Kritische Heimatkunde

von Lucius Teidelbaum

Heimat ist ein viel gebrauchter Begriff, im normalen Leben, in der Politik oder in Liedtexten. Doch was bedeutet eigentlich Heimat und sollten sich Linke positiv auf diesen Begriff beziehen?

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Ein Begriff, viele Bedeutungen

Das Problem mit dem Begriff „Heimat“ ist, dass er keine feststehende Definition hat, sondern ein Begriffscontainer ist, in den die Menschen unterschiedliche Deutungen hinein legen. In einem Abschnitt der überaus lesenswerten Broschüre „Grauzonen“ der „Agentur für soziale Perspektiven“ über „Rechte Lebenswelten in Fußballfankulturen“ wird der Heimat-Begriff kritisch unter die Lupe genommen. Hier heißt es: „Heimat kann vieles sein: Ort der Herkunft, der Sozialisation, der Familie, der FreundInnen, des gegenwärtigen Sozialraums oder des Rückzugs. Dabei vermengen sich geographische Bezüge, ethnische Kategorien und soziale Milieus. Heimat stellt den Ort subjektiv empfundener Zugehörigkeit und einen Teil der eigenen Identität dar. Sie wird in der Regel als Ort verstanden, an dem das Individuum nicht in Frage gestellt wird und sich selbst nicht in Frage stellen muss. »Heimatgefühle« sind Ausdruck des Bedürfnisses nach Geborgenheit und Sicherheit. Aufgrund seiner Interpretierbarkeit lässt sich Heimat nicht pauschal in einen rechten Zusammenhang stellen.“

Lokalismus und Fremdenfeindlichkeit

Der Begriff Heimat wird häufig in einer Bedeutung als Ersatzbegriff für einen problematischen Begriffe wie „Nation“ verwendet. Manchmal ist „Heimat“ zwar kein Ersatzbegriff für „Nation“, stellt aber eine Art kleinere Version davon mit einem verkleinerten Bezugsrahmen dar. Statt Nationalismus wird dann der Regionalpatriotismus stark gemacht. In Studien wird dieser auch als „Lokalismus“ bezeichnet.

Ähnlich wie im Nationalismus gibt es im Lokalismus häufig Homogenitätsvorstellungen, also die Idee einer in Herkunft, Sprache und Dialekt, Religion und Bräuchen möglichst einheitlichen Bevölkerung. Diese Vorstellung ist meist sehr konstruiert. In allen Regionen können die Bevölkerungen in unterschiedliche soziale Gruppen unterteilt werden. Das Leben eines Fabrikanten und einer Putzfrau unterscheidet sich eklatant, auch wenn beide in derselben Region leben. Dominante konfessionelle Prägungen in Deutschland, also hierzulande zumeist der Umstand ob eine Gegend protestantisch oder katholisch ist, wurde mit der Ansiedlung von deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelockert. Später kamen diverse Einwanderungsgruppen dazu, deren Nachkommen heute selbst in ländlichen Gebieten Westdeutschlands einen größeren Teil der Bevölkerung ausmachen. Aber schon in der Vergangenheit waren die Regionen nicht so homogen, wie manche heute glauben. In Baden-Württemberg gab es in vielen Orten so genannte Landjuden. Vor dem Massenmord im Nationalsozialismus stellte diese Gruppe in manchen Orten teilweise ein Drittel der Bevölkerung. Hinzu kommen Sinti und Roma, sowie die ethnosoziale Gruppe der Jenischen. Diese Vielfalt in der Bevölkerung fiel dem NS-Massenmord zum Opfer.

Neuzuwanderern bzw. Neuankömmlingen wird in einer Region mit starker sozialer Kontrolle und geringer Migrationserfahrung als Fremden erst einmal von einem größeren Teilen der Bevölkerung mit Misstrauen und Ablehnung begegnet. Der Normalfall Migration wird hier als „widernatürlich“ gesehen. Diese Fremden können dabei ganz unterschiedlichen Gruppen angehören: Flüchtlinge, „fahrendes Volk“, Wessis im Osten, Ossis im Westen, SpätaussiedlerInnen, Schwaben in Berlin, „Neigeschmeckte“ in Schwaben bzw. einfach Neuzugezogene oder sogar TouristInnen.

