„Das Schloss“ nach dem Roman von Franz Kafka – Regie Maxim Didenko, Bühne Andreas Auerbach, Kostüme Galya Solodovnikova, Musik Daniel Williams
von Lara Wenzel
(zuerst erschienen bei TdZ)
Wie ein Leuchtzeichen aus einer anderen Welt taucht K. im kühlen Mondlicht auf. Mit keinem größeren Kontrast könnte er sich mit seinem neongelben Schutzanzug von den grauen brutalistischen Gebäuden in seinem Rücken abheben. Wie der letzte Überlebende eines Atomschlags keucht er allein in seine Atemmaske, bis sich endlich Leben regt und das Dorf den Fremden in eine ihrer Kammern zieht. Die Geschichte des Landvermessers K., der sich über die nächsten Stunden im Regelwerk dieser Stadt und ihrer Verwaltung verirrt, wird in der Inszenierung des russischen Regisseurs Maxim Didenko zum Denkstück über Exil und Opportunismus. Bereits vor vier Jahren war die Bearbeitung des Fragment gebliebenen Romans „Das Schloss“ von Franz Kafka geplant. Erst musste das Staatsschauspiel Dresden die Produktion wegen Corona verschieben, dann noch einmal aufgrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, in dessen Folge Didenko nach Berlin immigrierte.
In ein Dorf bestellt, um als Landvermesser zu arbeiten, wird K. nie vom als Schloss verklärten bürokratischen Ungetüm, das alle Regungen vor Ort verwaltet, eine Arbeitserlaubnis erhalten. Das atmosphärische Bühnenbild von Andreas Auerbach und die Kostüme, gestaltet von Galya Solodovnikova, situiert die Geschichte im (post-)sowjetischen Russland. Graue Behausungen aus übereinander gestapelten Würfeln, die auf der Drehbühne mal ihre Fassade, mal ihr Inneres preisgeben, ergänzen sich mit sowjetischer Blumenbettwäsche und den roten Halstüchern des Komsomol, der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Weitere Aktualisierung braucht der Stoff von Kafka, der vom Roman in bühnentaugliche Dialoge übersetzt wurde, nicht. Sein Grundkonflikt, in dem sich die Menschen einem System aus Regeln hilflos ausgeliefert fühlen, dass sie sich selbst gegeben haben, ist seit 100 Jahren ungebrochen gültig.
Schauspieler Moritz Kienemann nimmt es als K. mit diesem Ungetüm auf und merkt dabei kaum, dass die Gebote des Schlosses Teil seines eigenen Denkens und Handelns werden. Erst durch seinen leuchtenden Anzug als fremd markiert, tauscht er ihn nach einer Nacht mit dem Ausschankmädchen Frieda, dargestellt von Kaya Loewe, gegen eine angepasste Kombination aus Feinripphemd und Sporthose aus. Der Kostümwechsel zeigt den Eintritt in die hierarchische Logik dieser Welt an. Das Verhältnis mit Frieda, der Geliebten des Gemeindevorstehers Klamm, ist nur Mittel, um dieser Autorität näherzukommen. Als er endlich vor Klamm steht, den Holger Hübner als Kriegsveteran mit Nasenprothese und gelungener Beamtensouveränität gibt, belehrt dieser den Unwissenden nur.
Wie im Traum bewegt sich K. durch das Bühnenbild, klettert an den Geländern entlang, statt zu gehen und drängt sich in den projizierten Bildern an Wände und Menschen. Immer etwas zu nah rücken die Aufnahmen von Gesprächen und Sexszenen an die Spielenden heran. Wie K. kann auch das Publikum keinen Überblick über die Situation erlangen. Nicht einmal den Weg zum Schloss findet der Landvermesser, obwohl er an der Kartografie der Welt arbeitet. „Alle Wege führen zum Schloss“ singt derweil eine Gruppe Schulkinder mit Komsomol Tüchern indes spottend eines der Lieder, die den bürokratischen Rundlauf in der Inszenierung absurd untermalen.
Livemusiker Daniel Williams steigert mit düsteren Klängen den Sog der mythischen Bilder, die sich getragen von der Energie Kienemanns und einem Ensemble voller eigentümlicher Einwohner aneinanderreihen. Aus dem Boten Barnabas, der gespielt von Philipp Grimm daran scheitert zwischen dem Schloss und K. zu vermitteln, wird ein verlorener Hermes, dessen schwebende Silhouette auf der Gaze vor dem Publikum tanzt. In einen rasenden Karnevalszug mit Masken und Hörnern verwandeln sich die Dorfbewohner des Nachts und verwickeln den K. in Riten, die genauso wenig zu durchblicken sind wie die vermeintlich rationale Bürokratie bei Tag. Die Inszenierung offenbart die rätselhafte Seite der vernünftigen Abläufe, die den auf der Stelle rasenden K. schließlich in den Zusammenbruch durch Erschöpfung treiben.