„Compact“-Verbot … Wieder durch die Hintertür

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 694 am 17. Juli 2024)

Das rechtsextreme „Compact“-Magazin betrieb einen abstoßenden Schmierenjournalismus, der seine menschenverachtende Hetze absichtlich mit Falschinformationen unterfütterte. Die Art und Weise, wie die Publikation nun verboten wurde, hält unser Autor dennoch für problematisch.

Bei der inhaltlichen Bewertung ist der Bundesinnenministerin voll und ganz zuzustimmen: Das „Compact“-Magazin sei „ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“, erklärte Nancy Faeser (SPD) am vergangenen Dienstag: „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“ In boulevardesker Manier vermengen sich bei „Compact“ Wahlwerbung für die AfD, Verschwörungsgeraune, mal mehr mal minder codierter Antisemitismus und rassistische Hetze insbesondere gegen Muslime mit einer Verharmlosung des Nationalsozialismus und absichtlich gestreuten Lügen. Chefredakteur Jürgen Elsässer erläuterte dazu einmal im Gespräch mit dem RBB: „Es werden Erzählungen gemacht, es werden Märchen und Allegorien formuliert, die dann wabern. Es ist nicht die Wahrheit, aber es hält sozusagen die Volksseele, den Volksdiskurs am Laufen.“

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1.Mai-Demo in Stuttgart – Polizei beim Flunkern ertappt

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 691 am 26. Juni 2024 unter dem Titel „Langsame Mühlen“)

Nach einem rabiaten Einsatz am 1. Mai 2024 hat Kontext die Stuttgarter Polizei beim Flunkern ertappt. Noch immer sind einige Fragen zu vermeintlichen Beweismitteln offen – doch Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz verweigern die Auskunft.

Nachdem beim Einsatz zum „Revolutionären 1. Mai“ in Stuttgart mehr als 90 Demonstrant:innen durch Pfefferspray und Schlagstöcke verletzt worden waren, gab die Polizei eine Pressemitteilung heraus: Demnach sei der Demozug wegen zu langer Seitentransparante gestoppt und „mittels Lautsprecherdurchsagen mehrfach“ auf die Einhaltung der Auflagen hingewiesen worden. Dann hätten die Demonstrant:innen „unvermittelt“ mit „Pfefferspray, mitgeführten Dachlatten mit Schrauben, anderen Schlagwerkzeugen, Schlägen und Tritten“ angegriffen.

Kontext liegen allerdings mehrere Stunden Videomaterial und Augenzeugenberichte vor, die belegen, dass es gar keine Lautsprecherdurchsagen gegeben hat, bevor die Polizei unvermittelt Pfefferspray und Schlagwerkzeuge einsetzte. Aus dem Material ist auch kein ursprünglicher Angriff durch Demonstrant:innen zu erkennen. Es kam dann zu 167 Festnahmen, wobei die Personen von der Polizei eingekesselt wurden und zahlreiche Gegenstände konfisziert worden sind.

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Staatsanwaltschaft lässt nicht locker

Prozess gegen Fabian Kienert, RDL

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 689 am 12. Juni 2024)

Der Journalist Fabian Kienert wurde wegen einer Verlinkung angeklagt und nun freigesprochen. Ein Sieg für die Pressefreiheit ist das nur eingeschränkt, meint unser Autor. Dass der Staatsanwalt agieren konnte, wie er es getan hat, ist ein Skandal.

Denkwürdige Szenen spielen sich ab vor dem Landgericht Karlsruhe: Der Staatsanwalt steht hinter seinem Stuhl und hält sich mit beiden Händen an der Lehne fest, während er sein Plädoyer vorträgt. Mit zitternder Stimme erklärt Manuel Graulich, die linksextremistische Agitationsplattform „linksunten.indymedia“ habe „eine Struktur geschaffen, die es ermöglicht hat, beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg halbe Stadtteile in Schutt und Asche zu legen“. Wer hinter dem Betrieb dieser seit sieben Jahren verbotenen Plattform steckt, konnte zwar nie vor Gericht bewiesen werden. Graulich aber ist sich sicher, dass es die Freiburger Antifa gewesen sein muss, als deren „Haus- und Hofberichterstatter“ der linksalternative Sender „Radio Dreyeckland“ (RDL) auftrete. Dem dort angestellten Redakteur Fabian Kienert wirft die Staatsanwaltschaft vor, durch die Verlinkung der Archivseite von „linksunten.indymedia“ in einem seiner Artikel die weitere Betätigung einer verbotenen Vereinigung unterstützt zu haben.

