Reflexionen zu Mensch, Maschine und Rausch
von Minh Schredle
Der Hanf ist frei, aber nicht erhältlich. In die Angebotslücke drängen Drogenautomaten mit dubiosen Alternativstoffen. Am Stuttgarter Rotebühlplatz wurde zwischenzeitlich sogar eine Art LSD feilgeboten. Daher Reflexionen zu Mensch, Maschine und Rausch.
Die Regierung hasst diesen Trick: So ist sie doch stets bemüht, den Rauschgifthandel zu regulieren. Aber auch nach jahrzehntelanger Erfahrung in der Prohibitionspolitik lassen sich Verkaufsverbote für bestimmte Betäubungsmittel immer wieder mit der gleichen Masche umgehen. Zwar ist es auch nach der Cannabis-Freigabe nicht erlaubt, Blüten mit dem Wirkstoff THC in jedem Späti zu verhökern. Ein paar Schlupflöcher eröffnen sich allerdings durch molekulare Bastelarbeiten. Etwa indem einer Substanz, die eigentlich unter strengen Auflagen steht, ein paar atomare Anhängsel hinzugefügt werden. Und, schwups, schon erwächst ein florierender Handelszweig mit HHC, dem THC-Bruder aus der Retorte, der sich vom Ausgangsstoff durch drei zusätzliche Wasserstoffatome unterscheidet und damit genau genommen nicht mehr das ist, was laut Gesetz unter ein kommerzielles Verkaufsverbot fällt.
Wo in dieser Grauzone die Grenzen verlaufen, ist nicht einfach auszuloten. Der Unternehmer Uwe S. hatte zum Beispiel schon das große Geschäft gewittert und 17 Automaten in Stuttgart aufgestellt, die HHC-Produkte ausspuckten. Doch im Juni 2023 intervenierte die Staatsgewalt und räumte alle Automaten leer. Staatsanwalt Aniello Ambrosio erklärte gegenüber der “Bild”-Zeitung, bei etwaiger Cannabis-Abgabe müsse ein “Missbrauch zu Rauschzwecken” ausgeschlossen sein. Dass die Produktverpackungen mit einem Hinweis versehen waren, wonach es sich lediglich um “Aroma-Blüten” handle, die auf keinen Fall konsumiert werden dürften, war nach Ansicht der Behörden offenbar nicht ausreichend.
Aber dann das: Ein gutes Jahr später teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass “die Ermittlungen zu dem im Jahr 2023 berichteten Sachverhalt weiter andauern”. Und nur etwa 30 Meter neben einer staatlich geplünderten Verkaufsmaschine in Stuttgart-Bad Cannstatt hat ein neuer Anbieter gleich zwei Automaten aufgestellt, die über Monate hinweg unbehelligt HHC-Produkte verkaufen konnten. Am Rotebühlplatz in der Innenstadt stand derweil einer dieser keinarmigen Banditen, der neben “Aroma-Blüten” sogar ein molekular geringfügig modifiziertes LSD feilbot. Hallo, Polizei?!, dachte sich der Verfasser und stellte Mitte Juni gleich mal eine Anfrage, nachdem er sich zu Forschungszwecken eine Probe gesichert hatte. “Aber es ist doch EM”, tadelte daraufhin eine Polizeisprecherin und ließ durchblicken, dass auf absehbare Zeit niemand in der Lage sei, Auskunft zur Rechtslage zu geben. Auch viele Wochen später hat noch keine:r gezuckt. Nur von Staatsanwalt Ambrosio gab es eine Rückmeldung: “Ihre Frage zur aktuellen Rechtslage kann ich abstrakt nicht beantworten.”
Inzwischen hat der Staat auch HHC verboten, doch das Karussell dreht sich weiter: Die Innovationskraft des Marktes ist eben nicht zu unterschätzen, und so ist bereits eine Reihe von Alternativstoffen verfügbar, die mit immer exotischeren Wirkstoffnamen auftrumpfen: CBG-9 etwa klingt weniger nach einem entspannten Abend auf der Couch als nach einem Elitekommando der Polizei, das die Bude stürmt. Neben Cannabis ist es zudem beliebt, andere Rauschmittel zu imitieren, die dann beispielsweise als Badesalze getarnt werden und laut Herstellerangaben nicht für die Nase gedacht sind, zwinkerzwinker.
Trippen für Trump
Das permanente Hinterherverbieten ist nicht nur zeitaufwändig, sondern auch verwirrend: “Folgenschwere Panne im Haus von Karl Lauterbach”, berichtete das juristische Fachportal LTO im Februar 2023. Durch eine falsche Interpunktion bei einer Gesetzesänderung wurde im Oktober 2022 eine Reihe von LSD-Derivaten aus Versehen re-legalisiert oder nicht erfasst.
