Gegen Kapitalismus und regressiven Antikapitalismus.
Gegen Antisemitismus und Antizionismus.
Gegen Patriarchat und Kollektivismus.
Die kapitalistische Gesellschaft brachte und bringt die größten Krisen, Kriege und Katastrophen der Geschichte hervor. Das liegt an ihrem Streben nach unendlichem Wachstum und Maximalprofit, ihrem Autokannibalismus und ihrer Tendenz zur regressiven ideologischen Krisenverarbeitung. Hunger- und Ernährungskrise, Energiekrise, Umwelt- und Klimakrise, staatliche Zerfallskrise in großen Teilen der Welt, Finanz- und Wirtschaftskrise und der Aufschwung reaktionärer und menschenfeindlicher Ideologien sind miteinander verwoben. Können diese Krisen wirklich überwunden werden? Die Antwort darauf ist offen. Emanzipation von diesen Zuständen, ein wirklicher Frieden, aus dem kein Krieg erwächst und die Durchsetzung echter Alternativen sind jedenfalls zu einer Überlebensfrage für die Menschheit geworden.
Der Januskopf der kapitalistischen Moderne. Sie steht für Barbarei: Shoah, Weltkriege, Antisemitismus, Nationalismus und viele Formen der Unterdrückung. Sie steht für Borniertheit: Der kapitalistisch vergesellschaftete Mensch erliegt dem Fetisch der warenproduzierenden Gesellschaft, die ihm als die einzig mögliche aller Welten erscheint. Ihr Kampf ums Überleben im Krieg aller gegen alle und ihr ewiges Kaufen-und-(sich)-verkaufen-müssen sind ihm zur „zweiten Natur“ geworden.
Die Moderne steht aber auch gegen Barbarei und Borniertheit: persönliche Abhängigkeitsverhältnisse in Clan-, Familien-, religiösen und kollektivistischen Strukturen, viele Formen von Irrationalismus und Geisterglauben, Folter und Todesstrafe werden überwunden bzw. zurückgedrängt. Die demokratische Staatsform, die in einigen Ländern etabliert wurde, ist die bei Weitem erträglichste Regierungsform von allen.
Die kapitalistische Moderne zerstört erfreulich viele Zwangskollektive, bringt aber selbst neue hervor. Sie beseitigt viele persönliche Herrschaftsverhältnisse, etabliert aber die Zwangswelt von Ware, Wert, Geld, Kapital, Arbeit und Nation. Sie überwindet vormodernen Kollektivismus, schafft aber den erbitterten Konkurrenzkampf der vereinzelten Einzelnen und reduziert den Menschen auf den „freien und gleichen“ Warenbesitzer, der sich entweder auf Kosten anderer durchsetzt oder untergeht. Sie zerschlägt patriarchale Clan- und Familienstrukturen und bleibt doch strukturell patriarchal: Obwohl auch ihr die „nicht verwertbaren“ reproduktiven Lebensbereiche existentielle Voraussetzung sind, betrachtet sie sie als „minderwertig“ und ordnet sie dem „Weiblichen“ zu. Menschlichkeit, Solidarität, Liebe, Geborgenheit, Zuwendung – kurz alles, „wofür man sich nichts kaufen kann“, spielt im Kapitalismus nicht nur keine Rolle, sondern wird von ihm gar als lästiger Störfaktor bekämpft und unterminiert. Trotzdem bleibt die Befreiung aus persönlicher Abhängigkeit eine zivilisatorische Errungenschaft. Frauen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, müssen sich zwar genauso den systemischen Verwertungszwängen unterwerfen, erleben aber die Überwindung der ökonomischen Abhängigkeit von Männern als große Befreiung.
Die kapitalistische Moderne löst das Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung nicht wirklich ein. Arm und Reich haben bekanntlich das gleiche Recht, unter Brücken zu schlafen und vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Krise erleben wir mit dem Abbau sozialer Rechte und Leistungen, der systematischen Verschärfung staatlicher und nichtstaatlicher Überwachung und Repression und dem Aufleben von Ressentiments und reaktionären Ideologien wie zwischenzeitlich errungene relative Fortschritte, Freiheiten und Besitztümer unter der Wucht der krisengeladenen Eigendynamik dieser Gesellschaft auch wieder verloren gehen können und zerfallen.
Der Januskopf des Antikapitalismus. Er steht für große Erfolge der sozialen Bewegungen und deutliche Verbesserungen für Massen von Menschen. Er steht aber auch für die Verbrechen von Stalinismus und Staatssozialismus. Und er steht sogar für noch Schlimmeres: Denn nicht nur die Linke folgte dem antikapitalistischen Impuls, sondern auch der deutsche Nationalsozialismus. Der regressive Antikapitalismus gebiert immer wieder die Vorstellung von gierigen Bösewichtern, die „uns ehrlich Arbeitende“ bedrohen. Dieses Weltbild, das nicht nur in der Rechten, sondern auch in der Linken zuhause ist, steigerte sich zu Beginn der vierziger Jahre zum antisemitischen Vernichtungsprogramm der Shoah. Wenn heute wieder allerlei Verschwörungsphantasien blühen und die Vorstellung um sich greift, „Heuschrecken“, „gierige Zocker“ usw. verursachten die Krise, so zeigt das einmal mehr, dass aus dem Schoß kapitalistischen Alltagsbewusstseins immer wieder Wahn erwächst, der sich beängstigend schnell und massenhaft verbreiten kann.
