Bullshit-Arbeit, Klimakrise und das Versagen des Prinzips Gelderwerb

Von Lothar Galow-Bergemann

Statement auf der Podiumsdiskussion „Ökologische und soziale Frage zusammendenken! Und wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?“ des Vereins Teilhabe e.V. am 11. Mai 2023 in Berlin

Die ganze Veranstaltung wurde bei Radio Aktiv Berlin gesendet ist dort nachzuhören

Frage: Die Krisis-Gruppe hatte ja anfangs die Klimakrise nicht im Mittelpunkt. Was ist von ihrer Theorie trotzdem für die Klimabewegung interessant? Welchen Stellenwert hat eine Theorie aktuell in der Kooperation zwischen Klima- und Arbeiterinnenbewegung?

Die Klimakrise stand tatsächlich nicht im Mittelpunkt für krisis, als die Gruppe in den 80er Jahren entstand. Doch seit langem befasst sie sich auch ganz explizit damit. 2020 erschien z.B. das Buch „Shutdown. Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus“. Ich persönlich halte seit über zehn Jahren Vorträge wie „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte von Nachhaltigkeit schweigen. Warum wir mit ‚unserer Wirtschaft‘ nie eine nachhaltige Gesellschaft erreichen werden.“ Implizit war die Klimakrise allerdings von Anfang an bei krisis mitgedacht. Denn krisis geht davon aus, dass die Logik des Kapitals zwangsläufig in die globale Katastrophe führt, wenn es nicht gelingt, aus ihr auszusteigen. Krisis unterscheidet sich von anderen durch eine spezifische Krisentheorie (daher auch der Name). Kapitalistische Krise heute ist weit mehr als die bekannten „Überproduktions/Unterkonsumtionskrisen“ mit ihren schweren sozialen Folgen. Der Kapital-Ismus befindet sich in einer fundamentalen Systemkrise. Er untergräbt zunehmend seine eigene Grundlage – die Arbeit. Auslöser ist der historisch präzedenzlose Produktivkraftschub durch die Mikroelektronik, der in den 70er Jahren begann. Das Wissen wird zur maßgeblichen Produktivkraft. Die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft allein reicht für die Kapitalakkumulation nicht mehr aus, sie benötigt dafür zunehmend die Finanzmärkte. Das ist der Hintergrund für die Aufblähung der gigantischen Finanzblasen, von denen die Weltwirtschaft und damit unser aller Leben abhängt. Die Blasen werden immer größer und haben eine unangenehme Eigenschaft: sie können platzen – und mit ihnen die ganze Gesellschaft.

Die kapital-istische Logik einer Gesellschaft von Warenverkäuferinnen hat praktisch die ganze Welt durchdrungen. Die überwältigende Mehrheit der Menschen ist deswegen mehr denn je auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen. Doch deren sinkende Bedeutung für die Kapitalakkumulation hat zur Folge, dass sich ihre Verkaufsbedingungen unterm Strich seit Jahrzehnten verschlechtern. Das ist der objektive Hintergrund für die rückläufige Macht von Arbeiterbewegung und Gewerkschaften. Als Verkäuferinnen der Ware Arbeitskraft können sie nie wieder zu ihrer alten Stärke zurückfinden. Da sollte man sich auch nicht von einem vorübergehenden so genannten „Fachkräftemangel“ täuschen lassen. Zentral für die Theorie von krisis ist die Kritik der Arbeit. Sie unterscheidet strikt zwischen Arbeit und sinnvoller/nützlicher Tätigkeit. Und das ist keine Spitzfindigkeit. Denn wären wir sinnvoll tätig, würde sich unser Wirtschaften um den stofflichen Reichtum drehen, den wir zum Leben brauchen: Wohnung, Kleidung, Nahrung, Bildung, Gesundheit usw. Arbeit macht allerdings etwas völlig anderes: Sie ist Teil der Megamaschine aus ewigem Wachstum und Maximalprofit, deren Zweck es ist, aus Geld immer mehr Geld zu machen. Von dieser Megamaschine hängt die ganze Gesellschaft ab, auch die Arbeiterinnen selbst.

