von Thomas Tews
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion glorifiziert den Beitrag der Wehrmachtsfallschirmjäger zur Eroberung der Insel Kreta im Zweiten Weltkrieg und verschweigt dabei ein von ihnen an der kretischen Zivilbevölkerung begangenes Massaker.
Am 20. Mai schrieb Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages, in den sozialen Netzwerken „Facebook“ und „X“ Folgendes:
„Heute vor 84 Jahren sprang mein Vater Hans Lucassen mit seinen Kameraden des Fallschirmjägerregiments 1 über Kreta ab. Das Unternehmen Merkur wurde zur größten Luftlandeoperation der Kriegsgeschichte. Nach 12 Tagen verlustreicher Kämpfe gegen einen materiell und personell überlegenen Gegner war die Mittelmeerinsel genommen.
Die soldatische Leistung der kämpfenden Einheiten wird bis heute von Militärhistorikern und Soldaten gewürdigt. Die persönlichen Schicksale der deutschen Fallschirmjäger rühren zu Tränen. Wie das der drei Blücher-Jungs. Hans-Joachim, Leberecht und Wolfgang Graf von Blücher (Nachfahren des berühmten preußischen Generalfeldmarschalls) fielen innerhalb weniger Stunden. Hans-Joachim starb in Wolfgangs Armen bei dem Versuch, den Zug seines Bruders mit Munition zu versorgen. Leberecht wurde vermutlich bereits am Fallschirm tödlich verwundet.
Für meinen Vater war Kreta der erste große Einsatz im Krieg. Es folgten Jahre an der Ostfront und die Schlacht am Monte Cassino.
Die Eroberung Kretas begründete auch den Ruf der modernen Fallschirmjägertruppe. Bis heute sind die Eckdaten und Namen dieser Schlacht unseren Soldaten der Bundeswehr geläufig. Auch, wenn es die politische Führung zu unterbinden versucht.
Winston Churchill beschrieb es so: ‚Diese tapferen, großartig ausgebildeten und absolut zuverlässigen Fallschirmjäger stellten die Blüte deutschen Mannestums dar.‘“
Es lohnt sich, dieser geschichtsrevisionistischen Glorifizierung des Einsatzes der Wehrmachtsfallschirmjäger auf Kreta die aus Anlass der Nürnberger Prozesse von Franz Peter Weixler, der als Kriegsberichterstatter Aufnahmen einer Massenerschießung von Zivilisten in dem kretischen Dorf Kondamari durch deutsche Fallschirmjäger gemacht hatte, getätigte Aussage gegenüberzustellen:
„Nun zu den Fotos der Zivilistenerschießung: Ich befand mich meiner Erinnerung nach am 1. oder 2. Juni 1941 (es war ein Pfingstfeiertag) in meinem Quartier in der kretischen Hauptstadt Chania, als nach dem Essen der junge Adjutant des II. Batl. 1 Fallschirmjägerregts. zu mir sagte, dass ich ‚heute Nachmittag etwas Interessantes erleben könnte‘. Ich wurde neugierig und fragte, worauf er mir antwortete, dass eine Strafexpedition gegen mehrere Dörfer bei Malemes stattfinden werde, da man massakrierte Fallschirmjägerleichen und geplünderte Tote gefunden hätte. Man habe vor wenigen Tagen deswegen dem Oberkommando der Luftwaffe in Berlin Nachricht gegeben und es sei ein Fernschreiben von Göring eingetroffen, wonach schärfste Maßnahmen, nämlich Erschießung der männlichen Bevölkerung zwischen 18–50 Jahren zu erfolgen hätten. Ich sagte sofort zu dem jungen Leutnant und zu Hauptmann Gericke, dass ich noch keinen einzigen massakrierten Fallschirmjäger unter den Hunderten und Aberhunderten von Gefallenen gesehen hätte, dagegen Dutzende von toten Kameraden, denen infolge der tropischen Hitze und schnellen Verwesung Augen, Nasen und sogar die Ohren fehlten.
