Die Kraft des Lichts

Michael Förtsch und Qant

von Minh Schredle

Ein Computer, der mit Licht statt Strom rechnet, und eine Prothese mit Gedankensteuerung: Das erst sechs Jahre alte Start-up Qant aus Stuttgart präsentiert zwei futuristische Prototypen. CEO und Physiker Michael Förtsch trägt einen fast größenwahnsinnigen Anspruch irritierend bescheiden vor.

Der unscheinbare Klotz in der Handwerkstraße, Stuttgart-Vaihingen, lässt wenig von den Ambitionen erahnen, die im Inneren gehegt werden. Hier teilt sich die 2018 gegründete Firma Qant einen vierstöckigen Bau mit einer Unternehmensberatung und einem Postdienstleister. Verglichen mit den Protzpalästen von Techgiganten wie Google, Apple oder Nvidia ist das nicht einmal eine Tüftlergarage. Darin weist Physiker und CEO Michael Förtsch auf einen metallischen Schrank mit Glasfront: Er beherbergt einen Prozessor, der mit Licht arbeitet und, wie Förtsch sagt, die Welt der Computer auf den Kopf stellen könnte.

Wo Elon Musk den guten Ruf der Techvisionäre nachhaltig diskreditiert hat und sich das substanzlose Prahlen als allgemeine Kulturtechnik etablieren konnte, verwundert die nüchterne Art des Vortrags: Was Förtsch erzählt, klingt im Grunde etwas größenwahnsinnig, aber er wirkt dabei weniger wie ein Crypto-Bro, der mit spektakulären Renditeversprechen für dubiose Investments ködert, als vielmehr wie ein Wissenschaftler, der sachlich berichtet, welche Szenarien er nach seinen Kalkulationen am wahrscheinlichsten hält.

Dabei wirkt der Arbeitsnachweis des Lichtcomputers auf den ersten Blick ähnlich unspektakulär wie der Firmensitz: In einer (per Cloud öffentlich zugänglichen) Demo soll eine Künstliche Intelligenz handschriftliche Zahlen identifizieren. Der Computer rechnet eine Weile, spuckt dann ein Ergebnis aus und beziffert in Prozenten, wie sicher er sich ist. Das bekommen andere auch hin – bemerkenswert sind die zwei Balken darunter, die den Strombedarf anzeigen. Demnach hätte ein herkömmlicher Computerchip für die gleiche Operation etwa 2.300 Femtojoule (Energie-Messeinheit) verbraucht. Der Photonen-betriebene Qant-Chip kommt auf 76 Femtojoule, also ein Dreißigstel.

Das ist durchaus eine Hausnummer, die ein gewisses Potenzial erkennen lässt. So behauptete Google zwar im jüngsten Umweltbericht des Unternehmens, durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz könnten die globalen Treibhausgase bis 2030 um fünf bis zehn Prozent reduziert werden: indem die Technik dabei hilft, Ressourcen in der Güterproduktion oder Forstwirtschaft effizienter zu nutzen und beispielsweise beim Katastrophenschutz genauere Vorhersagen zu treffen. Momentan allerdings steht der Vision einer sauberen Zukunft ein extremer Energiehunger gegenüber: Zwei Bilder durch eine KI generieren zu lassen, verbraucht in etwa so viel Strom wie ein durchschnittlicher Smartphone-Akku speichern kann; bei 30 Fragen an ChatGPT muss ungefähr ein halber Liter Wasser verdampft werden, um die in Rechenzentren entstehende Hitze herunterzukühlen. Die Unternehmensberatung McKinsey prognostiziert, dass sich der Strombedarf europäischer Rechenzentren bis 2030 beinahe verdreifachen werde und damit rund fünf Prozent des gesamten europäischen Stromverbrauchs ausmachen würde – zu viel, als dass es allein durch erneuerbare Energien zu decken sei. Und wie die “Washington Post” berichtet, steht in den USA bereits die Reaktivierung alter Kohlekraftwerke auf der Tagesordnung, um den KI-Boom zu speisen.

