Von Jonas Bayer
Sahra Wagenknecht hat es geschafft. Künftig wird sie – zusammen mit Dietmar Bartsch – die Bundestagsfraktion der Linkspartei leiten. Um einen Rückschritt handelt es sich nur deshalb nicht, weil mit einer solchen Einschätzung impliziert wäre, dass die Linkspartei insgesamt progressiv ausgerichtet sei. Da dies nicht der Fall ist, haben wir es eher mit einem besonders grellen Ausdruck allgemeiner Regression zu tun. Wenn hier festgestellt wird, dass Wagenknechts Positionen nichts sind als reaktionär, so handelt es sich keineswegs um Kritik an einer einzelnen Politikerin: Jedes Wort gegen sie gilt genauso der Partei, in der solche „ideologische Verwahrlosung“ (Robert Kurz) von Kritik nahezu unbeschadet Karriere macht.
Bei oberflächlicher Betrachtung hat sich das Weltbild Wagenknechts in den letzten 25 Jahren stark gewandelt. Tatsächlich ist die scheinbar wundersame Neupositionierung nur logische Konsequenz der regressiven Grundsätze, denen Wagenknecht schon immer sich verschrieben hatte, und ihre Rhetorik offenbart einen Opportunismus, der sich – anders als der als gemäßigt geltender Genossinnen und Genossen – nicht an liberale Eliten anzuschmiegen gedenkt, sondern umso hemmungsloser an das Wahlvolk. Ob Wagenknechts Bewunderung Josef Stalin gilt oder Ludwig Erhard, stets bleibt sie dem affirmativen Bezug auf Staat, Nation und Arbeit so treu wie dem irrationalen Hass auf die USA, in den sich zunehmend verschwörungsideologische Untertöne mischen. Umso abstoßender sind solche inhaltlichen Positionen, denen jeder Faschist beipflichtete, wenn sie, ihrem hemmungslosen Konformismus zum Trotz, in oppositioneller Pose vorgetragen werden.
Als Stalinistin war Wagenknecht noch etwas sympathischer als heute. Einerseits, weil sie damals – trotz der konformistischen Inhalte – noch nicht über eine so große Basis an Unterstützerinnen und Unterstützern verfügte. Der positive Bezug auf den autoritären Massenmörder, der hierzulande als Verkörperung des Kommunismus gilt, ließ Wagenknecht isoliert zurück. Als bekennende Kommunistin machte sich die Treiberin des Ressentiments selbst zu dessen Zielscheibe, eine Schwäche, der sich Wagenknecht mittlerweile entledigt hat. Darüber hinaus war sie zwar als Anhängerin des Marxismus-Leninismus bereits eine glühende Verfechterin von Staat und Arbeit. Aber wenigstens das Kapital und seine selbstzweckhafte Verwertung lehnte die damalige Stalinistin noch vollständig ab. Heute spaltet sie eben dieses Kapital stattdessen auf: Einerseits in eine „Finanzmafia“ [1], die es zu bezwingen, andrerseits eine „Realwirtschaft“ [2], die es zu unterstützen gelte. Wo genau da der Unterschied zur nationalsozialistischen Dichotomie von konstruktiv-schaffendem und destruktiv-raffendem Kapital sein soll, wird wohl Wagenknechts Geheimnis bleiben.
Ihr großes Lebensthema, das die Transformation von der Neo-Stalinistin zur Apologetin der „sozialen Marktwirtschaft“ [3] wie zufällig unbeschadet überstanden hat, ist der von Empirie und Reflexion unbeirrbare Hass auf die USA. Wagenknecht selbst wirft diesen eine „bewusste […] Destabilisierungspolitik“ [4] im mittleren Osten zu betreiben vor, unterstellt also, dass die heutige Situation, tausende Tote, Verwundete, Obdachlose, Verstümmelte und Fliehende inbegriffen, absichtlich von amerikanischer Außenpolitik herbeigeführt worden wäre. Noch weiter geht ein von Wagenknecht zustimmend verbreiteter [5] Artikel der rechtspopulistischen DWN, der nicht nur den Vorwurf wiederholt, die USA hätten die Region „gezielt destabilisiert“, sondern auch von dem finsteren Motiv hinter dieser amerikanischen Politik zu berichten weiß: Es ginge darum, Russland durch eine künstlich erzeugte „Flüchtlingswelle“ zu „zerstören“. Der Untergang Europas würde dabei von den USA billigend in Kauf genommen. Das ist nicht nur Antiamerikanismus, nicht nur Verschwörungsideologie, sondern auch plumpe Fremdenfeindlichkeit, der Wortwahl nach nicht weniger als dem Inhalt. Einer Naturkatastrophe gleich brechen fremde Menschenmassen über das dem Untergang geweihte Abendland herein, während der ewige Amerikaner die Fäden zieht: Ist das jetzt eher Pegida-Propaganda, oder eher Endgame-Agitation?
Deren Zustimmung kann sich Wagenknecht ebenfalls zu Recht sicher sein, wenn sie den konsequenten Schritt vom irrationalen Hass auf die USA zur Affirmation des eigenen Zwangskollektivs geht. Nicht genug, dass diese Linksnationalistin der NSA „deutsche Interessen“ dichotom gegenüberstellt, als hätte deren Durchsetzung jemals einen Beitrag zu Emanzipation geleistet. Um den konformistisch revoltierenden Wutbürgerscharen verschiedener Couleur ein noch eindeutigeres Signal zu senden, erklärt sie den deutschen Staat zusätzlich in reichsbürgerlicher Manier zur „US-Kolonie“ [6] und bekennt sich an anderer Stelle zu einer „souveräne[n] Außenpolitik“ [7]. Denn was – von so ziemlich allem abgesehen – könnte linker Politik eher erstrebenswert sein, als ein selbstbewusst, souverän und im eigenen Interesse agierendes Deutschland?
Abschließend ist eine peinliche Entschuldigung fällig. Ich bedauere, je eine Partei gewählt zu haben, in der Menschen wie Sahra Wagenknecht und Diether Dehm, der diesem Text genauso als Objekt hätte dienen können, den Ton angeben. Zur Verteidigung kann ich bestenfalls jugendliche Naivität vorbringen. Es wird, so viel ist klar, nicht wieder vorkommen.
[1] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht?fref=ts
[4] https://www.youtube.com/watch?v=A6RgNYC9bV8
[5] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/posts/1139788666038529?hc_location=ufi
[6] https://twitter.com/swagenknecht/status/591226312687222784
[7] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/posts/1165921920091870
[Der Text erschien zuerst auf dem Blog Trotzalledem – kritische Zeitbetrachtung]