Regressiver Antikapitalismus bleibt im kapitalistischen Zwangskollektiv der Käufer- und VerkäuferInnen befangen und befördert das Ressentiment. Dieses äußert sich auf verschiedene Weise. Rassismus und Fremdenhass sind vorwiegend im rechten Spektrum und in der „Mitte der Gesellschaft“ beheimatet, waren aber auch der Linken nie fremd. Ganz besonders gilt dies für den Nationalismus, der immer wieder auch im linken Gewand auftritt. Linker Kollektivismus war unter der Herrschaft der staatssozialistischen Parteien am deutlichsten ausgeprägt, aber das kollektivistische Ressentiment ist nach wie vor unter vielen Linken verbreitet – in Form von Anti-Individualismus, Intellektuellenfeindlichkeit und Begeisterung für „Völker“ und politische „FührerInnen“.
Die extremste Krisenverarbeitungsideologie der kapitalistischen Gesellschaft ist der Antisemitismus. Er war auch nach 1945 nie tot und ist heute wieder überall verbreitet – von Rechtsaußen bis Linksaußen. Zwar ist er in Deutschland immer noch diskreditiert und fast niemand sagt öffentlich „etwas gegen die Juden“, aber Umfragen wie Alltagserlebnisse verweisen auf andere Zustände. Insbesondere nach 1967 verbreitete sich mit dem Antizionismus ein gegen den Staat Israel gerichtetes Ressentiment, das den vermeintlichen „Vorteil“ bietet, „nichts gegen die Juden haben“ zu müssen und „doch nur Israel zu kritisieren“. Aber der Antizionismus weist eine große gemeinsame Schnittmenge mit dem Antisemitismus auf. Während der Antisemit „weiß“, dass die Juden bösartig sind und das Unglück anzetteln, „weiß“ der Antizionist eben das über Israel. Markenzeichen des Antizionismus ist neben einer einseitig gegen Israel gerichteten Wahrnehmung des Nahostkonflikts eine fast vollständige Blindheit für den grassierenden Antisemitismus. Dies gilt insbesondere auch für die Rolle und den Charakter des Islamismus, den der Antizionismus nicht selten als natürlichen Verbündeten im Kampf um die Beseitigung des jüdischen Staates betrachtet. Israel ist nicht nur – wie alle anderen Staaten auch – ein kapitalistischer Staat, sondern es ist auch der vom antisemitischen Vernichtungswahn bedrohte „Jude unter den Staaten“. Solidarität mit Israel ist zum unverzichtbaren Bestandteil des Kampfes gegen den Antisemitismus geworden.
Die Katastrophen der Moderne sind undenkbar ohne die strukturellen Zwänge des Kapitalismus, lassen sich aber nicht allein aus ihnen erklären. Sonst hätte es mit Nationalsozialismus, Stalinismus und der unter dem Schlagwort New Deal bekannt gewordenen Reaktion in den USA nicht sehr verschiedene politisch-ideologische Antworten auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 geben können. Weder wäre zu erklären, warum die Shoah von Deutschland organisiert wurde, noch warum sich die derzeit gefährlichste Form des Antisemitismus vor dem Hintergrund des Islam abspielt. Die Katastrophen der Moderne speisen sich auch aus der Verquickung und Potenzierung des destruktiven Potentials von Kapitalismus und nationalen, religiösen und kulturellen Besonderheiten und vormodernen Traditionen. Auch der Islamismus als ein Phänomen nicht gelingender globaler kapitalistischer Vergesellschaftung, in dem sich derzeit der antisemitische Vernichtungswahn am deutlichsten und wirkmächtigsten artikuliert, weist diese komplexe Struktur auf. Er ist weder „Moderne pur“ noch „Antimoderne pur“. Seine kulturalistische Interpretation als angeblich „mittelalterliche“ Gegenbewegung gegen den „freien Westen“ ist ebenso unhaltbar wie seine kulturrelativistische Verharmlosung und das Appeasement ihm gegenüber, das letztendlich nichts anderes tut, als unhintergehbare und universelle zivilisatorische Standards aufzugeben.
