Wie die Porsche AG beim VfB Stuttgart mitspielt
von Minh Schredle
(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 678 am 27. März 2024)
Tanja Gönner gegen Claus Vogt: Der Machtkampf beim VfB Stuttgart hinterlässt Spuren. Das Verhältnis zwischen Führung und Fanszene ist nachhaltig beschädigt, die “Cannstatter Kurve” fühlt sich “verraten und verkauft” und fordert personelle Konsequenzen.
Von Anfang an gab es Bedenken, dass dem Traditionsverein ein kommerzieller Ausverkauf drohen könnte: Vor der VfB-Mitgliederversammlung 2017 entbrannte eine emotionale Debatte um die Ausgliederung der Profifußball-Sparte in eine Aktiengesellschaft. Der damalige Vereinspräsident Wolfgang Dietrich zog viele Register, um für diesen Schritt zu werben und ein schlagendes Argument waren die 100 Millionen Euro, die über eine Investorenbeteiligung eingesammelt werden sollten – in einer Phase, in der die finanzielle Lage des Vereins nicht besonders rosig aussah. Mitglieder zeigten sich allerdings besorgt, dass ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zulasten der Geldgeber eingeschränkt werden könnten. Also versuchte Dietrich die Wogen mit einem Versprechen zu glätten: Demnach sollte der von Mitgliedern gewählte Vereinspräsident stets auch dem Aufsichtsrat der neuen Aktiengesellschaft vorsitzen.
Die Kampagne mit dem Slogan “Ja zum Erfolg” fruchtete, mit gut 84 Prozent stimmte schließlich eine große Mehrheit auf der Mitgliederversammlung für die Ausgliederung, seitdem gibt es einen VfB-Verein und eine VfB AG. Mercedes-Benz übernahm als Ankerinvestor 11,75 Prozent der Anteile und der VfB konnte sich über 41,5 Millionen Euro für den Profifußball freuen, die schnell ausgegeben waren. Zugleich fiel Präsident Dietrich über die kommenden Monate immer mehr in Ungnade. Spitzenwerte hatte er auf der Beliebtheitsskala ohnehin nie erreicht: Bei seiner Wahl 2016 erreichte er ohne Gegenkandidaten nur knapp 60 Prozent der Stimmen. Endgültig untragbar wurde der Präsident aus Sicht vieler Mitglieder dann im Jahr 2019. Nach einer erfolglosen Relegation gegen Union Berlin war der VfB gerade in die zweite Bundesliga abgestiegen. Und dann kam heraus, dass das von Dietrich gegründete Firmengeflecht Quattrex unter anderem zu Union Berlin Geschäftskontakte pflegte, der VfB-Präsident also am sportlichen Erfolg der Konkurrenz mitverdient hat.
Schon zuvor hatte sich Dietrich mit fragwürdigen Aussagen als Sprecher für Stuttgart 21 einen Ruf als Polarisierer eingebracht. Als Präsident verkörperte er die wirtschaftsnahen Kreise in der VfB-Führung. Nachdem der öffentliche Druck immer größer wurde, trat Dietrich 2019 von seinem Amt zurück, bevor er abgewählt werden konnte. Auf ihn folgte Claus Vogt, der den Fans eher zugeneigt schien als dem großen Geld und lange so etwas wie einen personifizierten Kulturwandel darstellte. Doch spätestens seit dem März 2024 ist auch das Vertrauensverhältnis zwischen diesem Präsidenten und den Vereinsmitgliedern schwer beschädigt.
Porsche haut den Turbo rein
Grundstein für die gegenwärtige Eskalation ist das “Württemberger Weltmarkenbündnis”: Neben Mercedes-Benz konnte der VfB auch Porsche als Geldgeber und Anteilseigner der Aktiengesellschaft gewinnen. Der Überlieferung nach sollen erste Sondierungsgespräche zwischen dem Sportverein und den Autobauern ab dem Frühjahr 2023 stattgefunden haben, unter anderem beim Barbecue auf der Terrasse von Alexander Wehrle, dem Vorstandsvorsitzenden der VfB AG.