Ich lief schnell zum Ortskommandant Major Stenzler, der mir sagte, dass eine Kommission vom Auswärtigen Amt gestern aus Berlin geflogen kam, die Untersuchungen wegen angeblicher Massakrierungen deutscher Soldaten anstelle. Er habe sich nur an den Befehl des Oberbefehlshabers der Luftwaffe zu halten, von dem er durch den Stabsoffizier der Division, Major Graf Uxküll, Kenntnis erhalten habe. Ich erzählte Stentzler, dass ich mit eigenen Augen durchs Fernglas gesehen hatte, dass gegen Abend in den ersten Kampftagen große Aasgeier auf Leichen unserer Kameraden, die noch in der Feindlinie in ihren Fallschirmen auf Olivenbäumen gehangen waren, herumhackten, eine Wahrnehmung, die auch andere Soldaten gemacht hatten. Ich erinnerte den Major, der Ortskommandant von Chania war, daran, dass wir zusammen während der Kämpfe zahllose tote halbverweste Kameraden gesehen hätten, aber keinen einzigen ermordeten oder massakrierten und dass ich es für glatten Mord ansehe, falls der Befehl Görings ausgeführt würde. Die Gerüchte von ‚Massakrierungen‘ und Verstümmelungen, sagte ich, stammen restlos von jungen und jüngsten Soldaten, deren überhitzte Fantasie im Zusammenhang mit den seelischen Überanstrengungen der letzten Kampftage diese wilden unrichtigen Gerüchte verursacht habe. Ich beschwor Major Stentzler, der ja Kampfgruppenkommandeur des Abschnittes Malemes war, den Befehl zur Strafexpedition auf jeden Fall nicht ausführen zu lassen, worauf er mich als Subalternenoffizier zurechtwies und mir verbot, mich in diese Dinge einzumischen, da ich den Fallschirmjägern lediglich für das Unternehmen Kreta als Fotograf zugeteilt sei.
Darauf rannte ich zum Stabsquartier des II. Batl., wo eben Oberleutnant Horst Trebes an eine angetretene Abteilung von etwa 30 Mann eine Ansprache des ungefähren Inhalts hielt, dass die ‚Aktion allerschnellstens als Vergeltung für unsere ermordeten Kameraden durchzuführen sei und alles ausschließlich auf sein Kommando zu achten habe.‘ […] Das Strafexpeditionskommando bestand aus Oberlt. Trebes, einem mir dem Namen nach unbekannten Inspektor im Oberleutnantsrang, einem Dolmetscher, 2 Unteroffz. und etwa 25 Fallschirmjägern des II. Batl./1. Sturmregts. – Ich stellte mich Oblt. Trebes vor und bat ihn, den mir bekanntgewordenen Befehl nicht auszuführen, […] worauf er mich vor allen Leuten anbrüllte, ‚er habe von seiner Kompanie über hundert Mann durch diese Schweine verloren und er habe sich freiwillig zur Durchführung der Strafexpedition gemeldet, er verbitte sich jegliche Einmischung!‘
Ich durfte dann die Fahrt auf einem englischen LKW mitmachen, ohne zunächst zu wissen, wohin es ging. Kurz vor Malemes bog der Wagen links ein, es ging durch einen dunklen, ziemlich langen Olivenhain, mehrmals wurde Halt gemacht und Leichen von Fallschirmjägern betrachtet. Eine Leiche war nackt und völlig mit Maden bedeckt, Trebes brüllte: ‚Wieder ein ausgeplünderter Kamerad!‘ und stachelte die Mannschaften gegen die Zivilisten auf. Etwas weiter lag ein gefallener Fallschirmjäger in seinen Fallschirm gewickelt, dessen Nase fehlte. Trebes schrie wieder, dies seien die Bewohner der nahen Ortschaft gewesen. Ich sagte ihm, dass man doch deutlich die Verwesung an Nase, Mund und Augen erkenne. Dann kam die Ortschaft, deren Namen ich erst später nach Erkundigung erfuhr: Kondamari.
