Ein bisschen Spaß muss sein

Fest gegen rechts

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 685 am 15. Mai 2024)

Politisches Engagement muss Freude machen, meint das Stuttgarter „Netzwerk gegen rechts“. Am Samstag gibt’s daher ein Fest mit analytischem Blick auf gesellschaftliche Desaster und mit Humor.

Der ordnungsliebende Immanuel Kant definiert in seiner „Anthropologie“ einen Dreiklang für den fruchtbaren Gedankenaustausch in Gesellschaft, und zwar in genau dieser Reihenfolge: erstens Erzählen, zweitens Räsonieren und drittens Scherzen. Nachdem alle über die Neuigkeiten des Tages im Bilde sind, folgt der kultivierte Streit um die Beurteilung der Ereignisse. „Weil aber das Vernünfteln immer eine Art von Arbeit und Kraftanstrengung ist“ und das auf Dauer beschwerlich werde, „so fällt die Unterredung natürlicherweise auf das bloße Spiel des Witzes“.

Obwohl dieser Leitfaden – Kant selbst spricht von „Gesetzen der verfeinerten Menschheit“ – schon über 200 Jahre alt ist, kommt die vergnügliche Komponente bei politischen Versammlungen oftmals zu kurz. Sie enden allzu häufig mit der bierernsten Erörterung über gesellschaftliche Missstände und lassen ihr Publikum spaßbefreit zurück. Wie viele Adorno-Lesezirkel verliefen ganz und gar ohne Zwerchfellerschütterung? Und unter uns: Wann haben Sie zuletzt auf einer Demonstration herzhaft gelacht?

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AfD-Infostand in Stuttgart – Antifa verneint Angriff

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 685 am 15. Mai 2024)

Auf Grundlage einer dpa-Meldung behaupten etliche Medien, die Stuttgarter Antifa habe sich zu einem „Angriff“ auf die AfD bekannt. In dem entsprechenden Statement steht aber das Gegenteil.

Die Arbeit der Deutschen Presseagentur (dpa) genießt einen so guten Ruf, dass viele Redaktionen ihr buchstäblich blind vertrauen. Nicht nur die „Süddeutsche Zeitung“ übernimmt Meldungen „direkt aus dem dpa-Newskanal“. Am 10. Mai titelten unter anderem „Spiegel“, „Welt“, „Zeit Online“, FAZ, „t-online“, „Der Standard“, die „Augsburger Allgemeine“ und weitere Medien auf Grundlage eines dpa-Berichts: „Stuttgarter Antifa bekennt sich zu Angriff auf AfD-Infostand“.

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1.-Mai-Demo in Stuttgart – Fake News von der Polizei

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 684 am 8. Mai 2024)

Stuttgart ist das neue Berlin, heißt es nach den Krawallen am 1. Mai. Die Polizei macht Angriffe von Demonstrant:innen für die Ausschreitungen verantwortlich – und nimmt es dabei nicht so genau mit der Wahrheit.

Im Vorjahr lag es an zwei Rauchtöpfen. Diesmal waren die Seitentransparente zu lang. Zum zweiten Mal in Folge hat die Polizei die „Revolutionäre 1. Mai“-Demo in Stuttgart wegen Auflagenverstößen gestoppt. Wieder berichtet die Polizei von einem Angriff durch Demonstrant:innen, auf den sie mit Pfefferspray und Schlagstöcken reagiert habe. Erneut gibt es viele Verletzte.

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„Ein Tiefpunkt der Justiz“

Prozess gegen Fabian Kienert, „Radio Dreyeckland“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 682 am 24. April 2024)

Dem Journalisten Fabian Kienert drohen bis zu drei Jahre Haft, weil er in einem Artikel das Archiv einer verbotenen Vereinigung verlinkt hat. Dass es überhaupt zur Anklage kam, ist laut seiner Anwältin eine Schande. Vor dem Landgericht Karlsruhe startete nun der Prozess.

Der Beamte S. von der Freiburger Kriminalpolizei fällt aus allen Wolken, als er für seine Arbeit kritisiert wird. „Normalerweise sind mir Richter dankbar“, sagt er im Zeugenstand. Doch Axel Heim, Richter am Karlsruher Landgericht, wirkt regelrecht fassungslos, als er den Polizisten befragt.