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CDU und AfD – finde den Unterschied

Kommunalwahl in Stuttgart

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 687 am 29. Mai 2024)

In den nächsten Jahren verliert Stuttgart voraussichtlich zwei Drittel seiner Unterbringungsplätze für Geflüchtete. Fast alle im Gemeinderat bekennen sich zur gesetzlichen Verpflichtung, zu helfen. Die CDU liegt allerdings auf einer Linie mit der AfD.

Es sind Worte wie aus einer anderen Welt: Der Umgang mit Geflüchteten tauge in Stuttgart nicht als Wahlkampfthema, berichtete die „Stuttgarter Zeitung“ vor einem Jahrzehnt, als Kommunalwahlen anstanden. Das städtische Handeln sei bei diesem Thema „von einem breiten Konsens der Ratsfraktionen getragen, auch als es zuletzt um den Neubau von Unterkünften für die wachsende Zahl von Flüchtlingen ging“, hieß es damals. Und Autor Mathias Bury bilanzierte: „Diese Einmütigkeit ist ein wichtiger Grund für die Erfolge auf diesem Politikfeld.“

Tatsächlich gab es im Rathaus einmal eine parteien- und ideologieübergreifende Zusammenarbeit, wenn es darum ging, schutzsuchenden Menschen eine Zuflucht zu bieten. Doch der breite Konsens ist inzwischen aufgekündigt. Weiterlesen

Staatsanwalt hat sich verhört

Prozess gegen Fabian Kienert, Radio Dreyeckland

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 686 am 22. Mai 2024)

Der Journalist Fabian Kienert steht vor Gericht, weil er einen Link setzte. Damit habe er sich zum „Sprachrohr“ einer verbotenen Vereinigung gemacht, klagt Staatsanwalt Manuel Graulich an. Offenbar hat der Jurist ein paar Zeugenaussagen aber ziemlich falsch verstanden.

Mit großem Aufwand prüft das Landgericht Karlsruhe, ob sich der Journalist Fabian Kienert durch seine Berichterstattung strafbar gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe mit einem seiner Artikel als „verlängerter Arm“ und „Sprachrohr“ der seit 2017 verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ Propaganda betrieben. Konkrete Formulierungen, die als Appell zur Unterstützung verstanden werden könnten, enthält der inkriminierte Bericht nicht. Weiterlesen

Ein bisschen Spaß muss sein

Fest gegen rechts

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 685 am 15. Mai 2024)

Politisches Engagement muss Freude machen, meint das Stuttgarter „Netzwerk gegen rechts“. Am Samstag gibt’s daher ein Fest mit analytischem Blick auf gesellschaftliche Desaster und mit Humor.

Der ordnungsliebende Immanuel Kant definiert in seiner „Anthropologie“ einen Dreiklang für den fruchtbaren Gedankenaustausch in Gesellschaft, und zwar in genau dieser Reihenfolge: erstens Erzählen, zweitens Räsonieren und drittens Scherzen. Nachdem alle über die Neuigkeiten des Tages im Bilde sind, folgt der kultivierte Streit um die Beurteilung der Ereignisse. „Weil aber das Vernünfteln immer eine Art von Arbeit und Kraftanstrengung ist“ und das auf Dauer beschwerlich werde, „so fällt die Unterredung natürlicherweise auf das bloße Spiel des Witzes“.