Der Weg zu Emanzipation und Frieden führt auf keinen Fall über eine „Revolution“ im Sinne der „Machtübernahme“ durch „die Richtigen“. Dieses Programm hat eine grausame Blutspur in der Geschichte hinterlassen und ist mit Recht gescheitert, denn es verbleibt im Universum von Herrschaft und Zwangskollektiv. Der Weg zu Emanzipation und Frieden führt nicht über ein „Gesellschaftsmodell“, das dann „nur noch“ verwirklicht werden soll, wie in den jämmerlich gescheiterten „Sozialismen des 20ten Jahrhunderts“ und ihren diversen Nachfolgern. Wenn es einen Weg zu Emanzipation und Frieden gibt, dann nur, wenn Kapitalismus und regressiver Antikapitalismus gemeinsam überwunden werden. Ohne Reflexion und ohne Kampf gegen das Ressentiment, ohne Überwindung von Zwangskollektiven und patriarchalen Strukturen wie Clans, Staaten, Nationen, „Völker“, „Kulturen“ und anderer „Fan- und Führer“- Strukturen gibt es genauso wenig Aussicht auf emanzipierte und friedliche Verhältnisse wie ohne die Überwindung des (selbst)mörderischen „Krieges aller gegen alle“ des Kapitalismus.
Das antimoderne und antiwestliche Ressentiment des regressiven Antikapitalismus kritisiert kapitalistische Vergesellschaftung für die Idee des freien und selbstbestimmten Individuums. Emanzipatorische Kritik hingegen lobt sie dafür und kritisiert sie zugleich, dass sie diese Idee nur in der verkrüppelten Form des bürgerlichen Konkurrenzsubjekts denken und nicht wirklich realisieren kann. Aufklärung und Menschenrechte sind im Kontext von Warenproduktion und Staats- und Rechtsform entstanden und tragen die Fesseln und Widersprüche ihrer Herkunft. Trotzdem beinhalten sie wichtige Momente historischen Fortschritts. Als Vorschein von Selbstbestimmung und wirklicher Freiheit verweisen sie darauf, dass unhintergehbare und universelle zivilisatorische Standards und Werte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, gleicher Zugang zu guter Ernährung, Bildung und Gesundheit, Abwesenheit von Folter und Todesstrafe, sexuelle Selbstbestimmung und vieles andere mehr für alle Menschen Wirklichkeit werden müssen. Hinter das Versprechen universell gültiger humaner Werte, hinter das Individuum, hinter die Befreiung des Menschen aus personaler, patriarchaler und kollektivistischer Abhängigkeit und Herrschaft darf es kein Zurück mehr geben. Solange keine praktikable Alternative jenseits der bürgerlichen Gesellschaft in Sicht ist, die mehr und nicht weniger an persönlicher Freiheit als diese garantiert, gilt es, ihre demokratische Verfassung und ihre Grundrechte gegen die drohende Barbarei zu verteidigen – auch und gerade gegen die Barbarei, die aus ihr selber erwächst.
Wir treten für weltweite Abrüstung und eine friedliche Welt ein. Wir respektieren den Standpunkt wirklicher Pazifisten, für die unter keinen Umständen Gewaltanwendung infrage kommt, rechnen uns aber selbst nicht dazu. Es war gut, dass die Alliierten den deutschen Nationalsozialismus militärisch niedergeschlagen haben. Und Israel muss all denen, die es beseitigen wollen, militärisch überlegen bleiben. Keine Sympathie haben wir für angebliche Friedensfreunde, die jeden Krieg „übersehen“, der nicht mit Israel und/oder den USA zu tun hat und die den djihadistischen Terror ignorieren, verharmlosen und relativieren, teils auch offen unterstützen.
Wir unterstützen die Gegenwehr gegen die Zumutungen und die Barbarei der kapitalistischen Krisenwirtschaft und treten für die Überwindung des regressiven Antikapitalismus in den sozialen Bewegungen ein. Es gilt, selbstorganisierte Freiräume jenseits der Verwertungszwänge zu suchen, zu etablieren und zu vernetzen. Insbesondere die Krise der Arbeit verlangt neue Antworten. Wie viel Arbeit ist heute überhaupt noch notwendig? Wie kann sie so neu verteilt und organisiert werden, dass sie die Suche nach grundlegenden Alternativen möglichst fördert statt sie zu behindern?
Ohne Entwicklung kritischer, selbstbestimmter und verantwortungsbewusster Individuen keine gelingende Emanzipation und kein wirklicher Frieden. Ohne gelingende Emanzipation und wirklichen Frieden keine Entwicklung kritischer, selbstbestimmter und verantwortungsbewusster Individuen.
Dazu wollen wir Diskussionsanstöße geben und aufnehmen. Mit Analyse, Kritik, Veranstaltungen und Aktionen.
Für Emanzipation, Solidarität und freie Assoziation der Individuen.
Für einen neuen, nicht regressiven Antikapitalismus.
Für Selbstbestimmung und Selbstorganisation.
Emanzipation und Frieden, März 2009
Lesen Sie die Flugschrift hier im Layout: Emanzipation und Frieden. Antikapitalismus 2.0