Einen Monat später konnte dieser Irrtum korrigiert werden. Doch viele Verkaufsstellen nutzten die unverhoffte Chance für den Appell: Jetzt zuschlagen, bevor es zu spät ist. Schon deutlich früher hatte die linksradikale Monatszeitschrift “konkret” ihre Reichweite zur Verfügung gestellt, das Trippen in der Grauzone zu bewerben: Hier war im Oktober 2021 in einer ganzseitigen Anzeige ein goldener Gorilla zu sehen, verbunden mit der Aufforderung: “LSD kaufen” Wenig später folgte eine schmallippige Entschuldigung: “Eine kurze Recherche hätte ergeben, dass der Geschäftsführer des Unternehmens, das das beworbene Produkt vertreibt, Ansichten verbreitet, die mit unseren unvereinbar sind.” Hinter dem Geschäft mit dem damals noch nicht verbotenen 1V-LSD steckte ein gewisser Carl Philipp Trump, nach eigener Aussage Cousin siebten Grades von The Donald und Gründer der Partei “Die Gutmenschen” – zu deren Forderungskatalog die Legalisierung von Folter zählt.
Der deutsche Trump wurde depressiv, nachdem er ein millionenschweres Bitcoin-Portfolio verzockt hatte, und entdeckte LSD als eine Art Wundermittel, von dem er sich die Heilung fast aller Krankheiten versprach. Zur Beweisführung experimentierte er mit Obdachlosen, die er dafür bezahlte, ihnen Acid einflößen zu dürfen. Aber irgendwas muss schiefgelaufen sein, denn zu Trumps Verwunderung blieben sie Alkoholiker. Während zum Beispiel in der Goa-Szene die Vorstellung verbreitet ist, der Genuss psychedelischer Drogen verhelfe zu höheren Einsichten bis hin zur Erleuchtung, zeigen Werdegänge wie der von Carl Philipp, dass man trotz Konsum bekloppt werden kann.
Seid gewarnt!
Vor Risiken und Nebenwirkungen warnt auch der Schriftsteller Michael Ende, und zwar im “Satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch”. Darin braut Zauberer Beelzebub Irrwitzer den titelgebenden Trank, doch Teile der Rezeptur sind in der exorbitanischen Sprache verfasst, und diese kann ausschließlich in der vierten Dimension verstanden werden. Wenig zielgruppengerecht wählt der Kinderbuchautor als Ticket für ansonsten unerreichbare Sphären eine farblose Flüssigkeit in einer seltsam geformten Phiole mit der Aufschrift “Luzifers Salto Dimensionale” (Hervorhebung im Original). Aber seid gewarnt! Denn ist die Dosis zu groß, “dann wirst du in die fünfte oder sechste Dimension hinaufkatapultiert. Diese höheren Dimensionen sind so verwirrend, dass du nicht einmal mehr wissen würdest, welche Stücke zu dir gehören und welche nicht. Du würdest vielleicht unvollständig zurückkommen oder falsch zusammengesetzt – wenn überhaupt.”
Der Automat am Stuttgarter Rotebühlplatz hatte hingegen 1D-LSD im Sortiment, dessen Kurz-, Mittel- und Langzeitfolgen noch viel schlechter untersucht sind als die des Ausgangsstoffs. Läuft, wer es einwirft, Gefahr, sämtliche Ausdehnung einzubüßen und zur Singularität zusammenzuschrumpfen? Ein von der Redaktion konsultierter Experte rät eindringlich vom Konsum ab: Die Wirkung sei ernüchternd, kein Vergleich zum Original.
Auch der Gesetzgeber wollte nicht untätig zusehen, inzwischen ist 1D-LSD ebenfalls eindeutig illegal. Nach den mittlerweile verbotenen Stoffen 1P-LSD, 1V-LSD, AL-LSD, 1B-LSD, 1cP-LSD, 1cP-AL-LSD, ETH-LSD und 1P-ETH-LSD kam das für die Designerdrogenküchen jedoch nicht allzu unerwartet. Sie haben schnell reagiert, sodass nun eben bis zum nächsten Verbot mit 1S-LSD gehandelt wird.
Die Geburt der Maschine aus dem Geiste der Gaukelei
Mindestens genauso spannend wie die Drogen, die sie anbieten, sind indes die Automaten selbst: In Nähe des Bad Cannstatter Bahnhofs erweisen sie sich als große Allegorie für die Krise des Lebens auf dem blauen Planeten. Früher gab es hier am Verkehrskreisel vor einer Shopping Mall neun multikulturelle Imbissbuden, vom “Casa Africa” mit leckeren Okraschoten über libanesische Shawarma bis hin zu einem bizarren Griechen, der bei seinen Burgern gerne noch Mayonnaise oben auf das Brötchen schmierte. Eigentlich sollen auf dem Areal schon seit 2006 neue Wohnungen entstehen. Dass es sie noch nicht gibt, steht sinnbildlich für die bittere Erkenntnis, dass das Heilsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft uneingelöst bleiben muss.
