Ein Hauch von Anarchie im Lichthof 

Über die Ausstellung “Black Flags” im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe

von Hans-Peter Häfele

Die Ausstellung “Black Flags” im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) präsentiert drei Werke der renommierten Künstler*innen William Forsythe, Edith Dekyndt und Santiago Sierra. Die Konzeptidee stammt von Alistair Hudson, die Kuration übernahmen Margit Rosen und Philipp Ziegler.

Die Ausstellungsbesuchenden sollen vor dem Hintergrund der unübersehbar existentiellen Bedrohungslagen, sensibilisiert werden für die Verletzbarkeit unseres gleichermaßen vernetzten wie fragilen Ökosystems und vermittelt über die Kunst, neue Perspektiven auf die Welt gewinnen. Zu sehen ist die Gesamtschau im großen Lichthof des vom früheren Medienkünstler und Kunsttheoretiker Peter Weibel, bis zu seinem überraschenden Tod 2023, geleiteten Zentrums für digitale Medienkunst.

Die drei medial unterschiedlichen Kunstwerke werden als ein assoziativ sinnvolles Arrangement dargeboten und regen auf Grund ihrer je eigenen Semantik zu einer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit den Installationen an. Als das Verbindende und zentraler Gegenstand einer sowohl politischen als auch ästhetischen Reflektion steht die ,,Schwarzen Flagge“ als dem ikonischen Motiv und Symbol für den politischen Anarchismus.

Der spanische Konzept- und Performance Künstler Santiago Sierra ist mit seiner großformatigen Schwarz/ Weiß Photo- Reihe ,,Black Flag“ (2015) vertreten. Das Werk aus 10 parallel montierten großformatigen Bildern präsentiert uns Santiago Sierra in Gestalt einer Klanginstallation mit einem aus zwei Boxen kommenden, heulenden Polar- Wind als akustische Untermalung. Das Werk selbst besteht in der Dokumentation eines zeitgleichen Steckens und Hissen der Schwarzen Flagge am Nord- und Südpol. Das anti- nationale, anarchistische Symbol fungiert hier als expressiver Gestus der Opposition zu einer jeglichen, staatlich- kolonialen Landnahme, zum Zwecke einer globalen, extraktivistischen Ausbeutung der Natur.

Die in Brüssel lebende Künstlerin Edith Dekyndt ist mit ihrem Video ,,Ombre Indigene Part 2, Martinique“ (2014) vertreten. Als Dauerschleife ist das Wehen von langen, schwarzen Haarsträhnen im Winde zu sehen. Diese sind gleich einer Fahne an einer Stange befestigt. Das Artefakt existiert tatsächlich und soll sich unweit der Grabstätte des 2011 verstorbenen Literaten und Essayisten Edouard Glissant (*1928) auf der Karibik- Insel Martinique befinden. Bekannt wurde Edouard Glissant mit seinem Topos des ,,archipelischen Denkens“ sowie der Theorie einer ,,Kreolisierung“ der Kulturen, einem globalen Prozess, welcher durch eine unaufhörliche, jedoch transparente Durchmischung der literarischen Sprachen und Kunstproduktionen charakterisiert sei. Als schlüssige Konsequenz hieraus folge eine Absage an einen jeglichen, identitären Kulturbegriff und Versuchen einer nationalen Vereinnahmung des materialen Kunstschaffens. Im September 2022 erreichte Edith Deykandt‘ s Foto der ,,Wehenden Haarsträhnen“ als Flagge über die Social- Media Kanäle eine rasend schnelle Verbreitung und weltweite Bekanntheit als zentralem Symbol des Protestes der iranischen Frauen gegen die vom repressiv- autoritären Mullah- Regime verhängte Pflicht zum Tragen des Hijab als Kopfbedeckung.

Komplettiert wird das Arrangement dieses konzeptuellen, medialen Gesamtkunstwerks durch eine vom bekannten, US- amerikanischen Choreographen William Forsythe 2014 fertig gestellte Installation, welche ebenfalls mit ,,Black Flag“ betitelt ist. Obwohl jedes einzelne der vorgestellten Werke für sich eine große Aussagekraft hat, darf Forsythe‘ s Werk als das eigentliche Herzstück dieses assoziativen, politisch- ästhetischen ,,Triptichons“ bezeichnet werden. Die Konstruktionsidee basiert auf zwei Industrie- Robotern, welche wiederum auf zwei parallel gestellten, ebenfalls schwarz lackierten, Lafetten montiert wurden. An ihren End- Teilen umgreifen diese jeweils Stangen, an welchen etwa 5×4 Meter große Flaggen aus schwarzer Seide befestigt sind. Durch die beeindruckende, digital- technisch gesteuerte, mechanische Flexibilität der Apparate soll eine ,,komplexe, kontrapunktische Choreographie“ entfaltet werden. Den zu Grunde liegenden künstlerischen Gedanken formulieren das Kuratorium so: ,,Die Fähigkeit der Maschinen, diese grenzenlos und ohne jegliche räumliche oder zeitliche Abweichung auszuführen, überträgt ihre analoge, choreographische Aufgabe in das außergewöhnliche Gebiet des Absoluten und die Choreographie in eine ideale, aber maschinelle Isolation“.

Man kann der Essenz dieses philosophischen Aufschlags reflektierend folgen oder auch den eigenen Assoziationen vertrauen. Am besten gelingt dies, indem man sich auf einen der um diese hoch komplexe technische Apparatur gestellten Stühle setzt und sich dem unweigerlich, wie von selbst einstellenden Zustand des meditativen Betrachtens überlässt. Der Genuss des Anblicks dieses ruhigen und rhythmischen Schwenkens der zwei schwarzen Fahnen lassen rasch alles zuvor Irritierende in den Hintergrund treten. Schon nach kurzer Zeit stellt sich nicht nur ein seelisches, sondern auch ein körperliches Wohlbefinden im Betrachtenden ein. Der harmonische Tanz der glänzenden, schwarzen Seide entfaltet eine bewegte und doch stille Magie. Das kurze Stakkato im Geräusch des Flatterns beim Anhub, ihre sanften Wellenschläge beim Absenken der Stoffe, ihre kurzes Sich- Überlappen, das behutsame Gleiten entlang der massiven und taktil doch so feinen Gliedmaßen des Roboters im kurzen Verhüllen des kalten Stahls. All dies erzeugt in der mechanischen Wiederholung einen nachhallenden, ästhetischen Eindruck im Empfinden. Folgen die stählernen Arme in ihren stets exakt kreisenden Bewegungen und Variationen dem Diktat einer Programmierung, so ist dieser technikgenerierte Wellenschlag der Flaggen im luftbewegten Raum, in Nuancen wahrnehmbar, erneut immer wieder auch ein anderer. Avancierte (Industrie)- Technik vermählt sich hier als sinnliche Erfahrung in steter Bewegung mit der Idee der Freiheit von jeglicher Herrschaft, welche das Motiv der Schwarzen Flagge seit je her symbolisiert. Eigene Imaginationen und Impulse hierzu stellen sich vor Ort wie von selbst ein. Das ist gleichermaßen geistig anregend wie auch visuell genussvoll. Man man möchte sehr lange dort verweilen und darüber räsonieren, was die Vielfalt des anarchistischen Denkens unserer heute so bedrohten Welt an Perspektiven offerieren kann.

  • Die Ausstellung ist noch bis zum 6.10.24 im Lichthof 8,9 im ZKM, Lorenzstraße 19, 76135 Karlsruhe zu sehen.

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Hans-Peter Häfele bewegt sich im Umfeld des ,,Café Noir“ Karlsruhe