Eine notwendige Erinnerung an Rosa Luxemburg
Vortrag von Olaf Kistenmacher
gehalten am 26. April 2012 in Tübingen
Als Einführung in die Kritik des Antiimperialismus werde ich mich mit den Anfängen der Kritik des Imperialismus in der marxistischen Theorie auseinandersetzen. Es gilt dabei, zwei Motive zu unterscheiden – die Kritik am Imperialismus seit Marx einerseits und die Bildung einer antiimperialistischen Position andererseits. Das erste Motiv ist mit dem Namen Rosa Luxemburg verbunden, das zweite mit dem Wladimir I. Lenins.
Luxemburg unternahm mit ihrem Buch Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus 1912 den Versuch, den modernen Imperialismus aus der Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx zu erklären. Luxemburg war eine der Ersten innerhalb der marxistischen Linken, die sich umfassend mit dem Imperialismus beschäftigte. Die antiimperialistische Position entwickelte die Kommunistische Internationale im Anschluss an Lenin, der 1916 Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus veröffentlicht hatte. Nach Luxemburg und Lenin werde ich im dritten Schritt zeigen, was vor allem aus Lenins theoretischem Ansatz Mitte der 1920er Jahre geworden ist. In diesen Jahren kam es zu bemerkenswerten Verschiebungen, die für den heutigen Antiimperialismus relevant sind: Lenin unterschied bereits zwischen Produktion und „Parasiten“; damit einhergehend die Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen; die Festschreibung bestimmter Staaten als imperialistisch; verschwörungstheoretische Erklärungsmuster; Antiamerikanismus und Antizionismus; und ein spezifische linker Nationalismus, den man auch als Befreiungsnationalismus bezeichnen kann. Wie sich übrigens schnell zeigen wird, betrifft die Auseinandersetzung mit Luxemburg und Lenin aktuelle Debatten – auch jenseits antiimperialistischer Gruppierungen. So erlebt der für Lenin zentrale Begriff des „Finanzkapitals“ zurzeit ein Revival.
Olaf Kistenmacher ist Historiker und lebt in Hamburg