Obwohl dieser Leitfaden – Kant selbst spricht von „Gesetzen der verfeinerten Menschheit“ – schon über 200 Jahre alt ist, kommt die vergnügliche Komponente bei politischen Versammlungen oftmals zu kurz. Sie enden allzu häufig mit der bierernsten Erörterung über gesellschaftliche Missstände und lassen ihr Publikum spaßbefreit zurück. Wie viele Adorno-Lesezirkel verliefen ganz und gar ohne Zwerchfellerschütterung? Und unter uns: Wann haben Sie zuletzt auf einer Demonstration herzhaft gelacht?

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AfD-Infostand in Stuttgart – Antifa verneint Angriff

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 685 am 15. Mai 2024)

Auf Grundlage einer dpa-Meldung behaupten etliche Medien, die Stuttgarter Antifa habe sich zu einem „Angriff“ auf die AfD bekannt. In dem entsprechenden Statement steht aber das Gegenteil.

Die Arbeit der Deutschen Presseagentur (dpa) genießt einen so guten Ruf, dass viele Redaktionen ihr buchstäblich blind vertrauen. Nicht nur die „Süddeutsche Zeitung“ übernimmt Meldungen „direkt aus dem dpa-Newskanal“. Am 10. Mai titelten unter anderem „Spiegel“, „Welt“, „Zeit Online“, FAZ, „t-online“, „Der Standard“, die „Augsburger Allgemeine“ und weitere Medien auf Grundlage eines dpa-Berichts: „Stuttgarter Antifa bekennt sich zu Angriff auf AfD-Infostand“.

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1.-Mai-Demo in Stuttgart – Fake News von der Polizei

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 684 am 8. Mai 2024)

Stuttgart ist das neue Berlin, heißt es nach den Krawallen am 1. Mai. Die Polizei macht Angriffe von Demonstrant:innen für die Ausschreitungen verantwortlich – und nimmt es dabei nicht so genau mit der Wahrheit.

Im Vorjahr lag es an zwei Rauchtöpfen. Diesmal waren die Seitentransparente zu lang. Zum zweiten Mal in Folge hat die Polizei die „Revolutionäre 1. Mai“-Demo in Stuttgart wegen Auflagenverstößen gestoppt. Wieder berichtet die Polizei von einem Angriff durch Demonstrant:innen, auf den sie mit Pfefferspray und Schlagstöcken reagiert habe. Erneut gibt es viele Verletzte.

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„Ein Tiefpunkt der Justiz“

Prozess gegen Fabian Kienert, „Radio Dreyeckland“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 682 am 24. April 2024)

Dem Journalisten Fabian Kienert drohen bis zu drei Jahre Haft, weil er in einem Artikel das Archiv einer verbotenen Vereinigung verlinkt hat. Dass es überhaupt zur Anklage kam, ist laut seiner Anwältin eine Schande. Vor dem Landgericht Karlsruhe startete nun der Prozess.

Der Beamte S. von der Freiburger Kriminalpolizei fällt aus allen Wolken, als er für seine Arbeit kritisiert wird. „Normalerweise sind mir Richter dankbar“, sagt er im Zeugenstand. Doch Axel Heim, Richter am Karlsruher Landgericht, wirkt regelrecht fassungslos, als er den Polizisten befragt.

Es ist der erste Verhandlungstag im Prozess gegen Fabian Kienert, Redakteur beim Freiburger Alternativsender „Radio Dreyeckland“ (RDL). Er muss sich verantworten, weil er in einem seiner Artikel die Archivseite der linksradikalen und seit 2017 verbotenen Plattform „linksunten.indymedia“ verlinkt hat. Vor Gericht spielen sich denkwürdige Szenen ab.

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Förderprogramm „Junges Wohnen“: Azubis bleiben auf der Strecke

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 681 am 17. April 2024)

Der Bund hat Baden-Württemberg gut 30 Millionen Euro überwiesen, um Wohnraum für Azubis zu schaffen. Aber das Geld ist nicht dort angekommen, wo es hin sollte. Warum, erklärt die zuständige Ministerin Nicole Razavi (CDU) mit einem Grinsen.