Der Chef eines großen Automobilkonzerns wurde einmal gefragt, ob er denn nicht wisse, dass es der Planet auf Dauer nicht erträgt, wenn er mit immer mehr Autos geflutet wird. Seine Antwort: „Ja, es gibt wahrscheinlich zu viele Autos, aber unser Problem ist, es gibt zu wenig BMW.“ Das müssen aber nicht nur die Chefs sagen, das muss die BMW-Arbeiterin auch sagen. Und sie kann tausendmal um die Klimakrise wissen und verstehen, dass der „ganze Laden“ auf die Wand zurast. Sie kann sogar ihr Auto abschaffen und nur noch mit dem Fahrrad fahren. Aber solange ihr Lebensunterhalt und der ihrer Familie davon abhängt, dass BMW möglichst viele von den Dingern verkauft, ist sie dazu verdammt, mit auf die Wand zu zurasen. Wenn wir die Welt nicht mit immer mehr schädlichen, gefährlichen und unnützen Betonbauten, Autos, Flugzeugen, Containerschiffen etc. zumüllen, gefährden wir unsere wirtschaftliche Existenz. Aber wenn wir es tun, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen.

Was bedeutet das für die Kooperation zwischen Klima- und Arbeiter*innenbewegung? Dass sich beide einer einfachen Wahrheit stellen müssen: Wir arbeiten viel zu viel Bullshit. Vieles muss ersatzlos wegfallen. Die Umstellung der Produktion ist notwendig. Aber wir können die Welt auch nicht mit unendlich viel Straßenbahnen überschwemmen. Es gibt keinen Klimaschutz ohne radikale Arbeitszeitverkürzung. Und umgekehrt. Das wird nie und nimmer mit „vollem Lohnausgleich“ gehen. Das „Prinzip Lebensunterhalt durch Gelderwerb“ hat keine Zukunft mehr. Wir müssen raus aus der Falle Arbeitsplatz. Und brauchen eine völlig andere Art des Wirtschaftens.

Frage: In Deutschland beginnt der ökologische Umbau- hin zu einem grünen Kapitalismus. Es fehlt die sozial-politische Flankierung. Viele Menschen haben Angst vor den Preissteigerungen und dass sie letztlich die Kosten des Umbaus tragen müssen. Wie kann der ökologische Umbau sozial abgefedert werden? Was zeichnet eine notwendige sozial-ökologische Transformation aus – und was unterscheidet sie von einem „grünen Kapitalismus“?

Es wird keinen grünen Kapitalismus geben. Wäre der möglich, hätten wir ihn nach einem halben Jahrhundert Nachhaltigkeitsdiskurs schon längst. Was es gibt, ist ein globales Wettrennen um die Profite und Wachstumsraten, die neue Technologien und Energieträger versprechen. Fortgeschrittene Technologien ermöglichen Ressourceneinsparung. Aber die Systemlogik macht das wieder zunichte. Der Wachstumszwang wird 8- und 10-spurige Autobahnen voller E-Autos und die Rente mit 80 bringen, damit „meine Firma“ mehr E-Autos baut als die Konkurrenz. Die Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen, besonders im Globalen Süden, wird weiter zunehmen.

Bezüglich der sozialen Folgen sind selbstredend erst einmal konkrete Geldforderungen zu stellen, z.B. das bedingslose Grundeinkommen. Aber dauerhafte soziale Abfederung bieten Geldleistungen nicht. Sie sind davon abhängig, dass die zerstörerische Megamaschine weiterläuft, aus der Profite und Steuereinnahmen stammen. Zudem sind sie für den größten Teil der Menschheit in den ärmeren Weltregionen völlig unrealistisch. Aber auch in den reicheren Ländern wird die „Finanzierbarkeit“ unseres Lebens immer unsicherer.