Es ist der erste Verhandlungstag im Prozess gegen Fabian Kienert, Redakteur beim Freiburger Alternativsender „Radio Dreyeckland“ (RDL). Er muss sich verantworten, weil er in einem seiner Artikel die Archivseite der linksradikalen und seit 2017 verbotenen Plattform „linksunten.indymedia“ verlinkt hat. Vor Gericht spielen sich denkwürdige Szenen ab.

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Förderprogramm „Junges Wohnen“: Azubis bleiben auf der Strecke

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 681 am 17. April 2024)

Der Bund hat Baden-Württemberg gut 30 Millionen Euro überwiesen, um Wohnraum für Azubis zu schaffen. Aber das Geld ist nicht dort angekommen, wo es hin sollte. Warum, erklärt die zuständige Ministerin Nicole Razavi (CDU) mit einem Grinsen.

Die „Preise von Wohnimmobilien fallen in Rekordtempo“, berichtete die „Tagesschau“ vergangenen Dezember. Ein Experte führt aus, dass eine Spekulationsblase geplatzt sei und nun der stärkste Preisrückgang seit über 20 Jahren zu beobachten sei. Wer zur Miete wohnt, profitiert von dieser Entwicklung allerdings nicht – im Gegenteil: In Großstädten haben die Mietpreise zum Jahresanfang ein neues Rekordniveau erreicht.

Insbesondere junge Menschen sind betroffen. Vom Eigenheim träumen viele gar nicht erst, nicht einmal eine Mietwohnung ist für sie finanzierbar. Selbst mit einem WG-Zimmer wird es immer kniffliger: So lagen die bundesweiten Durchschnittskosten für eine gemeinsam bewohnte Wohnung noch 2018 bei 372 Euro pro Person. Neue Zahlen für das Jahr 2023 kommen hingegen schon auf 479 Euro, wobei die Situation in begehrten Städten noch weitaus dramatischer ist. Weiterlesen

Polizeigewalt: Der Schlächter von Hamburg

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 680 am 10. April 2024)

Er freut sich darauf, im Einsatz linke Zecken zu verprügeln und gilt polizeiintern als Menschenfeind: Kontext liegen Chatprotokolle vor, in denen der Beamte Rainer Jäger (Name geändert) mit Gewalttaten prahlt. Konsequenzen hatte das bislang nicht, aber das könnte sich bald ändern.

Am 28. Juli 2017 bekommt Polizeiobermeister Rainer Jäger, der in Wahrheit anders heißt, eine Nachricht: Wie war es denn in Hamburg?, will jemand wissen. Jäger, damals 28 Jahre alt, war von Baden-Württemberg aus im Einsatz, um den G20-Gipfel 2017 abzusichern. Doch nach Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstrant:innen schreibt er: „Schlimm. Diese ganze Gewalt und Zerstörung.“ Kurz darauf folgt die Aufklärung: „Das war ein Scherz. Es war Mega gut.“ Er habe „ordentlich ausgeteilt“ und „hoffe nur das ich keine Post aus hh bekomme“. Die Post kam – doch Jäger hat sich zu Unrecht Sorgen gemacht.

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Schaufenstersadismus

Die CDU fordert noch härtere Sanktionen für Erwerbslose, die »zumutbare Arbeit« verweigern

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World)

Die CDU droht mit einer »Agenda 2030« und will noch härtere Sanktionen für Bürgergeld-Beziehende. Dabei kann denen das Existenzminimum bereits vollständig gestrichen werden.

Im November 2022 war die Union noch stolz auf ihre Verhandlungsleistung. Ein Systemwechsel sei bei der Hartz-IV-Reform verhindert worden, informierte die CDU in einer Pressemitteilung: »Sanktionen bleiben, ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es nicht.« Beim politischen Streit um das Bürgergeld sei ein »guter Kompromiss« mit der Bundesregierung erreicht worden, dem die Union im Bundesrat schließlich zustimmte.