Das Problem ist nicht, dass anfangs tatsächlich Fremde kommen, sondern dass sie es im Bewusstsein vieler bleiben und zwar teilweise bis zur dritten Generation. Hier ergibt der – zu Recht umstrittene – Begriff der Fremdenfeindlichkeit einen gewissen Sinn. Fremdenfeindlichkeit oder Xenophobie attackiert alles als ‚fremd‘ Wahrgenommene. Eine rassistische Aufladung dieser Fremdenfeindlichkeit sorgt dann für die Aufrechterhaltung dieser Abwehrhaltung. Da der Fremde „rassisch“ oder kulturell fremd ist, kann er im rassistischen Verständnis nicht integriert werden und soll es auch nicht.

Andere anfangs als „Fremde“ angefeindete oder misstrauische beäugte NeubürgerInnen werden dagegen mit der Zeit akzeptiert, wenn sie zum eigenen Kulturraum gezählt werden bzw. eine weiße Hautfarbe haben und ihre Eigenheiten in Bezug auf Sprache, Religion oder Kultur nicht zu offen zeigen. Der Neuzugezogene in einem Dorf wird irgendwann als Teil der Dorfgemeinschaft akzeptiert, wenn er als Deutscher eingeordnet wird und nicht gegen die lokalen Sitten und Gebräuche verstößt bzw. irgendwann nicht mehr auffällt. Ein Deutschtürke, der auf ein Dorf zieht, hat es da schon schwieriger, aber auch er kann mit der Zeit von vielen akzeptiert werden, wenn er seine Herkunft nicht zu offen zeigt, sich also assimiliert. Die Verweildauer wird aber oft nur dann als Eintrittskarte akzeptiert, wenn die Person sich nicht anderweitig von der lokalen Bevölkerung unterscheidet.

Heimat als (vermeintlicher) Zufluchtsort vor der Globalisierung

Von vielen wird heute Heimat als eine Art Trutzburg gegen die Zumutungen einer globalisierten Welt gesetzt. Sie erscheint als sicherer Hafen, als Heimathafen, gegen die Stürme der Moderne in einer (scheinbar) aus den Fugen geratenen Welt. Somit kann der verstärkte Bezug auf Heimat auch als ein Krisenphänomen interpretiert werden. Kapitalismus und Globalisierung produzieren tatsächlich Probleme und Entfremdungs-Erfahrungen. Nicht alle diese Erfahrungen haben eine legitime Berechtigung. Ein Rassist, der sich durch Zuwanderung nicht mehr wohl in seiner Heimat fühlt, bleibt trotzdem ein Rassist. Es wäre fatal auf seine Ängste und Befürchtungen, statt sie ihm auszureden, einzugehen, wie es ein Teil der etablierten Politik immer wieder gerne macht.

Die Kritik an anderen Entwicklungen dagegen ist überaus legitim. Der Abbau und die Vernachlässigung von Infrastruktur in ländlichen Gebieten: Marode Straßen, Schulschließungen, Arbeitsplatzverlagerungen, das Schließen von Krankenhäusern, Postämtern, Wirtshäusern oder des letzten Dorfladens. Die Vernachlässigung ganzer Regionen sorgt in der Reaktion offenbar für eine Aufwertung der Heimat und die Konstitution einer Schicksalsgemeinschaft. In der bereits erwähnten „Grauzonen“-Broschüre wird auch das anschaulich zusammengefasst: „Gerade in Regionen, in denen sich viele Menschen ökonomisch abgehängt und unterprivilegiert empfinden, es mitunter auch sind, dominieren oft Erzählungen über die Heimat als Leidtragende »fremder« Begehrlichkeiten und Überheblichkeit, gegen die es sich gestern wie heute zu behaupten gelte. Darin wird die Heimat als eine Schicksalsgemeinschaft der Zu-Kurz-Kommenden beschrieben und zugleich als eine trotzige, widerständische Gemeinschaft, die das kollektiv erlittene Schicksal zusammengeschweißt habe. Die Heimat wird als etwas Außergewöhnliches und Rebellisches aufgewertet und zur Folie des Selbstbildes von Selbsterhöhung und Opferstilisierung (Größen- und Verfolgungswahn). In dieser Beschreibung findet sich fast immer die positive Herausstellung angeblicher Eigenarten und Besonderheiten der dort lebenden, beziehungsweise dort angestammten Menschen. Gerade Fußballfans verstehen sich häufig als RepräsentantInnen eines besonderen regionalen »Menschenschlags«, der sich vor allem durch Widerspenstigkeit, Unbeugsamkeit, Schlagkräftigkeit, Trinkfestigkeit, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit auszeichnet.“

So ist die Heimat im Grunde bei vielen nicht nur ein realer Ort, sondern ein Sehnsuchtsort und damit eine Projektionsfläche. Er steht für den Rückzug in das (scheinbar) Altbekannte und Vertraute.