Förtsch hält diesen Energiehunger für wahnsinnig ineffizient – und verweist aufs Gehirn: Das sei auch rechenstark, aber begnüge sich mit einem Müsli oder einer Pizza, “dann läuft die Kiste da oben ohne eigenes Kraftwerk”. Wenn die Natur das hinkriegt, bedeutet es für Förtsch, dass es bei computergestützten Berechnungsmethoden erhebliche Einsparpotenziale geben muss. Bei Qant wollen sie diese erschließen, indem sie sich die quantenmechanischen Eigenschaften von Photonen zunutze machen. Das Firmenmotto erinnert an eine Esoterikmesse: Sie wollen einen Paradigmenwechsel hinsichtlich “der Kraft des Lichtes” anregen.

An den Grenzen der Physik

Zu Beginn seines Studiums hatte Förtsch eigentlich Lehrer werden wollen. Die Leidenschaft für Wissensvermittlung wird deutlich, wenn er mit vielen Gesten und Gleichnissen erklärt. Seit der Erfindung des Computers werde zu wenig vom Problem aus gedacht, meint er mit ausgebreiteten Armen – man begnüge sich meist, vorhandene Lösungsansätze an neue Fragen anzupassen. Das vergleicht er mit einem Hammer, der wunderbar für Nägel geeignet sei. “Wenn Sie eine Schraube in die Wand hämmern wollen, dann bekommen Sie das irgendwann auch hin. Nur ist es eben wahnsinnig ineffizient.” So sei der Computer von 1967 als Werkzeug zur Rechenaufgabenerleichterung konzipiert worden, ohne dass jemand die Zukunft der Künstlichen Intelligenz im Sinn haben konnte. Dabei würden nun die traditionellen Pfade der Computertechnik an die Schranken ihrer Entwicklungsfähigkeit stoßen.

Die Grundlage traditioneller Prozessoren bilden unzählige Transistoren, die als winzige Schalter genau einen von zwei binären Zuständen einnehmen können. Dieser Rechenweg erfordert zunächst eine recht umständliche Übersetzung aller zu bearbeitenden Probleme ins Digitale, etwa die Transformation von Zahlenwerten in lange Folgen von Einsen und Nullen, die dann beispielsweise eine dezimale “27” als binäre “11011” darstellen. So zu rechnen, braucht viele Schalter: Für die meisten Multiplikationen sind circa 1.200 Transistoren nötig, das Wurzelziehen gelingt ab etwa 7.700 Transistoren, und die gesamte Arbeit moderner Computer basiert auf einer digitalen Simulation der realen Welt.

Allerdings zeichnet sich eine Erschöpfung der Schrumpfpotenziale ab. Moderne Prozessoren werden immer rechenstärker, weil es gelingt, immer mehr Transistoren auf weniger Raum unterzubringen. Das ist bereits winziger als winzig: Der H100-Chip von Nvidia, Goldstandard der Branche, arbeitet mit 80 Milliarden, jeweils nur eine Handvoll Atome großen Transistoren auf wenigen Kubikzentimetern. Er hat einen ähnlichen Energieumsatz pro Zeitspanne wie ein unter Volllast betriebener Backofen und wird ebenfalls ganz schön heiß. Der taiwanesische Hersteller TSMC arbeitet für Investitionskosten von 32 Milliarden Dollar daran, die Transistorengröße bis 2030 auf einen einzigen Nanometer zu halbieren, danach ist absehbar Schicht im Schacht: Weil die Zuverlässigkeit der Transistoren bei einer Zusammensetzung aus weniger als acht Atomen zu stark beeinträchtigt ist.