Die „Preise von Wohnimmobilien fallen in Rekordtempo“, berichtete die „Tagesschau“ vergangenen Dezember. Ein Experte führt aus, dass eine Spekulationsblase geplatzt sei und nun der stärkste Preisrückgang seit über 20 Jahren zu beobachten sei. Wer zur Miete wohnt, profitiert von dieser Entwicklung allerdings nicht – im Gegenteil: In Großstädten haben die Mietpreise zum Jahresanfang ein neues Rekordniveau erreicht.

Insbesondere junge Menschen sind betroffen. Vom Eigenheim träumen viele gar nicht erst, nicht einmal eine Mietwohnung ist für sie finanzierbar. Selbst mit einem WG-Zimmer wird es immer kniffliger: So lagen die bundesweiten Durchschnittskosten für eine gemeinsam bewohnte Wohnung noch 2018 bei 372 Euro pro Person. Neue Zahlen für das Jahr 2023 kommen hingegen schon auf 479 Euro, wobei die Situation in begehrten Städten noch weitaus dramatischer ist. Weiterlesen

Polizeigewalt: Der Schlächter von Hamburg

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 680 am 10. April 2024)

Er freut sich darauf, im Einsatz linke Zecken zu verprügeln und gilt polizeiintern als Menschenfeind: Kontext liegen Chatprotokolle vor, in denen der Beamte Rainer Jäger (Name geändert) mit Gewalttaten prahlt. Konsequenzen hatte das bislang nicht, aber das könnte sich bald ändern.

Am 28. Juli 2017 bekommt Polizeiobermeister Rainer Jäger, der in Wahrheit anders heißt, eine Nachricht: Wie war es denn in Hamburg?, will jemand wissen. Jäger, damals 28 Jahre alt, war von Baden-Württemberg aus im Einsatz, um den G20-Gipfel 2017 abzusichern. Doch nach Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstrant:innen schreibt er: „Schlimm. Diese ganze Gewalt und Zerstörung.“ Kurz darauf folgt die Aufklärung: „Das war ein Scherz. Es war Mega gut.“ Er habe „ordentlich ausgeteilt“ und „hoffe nur das ich keine Post aus hh bekomme“. Die Post kam – doch Jäger hat sich zu Unrecht Sorgen gemacht.

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Schaufenstersadismus

Die CDU fordert noch härtere Sanktionen für Erwerbslose, die »zumutbare Arbeit« verweigern

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World)

Die CDU droht mit einer »Agenda 2030« und will noch härtere Sanktionen für Bürgergeld-Beziehende. Dabei kann denen das Existenzminimum bereits vollständig gestrichen werden.

Im November 2022 war die Union noch stolz auf ihre Verhandlungsleistung. Ein Systemwechsel sei bei der Hartz-IV-Reform verhindert worden, informierte die CDU in einer Pressemitteilung: »Sanktionen bleiben, ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es nicht.« Beim politischen Streit um das Bürgergeld sei ein »guter Kompromiss« mit der Bundesregierung erreicht worden, dem die Union im Bundesrat schließlich zustimmte.

6 Monate später scheint die CDU ihren Erfolg vergessen zu haben. Kürzlich teilte sie in einer Pressemitteilung mit, dass sie „das Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen“ wolle. „Wenn jemand eine zumutbare, angemessene Arbeit ablehnt, die ihm angeboten wurde, passiert nichts. Das kann nicht sein.“ Für Generalsekretär Carsten Linnemann sei es aber „gesunder Menschenverstand“, dass „Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen müssen“. Für die CDU steht fest: „Wer zumutbare Arbeit mehr als drei Monate verweigert, gilt nicht als bedürftig“ und soll deshalb über die Zahlungen für Miete und Nebenkosten hinaus keinerlei Unterstützung vom Staat bekommen. Das ist der Partei so wichtig, dass sie eine Reform des Bürgergelds sogar zur Bedingung für eine Koalition auf Bundesebene erklärt.

