von Laura-Luise Hammel
erschienen in Politikum Heft 3-2017
- Andreas Anton, Michael Schetsche u. Michael Walter (Hrsg.): Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer VS: Wiesbaden 2014, 351 S.
- Michal Bilewicz, Aleksandra Cichocka u. Wiktor Soral (Hrsg.): The Psychology of Conspiracy. Routledge: London 2015, 203 S.
- Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Transcript: Bielefeld 2015, 189 S.
- John David Seidler: Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse. Transcript: Bielefeld 2016, 368 S.
Verschwörungstheorien sind überall, und das nicht gerade erst seit dem Aufkommen des Web 2.0 und seiner Sozialen Netzwerke. Sie begegnen uns in den verschiedensten thematischen, historischen und geographischen Kontexten und haben längst Einzug in unsere Alltagskultur gehalten, indem sie uns in ihrer literarischen oder filmischen Form unterhalten. Manche Forscher sehen in ihnen sogar eine anthropologische Konstante der Menschheitsgeschichte.
Vor diesem Hintergrund mag es vielleicht verwundern, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Verschwörungstheorie und dem Verschwörungsglauben überraschend jung ist. Den Begriff „Verschwörungstheorie“ in seinem heutigen Sinn prägte der Philosoph Karl Popper in seiner Schrift Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1945) mit Blick auf die Massenhysterie in den totalitären Staatsformen dieser Zeit. Aber erst seit den späten Achtziger Jahren kann von einer systematischen Erforschung von Verschwörungstheorien unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus den verschiedensten akademischen Disziplinen wie beispielsweise der Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Geschichts-, Politik-, Kultur- oder Literaturwissenschaft gesprochen werden. Sie alle arbeiten dabei mit den unterschiedlichsten methodischen Zugängen und theoretischen Vorannahmen und kommen so erwartungsgemäß zu unterschiedlichen und bisweilen gegensätzlichen Ergebnissen.
Aus diesem Grund wurden vier aktuelle und sehr heterogene Publikationen (zwei Aufsatzsammlungen und zwei Monographien) für diese Sammelrezension ausgewählt, die in ihrer Gesamtheit einen strukturierten und differenzierten Zugang zur Materie bieten sollen.
- Andreas Anton, Michael Schetsche u. Michael Walter (Hrsg.): Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer VS: Wiesbaden 2014, 351 S.
Die Freiburger Soziologen Andreas Anton, Michael Schetsche und Michael Walter wählen in ihrem 2014 erschienenen Sammelband einen wissenssoziologisch-konstruktivistischen Zugang zum Forschungsfeld Verschwörungstheorie.
Die Wissenssoziologie, eine Teildisziplin der Soziologie, die sich mit der Entstehung und Verbreitung von Wissen beschäftigt, arbeitet mit der Grundannahme, dass Wissen immer sozial determiniert ist und sich niemals allein auf objektive Tatsachen reduzieren lässt. In Bezug auf Verschwörungstheorien bedeutet das aus Sicht der Herausgeber, dass es sich bei diesen zuerst einmal um eine „kulturell heterodoxe Wirklichkeitsbeschreibung“ eines bestimmten Sachverhaltes handelt, die in einem Widerspruch zur gesellschaftlich anerkannten Wirklichkeitsbeschreibung („orthodoxe Wirklichkeitsbeschreibung“) steht (S. 14). Die innergesellschaftliche wie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Verschwörungstheorie ist nach Anton et al. davon geprägt, dass Verschwörungstheorien allgemein als „illegitimes Wissen“ wahrgenommen werden und ihnen eine „Trias der Mangelhaftigkeit“, bestehend aus den Attributen Unwahrheit, Krankhaftigkeit und Gefährlichkeit anhaftet. In der Tat: Hat eine bestimmte Darstellung erst einmal den Stempel „Verschwörungstheorie“ erhalten, gilt diese immer als sachlich falsch, der Glaube an Verschwörungstheorien wird von Außenstehenden häufig als Hinweis auf Naivität oder sogar Dummheit eines Menschen gewertet, darüber hinaus gilt Verschwörungsglauben als gefährlich.