Ein Beispiel wäre das Dorf, was bei vielen als die Metapher für Heimat steht. Dabei ist der Zustand auch ländlicher Regionen nicht so starr, wie viele HeimatschützerInnen es gerne sehen würden. Die kapitalistische Globalisierung hat in Westdeutschland und nach 1990 auch in Ostdeutschland nie einen Bogen um diese als Heimat abgegrenzten Inseln gemacht. Fastfood-Imbisse, Handyshops oder Shell-Tankstellen gibt es in Deutschland natürlich auch in ländlichen Regionen.

Die idyllischen Gemeinschaften, wie Dörfer gerne gesehen und in Magazinen wie „Landlust“ abgebildet werden, existieren in Wahrheit so nicht. Es handelt sich eher um Sehnsuchtsorte und Projektionsflächen für gestresste Stadtmenschen.

Völkische Heimat

In der „Grauzonen“-Broschüre wird ebenfalls auf das Heimatverständnis von rechts näher eingegangen. Da es sich um eine inhaltlich kluge Analyse handelt, soll ein größerer Abschnitt nachfolgend zitiert werden:

„Im (extrem) rechten Denken ist der Begriff Heimat omnipräsent. Dort herrscht, so schreibt der Journalist Patrick Gensing, »ein gemeinsames Verständnis von Heimat als einmalige und unveränderliche Identität und Herkunft. Heimat kann man sich demnach nicht aussuchen, vielmehr existiert eine schicksalhafte Verbindung zwischen dem Boden, einer starren Kultur sowie den Menschen, die dort geboren wurden.«
In diesem Heimatbegriff sind drei Motive miteinander verflochten:
– Heimat als Blut-und-Boden-Mythos (völkische Heimatkonstruktion),
– Heimat (synonym zu Volk) als Schicksalsort und Schicksalsgemeinschaft,
– Heimat als Territorium (Herrschaftsgebiet männerbündischer Kampfgemeinschaften).
Je geschlossener das rechte Weltbild ist, desto exklusiver werden Heimat, Volk und Nation konstruiert, desto stärker wird »Heimat« pathetisch und mythisch aufgeladen und zur emotionalen Bezugsgröße.

[…]

In den rechten Lebenswelten taucht der Bezug zur Heimat immer wieder auf. Die Anschlussfähigkeit des hier benutzten Heimatbegriffs zu extrem rechten Ideologien stellt sich her:
– wenn Heimat stärker über Exklusion, denn über Inklusion festgelegt wird,
– wenn die Bewahrung der Heimat zu einem prägenden Denk- und Handlungsprinzip wird,
– wenn Heimat als homogene Gemeinschaft konstruiert wird,
– wenn Heimat als etwas Statisches und Natürliches empfunden wird,
– wenn Heimat romantisiert, mythifiziert und pathetisch aufgeladen wird,
– wenn die Zugehörigkeit des Individuums zur Heimat und gleichberechtigte Teilhabe anhand der Kriterien von Abstammung und/oder ethnischer Zuordnung bestimmt wird,
– wenn von als »fremd« definierten Menschen zur Erlangung von Zugehörigkeit und Teilhabe eine Assimilierung und Erbringung besonderer Leistungen verlangt werden.

[…]

Im völkischen Verständnis ist Heimat mit Nation und (Bluts-)Volk gleichgesetzt. Im Gleichklang von Volk und Heimat wird eine Gemeinschaft beschrieben, die vor allem durch Abstammung verbunden sei. Einen Bezug auf die politische Kategorie des »Staatsvolkes« gibt es darin nicht. Die Vorstellung von »Volk« und »Volksgemeinschaft« ist der dezidierte Gegenentwurf zu »Gesellschaft«. Behauptet wird, der Mensch habe – sofern er seinem »wahren« Wesen nicht entfremdet sei – eine »natürliche«, symbiotische Beziehung zu Volk und Heimat und könne ohne diese keine Zugehörigkeit finden. Der unmittelbare Sozialraum (Dorf, Stadtteil) wird als »Organ« im »Volkskörper« verstanden. Mit den Sinnbildern von Volkskörper und Verwurzelung und der Gleichsetzung von Menschen und Bäumen, die man gleichsam nicht verpflanzen könne, greift man auf biologistische Erklärungsmuster zurück (› Reduktion des Politischen / Patriotische Musik auf der Fanmeile). Das völkische Heimatverständnis wird häufig mit den Vorstellungen von soldatischer Männlichkeit und Ehre verbunden, die einem gebieten würden, für die Heimat sein Blut zu geben.“