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Was würde Blümchen tun?

„Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen“

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 679 am 3. April 2024)

Jetzt streiken auch noch die Tiere: Nach Aufführungen bei der Vergesellschaftungskonferenz und einem krisentheoretischen Sommerzeltlager ist das Theaterstück „Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen“ nun im Esslinger Kulturzentrum Komma zu sehen.

Natürlich hat Zoodirektor Tierlieb vollstes Verständnis für die Interessen seines Personals, und er würde sie ja auch wirklich gerne noch besser bezahlen. Aber das letzte Jahr war hart für ihn, als Realist muss er einsehen, dass die finanziellen Spielräume leider begrenzt sind und jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. So bemüht sich der Arbeitgeber, die Belegschaft zu vertrösten. Aber Tierpfleger Karl hat genug, nachdem er die Lange Nacht des Zoos ohne Zulage durcharbeiten musste. Mit ebenfalls Unzufriedenen hat er eine Betriebsgruppe gegründet, die den Arbeitskampf organisiert. Und nun sitzt Benjamin Blümchen zwischen allen Stühlen. Er mag die Beschäftigten, möchte, dass es ihnen gut geht und dass sie zufrieden sind mit ihren Arbeitsbedingungen. Aber falls er sich mit ihrem Streik solidarisieren sollte, droht der Klassenfeind mit gekürzten Zuckerrationen.

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Organisierte Mitgliederverarsche

Wie die Porsche AG beim VfB Stuttgart mitspielt

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 678 am 27. März 2024)

Tanja Gönner gegen Claus Vogt: Der Machtkampf beim VfB Stuttgart hinterlässt Spuren. Das Verhältnis zwischen Führung und Fanszene ist nachhaltig beschädigt, die „Cannstatter Kurve“ fühlt sich „verraten und verkauft“ und fordert personelle Konsequenzen.

Von Anfang an gab es Bedenken, dass dem Traditionsverein ein kommerzieller Ausverkauf drohen könnte: Vor der VfB-Mitgliederversammlung 2017 entbrannte eine emotionale Debatte um die Ausgliederung der Profifußball-Sparte in eine Aktiengesellschaft. Der damalige Vereinspräsident Wolfgang Dietrich zog viele Register, um für diesen Schritt zu werben und ein schlagendes Argument waren die 100 Millionen Euro, die über eine Investorenbeteiligung eingesammelt werden sollten – in einer Phase, in der die finanzielle Lage des Vereins nicht besonders rosig aussah. Mitglieder zeigten sich allerdings besorgt, dass ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten zulasten der Geldgeber eingeschränkt werden könnten. Also versuchte Dietrich die Wogen mit einem Versprechen zu glätten: Demnach sollte der von Mitgliedern gewählte Vereinspräsident stets auch dem Aufsichtsrat der neuen Aktiengesellschaft vorsitzen.

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Lokaljournalismus: Systemrelevante Selbstausbeutung

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 676 am 13. März 2024)

Die Pressevielfalt schwindet und dort, wo nicht mehr berichtet wird, erstarkt der Populismus. Kürzlich hat eine Studie diesen Zusammenhang am Beispiel baden-württembergischer Gemeinden untersucht. Kontext hat Reaktionen gesammelt.

Ganz im Osten Baden-Württembergs, an der Grenze zu Bayern, liegt die Gemeinde Fichtenau, die mit ihren knapp 5.000 Einwohner:innen „zu klein ist für eine eigene Zeitung“. So sagt es Anja Schmidt-Wagemann, die parteilose Bürgermeisterin, die gerade am Anfang ihrer zweiten Amtszeit steht und stolz ist auf ihren Ort: Auf Facebook teilt sie regelmäßig idyllische Schnappschüsse, zum Beispiel von eingeschneiten Wanderwegen oder vom Blick auf den kleinen See Brettenweiher, und immer mit dem Kommentar: „So schön ist Fichtenau …“

