Iran: Unterlassene Hilfeleistung – Teil 2

Ressentiment und Eiertänze. Das Trauerspiel der friedensbewegten Linken

Nicht nur Deutschland und die EU haben das iranische Regime von Anfang an nach Kräften gestützt (siehe dazu Teil 1 dieses Textes : „Mangelnde Einsichten und was sonst noch an der Solidarität hindert“). Auch auffällig viele friedensbewegte Linke stellen sich auf die Seite der Unterdrücker und gegen die Unterdrückten. Bei den Solidaritätskundgebungen für die um ihre Freiheit kämpfenden IranerInnen kann man sie mit der Lupe suchen. Schweigen ist noch das Beste, was die sonst allgegenwärtigen KämpferInnen für „Frieden und Völkerrecht“ zustande bringen. Denn machen sie gar den Mund auf, wird einem schlecht.

„Glückwunsch, Ahmadinedschad!“ jubeln nämlich nicht nur NPD und DVU, sondern auch viele linke Antiimperialisten. Einer der Bekannteren, J.Elsässer, gewährte spontan Einblick in seine Seele und geiferte gegen die Protestierenden im Iran: „Gut, dass Ahmadinedschads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben.“

Eine Randfigur? Leider nicht. Beginnen wir beim linken Volksgemeinschafts-Idol schlechthin, dem venezolanischen Caudillo Hugo Chavez, der erst kürzlich sein „Volk“ so lange abstimmen ließ, bis es ihm ermöglichte, als Boss auf Lebenszeit endgültig in die Fußstapfen der diversen Sozialismen des vergangenen Jahrhunderts zu treten. Er war einer der allerersten und wenigen Politiker weltweit, die Ahmadinedschad gratulierten: „ein sehr großer und wichtiger Sieg!“. Dagegen brauchte der Bundesauschuss Friedensratschlag geschlagene zwei Wochen, um sich aus der Schockstarre zu erholen. Was er sodann absonderte, unterscheidet sich nur unwesentlich von den Verlautbarungen der iranischen Machthaber. Nach ein paar dürren Worten an deren Adresse distanziert sich das Sprachrohr der „Friedensbewegung“ offen vom iranischen Widerstand: „Die Friedens- und Menschenrechtsbewegung hier zu Lande sollte sich nicht … auf die Seite irgendeiner Partei stellen.“ Akzeptieren, dass die IranerInnen selbst einen Regimewechsel wollen, können diese Friedensfreunde genauso wenig wie Chamenei, Ahmadinedschad&Co. Und „verschärfte Sanktionen gegen Teheran“ wollen sie selbstredend auch nicht. Helmut Scholz, Mitglied des Parteivorstandes der deutschen Linkspartei und des Vorstandes der Partei der Europäischen Linken sorgt sich um „eine weitere Destabilisierung der Lage“, wünscht „stabile politische Verhältnisse im Iran“ und stellt sich damit gegen die Opposition, die alles andere als „Stabilität“ brauchen kann. Der EU-Abgeordnete André Brie vom Reformflügel der Linkspartei zweifelte den Wahlsieg Ahmadinedschads nicht im Geringsten an, erklärte ihn gar flugs zum „Ausdruck für das Scheitern der westlichen Konfrontations- und Demütigungsstrategie gegen den Iran“ und machte indirekt Israel dafür verantwortlich. Pax Christi, deutsche Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung („Handeln aus dem Geist des Friedens und der Versöhnung“) verlor innerhalb acht Wochen nach Beginn der Proteste kein Wort zu den Vorgängen im Iran, verbreitete stattdessen fünf „Aktuelle News“ mit einseitigen Stellungnahmen gegen Israel und „warnte“ gar vor einem israelischen Angriff auf Iran – ganz so, als ob es nicht das iranische Regime wäre, das Israel immer wieder mit der Vernichtung droht . Attac Deutschland verwies auf den – durchaus kritischen – Text eines der 22 Mitglieder seines Koordinierungskreises und meinte ansonsten, „nicht zu jedem Thema“ eine Erklärung abgeben zu müssen. Was nichts anderes heißt, als dass es keine Einigkeit unter den „Globalisierungskritikern“ über die Solidarität mit dem iranischen Widerstand gibt.

Besagter Friedensratschlag verbreitet regelmäßig Reden Ahmadinedschads, wie z.B. hier. Dessen Leugnung des Holocaust finden viele friedensbewegte Linke zwar „nicht hinnehmbar“, faktisch ignorieren sie sie aber ebenso wie das Streben des Regimes nach der Atombombe und seine seit 30 Jahren ununterbrochenen Drohungen, Israel zu vernichten. Stattdessen erklären sie in klassischer Täter-Opfer-Umkehr das in seiner Existenz bedrohte Israel zur Ursache des Problems.