Auch die extrem rechte „Identitäre Bewegung“ (IB) bezieht sich stark auf den Begriff „Heimat“. Hier wurde offenbar bewusst ein Begriff gewählt, der bei fast allen emotional sehr positiv besetzt ist. Da wird von der IB laut skandiert „Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ und damit so getan als ob das irgendwo behauptet wird. Dabei geht es in Wahrheit um nicht um die Kriminalisierung, sondern um die Kritik an Nationalismus und dem völkischen Heimat-Begriff. Gruppen wie die Identitären verstehen nämlich Heimat im Grunde als eine exklusive Heimat nur für weiße Deutsche.

Ähnliches ließe sich zu der in Deutschland sehr populären italienischen Band „Frei.Wild“ sagen, die ihr völkisches Heimat-Verständnis als unpolitischen Begriff verkauft und jede Kritik daran abwehrt.

Alles Heimat oder was? Heimat als Marketing-Begriff

„Deutsche kauft deutsche Bananen.“
Kurt Tucholsky

Interessanterweise reagieren kapitalistische Unternehmen auf die von ihnen mit verursachten Probleme und die dadurch entstandene Sehnsucht nach Heimat indem sie sich diese Sehnsucht in der Werbung zunutze machen. Mit dem Label „Heimat“ wird heutzutage eine schier unüberschaubare Produktpalette versehen, zur Förderung des Verkaufserfolgs.

Die billig zu habende Tümelei wird gezielt als Marketing-Strategie zur Produktbewerbung eingesetzt. Dabei wir mit Bildern gearbeitet, die in der Realität nicht (mehr) existieren.

Die kleinteilig und persönlich betriebene Landwirtschaft, die uns so gerne in der Werbung vorgeführt wird, ist eher die Ausnahme. Die Regel ist dagegen eine hochindustrialisierte Landwirtschaft, die mit Pesti-, Fungi- und Insektoziden Monokulturen und ökologische Wüsten schafft. Statt der Bäuerin, die von Hand eine Kuh melkt, sind es Melkroboter, die den Kühen die Milch abzapfen. Das Bild der Bäuerin, die noch von Hand eine Kuh melkt, soll die industrielle Landwirtschaft verdecken. Gerade im konsumbewussten Teil der deutschen Mittelschicht wird diese offenkundige Lüge gerne geglaubt. Die durchaus sinnvolle, da ressourcensparende Entscheidung vor allem lokale Produkte zu kaufen wird hier erweitert um den Faktor, damit der Heimat einen Gefallen zu tun. Dabei sind auch viele (scheinbar) lokale und ökologische Produkte keine Erzeugnisse kleiner oder gar selbstverwalteter Betriebe.

Heimat als Mobilisierungs-Faktor der politischen Mitte

Im Anfang Februar 2018 bekannt gewordenen Koalitionspapier der „Großen Koalition“ ist ein Heimatministerium vorgesehen. Horst Seehofer (CSU) wechselt als dazugehöriger Innen- und Heimatminister nach Berlin. Es ist bisher unklar, was er genau als Heimatminister tun wird. Frühere Aussagen von ihm, lassen aber nichts Gutes ahnen. Bereits 2010 klagte der damalige CSU-Chef: „Kreuze raus aus dem Klassenzimmer, Imame weihen öffentliche Gebäude ein, japanische Autos auf den Straßen – das ist nicht unser Bayern.“

Doch der CSU-Funktionär ist nicht der einzige, der die Heimat für sich als politischen Mobilisierungs-Faktor entdeckt hat.