Der Deal ist geglückt: Nach Informationen der FAZ hat Porsche nicht nur Aktien erworben, sondern mehrere Sponsoring-Pakete übernommen, die Porsche-Tochtergesellschaft MHP wird zudem neuer Namensgeber des VfB-Stadions in Bad Cannstatt, “insgesamt engagiert sich Porsche so mit mehr als 100 Millionen Euro”. Eine beträchtliche Summe – für die die Weltmarke mitbestimmen will. Am 29. Februar 2024 bekommt der Aufsichtsrat der VfB AG zwei neue Mitglieder: Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke und Porsche-Produktionsvorstand Albrecht Reimold. Sie sind überzeugt, dass Vogt als AG-Präsident ungeeignet ist. Und setzen ihre Vorstellungen einer besseren Personalpolitik in bemerkenswerter Geschwindigkeit durch.
Eine Woche später, am 7. März, diskutiert der Aufsichtsrat in einer regulären Sitzung, ob Vogt dem Gremium weiterhin vorsitzen soll. Drei Tage später, so berichtet es die “Stuttgarter Zeitung”, sollen ihm die Aufsichtsratsmitglieder Meschke, Tanja Gönner und Peter Schymon einen Rücktritt aus “privaten und gesundheitlichen Gründen” nahegelegt haben, um den Weg für Gönner als neue Vorsitzende zu ebnen. Vogt wollte sich darauf nicht einlassen – also wird eilig eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einberufen. Schon am 12. März 2024 steht die nächste Sitzung an, bei der über die Personalie Vogt abgestimmt wird. Kritiker:innen werfen ihm Inkompetenz vor, er sei mitunter schwierig im Umgang, intern gebe es viele Streitereien. Woher die große Dringlichkeit kommt, ihn binnen weniger Tage loszuwerden, ist für Außenstehende dennoch schwierig nachzuvollziehen: Denn sportlich gesehen spielt der VfB eine hervorragende Saison, die beste seit Langem. Doch schließlich stimmen sieben von elf Aufsichtsräten für eine Abwahl des alten AG-Vorsitzenden, bei zwei Gegenstimmen, einer Enthaltung und einer nicht abgegebenen Stimme.
Gönner will nicht dauernd auf 2017 schauen
Damit ist ein zentrales Versprechen, mit dem die Ausgliederung der Aktiengesellschaft vorangetrieben wurde, gebrochen. Der Vereinspräsident ist nicht mehr Aufsichtsratsvorsitzender der Aktiengesellschaft. Eine schriftliche Vereinbarung, die eine Personalunion verbindlich gewährleisten würde, gibt es nicht. Sie wäre rechtlich wohl auch wirkungslos, wie der Gesellschaftsrechtler Alexander Scheuch in der “Sportschau” erklärt: “Der Aufsichtsrat einer AG kann immer autonom seinen Vorsitzenden wählen. So was kann man nicht in die Satzung schreiben.” Eine AG sei “mit Sicherheit die schlechteste Wahl, wenn es um die Wahrung der Rechte von Vereinsmitgliedern geht. Denn der Vorstand ist nicht weisungsgebunden”. Vogts Nachfolgerin, die nie von VfB-Mitgliedern gewählte Tanja Gönner, erklärt nun gegenüber dem SWR lapidar: “Man muss wahnsinnig aufpassen, ob man jetzt ständig Bezug nimmt auf das, was 2017 war. Oder ob man sagt, Dinge haben sich weiterentwickelt. Ich würde mir wünschen, dass man mehr in die Zukunft schaut.”
Gönner sei eine “Personalie mit klarer Porsche-Handschrift”, schreibt die FAZ. Die ehemalige CDU-Politikerin übte in Baden-Württemberg verschiedene Ämter als Ministerin aus: Ab 2004 war sie zuständig für Soziales, von 2005 bis 2010 für die Umwelt und anschließend ein Jahr lang für den Verkehr. Als radikale S-21-Befürworterin ist Gönner in ähnlichen Zirkeln unterwegs wie Wolfgang Dietrich, politisch wollte sie noch hoch hinaus: Nach der verkorksten Landtagswahl der CDU 2011 griff die Merkel-Vertraute nach dem Parteivorsitz im Südwesten – und erlebte eine Bauchlandung. In der Folge zog sie sich aus der Parteipolitik zurück und wurde Lobbyistin.
