Gendern?

„Die Welt ist schlecht, weil alle Menschen Vorurteile haben
Deshalb plädiere ich stark für eine Abschaffung der Sprache
Allgemein – Denn Sprache ist abstrakt und schließt Vorurteile
Somit automatisch ein – automatisch ein“
(NMZS – Kommentarfeld)

Dieser Text soll unsere Diskussion zur Praxis des ‚Genderns‘, also der Veränderung von Sprech- und Schreibformen, die sich (auch) auf Geschlechter beziehen, dokumentieren. Dabei geht es uns nicht darum, erschöpfend alle Argumente für und gegen diese Praxis darzulegen, vielmehr wollen wir unseren internen Diskussionsprozess transparent machen. Im Folgenden führen wir vier wesentliche Argumente/Positionen auf.

a) Sprache ist wirkmächtig. Sprech- und Schreibweisen, die Frauen* ignorieren (wie das generische Maskulinum) hängen mit Denkweisen zusammen, die Frauen* grundsätzlich passive Positionen in der Gesellschaft zuschreiben. Hinzu kommt, dass Menschen, die sich nicht in das System von nur zwei Geschlechtern einordnen wollen, in den meisten Sprech- und Schreibweisen schlicht ignoriert werden.

b) Gegenderte Sprache birgt die Gefahr, die sexistische Realität zu verschleiern. Wenn ich beispielsweise aus vermeintlicher Sprachsensibilität ‚Reinigungskräfte‘ statt ‚Putzfrauen‘ schreibe, spreche ich einerseits exakter, weil ich die männlichen* Reinigungskräfte mit einbeziehe, unterschlage damit aber auch den Fakt, dass diese besonders unangenehme Lohnarbeit eben überwiegend von Frauen* durchgeführt wird. „Die Verwendung des Unterstrichs wäre unserer Einschätzung nach in diesem Kontext euphemistisch, da wir damit behaupteten, die Wahl zwischen vielen verschiedenen verlockenden Möglichkeiten geschlechtlicher Identität zu haben. Die sehen wir nicht.“ (Lent/Trumann 2015, S. 11) Andererseits können auch Wünsche oder Utopien in das Sprachhandeln einfließen. So kann gegenderte Sprache auch als Ausblick auf eine angenehmer organisierte Welt gelesen werden.

c) Die Grenze zwischen sensiblem Sprechen/Schreiben und Sprachpolizei-Gehabe ist nicht immer eindeutig. Wenn Regeln für sensible Sprache mit einer Haltung vertreten werden, die dazu führt, dass ‚Nicht-Eingeweihte‘ sich nicht mehr trauen, an Debatten teilzunehmen, ist dem kritischen Denken mehr geschadet als geholfen.

d) Rassismen und Sexismen lassen sich nicht einfach durch Sprachtechniken vermeiden. Sie strukturieren unsere Gesellschaft, sichern Herrschaftsverhältnisse und produzieren somit Ausschluss. Es ist utopisch zu glauben, dass sich heutige Gesellschaften, die komplett von Rassismus und Sexismus durchdrungen sind, vollständig von diesen Ideologien befreien können. Was uns als Instrument bleibt ist die Kritik an den herrschenden Ideologien. Wenn wir den Schritt wagen, ausgrenzende und herabwürdigenden Ideologien zu thematisieren und zu kritisieren, wäre es reichlich inkonsequent, die eigene Sprache von diesen Reflexionen unberührt zu lassen. Dennoch können eingeübte Sprechweisen als eine Art Szenekonsens auch darüber hinwegtäuschen, dass Reflexion eben kein Schritt ist, der, einmal gegangen, abgehakt
werden kann.

Da diese Sichtweisen nicht widerspruchsfrei zu vereinen sind, haben wir uns entschieden, unsere Texte nicht auf eine einheitliche Art und Weise zu gendern. Wir arbeiten stattdessen teils mit binären Geschlechterkonstruktionen, teils mit einem Gendersternchen (*) oder Unterstrichen (_). Das Sternchen bedeutet, dass mehrere Geschlechtsidentitäten jenseits der binären Geschlechterlogik (Frau und Mann) existieren können und dies freilich auch in der Geschichte der Fall war, es allerdings weniger thematisiert werden konnte. Der Unterstrich (auch Gendergap) symbolisiert eine Freistelle, in der sich Menschen finden können, die sich geschlechtlich nicht
traditionell verorten. Schreiben wir zwecks der Lesbarkeit beispielsweise „Jüdinnen und Juden“, meinen wir selbstredend nicht nur die beiden hegemonialen  Geschlechterkonstruktionen, sondern die ganze Bandbreite an Geschlechtsidentitäten, darüber hinaus auch jüdische Kinder und Jugendliche. Wir erachten es jedoch als schwierig, historische Gegebenheiten und Termini, wie z.B. „Judenfeindschaft“, durch komplexe sprachliche Neologismen, wie Jüd*innenfeindschaft zu ersetzen, da uns dies dem Zweck eines kritischen Textes nicht angemessen erscheint und eine
Anschlussfähigkeit des Textes erschweren würde. Wir bitten um das Verständnis unserer Lesenden. Mit unserer Gendering-Praxis versuchen wir unter anderem auch darauf aufmerksam zu machen, dass beispielsweise Antisemit*innen nicht ausschließlich Männer sind, sondern auch im weiblichen und in anderen Geschlechtsidentitäten zu finden sind.

* bzw. als solche wahrgenommene oder sich als solche wahrnehmende

Lent, Lilly / Trumann, Andrea (2015): Kritik des Staatsfeminismus. Kinder, Küche, Kapitalismus. Berlin: Bertz und Fischer

Emanzipation und Frieden, Dezember 2015