Der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) schrieb in einem Meinungsbeitrag mit dem Titel „Sehnsucht nach Heimat. Wie die SPD auf den Rechtspopulismus reagieren muss“ für das Spiegel-Magazin am 16. Dezember 2017: „Ist der Wunsch nach sicherem Grund unter den Füßen, der sich hinter dem Begriff ›Heimat‹ hier in Deutschland verbindet, etwas, was wir verstehen, oder sehen wir darin ein rückwärtsgewandtes und sogar reaktionäres Bild, dem wir nichts mehr abgewinnen können? Ist die Sehnsucht nach einer ›Leitkultur‹ angesichts einer weitaus vielfältigeren Zusammensetzung unserer Gesellschaft wirklich nur ein konservatives Propagandainstrument, oder verbirgt sich dahinter auch in unserer Wählerschaft der Wunsch nach Orientierung in einer scheinbar immer unverbindlicheren Welt der Postmoderne?“

Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, twitterte 2017 mehrmals zum Thema Heimat: „Die Sehnsucht nach ‘Heimat’, nach Zuhause, danach sich zurechtzufinden, sicher zu sein, ist als solche nicht reaktionär, aber sie läßt sich für eine reaktionäre Agenda mißbrauchen.“ „Wir lieben dieses Land. Das ist unsere Heimat. Und diese Heimat spaltet man nicht.“ „Sicher, wir sollten den Stolz auf unsere Heimat nicht den Rechten und den Deutschtümelanten überlassen.“

In seinem Artikel und in ihren Tweets verwenden Gabriel und Göring-Eckardt den Begriff Heimat beispielhaft zur politischen Mobilisierung. Göring-Eckardt appelliert an die Heimatliebe ihrer Follower. Dabei ist sie sich der Problematik des Begriffs Heimat bewusst und versucht einer rechten Bezugnahme vorzubeugen, indem sie sich von „Rechten und […] Deutschtümelanten“ absetzt. Doch sie selber verwendet in ihren Tweets einen tümelnden Begriff von Heimat und Land. Denn ihre Ansprache ist kollektiv und emotional („Wir lieben dieses Land.“). Weiter appelliert sie an die Einheit („diese Heimat spaltet man nicht“), die nur durch den positiven Bezug auf die Heimat hergestellt wird. So werden reale Unterschiede in Bezug auf Klasse, Geschlecht, politische Ausrichtung usw. überdeckt, denn alle sind bei ihr ja Teil der Heimat. Die einzigen, die da stören sind eigentlich nur solche, die diesen Bezug ablehnen. Hier kommt die emotionale Bindung an den Begriff „Heimat“ zur Wirkung, weil sie jede Kritik an Heimat, an spezifischen Aspekten in einer Region oder die Ablehnung des Lokalismus als persönlichen Angriff einordnet. Unter Konservativen wurden diese KritikerInnen früher als „heimatlose Gesellen“ oder „NestbeschmutzerInnen“ beschimpft. Mag sein, dass die Fraktionschefin der Grünen keinen völkischen Heimatbegriff hat. Vermutlich will sie nicht nur eine Heimat für weiße Deutsche. Trotzdem ist auch ihre Verwendung des Begriffs eine reaktionäre. Sie benutzt den Begriff zur politischen Mobilisierung ähnlich wie bei einer nationalistischen Mobilisierung. Da sie auch von „Land“ schreibt, ist es tatsächlich nichts weniger als eine solche. Sie versucht lediglich die verbrauchten Begriffe Volk und Nation durch die unverbrauchteren Begriffe Heimat und Land zu ersetzen. In der Bedeutung und vor allem in ihrer zwangsintegrativen und mobilisierenden Funktion sind sich beide Begriffspaare sehr ähnlich.

Linke Heimatliebe?

Der Lokalismus findet sich stärker in ländlichen Regionen und sein Gegensatz wäre der Kosmopolitismus. Wobei der Stadt nicht ausschließlich der Kosmopolitismus zugeordnet werden kann. In manchen Stadtteilen existiert ein ausgeprägter Lokalismus, der sich schnell auch gegen Neuzugezogene richtet. Dieser Kiez- oder Veddel-Lokalpatriotismus ist insgesamt weniger bis gar nicht völkisch gefärbt als der Lokalismus auf dem Land und wird häufig auch von migrantischen und linken Gruppen mit getragen. Trotzdem ist er problematisch. Die Ab- und Ausgrenzung von bzw. zu Personen, die nicht als Teil der Heimat betrachtet werden, haben Nationalismus, rechter und linker Lokalismus häufig gemeinsam.