Auch ganz ohne Bautätigkeit sind all die Imbissbuden heute menschenleer. Über Jahre hinweg war es kein Problem, hier Würstchen, Halloumi oder Tacos zu verkaufen. Doch dann stellte die Stadt 2022 überraschend fest, dass es für keinen der Essstände eine Baugenehmigung gibt, und sie mussten dichtmachen. Kulanter ist das Recht gegenüber den zwei Drogenautomaten, die nun dort stehen, wo früher Imbissköche Ćevapčići auf den Lavagrill beförderten.
Wie man es eben kennt aus der Innovationsgeschichte seit Anbeginn der Industrialisierung, wird der Mensch ersetzt, zunehmend ver- und aus der Welt gedrängt von einer maschinellen Konkurrenz: angefangen mit einem Verelendungsschub, zu dem es kam, seit der dampfkraftbetriebene Webstuhl Zigtausende Arbeitsplätze in der Textilindustrie überflüssig machte.
Diese Ente erinnert an Frankreichs Glorie
Den mechanischen Webstuhl zwar nicht erfunden, aber perfektioniert hat der französische Automatenbauer Jacques de Vaucanson, der Zeitgenoss:innen mit seinen lebensähnlichen Konstrukten in Staunen versetzte. Neben einem artifiziellen Flötenspieler und einem Blechtrommler ist sein größtes Meisterwerk die 1764 enthüllte mechanische Ente. Sie begeisterte den Philosophen Voltaire so sehr, dass dieser fünf Jahre später notierte, ohne die Ente “würde heute nichts mehr an die Glorie Frankreichs erinnern”. Sie konnte schnattern und flattern und Wasser trinken. Und in der deutschsprachigen Wikipedia ist noch heute zu lesen: “Die Ente nahm Körner aus einer Hand auf, ‘verdaute’ sie in einer chemischen Reaktion in einem künstlichen Darm und schied sie daraufhin in naturgetreuer Konsistenz aus.”
Zwar täuschte die Ente ihr Publikum 80 Jahre lang erfolgreich. Allerdings gehört ihre angebliche Verdauungsfähigkeit ins Reich der Mythen: So enthüllte der Zauberer Jean-Eugène Robert-Houdin, der die Ente 1844 genauer untersuchte, dass sich in ihrem Inneren zwei Kammern befanden: eine, in der die Körner landeten. Und eine davon unabhängige mit präparierten Exkrementen, die unter dem Staunen der Massen ausgeschieden wurden. Dass ein erfahrener Illusionist dem faulen Zauber auf die Spur kam, ist kein Zufall. Schließlich ist eine der ältesten Maschinenanwendungen durch den Menschen ein Täuschungsmanöver des antiken Theaters: Die Geburt des “deus ex machina” entstammt dem Geiste der Gaukelei.
Bis der technische Fortschritt tatsächlich weit genug war für eine artifizielle Verdauung, verging noch eine ganze Weile – dann aber konfrontierte der belgische Künstler Wim Delvoye die Welt nach einer knappen Dekade des Tüftelns im Jahr 2000 mit seiner ersten Kloakenmaschine. Über ein Vierteljahrhundert nach der Mondlandung wurde seine Leistung jedoch weniger mit allgemeiner Bewunderung quittiert als mit Ekel. Wie eine Befragung im Tasmanischen Museum für alte und neue Kunst in Hobart ergeben hat, ist Delvoys Nachfolgewerk, die “Cloaca Professional”, das aller unbeliebteste Exponat, das es hier zu sehen gibt – aber zugleich auch das, vor dem Besucher:innen im Durchschnitt am längsten verweilen. Die Kunstkritiker:innen Christian Denker und Isabelle Loring Wallace bezweifeln übrigens, dass hier tatsächlich authentischer Kot entsteht. Demnach handle es sich vielmehr um ein “Verdauungs-Faksimile, keine Scheiße, sondern Repräsentation von Scheiße”.
Wo sich Maschinenmenschen und Menschenmaschinen zunehmend angleichen, ist es vielleicht erleichternd für viele Lebewesen, dass noch niemand so echt kackt wie wir. Zumal sich das Mithalten auf den anderen Gebieten immer aussichtsloser gestaltet. “‘Der Gerät’ wird nie müde, ‘Der Gerät’ schläft nie ein, ‘Der Gerät’ ist immer vor dem Chef im Geschäft und schneidet das Dönerfleisch schweißfrei”, betonte “Der Gerät”-Verkäufer und Dönerroboter-Erfinder Duran Kabakyer schon 2011. Seitdem hat sich die Konkurrenz nur noch weiter verschärft, denn das weltweite Schwitzen nimmt zu.
[zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 696 am 31. Juli 2024]