Anton et al. kritisieren, dass sich diese Stigmatisierung auch in den meisten wissenschaftlichen Beiträgen zu Verschwörungstheorien widerspiegelt. Die meisten Forscher übernähmen diese negative Sicht auf Verschwörungstheorien unhinterfragt in ihren Arbeiten und reproduzierten Verschwörungstheorien als heterodoxes Wissen dadurch auch auf wissenschaftlicher Ebene. Die von Anton et al. herausgegebene Aufsatzsammlung soll hierzu einen Kontrast bieten.
Im ersten Teil befassen sich die Autoren in Fallstudien mit einigen sehr populären und bekannten Verschwörungstheorien der Zeitgeschichte, wie beispielsweise der Ermordung von John F. Kennedy, der Entstehung von Aids oder den Terroranschlägen des 11. September. Besonders interessant sind hier die Beiträge zu den Verschwörungstheorien, zu denen zahlreiche Indizien vorliegen, dass es sich bei ihnen um eine tatsächliche Verschwörung handelt, wie etwa die Terroranschläge der antikommunistischen Gladio-Truppen in den Sechziger und Siebziger Jahren in Italien.
Der zweite Teil des Buches nähert sich dem Spannungsfeld Heterodoxie vs. Orthodoxie nun über die Untersuchung des medialen Diskurses von Verschwörungstheorien. Einen Schwerpunkt stellen hier wieder die Terroranschläge des 11. September dar, die hinsichtlich ihres Niederschlages in den Massenmedien und den Sozialen Medien des Internets untersucht werden. Außerdem enthält dieser Teil zwei spannende Aufsätze zum Diskurs von Verschwörungstheorien in der Populärkultur (Comic und Film). Der dritte Teil des Bandes bietet abschließend einen wissenssoziologisch-theoretischen Zugang zum Forschungsfeld.
- Michal Bilewicz, Aleksandra Cichocka u. Wiktor Soral (Hrsg.): The Psychology of Conspiracy. Routledge: London 2015, 203 S.
Ganz anders arbeiten indessen die Psychologen Michal Bilewicz, Aleksandra Cichocka und Wiktor Soral in ihrer 2015 erschienen englischsprachigen Aufsatzsammlung.
Im Fokus des Buches steht eine sozialpsychologische Betrachtungsweise des Phänomens Verschwörungstheorie. Ziel der Herausgeber war es, erstmals die Ergebnisse einer quantitativ-empirisch arbeitenden Sozialpsychologie zum Konspirationismus gesammelt in einer Publikation zu präsentierten. Die beinhalteten Arbeiten stützen sich hierbei auf experimentelle Forschungsansätze, Verlaufs- und Querschnittsstudien, Ergebnisse quantitativer Umfragen und die Auswertung von Archivmaterial.
Besonders abwechslungsreich im Vergleich zu anderen Studien erscheint die Sammlung vor dem Hintergrund, dass viele der Beiträge einen speziellen Fokus auf die Gesellschaften der ehemaligen Sowjetunion und der vormaligen osteuropäischen kommunistischen Satellitenstaaten legen. (Der überwiegende Teil der gegenwärtigen Forschung zu Verschwörungstheorien beschäftigt sich hingegen mit dem Einfluss von Verschwörungstheorien in den Vereinigten Staaten und den etablierten liberalen Demokratien Westeuropas.) Ihren Band widmen die Herausgeber daher auch dem Warschauer Psychologen Miroslaw Kofta, einem Pionier auf dem Feld der sozialpsychologischen Erforschung von den Verschwörungstheorien zugrundeliegenden Stereotypen und Intergruppenbeziehungen in den Neunziger Jahren in Osteuropa.
Bilewicz et al. verstehen Verschwörungstheorien ganz allgemein gesprochen als einfache und logische Antworten auf Unsicherheiten und Zweifel. Gerade nach dem Zusammenbruch des Kommunistischen Blocks Ende der Achtziger Jahre seien diese Staaten einem rasanten Transformationsprozess in politischer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht ausgesetzt gewesen. Die Menschen in diesen Ländern befänden sich seitdem auf der Suche nach Erklärungen für diese dynamischen Transformationsprozesse. Nach Ansicht der Herausgeber wurden die postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas somit zu einem fruchtbaren Boden für die Entstehung zahlreicher Verschwörungstheorien.
Im ersten Teil befassen sich die Autoren schwerpunktmäßig mit der kollektiven Wahrnehmung innerhalb von Gruppen und den sozialen Dynamiken von Intergruppenbeziehungen. Verschwörungstheorien werden hier besonders auf ihre Anschlussfähigkeit zum Antisemitismus und dessen Vorurteilsrepertoire hin untersucht.
