Zu Besuch bei der Internationalen Deutschen Bodybuilding-Meisterschaft
Autoritäre Körperpanzer oder leichtfüßige Ästheten? Bei der Internationalen Deutschen Bodybuilding-Meisterschaft präsentierten sich eingeölte Muskelprotze in ihrer ganzen Pracht.
Von Minh Schredle
Offiziell hat das Posieren beim Bodybuilding keinen Einfluss auf die Bewertung der Preisrichter:innen. Doch bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft schien das Publikum auf Nummer sicher gehen zu wollen. »Arsch, Tim! Arsch!« rief eine nervöse Unterstützergruppe einem Athleten auf der Bühne zu, der bei der Präsentation seiner Muskeln offenbar das Gesäß vernachlässigte. Tim justierte nach und erntete anfeuernde Zurufe. Als dann die sogenannte seitliche Trizeps-Pose drankam, kannte die Begeisterung kein Halten mehr. »Jaaa, das ist unser Junge!« schrie einer.
Knapp 200 Athlet:innen gingen Anfang Dezember in der badischen Kleinstadt Wiesloch im Kongresszentrum Palatin an den Start – fast so viele, wie als Zuschauer:innen Platz nahmen. Besonders groß waren die Delegationen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg. Das leistungsscheue Berlin war nur mit vier Teilnehmer:innen vertreten, die zu Survivors »Eye of the Tiger« einliefen.
Auf der von Theodor W. Adorno mitentwickelten F-Skala gelten Kraftmeierei und die »übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit« als Erkennungsmerkmale der autoritären Persönlichkeit. Klaus Theweleit entwickelte in seinen »Männerphantasien« die These vom »Körperpanzer« als fleischlichem Schutzwall der faschistischen Männer gegen das Weiche und Zärtliche (Jungle World 49/2019). Das Ideal der soldatischen Männlichkeit übte schon immer eine ungemeine Faszination auf alte und neue Rechte aus. Da liegt der Verdacht nahe, dass die durch eiserne Disziplin gestählten Leiber des Bodybuildings ebenfalls eine einschlägige Klientel anlocken.
Tatsächlich waren im Wieslocher Publikum auch T-Shirts zu sehen, die Sprüche zierten wie: »Be harder to kill!« Ein Athlet hat sich den auch bei der Wehrmacht geschätzten Leitspruch »Klagt nicht, kämpft!« auf den Nacken tätowiert.
Doch schien es sich dabei eher um Randerscheinungen zu handeln. Und wenn die Athlet:innen in der freien Kür ihre Lieblingsposen vorführten, tänzelten die robusten Muskelberge oft ver blüffend leichtfüßig, geschmeidig, ja grazil umher, während dazu Adele oder Britney Spears lief. Die Kombination aus Anspannung und Eleganz ließ unweigerlich ans Ballett denken.
Bodybuilding, die Linke und das Weiche und Zarte
Das Bodybuilding wurde auch immer wieder von Linken vereinnahmt. Die US-amerikanische Feministin Ann Crittenden Scott forderte schon 1974, den »muscle gap« zu schließen. »Von allen Formen der Unterdrückung, die im Lauf der Jahrhunderte des Paternalismus schwer auf der Frau lasteten, war die Verleugnung ihrer Körperkraft vielleicht die perfideste«, schrieb sie. Das Weiche und Zarte werde in traditionellen Rollenbildern mit Weiblichkeit verbunden. Ein muskulöser Bizeps und breite Schultern gälten dagegen als Symbole für Durchsetzungskraft, die Männer attraktiv machen soll, aber bei Frauen nicht zum konventionellen Schönheitsideal zählt. Das Patriarchat halte Frauen davon ab, ihre eigene Körperstärke zu entdecken und zu kultivieren.
Verena Kentzia hat einen V-förmigen Oberkörper und dickere Oberarme als die meisten Männer. Seit einem guten Jahr mache sie richtig ernst, sagt sie der Jungle World. Trainiert habe sie davor auch schon, aber »nicht so diszipliniert«. An fünf Tagen pro Woche stünden stundenlange Einheiten auf dem Programm. Das sei fast wie eine zweite Vollzeitarbeit.
