Vortrag von Karsten Krampitz
gehalten am 19. Oktober 2017 in Stuttgart
Die ersten vier Jahrhunderte ihrer Geschichte standen die evangelischen Kirchen unter dem „landesherrlichen Regiment“ und dementsprechend immer auf der Seite der Obrigkeit. Doch mit der Weimarer Reichsverfassung wurden die Kirchen in die Freiheit entlassen. Die Entwicklung des deutschen Protestantismus nach 1918/19, mit allen Irrwegen und Verwerfungen, ist von einer neuen Qualität.
Der Schriftsteller und Historiker Karsten Krampitz hat eine kritische Überblicksgeschichte der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) und ihrer Vorläuferorganisationen geschrieben. Er beschäftigt sich mit deren Rolle als Sargnagel der Weimarer Republik und untersucht, warum sich kein anderes Sozialmilieu so offen und aufnahmebereit für die Ideologie der Nazis zeigte wie das kleinbürgerlich-evangelische. Anhand neuer Quellen und Dokumente erzählt er von der Mittäterschaft der Kirche an der Ermordung der europäischen Juden und entlarvt die Schilderung vom Widerstand der Bekennenden Kirche im Dritten Reich als Lebenslüge der EKD. Für die Zeit nach dem Krieg zeigt Krampitz, dass es auch in der Kirche keine Stunde Null gab und bis in die 1960er Jahre hinein die alten Eliten vorherrschten. Ausführlich geht er auf die besondere Entwicklung der evangelischen Kirche in der DDR ein. Während sich die EKD in Westdeutschland dem Staat andiente, die Wiederaufrüstung durch den Militärseelsorgevertrag begleitete und in ihren Erziehungsheimen schlimmstes Unrecht beging, geriet der ostdeutsche Protestantismus zunehmend in die ideologische Diaspora. Auch der 1969 gegründete Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR litt an Mitgliederschwund, bekam aber gleichzeitig immer mehr Zulauf.
Karsten Krampitz studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin; Promotion zum Thema des Verhältnisses von Staat und Kirche in der DDR.