6 Monate später scheint die CDU ihren Erfolg vergessen zu haben. Kürzlich teilte sie in einer Pressemitteilung mit, dass sie „das Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen“ wolle. „Wenn jemand eine zumutbare, angemessene Arbeit ablehnt, die ihm angeboten wurde, passiert nichts. Das kann nicht sein.“ Für Generalsekretär Carsten Linnemann sei es aber „gesunder Menschenverstand“, dass „Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen müssen“. Für die CDU steht fest: „Wer zumutbare Arbeit mehr als drei Monate verweigert, gilt nicht als bedürftig“ und soll deshalb über die Zahlungen für Miete und Nebenkosten hinaus keinerlei Unterstützung vom Staat bekommen. Das ist der Partei so wichtig, dass sie eine Reform des Bürgergelds sogar zur Bedingung für eine Koalition auf Bundesebene erklärt.

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Was würde Blümchen tun?

„Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 679 am 3. April 2024)

Jetzt streiken auch noch die Tiere: Nach Aufführungen bei der Vergesellschaftungskonferenz und einem krisentheoretischen Sommerzeltlager ist das Theaterstück „Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen“ nun im Esslinger Kulturzentrum Komma zu sehen.

Natürlich hat Zoodirektor Tierlieb vollstes Verständnis für die Interessen seines Personals, und er würde sie ja auch wirklich gerne noch besser bezahlen. Aber das letzte Jahr war hart für ihn, als Realist muss er einsehen, dass die finanziellen Spielräume leider begrenzt sind und jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. So bemüht sich der Arbeitgeber, die Belegschaft zu vertrösten. Aber Tierpfleger Karl hat genug, nachdem er die Lange Nacht des Zoos ohne Zulage durcharbeiten musste. Mit ebenfalls Unzufriedenen hat er eine Betriebsgruppe gegründet, die den Arbeitskampf organisiert. Und nun sitzt Benjamin Blümchen zwischen allen Stühlen. Er mag die Beschäftigten, möchte, dass es ihnen gut geht und dass sie zufrieden sind mit ihren Arbeitsbedingungen. Aber falls er sich mit ihrem Streik solidarisieren sollte, droht der Klassenfeind mit gekürzten Zuckerrationen.

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Organisierte Mitgliederverarsche

Wie die Porsche AG beim VfB Stuttgart mitspielt

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 678 am 27. März 2024)

Tanja Gönner gegen Claus Vogt: Der Machtkampf beim VfB Stuttgart hinterlässt Spuren. Das Verhältnis zwischen Führung und Fanszene ist nachhaltig beschädigt, die „Cannstatter Kurve“ fühlt sich „verraten und verkauft“ und fordert personelle Konsequenzen.

Von Anfang an gab es Bedenken, dass dem Traditionsverein ein kommerzieller Ausverkauf drohen könnte: Vor der VfB-Mitgliederversammlung 2017 entbrannte eine emotionale Debatte um die Ausgliederung der Profifußball-Sparte in eine Aktiengesellschaft. Der damalige Vereinspräsident Wolfgang Dietrich zog viele Register, um für diesen Schritt zu werben und ein schlagendes Argument waren die 100 Millionen Euro, die über eine Investorenbeteiligung eingesammelt werden sollten – in einer Phase, in der die finanzielle Lage des Vereins nicht besonders rosig aussah. Mitglieder zeigten sich allerdings besorgt, dass ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zulasten der Geldgeber eingeschränkt werden könnten. Also versuchte Dietrich die Wogen mit einem Versprechen zu glätten: Demnach sollte der von Mitgliedern gewählte Vereinspräsident stets auch dem Aufsichtsrat der neuen Aktiengesellschaft vorsitzen.

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Lokaljournalismus: Systemrelevante Selbstausbeutung

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 676 am 13. März 2024)

Die Pressevielfalt schwindet und dort, wo nicht mehr berichtet wird, erstarkt der Populismus. Kürzlich hat eine Studie diesen Zusammenhang am Beispiel baden-württembergischer Gemeinden untersucht. Kontext hat Reaktionen gesammelt.

