Video: Der blinde Fleck. Warum die traditionelle und postkoloniale Linke Antisemitismus so schwer erkennt

Vortrag von Julian Bierwirth

gehalten am 11. Dezember 2023 bei krisis-Kritik der Warengesellschaft

Nach dem Massaker vom 7. Oktober ging kein Aufschrei durch die globale Linke – stattdessen haben viele das Massaker als revolutionären Widerstandsakt gefeiert.

Die Diskrepanz zwischen dem Zivilisationsbruch der Hamas und dieser Reaktion könnte kaum größer sein. Gesellschaftstheoretisch hat sie ihre Ursache in einer stark verkürzten Perspektive auf die sozialen Zusammenhänge im globalisierten Kapitalismus. Sowohl links-traditionelle als auch postmoderne Spielarten der Gesellschaftskritik nehmen den modernen Kapitalismus in erster Linie als Gegeneinander von Herrschenden und Beherrschten war. Diese Perspektive erlaubt es aber weder, die globalen Verhältnisse noch die Spezifik des modernen Antisemitismus kritisch zu verstehen.

Die Personalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse war immer schon anschlussfähig für antisemitische Denkmuster, die den Kapitalismus auf wahnhafte und verschwörungsideologische Weise “erklären”. Das unterscheidet den Antisemitismus grundsätzlich von allen Spielarten des Rassismus. Dieser Unterschied darf nicht verwischt werden, denn sonst können Antisemitismus und Rassismus gegeneinander ausgespielt werden – eine fatale Konsequenz postkolonialer Theorien. Wenn die globale Linke als emanzipatorische Kraft auch in Krisenzeiten überleben will, muss sie mit ihren gängigen Deutungsmustern brechen und sich solchen falschen Dichotomien verweigern.

Der Text von Moishe Postone, auf den im Vortrag Bezug genommen wird, kann HIER nachgelesen werden.