Sechs Monate nichts Süßes gegessen
Ihre Motivation beschreibt sie folgendermaßen: »Ich habe zu Hause zwei Kids, und denen wollte ich mal zeigen, wie man durch Fleiß und Anstrengung ehrgeizige Ziele erreichen kann.« Es war ihre erste Teilnahme an der Internationalen Deutschen Meisterschaft. Sie trat an in der Figurenklasse »Fitness II über 165 Zentimeter« und landete auf dem fünften Platz. Nun wolle sie sich im nächsten Jahr noch härter anstrengen und vielleicht einen Titel gewinnen.
Selbst im Amateurbereich erfordert jede Medaille ein immenses Maß an Hingabe. Ein frisch gekürter Sieger, der seinen Namen nicht im Zusammenhang mit dieser Zügellosigkeit in der Zeitung lesen will, holt kurz nach seinem Triumph zwei Hefezöpfe aus einem Turnbeutel und inhaliert einen davon in Sekundenschnelle. Davor habe er sechs Monate nichts Süßes gegessen, sagt er. Sein Ernährungsplan sei eine Wissenschaft für sich. Michaela Pitzner, gerade zur Internationalen Deutschen Meisterin in der Kategorie Fitness Figur gekrönt, muss sich noch etwas gedulden, bis sie sich gehen lassen kann. Für sie steht noch ein Wettbewerb in Rom an, ihr zehnter in diesem Jahr – »und danach erst mal Pizza!«, sagt sie bei der Preisverleihung mit sichtlicher Vorfreude. Wie viele andere Teilnehmerinnen kombiniert Pitzner gestählte Muskeln mit Nagellack, Ohrringen und Lippenstift.
Strukturiertes und ritualisiertes Leben
Der Kunstwissenschaftler Jörg Scheller meint, die Gegenwart zeichne sich durch die »Koexistenz verwirrender Hybride« aus – da seien harter Drill und Beauty Nails nicht zwangsläufig ein Widerspruch. Scheller hat seine Dissertation über den Körper von Arnold Schwarzenegger verfasst. Er unterrichtet seit 2012 an der Zürcher Hochschule der Künste und ist selbst »Teilzeit-Bodybuilder«. Dieser Sport, so erzählt er der Jungle World, ziehe Menschen an, »die ein strukturiertes und ritualisiertes Leben schätzen«, mit der Bereitschaft, »permanent an sich zu arbeiten – kontrolliert, diszipliniert, systematisch, über viele Jahre«. Ansonsten sei Body building aber ideologisch unbestimmt. Das zeige auch das Beispiel Schwarzenegger: Der habe politisch schon alle möglichen Haltungen vertreten, von rechtskonservativ bis linksliberal. Der autoritäre Charakter feiert Scheller zufolge zwar Härte, verlange aber auch den Kraftbeweis. Darauf verzichteten die Bodybuilder bei der Bühnenpräsentation. Ihre Körper seien »nur als Bilder hart. In der Realität werden sie gehegt und gepflegt wie kostbare Kunstwerke.« Das sei nicht gerade heroisch. Und 1946, als die erste eigenständige Bodybuilding-Liga gegründet worden ist, seien Bodybuilder noch als »Boobiebuilder« verspottet worden: effeminierte Männer, die an ihrer Brust arbeiten.
»Große Bodybuilding-Familie«
Guido Falk ist Geschäftsführer beim Deutschen Bodybuilding und Fitness-Verband (DBFV), der die Internationale Deutsche Meisterschaft ausrichtet. Das Bodybuilding, sagt er der Jungle World, mache man vor allem für sich selbst: um an sich zu arbeiten, Schritt für Schritt die Grenzen des Möglichen zu verschieben, wieder und wieder über sich hinauszuwachsen. Er selbst hat allerdings ein anderes Hobby: das Springreiten. Falk kann auch beantworten, warum die Meisterschaft des DBFV zugleich »international« und »deutsch« ist. Das habe einen historischen Hintergrund grund. Als sich der DBFV 1966 gründete, sei das Bodybuilding auch unter den damals so genannten Gastarbeitern beliebt gewesen. Wenn jedoch ein Italiener Deutscher Meister geworden wäre, hätte das damals noch zu viele Befindlichkeiten gekränkt. Also habe man die Internationale Deutsche Meisterschaft ins Leben gerufen, bei der man unabhängig von der Staatsangehörigkeit mitmachen kann.