Seit November 2022 ist Gönner Geschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Zum einen ist ihr Interesse am Fußball aufrichtig: Ihr Vater war Schiedsrichter, Gönner ist seit Kindheitstagen VfB-Mitglied, verließ in ihrer aktiven Zeit als Politikerin manch eine Veranstaltung vorzeitig, um kein Spitzenspiel zu verpassen. Zugleich ist sie allerdings auch eine, von der nicht zu erwarten ist, dass sie in Gremien gegen Kapitalinteressen aufbegehrt. Gegenüber der “Stuttgarter Zeitung” nennt sie sich selbst “wohl eine Übergangslösung” und im Fall von Porsche will sie “nicht von einem Investor sprechen, sondern von einem strategischen Partner”. Es sei nämlich ein Unternehmen, “das eine nicht unerhebliche Geldsumme ohne Gewinnerzielungsabsicht in die Entwicklung des VfB setzt”. Wie selbstlos und unschuldig die Welt des großen Geldes doch ist!
Fanszene sagt: Es reicht
Wahrscheinlich lehnt man sich mit der Einschätzung nicht allzu weit aus dem Fenster, dass es sich bei Vogts Abwahl auch um eine Demonstration handelt, wie es um die Machtverhältnisse beim VfB bestellt ist. Und dennoch handelt es sich nicht um eine einfache Schwarz-Weiß-Geschichte, wie sich das Kapital gegen die Kurve durchsetzt. “Gehört der VfB wirklich noch seinen Mitgliedern?”, fragte Vogt zu Recht in einer Stellungnahme, die er kurz nach seiner Abwahl veröffentlichte. “Die versprochene Personenidentität von Vereinspräsident und Aufsichtsratsvorsitzenden” nicht einzuhalten, sei “ein grobes Foul”. Unerwähnt bleibt hier allerdings, dass Vogt im Sommer 2023 selbst zugesagt haben soll, seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der AG abzugeben, wenn Porsche als Investor einsteigt. Nach Angaben der VfB-Präsidiumsmitglieder Rainer Adrion und Christian Riethmüller sei das sogar schriftlich festgehalten worden. Laut “Sky” habe Vogt “kein Szenario ausgeschlossen, um den Deal mit dem Autobauer nicht zu gefährden”, habe sein Amt aber nur zur Verfügung stellen wollen, “sofern dies auch von den Mitgliedern des Vereins getragen wird”.
Tanja Gönner war die wichtigste Ministerin von Stefan Mappus. Keine 24 Stunden nach der historischen Wahlniederlage im März 2011 meldet sie ihren Anspruch an, die neue Nummer eins der Südwest-CDU zu werden. Am Ende wird sie nicht einmal Vorsitzende in ihrem Heimatbezirk Südwürttemberg. Sie kehrt Land und Politik den Rücken. Jetzt, im zweiten Schlossgarten-Untersuchungsausschuss, holt die Vergangenheit sie ein.
In jedem Fall ist das Verhältnis zwischen Fans und VfB-Führung ein Scherbenhaufen. Der Fanblog “Vertikalpass” zieht das Fazit, dass es “in der ganzen Geschichte nur Verlierer” gebe: “Niemand sieht im Verein und in der AG gut aus.” Die Rede ist gar von einer “organisierten Mitgliederverarsche”. Sichtlich frustriert ist auch die “Cannstatter Kurve”, in der die verschiedenen VfB-Fangruppen vernetzt sind. Am 21. März haben sie ein gemeinsames Statement unter dem Titel “Es reicht” veröffentlicht: “Unser VfB bringt uns auf dem Rasen Woche für Woche große Freude und kämpft sogar sensationell um einen Platz in der Champions League”, heißt es hier. “Doch statt dies nach all den schwierigen Jahren einfach genießen zu können, kam es zum großen Knall auf vereinspolitischer Ebene.” Die Fans fühlen sich “verraten und verkauft”. Einerseits fordern sie nun den sofortigen Rücktritt des Vereinspräsidiums, also von Präsident Claus Vogt, Vize-Präsident Rainer Adrion und Präsidiumsmitglied Christian Riethmüller. Zudem verlangen sie eine “sofortige Rückgabe des Aufsichtsratsvorsitzes, zunächst an den vom Vereinsbeirat einzusetzenden Interimspräsidenten, nach der Neuwahl an den neuen Präsidenten des VfB Stuttgart e.V. als Hauptvertreter des größten Anteilseigners der AG”. Spannend bleibt, wer sich durchsetzen wird.