Demgegenüber fokussiert sich der zweite Teil des Buches auf den Zusammenhang zwischen den politischen Einstellungen und Ideologien eines Individuums und dem Ausmaß des Glaubens an Verschwörungstheorien, dem dieser Mensch zuneigt. Besonders die Relation zwischen einer rechtsautoritären Ideologie, der Neigung zu politischem Extremismus und dem Glaube an Verschwörungstheorien bilden die Basis für die in diesem Teil des Buches enthaltenen Untersuchungen. Der dritte Teil verspricht abschließend Zugänge zu der Frage, wie Verschwörungstheorien auf der Individualebene kognitiv verarbeitet werden.
- Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Transcript: Bielefeld 2015, 189 S.
Bisher sind Verschwörungstheorien kaum zum Gegenstand der philosophischen Diskussion geworden. Aus Sicht des Erfurter Philosophen Karl Hepfer liegt dies vor allem in dem Umstand begründet, dass Verschwörungstheorien als unseriös gelten und der Glaube an selbige gerne als Anzeichen für einen wirren und wahnhaften Geisteszustand gewertet wird. In diesem Punkt würden ihm die Wissenssoziologen Anton, Schetsche und Walter sicherlich zustimmen.
Hepfer verfolgt in seiner Monographie aus dem Jahr 2015 die Prämisse Verschwörungstheorien aufgeschlossen gegenüber zu treten und diese nicht von vornherein als falsch abzutun, schließlich kann geschichtlich eine Vielzahl real existenter Verschwörungen nachgewiesen werden. Beispielhaft befasst sich Hepfer in seiner Schrift daher auch mit der realen Verschwörungen gegen Gaius Iulius Caesar (Iden des März, 44 v. Chr.), dem Umsturzversuch Catilinas (63 v. Chr.) oder dem katholischen Gunpowder Plot gegen das englische (protestantische) Königshaus Jakobs des Ersten (1605).
Was kann also die Philosophie bezüglich der Erforschung von Verschwörungstheorien leisten? Hepfer möchte in seinem Buch in erster Linie theoretische Grundstrukturen aufzeigen und systematische Fragen beantworten, wie Verschwörungstheorien unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit formen. Die Grundfrage von der sich Hepfer hierbei leiten lässt lautet: „Was gibt es (und was nicht)?“ Andere wissenschaftliche Disziplinen erfassen diesen Aspekt aus Hepfers Sicht bisher nicht und er möchte daher mit seinem philosophischen Beitrag die bisherige Debatte um Verschwörungstheorien ergänzen und erweitern.
Um dies zu erreichen folgt nach den einzelnen Abhandlungen über die theoretischen Grundstrukturen von Verschwörungstheorien immer die Vorstellung einer bestimmten Verschwörungstheorie, um das Geschriebene an einem konkreten Beispiel zu verbildlichen.
In gewissem Sinn problematisch erscheint hierbei die vom Autor getätigte Fallauswahl zur Verdeutlichung seiner theoretischen Abhandlungen. Obwohl sich das Buch mit Verschwörungstheorien beschäftigen soll findet sich neben diesen eben auch eine Vielzahl zwar nicht minder interessanter Themen, die aber im eigentlichen Sinn keine Verschwörungstheorien sind. Es handelt sich dabei um die bereits erwähnten realen historischen Verschwörungen (Iden des März, Umsturzversuch Catilinas, Gunpowder Plot), Geschichten aus dem Bereich der Modernen Sagen (Alligatoren in der New Yorker Kanalisation), Hoaxes (dt.: bewusste Falschmeldungen) (Bielefeldverschwörung) und wissenschaftliche Kontroversen (Erfundenes Mittelalter). Dieser Umstand hätte vom Autor stärker problematisiert werden müssen und wirkt sich auch auf die Aussagekraft der Tabelle am Ende des Buches aus, die Auskunft über die Wahrscheinlichkeiten der vorgestellten „Verschwörungstheorien“ gibt.