Angesichts der astronomischen Investitionen und des weltweiten Wettrennens, bei dem milliardenschwere Konzerne mit zehn- oder hunderttausenden Beschäftigten einen riesigen Startvorsprung haben, erscheint es mindestens ambitioniert, als Unternehmen mit aktuell etwa 100 Mitarbeiter:innen konkurrieren zu wollen – und umso verwegener wirkt das Vorhaben, die Computertechnik an sich auf den Kopf zu stellen. Michael Förtsch beugt sich auf seinem Stuhl nach vorn und lässt einen ausgestreckten Zeigefinger nach oben weisen: “Wir können Millionen Transistoren durch ein einzelnes optisches Element ersetzen.” Dann erzählt er vom sonderbaren Kosmos der Quantenmechanik, wo Gesetze greifen, die so fremdartig sind, dass die Analogiebildung anhand von Alltagserfahrungen schwer bis unmöglich ausfällt: Bei Qant operieren sie mit Photonen, wobei Licht zugleich Welle und Teilchen ist und jeweils eine der Eigenschaften in Abhängigkeit davon zum Vorschein gebracht wird, wie es beobachtet wird. In Unvereinbarkeit mit den von Aristoteles in der Antike formulierten Grundsätzen der Logik gibt es hier einzelne Partikel, die an mehreren Orten gleichzeitig sein können, um sich später in Wellenform selbst zu überlagern.

Mach du mal

Dass Förtsch und Qant sich den Mut leisten können, mit Traditionen zu brechen und mit neuartiger Technik zu experimentieren, hängt maßgeblich mit der Finanzierung des Start-ups zusammen. Projektbezogen fließen auch öffentliche Gelder in die Forschung. Doch die zweistelligen Millionenbeträge kommen vom Investor Trumpf aus Ditzingen, der in Sachen Lasertechnik zur Weltspitze zählt. Bei einem Vortrag für die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Mai 2022 beschrieb Förtsch die Zusammenarbeit lapidar: “Genau genommen sind wir Teil der Trumpf-Gruppe, wir fühlen uns aber autonom.” Sie würden mit dem Aufsichtsrat bestimmte Meilensteine abstimmen, für deren Erreichen es dann eben die nächste Tranche Geld gibt. Bislang habe das immer geklappt.

Vor der Qant-Gründung arbeitete Förtsch als Assistent von Peter Leibinger, seinerzeit Technologievorstand bei Trumpf und nicht unbedingt bekannt als einer, der Luftschlössern hinterher jagt. Einmal hat Förtsch dem Chef zwei handschriftliche Seiten vorgelegt mit Anregungen, wie Trumpf von Quantentechnologie profitieren könnte. Daraufhin habe Leibinger an den Rand notiert: “Du musst ein Unternehmen gründen. Ich investiere.” Etwa sieben Jahre später bedauert ein Qant-Sprecher in der Stuttgarter Zentrale zutiefst, dass das in seiner Historizität verkannte Dokument nicht mehr auffindbar ist, er hätte es am liebsten gerahmt.

Wer das Curriculum Vitae des 39-jährigen Förtsch nach red flags durchforstet, findet das Gegenteil: In knapp zwei Jahren promovierte er summa cum laude am Erlanger Max-Planck-Institut in Physik des Lichtes, Gegenstand seiner Doktorarbeit war die Nutzbarmachung integrierter Optoelektronik für effiziente Datenverarbeitung. Das sind Sphären, in denen auch das Journalistengehirn an seine physikalischen Grenzen stößt: Mit dem photonischen Prozessor von Qant soll es nach Unternehmensangaben angeblich möglich sein, “effiziente Matrix-Vektor-Multiplikationen nativ zu implementieren”, wobei durch die “Nutzung der Parallelität von Licht” offenbar eine Datenverarbeitung in “n-dimensionalen photonischen Bereichen” möglich wird (spätestens hier kann der Autor nicht mehr folgen, auch wenn er sich echt Mühe gegeben hat – aber keine Sorge: Es geht jetzt zurück in vertrautere Welten).

Ihr Lichtcomputer, erklärt Förtsch, sei im Gegensatz zum Hammer auf Schrauben spezialisiert: Er eigne sich besonders für KI-Anwendungen und Maschinelles Lernen und weise dort die Vorzüge auf, wenig Strom zu verbrauchen und die Raumtemperatur nicht zu erhöhen. Das bedeute aber auch, betont Förtsch, dass Nägel und Reiszwecken besser mit anderem Werkzeug bearbeitet werden sollten. Auch wenn ihr Computer mit Quanten operiere, handle es sich nicht um das, was gemeinhin als Quantencomputer verstanden wird (für Feinschmecker: Weil er nicht mit Qubits arbeitet). Ab Dezember, kündigt Förtsch an, beginne bei Qant die Serienfertigung der Photonenprozessoren in kleiner Stückzahl, die dann ihr Können in Rechenzentren interessierter Kunden unter Beweis stellen sollen.