Doch wenn die Gemeinde in Schlagzeilen auftaucht, ist der Anlass meist weniger hübsch: Dann gab es vielleicht eine Schlägerei im Ortsteil Matzenbach. „Oftmals wird nur was Reißerisches oder Negatives gesucht“, ärgert sich Schmidt-Wagemann, die eigentlich überzeugt ist, dass „mehr Aufklärung und Information aus erster Hand sinnvoll wäre“. Aber eben sorgfältig recherchiert und nüchtern aufbereitet. „Wir haben einen Reporter, der in unserer Gemeinde wohnt“, erklärt die Bürgermeisterin gegenüber Kontext. „Seine Berichte sind immer angenehm zu lesen und sehr sachlich. Allerdings schreibt er nicht so oft über uns – und zudem hat er jetzt auch noch gekündigt.“

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Renditewachstumsgesetz

Die Bundesregierung will trotz des Sparhaushalts Unternehmen steuerlich entlasten

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World)

Die Bundesregierung plant, Unternehmen mit milliardenschweren Steuergeschenken zu entlasten. Beim Sozialstaat soll zukünftig gespart werden, meint Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Schaut man auf die Schlagzeilen in deutschen Medien, kann der Eindruck entstehen, es brauche beim Taumeln am Abgrund nur noch einen kleinen Schubs, dann stürze die deutsche Wirtschaft ab und überall im Land gingen die Lichter aus. Auch Industriegiganten wie Bayer und Volkswagen haben angekündigt, Stellen abzubauen, und schwören ihre Belegschaften unter ostentativem Ächzen auf schwere Zeiten ein.

Tatsächlich steht Deutschland am Rand der Rezession, die Bundesbank geht davon aus, dass die Wirtschaft dieses Jahr »bestenfalls stagnieren« werde. Dabei haben die großen Konzerne die wirtschaftlich turbulenten vergangenen Jahre bislang sehr gut überstanden. 2022 konnten sich viele der 40 größten deutschen Unternehmen noch über Rekordgewinne freuen.

Wie hat das geklappt, trotz Krieg und Inflation? Henrik Ahlers, Deutschland-Vorsitzender der Beratungsfirma EY, erklärte dazu erfrischend unverblümt: »Den meisten Dax-Unternehmen gelang es, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben.«

Hart waren diese Jahre vor allem für Leute, die wenig Geld verdienen. Jahrelang sanken die Reallöhne in Deutschland. Erst 2023 sind sie zum ersten Mal wieder gestiegen – um sage und schreibe durchschnittlich 0,1 Prozent im Vergleich zu 2022. Das macht die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre natürlich nicht wett.

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Kampf gegen rechts: Sag, wie hältst Du’s mit der Antifa?

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Auf einigen Demos gegen rechts war „die Antifa“ zuletzt unerwünscht. Der Historiker Richard Rohrmoser wirbt für einen differenzierten Blick auf eine ambivalente Bewegung – und erinnert daran, dass die Einheitsfront gegen den Faschismus schon einmal zu spät kam.

Breite Bündnisse sollten es sein, da waren sich im Grunde alle einig in Sigmaringen, Lahr oder Leonberg. Wie in vielen Städten und Gemeinden gab es hier in den vergangenen Wochen große Demonstrationen gegen rechtsextreme Deportationsfantasien, und die Initiator:innen der Proteste zeigten sich überrascht, weil sie so viel Rückhalt selten erlebt hatten: Auf einmal unterstützten Turnvereine und Kleinunternehmen die Aktionen, eher unpolitische Kreise wirkten aufgerüttelt. Doch wie die Organisator:innen gegenüber Kontext betonten, wollten sie auf ihren Demos „weder Rechts- noch Linksradikale“, also auch keine Antifa mit Verweis auf deren Gewaltbereitschaft.