Nichtsdestotrotz bietet die Schrift unterhaltsame und leicht verständliche Einblicke in die prägenden Verschwörungstheorien der Jetztzeit (u. a. 11. September, Mondlandung, Illuminaten, Freimaurer) und ist in ihrer Auswahl hochaktuell, da Hepfer auch vergleichsweise junge Verschwörungstheorien wie die zu Chemtrails und Mikrochips in den Blick nimmt. Das Glossar am Ende des Buches zum Nachschlagen der verwendeten Fachbegriffe erleichtert den Einstieg in die Thematik noch einmal zusätzlich.
- John David Seidler: Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse. Transcript: Bielefeld 2916, 368 S.
Mit dieser Monographie nimmt der Medienwissenschaftler John David Seidler die Veröffentlichung seiner Dissertationsschrift zum Thema „(Vorstellungs-)Bilder von geheimem Wissen und medialen Strukturen in Verschwörungstheorien“ vor, die er im Herbst 2014 an der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock eingereicht hat.
Der Titel des Buches weckt beim Leser die Hoffnung darauf, dass hier nun die hochaktuelle Debatte um den verschwörungstheoretisch aufgeladenen Lügenpressevorwurf, wie er auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte im Zuge des Syrienkrieges von Protestbewegungen wie PEGIDA, den Hooligans gegen Salafisten oder den Mahnwachen für den Frieden gegenüber den deutschen Medien erhoben wurde, aus medienwissenschaftlicher Sicht behandelt wird. Wer sich Seidlers Buch vor diesem Hintergrund zur Hand nimmt, wird im ersten Moment wohl etwas enttäuscht sein. Der Begriff „Lügenpresse“ wird gerade einmal dreimal innerhalb der gesamten Schrift genannt, und zwar an genau der Stelle innerhalb der Einleitung, an der der Autor erklärt dass seine Arbeit bereits eingereicht war bevor das Thema Lügenpresse ab Herbst 2014 so richtig an Fahrt aufgenommen hatte.
Worum geht es dem Buch also? Seidler verfolgt in erster Linie das Ziel die medialen Bedingungen für Verschwörungstheorien aufzudecken. Er möchte die für ihn zentrale Forschungsfrage beantworten, inwiefern die Medialisierung der Gesellschaft eine Bedingung für die Entstehung von Verschwörungstheorien darstellt (S. 9). Sein Forschungsdesiderat ist es, aus medien- und kulturwissenschaftlicher Perspektive zu ergründen, inwiefern Medien nicht nur zur Verbreitung von Verschwörungstheorien, sondern auch zu deren Entstehung, Gedeihen und Glaubwürdigkeit einen aktiven Beitrag leisten (S. 21). Zur Erreichung seines Forschungsziels stützt sich Seidlers Arbeit vor allem auf die Analyse von literarischem Quellenmaterial.
Neben einer umfangreichen Einleitung, in der sich der Autor mit der Klärung zentraler Begriffe, seiner Forschungsstrategie und einer sehr breit gefächerten Darstellung des allgemeinen Forschungsstandes zu Verschwörungstheorien befasst, beinhaltet die Arbeit drei sehr detaillierte und gut gemachte Fallanalysen, die wertvolle Einblicke in Medienverschwörungstheorien zu drei Zeitpunkten innerhalb der Epoche der Moderne bieten. Für den Leser äußerst gewinnbringend ist die Darstellung des jeweiligen historischen Kontextes, die den einzelnen Fallanalysen vorangestellt ist und auch fachfremden Lesern einen leichten Einstieg in die Materie ermöglicht. In der ersten Fallanalyse befasst sich Seidler mit Vorstellungen des Medialen in Verschwörungstheorien um 1800 und nimmt für seine Quellenanalysen Texte konservativer Publizisten dieser Zeit unter die Lupe. Die zweite Fallanalyse nimmt den Leser anschließend mit in zweite Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts und liefert spannende Einblicke in die antisemitisch motivierten Medienverschwörungstheorien dieser Zeit, die auch heute noch kaum etwas ihrer Aktualität eingebüßt haben. Zum Schluss folgt eine Fallanalyse zu Verschwörungstheorien im Internetzeitalter am Beispiel der Terroranschläge des 11. September unter Rückgriff auf auflagenstarke verschwörungstheoretische Sachbücher und Netzmedien.
Laura Luise Hammel ist Doktorandin am Lehrstuhl Deutschland und EU des Instituts für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Siehe auch: Laura Luise Hammel, Verschwörungsglaube, Populismus und Protest