der Fall war. 

Die Ukraine muss ebenfalls vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Auch dort ist die Situation stark von Korruption geprägt, während die Haupteinnahmequellen der Gesellschaft auf der Produktion von Rohstoffen und (im besten Fall) Vorprodukten liegen. Es fehlt hier ganz offensichtlich ebenso an einer ökonomischen Perspektive wie an einem linken, emanzipativen Bewegungsmoment. 

Trotzdem verfolgt die Ukraine mit dem Wunsch ihrer politischen Eliten nach Westbindung eine andere Option in der kapitalistischen Weltwirtschaft. Denn hier löst sich das globalisierte Weltkapital zunehmend auf und zerfällt in zwei Blöcke. Beide versuchen die zunehmend von Krisen geprägten Gesellschaften durch ein ideologisches Korsett beisammen zu halten.  Im Falle des “Westens” bzw. der Ukraine (und auch der NATO) ist das die Hinwendung zu einem liberalen Kapitalismus, der neben freien Märkten auch an Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit glaubt. Im Falle Russlands (aber auch Chinas) ist es ein autoritärer Ausbeutungsstaat, der sich vor allem durch eine Ablehnung (oder zumindest doch eine Aufweichung von Menschenrechten, demokratischer Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit auszeichnet.  

Es ist wichtig, diese historisch konkrete Situation zu betrachten, um das Für und Wider von Waffenlieferungen zu erörtern. Solty bleibt jedoch auf einer abstrakten Negation, anstatt auf diese konkrete Situation einzugehen.

Geht es überhaupt um die Ukraine?

Ein anderes Argument beruht auf der Vermutung, dass diejenigen, die jetzt eine umfassende Solidarität mit der Ukraine propagieren, sich bislang in dieser Frage eher bedeckt gehalten haben. Kein Ton war von diesen Leuten über die Anti-Gewerkschaftsgesetze in der Ukraine zu hören, kein Wort über das Ausbluten des Landes durch den IWF. Jetzt plötzlich solidarisch sein zu wollen, scheint ihm daher höchst unplausibel.

Solty beschränkt sich hier erneut auf eine konkrete Beschreibung der Situation in einem Land (hier: der Ukraine). Was er nicht betrachtet, sind hingegen Verschiebungen in den Beziehungen unterschiedlicher Staaten. Selbstverständlich lässt sich viel zur Situation der Menschen (auch schon vor dem Krieg) sagen. Und machen wir uns nichts vor: Durch die nun seit einem Jahr aktive Kriegsökonomie wird das vor Ort alles nicht besser.

Aber die Bedeutung der Ukraine geht gerade über diese Situation (die sich ja im Übrigen unter russischer Herrschaft kaum verbessern würde) hinaus. Sie liegt gerade in der sich zuspitzenden geopolitischen Konfrontation zwischen einer liberalen und einer autokratischen Weltordnung. Davon lesen wir bei Solty leider nichts.

Was hilft?

Zu guter Letzt verweist Solty durchaus zurecht auch darauf, dass alle diskutierten Lösungen immer militärisch und gewaltaffin seien. Dabei habe die Linke doch 1. keinen Zugriff auf Panzer und könne sich die Debatte darum auch sparen und sollte 2. lieber andere, nichtstaatliche, zivilgesellschaftliche Unterstützungsformen stark machen.  

Das ist einerseits richtig, weil der Einfluss der politischen Linken auf Waffenlieferungen begrenzt ist und es tatsächlich andere zivilgesellschaftliche Formen der Unterstützung gibt. Beispielsweise gibt es vor Ort antifaschistische oder queere Kampfeinheiten, die sich auf vielfältige Weise logistisch, organisatorisch und reproduktiv unterstützen lassen.

Doch auch diese Optionen werden von Solty nicht weiter ausgeführt. Es bleibt bei der blassen Forderung, darüber sollte man sich doch mal Gedanken machen, wenn es einem schon um die Ukraine ginge. Was ein bisschen den Eindruck erweckt, als sei ihm das am Ende aber gar nicht so wichtig. 

Gleichzeitig ist die Zuspitzung aber auch falsch. Denn bei aller Möglichkeit, zivilgesellschaftlich die emanzipativen Bewegungsstrukturen in der Ukraine (seien sie nun militärisch aktiv oder nicht) zu unterstützen, braucht es nun einmal schwere Waffen, um sich den neo-autokratischen Aggressor vom Leib zu halten. Wer sich darüber ausschweigt, muss sich dann auch den Vorwurf gefallen lassen, (heimlich) wohl doch auf einen schnellen Sieg des Putin-Regimes zu hoffen. Das allerdings wäre weltpolitisch fatal. 

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