Gedankensteuerung als Zukunftsszenario

Gelingt damit ein Durchbruch, wäre das Potenzial immens – zumal die Bundesrepublik mit ihrer ramponierten Schlüsselindustrie (Autos) bislang auf dem Gebiet der Computerchip-Technik völlig irrelevant ist. Schon einmal ist es dem kleinen Unternehmen Qant gelungen, für offene Münder in der Fachwelt zu sorgen – mit einer zweiten Innovation, die wie Science-Fiction anmutet: Eine Prothese, die zumindest sehr schlichte Gedanken in einfache Bewegungen umsetzen kann, und das ohne invasive Eingriffe in den Körper.

Diesen April stellte das Unternehmen auf der Hannovermesse einen Magnetfeldsensor vor, der sensibel genug ist, die elektromagnetischen Signale eines menschlichen Gehirns zu registrieren und aufzuzeichnen. Jede angestrebte Bewegung erzeugt ein Muster von Signalen, die sich – wie unter anderem der menschliche Körper zeigt – interpretieren und verarbeiten lassen. In der Livedemonstration gelingt es mit dem Magnetfeldsensor von Qant bereits, eine Prothesenhand zu schließen. Wie präzise welche Signale gedeutet werden, ist dann vor allem eine Frage der Mustererkennung, die durch entsprechenden Aufwand sehr differenziert werden könnte. Die Sensitivität des Sensors, der Signale von weniger als zehn Picotesla erkennen soll (Pico ist noch eine Stufe kleiner als Nano), nähere sich laut Förtsch bereits der absoluten “Fahnenstange der Auflösung”, zumindest solange nicht doch noch irgendwann Teilchen entdeckt werden, die kleiner sind als Quanten.

Welche der beiden Erfindungen sein Favorit ist? Förtsch meint, das sei ein wenig, wie einen Vater zu fragen, welches Kind er lieber hat. Das ökonomische Potenzial hält er beim Photonenchip für größer. “Aber wenn Menschen, die ein Bein verloren haben, wieder richtig gut gehen können, ist das auch ziemlich cool.” Förtsch druckst ein bisschen herum, bevor er es ausspricht, vielleicht weil er weiß, dass er damit fast notwendigerweise wie ein Scharlatan klingt: Aber prinzipiell sei eine Gedankensteuerung von technischen Geräten durch ihren Magnetfeldsensor kein abwegiges Szenario, sondern eher die Frage, ob es gelingt, das zu bezahlbaren Preisen auf den Markt zu bringen.

Vor etwa 100 Jahren beschrieb Sigmund Freud den Menschen in “Das Unbehagen in der Kultur” als “eine Art Prothesengott” und “recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt”: Denn mit Werkzeugen kompensiere er seine Mängel und Schwächen. Motoren, die bewegen, was Muskeln nicht vermögen, Mikroskope, die die Grenzen des Sichtbaren neu definieren, Telefone, die Distanzen überbrücken, “die selbst das Märchen als unerreichbar respektieren würde”. Die Ambivalenz dieser spektakulären Fortschrittsgeschichte, die nunmehr an die absoluten Grenzen der Physik zu stoßen scheint, liegt in einem Energiehunger, der bislang noch jede Effizienzsteigerung kompensiert hat und längst die planetaren Lebensgrundlagen beschädigt. Hinzu kommt das Missbrauchspotenzial noch der genialsten Erfindung. In einer freien Welt wäre die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine wohl ein Meilenstein sondergleichen. Wo überall die autoritären Regime erstarken, hat das realistische Szenario einer technischen Gedankenauslese jedoch eine unheimliche Kehrseite.

[zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 712 am 20. November 2024]