Wenn Neuzugezogene ohne Kenntnis des Individuums als „Schwaben“ oder „Yuppies“ kollektiv abgelehnt und angefeindet werden, dann ist auch hier eine Form von Fremdenfeindlichkeit zu entdecken. Die eigene Gruppe (ingroup) wird durch die Ablehnung der äußeren Gruppe (outgroup) überhaupt erst geschaffen und aufgewertet. Sich im vertrauten Stadtteil heimisch zu fühlen, ist erst einmal nachvollziehbar, sollte aber nicht im kollektiven Bezug auf einen ganzen Stadtteil enden und auch nicht in der Ablehnung bestimmter Gruppen von Neuzugezogenen. Auch dann nicht, wenn mit diesen Gruppen reale Probleme wie Mietsteigerungen einhergehen. Die Angehörigen dieser Gruppen sind Indikator einer Verschlechterung, aber als Individuen nicht dafür verantwortlich zu machen. Die Ablehnung so genannter ‚Yuppies‘ dient ohnehin manchen Linken der eigenen Aufwertung und steigert sich teilweise bis zur Gewalttätigkeit. Yuppie-Hass ist aber eher Teil eines verkürzten und personalisierten Antikapitalismus, denn Ausdruck einer sinnvollen Analyse und emanzipatorischer Politik.

Der in Fußballfangruppierungen, auch in linken Ultragruppen, kursierende Lokalismus ist ebenfalls nicht unproblematisch. Er schlägt schnell in Aggression um, wenn man sich nicht anschließt oder zu einer anderen Gruppe gerechnet wird. Wenn sich dann Fans aus von Fußballvereinen aus verschiedenen Städten gegenseitig beschimpfen oder angreifen, offenbart sich das Gewaltpotenzial schnell.

Realer Heimatverlust

Es wäre ignorant, nicht zu sehen, dass für Flüchtlinge wie z.B. Linke und Jüdinnen und Juden, die in den 1930er Jahren aus Nazi-Deutschland fliehen mussten, der Begriff Heimat für den Verlust und das Herausgerissen-Sein aus einer vertrauten Umgebung steht. Heimat wird hier mit Vertrautheit assoziiert. Beispiele wären Rose Ausländers Sehnsucht nach der Bukowina oder Mascha Kalékos Sehnsucht nach Deutschland. In der Exil-Literatur der 1930er und 1940er Jahre ist viel von der Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zu spüren. Andererseits ebenso viel Zorn über das Ausgestoßensein von dieser. Es ist oft keine reine Heimatliebe, sondern eine Hassliebe zur Heimat, die die SchriftstellerInnen im Exil bewegte. Die meisten wussten bewusst oder unbewusst um die Mehrheitsverhältnisse in Nazi-Deutschland, das zwar eine Diktatur war, als solche aber auf der Zustimmung der meisten Deutschen aufbaute. Auch nach dem Ende dieser Zustimmungsdiktatur, war bei vielen, sofern sie die NS-Besatzung ihrer Fluchtländer überlebten, die Rückkehr nach Westdeutschland häufig geprägt von Enttäuschung. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat blieben viele Ausgestoßene und AußenseiterInnen. Die in die DDR zurückgekehrten ExilantInnen wurden häufig ebenso misstrauisch beäugt und besonders die RemigrantInnen aus dem Westen waren in den 1950er Jahren Ziel einer stalinistischen Säuberungskampagne, die zum Teil antisemitische Züge annahm.

Der Verlust der Heimat und die Klage darüber war auch jahrzehntelang das bestimmende Thema der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik. Dabei wurde aber von ihnen ihre Flucht, Vertreibung und Umsiedlung meist entpolitisiert und entkontextualisiert. Teilweise wurde über ihr erzwungenes Verlassen der Heimat geschrieben wie über eine Naturkatastrophe. Doch die „Rote Armee“ kam nicht zufällig nach Ostpreußen und viele flohen, weil sie wussten wie die deutsche Besatzung in Osteuropa gewütet hatte. Offiziell wurden aber die Umstände nicht benannt, die zu diesem Verlust der Heimat führten: Der Rasse- und Vernichtungskrieg, den die Deutschen im Osten führten. Zumal sich in der ersten Generation der Funktionärsriege der Vertriebenenverbände überwiegend altes NS-Personal wiederfand, das sich alte Welt- und Feindbilder bewahrt hatte. Statt sich mit der eigenen Schuld bzw. der einer ganzen Generation auseinanderzusetzen, wurde in den Vertriebenenverbänden ein einseitiger Opfer-Diskurs gepflegt. Dieser wird mit Abstrichen bis heute weitergeführt, etwa indem so getan wird als seien die deutschen Ost-Vertriebenen und -Flüchtlinge die letzten Opfer Hitlers. Im Gegensatz dazu haben die tatsächlich vor Hitler und seiner Volksgemeinschaft Geflohenen ihre Flucht nie entpolitisiert und entkontextualisiert. Es gibt zwar bei manchem und mancher viel Nostalgie und auch (enttäuschte) Vaterlandsliebe, doch die Gründe für die Flucht werden von den Flüchtlingen aus NS-Deutschland immer klar benannt. Es war die deutsche Volksgemeinschaft, die sie aus politischen, antisemitischen oder rassistischen Gründen verstoßen und vertrieben hatte.

