Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann
Montag, 4. März 2024, 18.00 c.t., Freiburg
Universität Freiburg, KG1, Raum 1009
Eine Veranstaltung des StuRa der Uni Freiburg
Dass wir lebenslänglich arbeiten müssen um Geld zu verdienen damit wir leben können ist das ungeschriebene, aber höchste Gesetz der bürgerlichen Gesellschaft. Arbeit sei so etwas wie Natur, lautet der allgemeine Konsens. Wer etwas gegen sie hat, gilt als verrückt oder faul, meistens als beides.
Das war nicht immer so. In der Antike hatte die Arbeit sogar einen ausgesprochen schlechten Ruf. Mit Beginn der Neuzeit erfuhr sie jedoch religiöse Weihen. Das protestantische Arbeitsethos stand an der Wiege des Kapitalismus. Das Bürgertum, die Arbeiterbewegung und der Nationalsozialismus haben die Arbeit förmlich verherrlicht.
Doch auch wenn es dem herrschenden Bewusstsein noch so uneinsichtig ist: Arbeit und nützliches/sinnvolles/lustvolles Tätigsein sind zwei Paar Stiefel. Auch ist Arbeit kein „antagonistischer“ Gegensatz zum Kapital. Sie ist vielmehr herrschendes Formprinzip der warenproduzierenden Gesellschaft, deren Ausgangs- und Zielpunkt nicht etwa der stoffliche Reichtum ist, von dem alleine wir leben, sondern der selbstzweckhafte Wachstumszwang „unserer Wirtschaft“, die aus Geld immer mehr Geld machen muss.
Die Insassen dieser Gesellschaft müssen darauf hoffen, dass der Markt ihrer Arbeit Wert bescheinigt. Obwohl sie lebenslang die Angst begleitet, „wertlos“ zu werden und ins Bodenlose zu stürzen, erscheinen ihnen diese Verhältnisse als natürlich und alternativlos. Läuft nach ihrem Empfinden etwas schief in der Gesellschaft, machen sie vornehmlich „eine falsche Politik“ dafür verantwortlich, ohne die basalen Zwänge der Ökonomie auch nur eines Blickes zu würdigen. Häufen sich gar Krisen, Elend, Not und Kriege, so hat das für sie erst recht nichts mit der Herrschaft von Arbeit, Ware, Wert, Markt und Kapital zu tun, sondern ist vermeintlich äußeren Faktoren geschuldet. Ihr Tunnelblick kann dann schnell zu Verschwörungsweltbildern mutieren, wie es z.B. auf sogenannten „Querdenkerkundgebungen“ zu beobachten war. Sie phantasieren dunkle Mächte, getrieben von verwerflichen Interessen und böser Absicht, die ihnen an den Kragen wollen. Ihr Selbstbild als „ehrlich Arbeitende“, die von „den „Raffgierigen“ bedroht werden, entlädt sich schlimmstenfalls im antisemitischen Vernichtungswahn. Nicht ohne Grund stand der perverse Satz „Arbeit macht frei“ über dem Tor von Auschwitz.
Die Nationalsozialisten setzten „die Gierigen“ mit „den Juden“ gleich. Doch auch wer das nicht tut, kann sich in einer gefährlichen Nähe zum Antisemitismus befinden, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Eine reflektierte Kapitalismuskritik, die sich wesentlich vom herrschenden Bauch-Antikapitalismus unterscheidet, der Gesellschaftskritik mit Wut auf „gierige Bankster“, „Lügenpack“ und „Lügenpresse“ verwechselt, ist heute nötiger denn je. Zumal sie mit der Kritik der Arbeit beginnt und deswegen einen völlig anderen Blick auf die Dinge werfen kann: Der eigentliche Skandal ist nämlich nicht, dass die gewaltige Steigerung der Produktivität, die wir erleben, nicht jedem einen Arbeitsplatz verschafft, sondern dass wir trotzdem immer mehr und immer länger arbeiten sollen. Schon längst wäre ein besseres Leben für alle mit viel mehr Raum zur persönlichen Entfaltung möglich. Ohne Kapitalismus.
Lothar Galow-Bergemann war Personalrat in zwei Großkliniken. Heute schreibt er u.a. in Jungle World und bei Emanzipation und Frieden