Beispiel Rente. Der demographische Wandel hat zur Folge, dass es immer mehr Ältere gibt, während gleichzeitig immer weniger Jüngere in das System einzahlen. Die systemimmanenten Antworten darauf sind höhere Beiträge, weniger Rente, immer späterer Rentenbeginn. Wer heute unter 40 ist, weiß, dass er mit 80 noch keine Rente bekommen wird, von der er leben kann. Oder gar die Aktienrente. Dann viel Spaß, wenn die Finanzblasen platzen. Beispiel Wohnen. Warum explodieren Mieten und Wohnungspreise? Grund und Boden sind eine relativ sichere Kapitalanlage. Deswegen strömt in Krisenzeiten besonders viel Kapital dorthin. Die Krise wird nicht enden, die Preise werden dauerhaft hoch bleiben, selbst Besserverdienende können sich immer weniger leisten.
Wenn das Prinzip der Finanzierbarkeit mit unserem Anspruch an ein gutes Leben in Konflikt gerät – geben wir dann unsere Ansprüche auf? Doch wohl hoffentlich nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir müssen das Prinzip der Finanzierbarkeit offensiv infrage stellen und nicht weiter so tun, als sei unser Leben auf Dauer noch „finanzierbar“. Wirkliche, stabile soziale Abfederung geht anders. Wenn Lohn und Rente nicht mehr reichen, muss die Wohnungsfrage grundsätzlich gelöst werden. Grund und Boden müssen dauerhaft dem Markt entzogen werden. Ein erster notwendiger Schritt ist die Vergesellschaftung der Wohnungsbaukonzerne. Die Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen geht in die richtige Richtung. Gut, dass verdi und IG Metall die Kampagne unterstützen. Aber dafür muss dann auch in den Betrieben und Verwaltungen mobilisiert werden.
Gerade diese Kampagne zeigt aber auch, dass sich die Eigentumsfrage nicht im Spaziergang lösen lässt. Ohne harte gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen wird es nicht gehen. Mietenstreiks, flächendeckende Hausbesetzungen, vieles ist denkbar. Noch breitere Bündnisse, noch viel mehr politischer Druck sind notwendig, auch auf und in Parteien und Parlamenten.

Soziale Abfederung heißt: Es muss tiefe Eingriffe in die Logik der Wirtschaft geben. In der Coronakrise konnten wir übrigens lernen, dass die nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch möglich sind. Vieles, was jahrzehntelang als Tabu galt, ging plötzlich ganz schnell. Aussetzung der „Schuldenbremse“. Umstellung der Produktion auf Beatmungsgeräte, Schutzmasken, Desinfektionsmittel. Autofreie Innenstädte in London, Paris, Brüssel – u.v.a. mehr. Diese Erfahrung müssen wir wachhalten. Wohnen, Energie, Gesundheitswesen, Verkehr, die ganze soziale Infrastruktur muss dem Markt entzogen werden. Das wird nicht mit einem Schlag gehen. Sondern Schritt für Schritt, begleitet von harten sozialen Kämpfen. Aber zunächst einmal muss dieser Gedanke, diese Orientierung zum Gemeingut sämtlicher sozialer Bewegungen werden.

Frage: Um einen ökologischen Umbau gestalten zu können, braucht es Mehrheiten, vor allem die lohnabhängigen und prekären Klassen. Beschäftigte haben unterschiedliche ökonomische Positionen und Interessen. Arbeiterinnen in der Autoindustrie oder Bergleute in der Braunkohle stehen einem Umbau wahrscheinlich ablehnend gegenüber, bei Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs kann das anders sein. Wie können jene, die einem ökologischen Umbau skeptisch gegenüber stehen, überzeugt werden? Ist der sogenannte Fachkräftemangel und die größere Verhandlungsmacht der Beschäftigten nicht eine Chance, um die Arbeitswelt umzubauen? Wie kann die Arbeit anders organisiert werden? Hat das System Lohnarbeit überhaupt noch eine Zukunft? Müssen wir nicht den Arbeitsfetischismus, den Stress in der Arbeitswelt und das „Funktionierenmüssen“ hinterfragen?

Die Interessen der Mehrheit sind nicht einheitlich, auch nicht die der Arbeiterinnen. Die Kolleg*innen im ÖPNV haben viele gemeinsame Interessen mit der Klimaschutzbewegung. Das muss ein Kraftzentrum der sozial-ökologischen Transformation werden. Auch das Gesundheitswesen bietet sich an. Klimaschutz heißt auch mehr Gesundheit. Und die verdi-Losung „Mehr von uns ist besser für alle“ trifft den stofflichen Reichtum, den wir brauchen, ziemlich gut. Doch die Interessen vieler anderer Lohnabhängiger sind eben gar nicht klimakompatibel. Die Auseinandersetzung muss also auch zwischen den Lohnabhängigen stattfinden.