Ganz im Osten Baden-Württembergs, an der Grenze zu Bayern, liegt die Gemeinde Fichtenau, die mit ihren knapp 5.000 Einwohner:innen „zu klein ist für eine eigene Zeitung“. So sagt es Anja Schmidt-Wagemann, die parteilose Bürgermeisterin, die gerade am Anfang ihrer zweiten Amtszeit steht und stolz ist auf ihren Ort: Auf Facebook teilt sie regelmäßig idyllische Schnappschüsse, zum Beispiel von eingeschneiten Wanderwegen oder vom Blick auf den kleinen See Brettenweiher, und immer mit dem Kommentar: „So schön ist Fichtenau …“

Doch wenn die Gemeinde in Schlagzeilen auftaucht, ist der Anlass meist weniger hübsch: Dann gab es vielleicht eine Schlägerei im Ortsteil Matzenbach. „Oftmals wird nur was Reißerisches oder Negatives gesucht“, ärgert sich Schmidt-Wagemann, die eigentlich überzeugt ist, dass „mehr Aufklärung und Information aus erster Hand sinnvoll wäre“. Aber eben sorgfältig recherchiert und nüchtern aufbereitet. „Wir haben einen Reporter, der in unserer Gemeinde wohnt“, erklärt die Bürgermeisterin gegenüber Kontext. „Seine Berichte sind immer angenehm zu lesen und sehr sachlich. Allerdings schreibt er nicht so oft über uns – und zudem hat er jetzt auch noch gekündigt.“

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Renditewachstumsgesetz

Die Bundesregierung will trotz des Sparhaushalts Unternehmen steuerlich entlasten

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World)

Die Bundesregierung plant, Unternehmen mit milliardenschweren Steuergeschenken zu entlasten. Beim Sozialstaat soll zukünftig gespart werden, meint Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Schaut man auf die Schlagzeilen in deutschen Medien, kann der Eindruck entstehen, es brauche beim Taumeln am Abgrund nur noch einen kleinen Schubs, dann stürze die deutsche Wirtschaft ab und überall im Land gingen die Lichter aus. Auch Industriegiganten wie Bayer und Volkswagen haben angekündigt, Stellen abzubauen, und schwören ihre Belegschaften unter ostentativem Ächzen auf schwere Zeiten ein.

Tatsächlich steht Deutschland am Rand der Rezession, die Bundesbank geht davon aus, dass die Wirtschaft dieses Jahr »bestenfalls stagnieren« werde. Dabei haben die großen Konzerne die wirtschaftlich turbulenten vergangenen Jahre bislang sehr gut überstanden. 2022 konnten sich viele der 40 größten deutschen Unternehmen noch über Rekordgewinne freuen.

Wie hat das geklappt, trotz Krieg und Inflation? Henrik Ahlers, Deutschland-Vorsitzender der Beratungsfirma EY, erklärte dazu erfrischend unverblümt: »Den meisten Dax-Unternehmen gelang es, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben.«

Hart waren diese Jahre vor allem für Leute, die wenig Geld verdienen. Jahrelang sanken die Reallöhne in Deutschland. Erst 2023 sind sie zum ersten Mal wieder gestiegen – um sage und schreibe durchschnittlich 0,1 Prozent im Vergleich zu 2022. Das macht die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre natürlich nicht wett.

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Kampf gegen rechts: Sag, wie hältst Du’s mit der Antifa?

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Auf einigen Demos gegen rechts war „die Antifa“ zuletzt unerwünscht. Der Historiker Richard Rohrmoser wirbt für einen differenzierten Blick auf eine ambivalente Bewegung – und erinnert daran, dass die Einheitsfront gegen den Faschismus schon einmal zu spät kam.

Breite Bündnisse sollten es sein, da waren sich im Grunde alle einig in Sigmaringen, Lahr oder Leonberg. Wie in vielen Städten und Gemeinden gab es hier in den vergangenen Wochen große Demonstrationen gegen rechtsextreme Deportationsfantasien, und die Initiator:innen der Proteste zeigten sich überrascht, weil sie so viel Rückhalt selten erlebt hatten: Auf einmal unterstützten Turnvereine und Kleinunternehmen die Aktionen, eher unpolitische Kreise wirkten aufgerüttelt. Doch wie die Organisator:innen gegenüber Kontext betonten, wollten sie auf ihren Demos „weder Rechts- noch Linksradikale“, also auch keine Antifa mit Verweis auf deren Gewaltbereitschaft.