Falk spricht von der »großen Bodybuilding-Familie«. Und in der Tat fällt auf, dass die Athlet:innen zwar einen starken Hang zur Selbstoptimierung an den Tag legen – das Konkurrenzdenken scheint dabei jedoch nicht besonders ausgeprägt zu sein. Bei der Meisterschaft sah man häufig, wie sich Konkurrenten gegenseitig anfeuerten. Wenn sie bei der Medaillenvergabe leer ausgingen, provozierte das keinerlei Tobsuchtsanfälle. Die meisten wirkten, als würden sie ihren Kontrahent:innen den Sieg aufrichtig gönnen.
Doping extrem verbreitet
Dennoch ist gerade im Profi-Bereich das Doping extrem verbreitet. Der Arzt Luitpold Kistler forscht zu den Nebenwirkungen von anabolen Steroiden. Er schätzte er den Anteil von Anabolika Konsument:innen im Hochleistungs Bodybuildung auf genau 100 Prozent. Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft treten allerdings ausschließlich Amateur:innen an. Falk hofft, dass die auf Spritzen verzichten. Das Ziel von Fitness sei doch eigentlich, einen gesunden und sportlichen Lebensstil zu fördern. Steroide bergen etliche Gefahren für die Gesundheit, sie erhöhen das Risiko eines plötzlichen Herztods drastisch, auch in jungen Jahren (Jungle World 19/2022). Bei ihren Meisterschaften würden alle Teilnehmenden auf externe Merkmale unter sucht, zum Beispiel die typische Anabolika-Akne, sagt Falk. Flächendeckende Tests gebe es jedoch nicht. Bei dem Verein werde alles ehrenamtlich erledigt, Geld sei immer knapp.
Jörg Scheller zufolge ist der Anabolikagebrauch auch im Amateurbereich sehr verbreitet. Seiner Ansicht nach geht es beim Bodybuilding gar nicht um die Gesundheit, »sondern um die Erzeugung möglichst beeindruckender Bilder und Skulpturen – und dafür werden, ähnlich wie im Mythos vom romantischen, sich selbst zerstörenden Künstler, gesundheitliche Kollateralschäden durch Doping in Kauf genommen«. Um Geld gehe es meistens auch nicht – reich werde man mit Bodybuilding nur sehr selten.
Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft gab es dieses Jahr zu jedem Titelgewinn ein Preisgeld von 300 bis 1 000 Euro. Das sind 300 bis 1 000 Euro mehr als in den Vorjahren, aber davon leben kann man natürlich nicht. Wer das Hobby zum Beruf machen will, muss sich also um Sponsoring und Werbeverträge bemühen: den eigenen Körper nicht nur zum Kunstwerk formen, sondern auch als Marke vermarkten, damit er zur Werbefläche für Produkte wie »Top Tan« werden kann – ein Selbstbräuner, der verspricht, die »Farbe des Erfolgs« in Flaschen abzufüllen.
Entsprechende Beauty-Produkte sind bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft sehr gefragt. Mit ihrer Hilfe werden die muskulösen Körper bühnenfertig gemacht. Für die Extra portion Glanz greifen Frauen wie Männer zudem auf Babyöl und Honig zurück.
»Es ist nie zu spät!« versuchte ein Werbeplakat im Kongresszentrum die älteren Semester zum Hantelstemmen zu animieren. Zu sehen ist ein KI-generiertes Bild eines grauhaarigen Herren, der beim Training eine Zigarre raucht. All die Leute, die sich mit strikter Disziplin und rigoroser Genussmittelabstinenz in lebendige Skulpturen verwandelt haben, wurden hier von einem Computerprogramm ausgestochen. Harte körperliche Arbeit wird heutzutage oft von Maschinen erledigt, nun übernehmen sie auch die Bilderproduktion. Doch die Mühe, die es kostet, den eigenen Körper zu formen, kann einem niemand abnehmen.
[zuerst erschienen in Jungle World 2025/51 v. 18.Dezember 2025]