Heimat und solche, die aus ihrer Enge entfliehen

Die mit Heimat verbundene positive Emotionalität macht aus dem Begriff eine Art Plüschbegriff. Der Appell an die Heimatliebe ist billig, auch weil er beliebig ausdeutbar und günstig zu haben ist. Jeder und jede kann den Begriff für ihre und seine Zwecke nutzen. Auch der scheinbar unpolitische Heimat-Begriff kann nicht nur positiv gesehen werden. Was für die Eine Ordnung, Überschaubarkeit und Vertrautheit bedeutet, ist für den Anderen Enge und Kleingeistigkeit. Besonders in kleinen Gemeinschaften wie Dörfern wird abweichendes Verhalten schnell registriert und sanktioniert. Gerade für viele Unangepasste und kosmopolitische Eingestellte kann die (geistige) Enge von Heimat ein negativer Abschnitt in ihrer Biografie darstellen. LSBTTIQ*, rebellische Jugendliche, selbstbewusste Frauen* kehren ihrer Heimat deswegen häufig den Rücken. Für sie ist der Leidensdruck hier höher als für KonformistInnen. Manche der NonkonformistInnen flüchten geradezu vor den erstickenden Zuständen in kleinen Orten. Etwa Angehörige linksalternativer Subkulturen, die permanent neonazistischer Gewalt ausgesetzt sind, die von dem Rest der Bevölkerung ignoriert oder gar toleriert wird.

Fazit: Keine Heimat, nirgends

Wie gezeigt wurde, ist der Begriff Heimat meist nicht unpolitisch oder unproblematisch. Heimat ist in Deutschland in den letzten Jahren erkennbar zu einem Ersatzbegriff der Rechten für Nation und Volk geworden und zunehmend nimmt auch die politische Mitte darauf Bezug. Hieß es früher „Deutschland über alles“, so heißt es heute eher „Heimat über alles“. Ein neuer Begriff für ein positives Wir-Gefühl. Da der Begriff vieldeutiger ist und bei vielen positiv besetzt ist, verhallt der rechte Appell an die Heimatliebe nicht ungehört. Auch etablierte PolitikerInnen stimmen verstärkt mit ein oder glauben das tun zu müssen.

Als analytischer Begriff ist „Heimat“ zu vieldeutig und zu emotional gebunden, um ihn verwenden zu können. Ebenfalls nicht taugt er als Begriff zum politischen Appell für emanzipatorische Zwecke. Auch wenn nicht-rechte PolitikerInnen oder Unternehmen ihn zur Mobilisierung einsetzen, ist er mehr als fragwürdig. Schon allein, weil seine völkische Deutung als Möglichkeit immer mitschwingt.

Andererseits kann der Begriff „Heimat“ nur das unmittelbare Zuhause einer einzelnen Person bezeichnen. In dieser Bedeutung ist der Begriff erst einmal unproblematisch, ist aber nicht geeignet damit Politik zu machen. Auch sollte nicht ignoriert werden, dass der Verlust von Heimat durch Flucht und Vertreibung für Menschen ein traumatisches Erlebnis ist. Doch sollten hier immer Kontexte benannt werden, um eine zeitgeschichtliche Einordnung zu gewährleisten.

So verbietet sich für eine emanzipatorische Linke ein positiver Heimat-Bezug. Es gibt keine erkennbare fortschrittliche Aneignung des Begriffs. Theodor W. Adorno meinte einst: „Es gibt keine Heimat mehr als eine Welt, in der keiner mehr ausgestoßen wäre, die der real befreiten Menschheit.“ Wer sich also heute irgendwie positiv auf die Heimat bezieht, die/der verteidigt aktuelle Zustände.