Dass dieser Vorwurf nicht ganz unbegründet ist, macht der Historiker Richard Rohrmoser an autonomen Gruppen fest, die sich teils offen zu Militanz bekennen. Oftmals würden „die Grenzen friedlicher Konfliktaustragung“ überschritten, Aktivist:innen reklamierten „punktuell ein Recht auf ‚Gewalt als politisches Lösungsmittel'“ und würden sich so zur Selbstjustiz ermächtigen. Das stoße auch auf enorme öffentliche Kritik. Allerdings weist er auch darauf hin, dass dabei „vielfach die Ambivalenzen der Antifa-Bewegung ausgeblendet und antifaschistische Aktivist:innen undifferenziert als ‚Systemoppositionelle‘ und ’schwarzgekleidete Terrorist:innen‘ pauschalisiert“ würden.

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Explosionsgefahr

Soziale Medien und Bauernproteste

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Erzählungen von schlimmen Grünen, die das Land ruinieren, sind gerade ziemlich beliebt. Auch bei den Bauernprotesten ist plumpe Hetze virulent. Wer mobilisiert zu Aktionen wie in Biberach?

„Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“, hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), bereits Anfang Januar erklärt. Anlass waren etwa 250 bis 300 Bauern, die einen Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel blockiert hatten und so den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck daran hinderten, ein Schiff zu verlassen. Die Stimmung wirkte aufgeheizt und aggressiv, für viele Politiker:innen war mit dieser Form des Protests eine Grenze überschritten.

Seitdem kursiert in sozialen Netzwerken eine kreisrunde Grafik, die die Aktion feiert. Darauf der Slogan: „Wenn der Bauer steht am Stand, kommt der Habeck nicht an Land.“ Zu sehen war ein entsprechend bedrucktes Plakat auch vergangene Woche in Biberach, wo der politische Aschermittwoch der Grünen aus Sicherheitsgründen abgesagt worden ist. Vor der Stadthalle hatten sich laut Polizeiangaben etwa 1.000 Menschen zu einer nicht angemeldeten Protestaktion versammelt. Ein Demonstrant hatte eine Sense dabei, ein weiterer schwang eine Kettensäge.

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Gigs für die Massen

Arbeitnehmerrechte für Plattform­arbeiter konnten auf EU-Ebene nicht gesichert werden

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World, leicht aktualisiert)

Deutschland und Frankreich haben einen Vorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeiter:innen seitens der EU-Kommission und des Europaparlaments blockiert. Nun musste ein neuer Kompromiss erarbeitet werden, dem zufolge es der nationalen Rechtsprechung überlassen bleiben soll, über den Beschäftigungs­status von »Gig-Workern« zu befinden.

Einen »Gig« zu haben, heißt heute nicht nur, als Musiker:in auf der Bühne zu stehen. Der Begriff hat sich längst auch dafür etabliert, online vermittelte Einzelauftragsarbeiten auszuführen, also beispielsweise eine Person von A nach B zu kutschieren. Seit der Finanzkrise 2008/2009 ist die Gig-Ökonomie international rasant gewachsen, auch die Covid-19-Pandemie hat zu ihrem Anstieg beigetragen. Insbesondere dort, wo Arbeitslosenquoten hoch sind, nutzen Betroffene die Möglichkeiten plattformbasierter Beschäftigungsvermittlung, zum Beispiel um für Unternehmen wie Doordash Essen auszuliefern oder über die Plattform Helpling als Putzkraft einzuspringen.