Zum Glück sind wir nicht nur Verkäufer*innen unserer Arbeitskraft. Wir sind auch Menschen, die unter dem Klimawandel leiden und am Erhalt einer lebenswerten Erde interessiert sind. In uns Kapitalismus-Insassen bekämpfen sich zwei widerstreitende Interessen. Erst wenn wir sie klipp und klar benennen, kommen wir weiter. Zunehmend mehr Menschen fragen sich: Was will ich eigentlich wirklich vom Leben? Habe ich lieber sieben Armbanduhren oder mehr Zeit? Wie lange hält mein Glück an, nachdem ich shoppen war? Wann muss ich wieder shoppen? Lohnt sich dafür die ganze Arbeitsmühle? Dass immer mehr Leute immer weniger Bock auf Arbeit haben, gehört zu den positivsten Entwicklungen der letzten Jahre.

Radikale Arbeitszeitverkürzung ist angesagt. Die Viertagewoche, die die IG Metall in der Stahlindustrie fordern will, reicht zwar nicht aus, aber endlich kommt etwas in Bewegung. Wir müssen eine Dynamik von Arbeitszeitverkürzung und Vergesellschaftung in Gang setzen. Je kürzer die Arbeitszeit, umso mehr können sich Menschen für sozial-ökologische Transformation engagieren. Je mehr soziale Infrastruktur wir dem Markt entziehen und vergesellschaften, umso weniger Geld brauchen Lohnabhängige für Wohnung, Energie usw. Die Bedeutung der Löhne für den Lebensunterhalt geht dann zurück. Umso attraktiver wird radikale Arbeitszeitverkürzung. Und so muss sich das Rad immer weiter drehen.

Vergesellschaftung heißt nicht Verstaatlichung. Das Stichwort für eine neue Art des Wirtschaftens heißt Selbstorganisation. Interessante Ideen wie Solidarische Landwirtschaft, Open Source Hardware, Umsonstläden u.v.a., die bisher ein Nischendasein führen, könnten, eingebettet in soziale Kämpfe, größere Bedeutung erhalten. Die Gewerkschaften haben dabei nur zu gewinnen. Denn nirgendwo ist so viel Sachverstand organisiert, so viele Menschen, die genau wissen, wie man gut pflegt und unterrichtet, wie man ökologisch und nachhaltig baut und produziert, wie man vernünftig verwaltet usw. Statt in Angst um Arbeitsplätze zu erstarren, sollten die Gewerkschaften dieses enorme Potential mobilisieren. „Wir sind die Fachleute für den ökosozialen Umbau“ – das wäre doch eine gute Losung für den nächsten Gewerkschaftskongress.

Aber es ist kompliziert. Autoritäre und Faschisten bekommen immer mehr Zulauf. „Ausländer“, Flüchtende, „Ökos“… Sie alle werden als Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen Existenz wahrgenommen. Besonders viel Hass birgt das erotische Verhältnis zum Auto. Das zeigen die unsäglichen verbalen und körperlichen Angriffe auf die mutigen Aktivist*innen der „Letzten Generation“. In der Liebe zum Auto und dem Hass auf Klimaaktivist*innen gehen Patriarchat, Arbeitselend, Ellenbogenegoismus des kapitalistischen Konkurrenzsubjekts und Autoritarismus eine toxische Verbindung ein.

Der Zwang zum Verkauf der Ware Arbeitskraft ist eine beständige Quelle des Autoritarismus. Nicht zuletzt auch deswegen müssen wir der Falle Arbeitsplatz entkommen. Antifaschismus muss heute immer auch Arbeitskritik sein. Antifaschismus ist übrigens auch eine Lebensversicherung für die Klimaschutzbewegung. Unter autoritärer Herrschaft würde sie gnadenlos verfolgt und hätte keine Möglichkeit mehr, um Mehrheiten zu kämpfen. Radikale Arbeitszeitverkürzung, Selbstorganisation und Antifaschismus – das ist der Dreiklang der Zukunft.