Das alles ist nur konsequent. Lesen wir noch einmal den eingangs zitierten J.Elsässer. Er beginnt seine Hurrarede auf den Henker von Teheran nämlich so: „Eine schöne Schlappe für den Imperialismus!“ Und bringt damit den Kern allen antiimperialistischen Denkens auf den Punkt, gleich ob es „hardcore“ oder „soft“ auftritt: Gut ist alles, was den USA schadet, wir sympathisieren mit allem und jedem – Hauptsache es geht gegen die USA. Schlimmer noch: Eben weil man das Feindbild USA (und Israel) mit den menschenfeindlichsten und reaktionärsten Bewegungen teilt, ist man blind für deren Charakter, ähnelt ihnen mehr als man meint und macht sich zu ihren Komplizen. Eine unvoreingenommene Sicht auf die demokratische Massenbewegung im Iran würde hingegen erkennen, dass diese möglicherweise zu einem sehr wirkmächtigen Friedensfaktor werden könnte: dann nämlich, wenn es ihr gelänge, das Regime der Islamischen Republik zu stürzen und sie sich nicht bloß mit einem Auswechseln des Führungspersonals zufrieden geben müsste. Eine Friedensbewegung hierzulande – so sie denn wirklich eine wäre – müsste sich also in spontaner Solidarität zur iranischen Oppositionsbewegung hingezogen fühlen. Dass dem nicht so ist, verweist auf das dem linken Selektivpazifismus zugrundeliegende Problem: Viele Linke halten sich – ohne Wesentliches vom Kapitalismus kapiert zu haben – für antikapitalistisch, frönen in Wirklichkeit aber lediglich ihrem Ressentiment.

Trotz des jämmerlichen Bildes, das die Linke in Sachen Iran-Solidarität bietet, übersehen wir nicht, dass sich ein paar Leute aus der hier kritisierten Szene wenigstens seit Beginn der demokratischen Massenbewegung im Iran anders verhalten. Mit Interesse registrieren wir, dass die eine oder der andere Mainstreamlinke angesichts der Vorgänge im Iran nachdenklicher geworden ist. Das ist gut so. Doch wer heute emanzipatorische Positionen vertreten will, muss den ganzen antiimperialistischen Müll zurücklassen und sich endgültig vomtraditionellen linken Antizionismus und Antiamerikanismus verabschieden.

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Was ist Antiamerikanismus? Die Feindschaft gegen Amerika hat in Europa eine lange Tradition. Die Klage über die Kulturlosigkeit und den allgegenwärtigen Materialismus zieht sich durch die europäische Geschichte und in unterschiedlichen Formen durch das gesamte politische Spektrum. In der Linken findet sich der Vorwurf, Amerika sei eine durch und durch kriegerische Nation, die der ganzen Welt ihren Lebensstil aufzwingen wolle. Das Problem dieser Sichtweise ist, dass sie ihre Wurzeln in der Ideologie des Antiimperialismus hat, die veraltet ist und die komplexen geopolitischen Verhältnisse nicht nur nicht begreift, sondern die Welt in Gut und Böse einteilt. Somit kann der Glaube der eigenen moralischen Überlegenheit gepflegt werden. Das Ende des Kalten Krieges und die Entwicklungen seit dem Massaker in New York am 11.9. 2001 haben das politische Koordinatensystem durcheinander gebracht. Die Linke ist deshalb gezwungen, ihre analytischen Kategorien kritisch zu reflektieren. Das bedeutet nicht, alles richtig zu finden, was Amerika tut. Es bedeutet aber, sich der Problematik eines weit verbreiteten Antiamerikanismus bewusst zu sein und sich der Auseinandersetzung nicht durch die Behauptung zu entziehen, eine Thematisierung dessen wolle jede Kritik an Amerika tabuisieren. Die Kritik an Amerika ist antiamerikanisch, 1.) wenn sie dämonisiert, d.h. wenn Amerika mit Nazideutschland in Verbindung gebracht oder George W. Bush mit Hitler gleichgesetzt wird. 2.) wenn sie delegitimiert, d.h. wenn die bloße Existenz Amerikas als Übel betrachtet und Amerika als das Weltübel an sich gesehen wird. 3.) wenn sie Amerika mit doppelten Standards misst. So richtig eine Kritik an den Folterungen durch amerikanische Soldaten in Abu Ghraib ist, so heuchlerisch wird sie doch, wenn nicht die Zustände in demselben Gefängnis unter Saddam Hussein benannt werden. Die Mehrheit der Friedensbewegung schwieg über die Folterkeller im Irak unter der Baath-Diktatur. Eine ernsthafte Beschäftigung mit Antiamerikanismus ist Teil der Erneuerung einer linken Gesellschaftskritik. Sebastian Voigt  (leicht gekürzt, Überschrift geändert)

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Zum Weiterlesen: – Markovits, Andrei: Amerika, dich haßt sich’s besser. Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa, 2004 – Diner, Dan: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, München 2003

Emanzipation und Frieden, August 2009

Lesen Sie hier die Flugschrift im Layout: Iran: Unterlassene Hilfeleistung – Teil 2

Siehe auch:

Was ist Antiamerikanismus?

Was ist Antiimperialismus?

Was ist Antizionismus?