Dass dieser Vorwurf nicht ganz unbegründet ist, macht der Historiker Richard Rohrmoser an autonomen Gruppen fest, die sich teils offen zu Militanz bekennen. Oftmals würden „die Grenzen friedlicher Konfliktaustragung“ überschritten, Aktivist:innen reklamierten „punktuell ein Recht auf ‚Gewalt als politisches Lösungsmittel'“ und würden sich so zur Selbstjustiz ermächtigen. Das stoße auch auf enorme öffentliche Kritik. Allerdings weist er auch darauf hin, dass dabei „vielfach die Ambivalenzen der Antifa-Bewegung ausgeblendet und antifaschistische Aktivist:innen undifferenziert als ‚Systemoppositionelle‘ und ’schwarzgekleidete Terrorist:innen‘ pauschalisiert“ würden.

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Explosionsgefahr

Soziale Medien und Bauernproteste

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Erzählungen von schlimmen Grünen, die das Land ruinieren, sind gerade ziemlich beliebt. Auch bei den Bauernprotesten ist plumpe Hetze virulent. Wer mobilisiert zu Aktionen wie in Biberach?

„Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“, hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), bereits Anfang Januar erklärt. Anlass waren etwa 250 bis 300 Bauern, die einen Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel blockiert hatten und so den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck daran hinderten, ein Schiff zu verlassen. Die Stimmung wirkte aufgeheizt und aggressiv, für viele Politiker:innen war mit dieser Form des Protests eine Grenze überschritten.

Seitdem kursiert in sozialen Netzwerken eine kreisrunde Grafik, die die Aktion feiert. Darauf der Slogan: „Wenn der Bauer steht am Stand, kommt der Habeck nicht an Land.“ Zu sehen war ein entsprechend bedrucktes Plakat auch vergangene Woche in Biberach, wo der politische Aschermittwoch der Grünen aus Sicherheitsgründen abgesagt worden ist. Vor der Stadthalle hatten sich laut Polizeiangaben etwa 1.000 Menschen zu einer nicht angemeldeten Protestaktion versammelt. Ein Demonstrant hatte eine Sense dabei, ein weiterer schwang eine Kettensäge.

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Gigs für die Massen

Arbeitnehmerrechte für Plattform­arbeiter konnten auf EU-Ebene nicht gesichert werden

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Jungle World, leicht aktualisiert)

Deutschland und Frankreich haben einen Vorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeiter:innen seitens der EU-Kommission und des Europaparlaments blockiert. Nun musste ein neuer Kompromiss erarbeitet werden, dem zufolge es der nationalen Rechtsprechung überlassen bleiben soll, über den Beschäftigungs­status von »Gig-Workern« zu befinden.

Einen »Gig« zu haben, heißt heute nicht nur, als Musiker:in auf der Bühne zu stehen. Der Begriff hat sich längst auch dafür etabliert, online vermittelte Einzelauftragsarbeiten auszuführen, also beispielsweise eine Person von A nach B zu kutschieren. Seit der Finanzkrise 2008/2009 ist die Gig-Ökonomie international rasant gewachsen, auch die Covid-19-Pandemie hat zu ihrem Anstieg beigetragen. Insbesondere dort, wo Arbeitslosenquoten hoch sind, nutzen Betroffene die Möglichkeiten plattformbasierter Beschäftigungsvermittlung, zum Beispiel um für Unternehmen wie Doordash Essen auszuliefern oder über die Plattform Helpling als Putzkraft einzuspringen.

In der EU haben sich 2021 einer Studie des litauischen Instituts PPMI zufolge über 28 Millionen Menschen über Plattformarbeit etwas dazuverdient oder ihr gesamtes Einkommen auf diese Weise erwirtschaftet. Die Studie prognos­tiziert, dass es 2025 schon 43 Millionen Menschen sein werden. Die Mehrheit der Plattformarbeite­r:in­nen, schreibt der Europäische Rat, sei heute »der Form nach selbständig«. In vielen Fällen lägen allerdings Hinweise vor, »dass sie eigentlich in einem Arbeitsverhältnis stehen und daher dieselben Arbeitnehmerrechte und denselben Sozialschutz, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach nationalem und EU-Recht zustehen, haben sollten«.

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