In der EU haben sich 2021 einer Studie des litauischen Instituts PPMI zufolge über 28 Millionen Menschen über Plattformarbeit etwas dazuverdient oder ihr gesamtes Einkommen auf diese Weise erwirtschaftet. Die Studie prognos­tiziert, dass es 2025 schon 43 Millionen Menschen sein werden. Die Mehrheit der Plattformarbeite­r:in­nen, schreibt der Europäische Rat, sei heute »der Form nach selbständig«. In vielen Fällen lägen allerdings Hinweise vor, »dass sie eigentlich in einem Arbeitsverhältnis stehen und daher dieselben Arbeitnehmerrechte und denselben Sozialschutz, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach nationalem und EU-Recht zustehen, haben sollten«.

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Wenn Feindbilder wanken

10 Jahre „Die Anstalt“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 671 am 7. Februar 2024)

Mit ihrer Nähe zum Theater ist „Die Anstalt“ eine Ausnahme-Erscheinung im deutschen Fernseh-Kabarett. Zum zehnjährigen Jubiläum im ZDF schauen die Drehbuch-Autoren Max Uthoff, Claus von Wagner und Dietrich Krauß zurück auf das, was sie alles nicht erreicht haben.

Sie sind ins Irrenhaus eingebrochen, um eine Revolution auszurufen: Am 4. Februar 2014 kaperten Max Uthoff und Klaus von Wagner die verlassene „Anstalt“ in den Münchner Arri-Studios, um die Nachfolge von Georg Schramm, Urban Priol und Erwin Pelzig anzutreten. Eine der wenigen Besetzungen in Deutschland, die nicht mit einer zügigen Zwangsräumung endete: Am 13. Februar steht die Jubiläumsfolge zum Zehnjährigen an.

Im Rückblick fällt auf, wie stark sich das Format gewandelt hat. Angela Merkel war in der ersten Episode noch eine „Alleinherrscherin ohne Opposition“, Politik und Medien gab es nur, damit sie die Wünsche der Wirtschaftslobby verwirklichen, und um sicherzustellen, dass das Volk folgt.

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Bester Mann

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 670 am 31. Januar 2024)

Manche Medien halten den Gewerkschaftsboss für den Teufel in Menschengestalt – vielleicht weil er trotz übelster Verleumdungen nie eingeknickt ist. In Stuttgart demonstrierte Claus Weselsky, warum er ein Vorbild für den Arbeitskampf ist.

Für die „Welt“ ist Claus Weselsky neuerdings „eine Art Greta Thunberg mit Schnurrbart“: Weil er genau wie die Klimakleber den Verkehr lahmlegt. Gemessen am Niveau, das sonst so in der Springer-Presse vorherrscht, ist das wahrscheinlich nicht nur der cleverste Witz, den sie sich in den vergangenen Jahren einfallen ließen. Es ist auch verblüffend nett gegenüber dem Interessenvertreter der Arbeitnehmer:innen. Normalerweise wird er aus dieser publizistischen Ecke mit weitaus übleren Schmutzkampagnen überzogen.

Als die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) im vergangenen Jahr schon einmal streikte, suggerierte die „Bild“-Zeitung eine Mitschuld an einem Autounfall, bei dem sich mehrere Schüler verletzten und ein 18-Jähriger starb: „Weil der Nahverkehr streikte, nahmen sie den Wagen …“, heißt es über die Betroffenen, und eine Anwältin darf erklären: „Der Streik hatte in diesem Fall tödliche Folgen.“ Trauriger Höhepunkt in der Verleumdungsoffensive ist aber vermutlich ein Tweet, den Günter Klein 2015 abgesetzt hat. Der Chefreporter Sport beim „Münchner Merkur“ würde „den Herrn Weselsky ja gerne mal einem Waterboarding unterziehen“. Um diese Zeit war der Ton besonders rau. In direkter Anlehnung an Hitler nannte die „Börse am Sonntag“ den Gewerkschaftsboss den GröLaZ, den größten Lokführer aller Zeiten, und meinte, dieser ähnle bei seinen Auftritten immer mehr jenem „großen Diktator“ aus Charlie Chaplins gleichnamigem Schwarzweißfilm von 1940.

