Arbeitszeitverkürzung ist machbar

oder: Was man in der Küche über den Kapitalismus lernen kann

von Lothar Galow-Bergemann, gesendet im Freien Radio für Stuttgart, 13. April 2011
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Nehmen Sie an, Sie stehen in Ihrer Küche und bereiten ein Essen zu. Seitdem Sie einen Schnellkochtopf haben, schmeckt es mindestens so gut wie vorher und das neue Kochverfahren ist obendrein vitaminschonender. Zudem brauchen Sie nur noch halb so lange wie früher, um das gleiche Resultat zu erzielen. Was würden Sie mit der gewonnenen Zeit anfangen? Vielleicht würden Sie eine CD einlegen oder Sie würden mit ihrem Kind spielen, vielleicht auch eine schmackhafte Nachspeise kreieren. Wer weiß, was Ihnen sonst noch einfiele. Aber Sie kämen wohl kaum auf die Idee, das gleiche Essen zweimal zu kochen, nur weil Ihnen jemand gesagt hat, dass sie ja wohl noch arbeitsfähig sind…

Was wir im Alltagsleben sofort als hanebüchenen Unfug durchschauen, wird uns in der wirtschaftspolitischen Diskussion tagtäglich als der Weisheit letzter Schluss angepriesen. Denn obwohl wir dank rasant wachsender Arbeitsproduktivität heute in immer kürzerer Zeit immer mehr und immer Besseres produzieren können, redet man uns ein, wir müssten noch genauso lange arbeiten wie früher. Mehr noch – Experten, Kommentatoren und Politiker überbieten sich gegenseitig damit, uns sogar noch längere Arbeitszeiten aufzuschwatzen. Die Rente mit 67 erscheint da schon fast als bloße Ouvertüre zu noch viel größeren Zumutungen.

Zwei Kostproben: „Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, hält die Rente mit 67 lediglich für einen Zwischenschritt. ‚Um die Beiträge senken zu können und die gegenwärtige Rentenhöhe zu garantieren, müssen wir über die Rente mit 69 nachdenken’“ (Welt online, 3.12.10) „Spitzenökonom Ulrich Blum rechnet damit, dass die Deutschen in Zukunft deutlich länger im Büro sitzen müssen. ‚Schon heute wird in einzelnen Branchen extrem viel gearbeitet. In Zukunft wird die 43- bis 45-Stunden-Woche aber für immer mehr zur Normalität werden’, sagte der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) … In Spitzenzeiten seien auch 50-Stunden-Wochen möglich.“ (Welt online 23.10.10)

Die Begründungen für derlei Unverschämtheiten sind immer die gleichen. Wo es immer mehr Ältere gebe, müssten die doch auch länger arbeiten, denn aus welchem Topf solle schließlich Ihr arbeitsfreies Leben gespeist werden? Und: aus welchem Topf wolle man sich denn angesichts der globalisierten Konkurrenz bedienen? Dabei liegt die Antwort in beiden Fällen auf der Hand: aus dem Schnellkochtopf natürlich. Denn den haben wir schon lange – in Form von herrlich arbeitssparenden Produktionsanlagen und -verfahren, die uns gestatten, in viel weniger Zeit als je zuvor viel mehr Güter als je zuvor zu produzieren. Jahrtausende haben Menschen davon geträumt, ihr Leben nicht mit Maloche, sondern mit angenehmeren Dingen verbringen zu können. Heute wäre das endlich möglich. Wesentlich weniger arbeiten müssen und gleichzeitig wesentlich besser leben können – das müsste für Massen von Menschen keine Utopie mehr sein. Eine solche Entwicklung würde weder der Logik noch unseren technischen Möglichkeiten widersprechen.

Ganz offensichtlich scheitert diese Chance aber an den Funktionsmechanismen der Marktwirtschaft. Denn die macht aus endlich überflüssig werdender Arbeit ausgerechnet überflüssige Menschen. Das spricht nun allerdings überhaupt nicht gegen die Verkürzung der Arbeitszeit, dafür aber umso mehr gegen die Marktwirtschaft. Die flammenden Appelle für längere Arbeitszeiten beweisen nur eines: Dass ihre Verfasser keinen Millimeter hinausschauen können über die Absurditäten der Marktwirtschaft. Denn bei Licht betrachtet liegt eine bessere Zukunft vor uns. Aber nur, wenn wir uns vom Kapitalismus verabschieden.