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Menschenopfer für den Wahnsinn

Rezension zu Katja Hildebrands Roman „Mit der Faust in der Hand“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 669 am 24. Januar 2024)

Als sich die Wehrmacht bereits aus Brettheim zurückgezogen hatte, ließ die SS noch im April 1945 drei Menschen wegen Wehrkraftzersetzung erhängen. Autorin Katja Hildebrand beschreibt die Tragödie aus der Sicht eines Hitlerjungen, der es nach dem Tod seiner Brüder gar nicht erwarten kann, an die Front zu stürmen.

Braucht es wirklich noch ein Hitler-Buch? Sind nicht schon genügend Seiten über die NS-Zeit gefüllt worden? Diese Fragen stellt sich Katja Hildebrand im Vorwort ihres Romans „Mit der Faust in der Hand“. Und sie fand gute Gründe, der vorhandenen Fülle eine weitere Publikation hinzuzufügen. Einmal wäre da die Feststellung, dass die Brettheimer Tragödie im April 1945, als sich die militärische Niederlage des Dritten Reichs bereits überdeutlich abzeichnete, sogar im Ort selbst erschreckend unbekannt sei. Vor allem aber hat Hildebrand als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen bemerkt, wie wenig Material vorhanden ist, das den Zugang zu Themen wie faschistische Indoktrination für Jugendliche attraktiv macht. Ihren Roman erzählt sie daher aus der Perspektive von Georg, einem Hitlerjungen, der sich mit 15 Jahren freiwillig für den Kampf an der Front meldet.

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Wer hat, dem wird gegeben

Die Bundesregierung verteilt um – von unten nach oben

Kommentar von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World)

Essen, Heizen, Miete, U-Bahn und Benzin: Alles wird immer teurer. Das trifft arme Menschen härter als Gut­verdienende – und die Steuerpolitik der Bundes­regierung verschärft dieses Ungleichgewicht sogar noch.

Als die drastischen Preissteigerungen für Lebensmittel, Heizen, Wohnen und so ziemlich alles andere noch verhältnismäßig neu waren, behauptete das Münchner Ifo-Institut im November 2021: »Inflation trifft aktuell Reiche stärker als Arme.« Nach der Argumentation der arbeitgebernahen Forschungseinrichtung, die ständig eindringlich vor einer Erhöhung des Mindestlohns warnt, verteuerten sich die sogenannten Warenkörbe der Besserverdienenden noch schneller – zum Beispiel wenn bei der Neuanschaffung einer Luxuskarre gleich ein paar tausend Euro mehr fällig werden.

Die Berechnung des Instituts erstaunte. Denn immer und immer wieder wurde in den vergangenen zwei Jahren errechnet, dass es genau andersherum ist: Die Inflation trifft arme Menschen besonders hart, weil diese einen größeren Anteil ihres Einkommens für ­Essen und Energie ausgeben.
Es wäre ohnehin absurd zu glauben, es sei eine größere Belastung, mehr für einen SUV zu bezahlen, als beim Einkauf zu gesundheitsschädlichem Billigfraß greifen zu müssen, weil Paprika für sieben Euro das Kilo das Budget sprengt.

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Faschisten planen millionenfache Deportationen – ein „Welt“-Autor möchte sie durch Regierungsbeteiligung „entzaubern“

von Minh Schredle

Nachdem „Correctiv“ über ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten berichtete, auf dem unter Beteiligung der AfD Pläne geschmiedet wurden, Millionen von Menschen aus der Bundesrepublik nach Afrika zu deportieren, ist auch eine positive Entwicklung zu beobachten: Zehntausende waren am vergangenen Wochenende auf den Straßen, um der drohenden Barbarei etwas entgegen zu setzen.

Doch die Lage bleibt mehr als Ernst. Und nur wenige Tage nach der Offenlegung dieser neonazistischen Absichten, rät ein Autor in der „Welt“, die AfD durch eine Regierungsbeteiligung zu „entzaubern“. Die CDU solle „in den sauren Apfel beißen“, empfiehlt Alan Posener in seinem völlig grotesken Schmierenstück, und in den Ost-Ländern koalieren, „während man auf Bundesebene der Staatsräson gehorcht und der Versuchung widersteht, mit den Radikalen zu regieren“. Als Stichwortgeber für seine Argumentation dient ihm Karl Marx, demzufolge sich die Geschichte wiederhole: Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.

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