Die beiden Lastwagen hielten, Oblt. Trebes brüllte Befehle und dann liefen die Fallschirmjäger im Laufschritt in die wenigen Häuser der kleinen Gemeinde. Nach kurzer Zeit war vor dem kleinen Platz die ganze Gemeinde, Männer, Frauen und Kinder, zusammengetrieben, selbst einen schwerverwundeten alten Mann mit Kopfverband brachten die Soldaten an. Ein deutscher Soldat brachte einen Waffenrock eines Fallschirmjägerleutnants mit einem Einschussloch im Rücken, worauf Trebes sofort den Befehl gab, das betr. Haus abzubrennen, was auch geschah. Dann wurde ein Dorfbewohner gebracht, der von anderen Einwohnern angeschuldigt wurde, deutsche Soldaten als Heckenschütze erschossen zu haben. Nach Aussage des Dolmetschers gab der Mann zu, im Auftrag der Engländer als Soldat mitgekämpft und einen deutschen Soldaten getötet zu haben.
Irgendwelche andere Dorfbewohner konnten keinerlei Mord- oder Plünderungstaten überführt werden und ich mischte mich nun in das Verhör und sagte Trebes, er soll nunmehr den Befehl zur Rückfahrt geben und den einen Kreter mitnehmen. Aber Trebes, dessen Gesicht völlig verzerrt war, befahl, alle Männer mit Ausnahme der Alten separat zu nehmen und die Weiber und Kinder wegzujagen. Dann befahl er dem Dolmetscher, den Weibern und Alten zu eröffnen, dass wegen Mord und Plünderungen an deutschen Soldaten alle Männer des Dorfes erschossen würden und die Leichen innerhalb von 2 Stunden einzugraben seien. Dann trieb man die Leute fort. Die Männer zwischen 18 und 50 Jahren standen nun allein auf dem Platz, ahnten aber noch nicht ihr Schicksal. Eine kurze Abwesenheit von Trebes benutzte ich, um etwa 9 Männer, die mir am nächsten standen, wegzuschicken, d. h. ich ging mit ihnen durch die Postenkette und ließ ihnen durch den Dolmetscher sagen, sie sollen sofort in die Berge fliehen und sich verstecken. In diesem Augenblick kam Trebes angerannt und fragte mich, was das zu bedeuten hätte. Ich antwortete ihm, diese Männer waren unter 18 und über 50 alt. Trebes schrie, er verbitte sich endgültig meine Einmischung, ich machte unsere Leute nervös, er gebe mir den dienstlichen Befehl, mich zu entfernen, er mache Meldung über mich. […]
Dann wickelte sich alles schnell ab. Trebes ließ einen Halbkreis formieren und gab den Feuerbefehl auf die schreienden Unglücklichen. Nach etwa 15 Sekunden war alles vorbei. Einzelne Gnadenschüsse wurden von einem Mann und dem Luftwaffen-Inspektor abgegeben. Trebes und die Soldaten waren nach der Exekution fahl, er hatte in seiner Erregung kaum bemerkt, dass ich trotz Verbotes die Fotos gemacht hatte. Ich fragte Trebes, ob er sich darüber klar sei, was er eben gemacht habe, worauf er mir antwortete, er habe nur einen Befehl von ‚Hermann‘ ausgeführt und seine toten Kameraden gerächt. – Wenige Tage darauf erhielt er für seine ‚Tapferkeit‘ auf Kreta von Göring das Ritterkreuz!
Wem Trebes dann den Vollzug des Mordbefehles meldete, weiß ich nicht, da ich mich infolge eines Nervenschocks sofort in mein Quartier begab. Meinen Film ließ ich in Athen von einem Freund entwickeln und Abzüge machen. Der Film wurde mir dann von meiner Dienststelle abgenommen, ich musste die Erklärung abgeben, dass ich keinerlei Abzug bzw. Kopien besitze.
Es ist mir aber gelungen, die Abzüge […] zu verstecken und später für meine aktive Tätigkeit gegen Hitler und sein Regime zu verwerten.
Ich persönlich komme mein Leben lang nie mehr von dem entsetzlichen Erleben auf Kreta los und habe mir geschworen, zum gegebenen Zeitpunkt zu reden. Nun, nachdem Hermann Göring von nichts mehr weiß bzw. wissen will, scheint der Termin gegeben zu sein, ihn und seine verantwortlichen Befehlshaber auch an seine Blutschuld an dem kleinen kretischen Dorf Kondamari zu erinnern.“
Diesen Massenmord an kretischen Zivilisten vergaß der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion in seiner Begeisterung für die „soldatische Leistung“ der Wehrmachtsfallschirmjäger, welche „die Blüte deutschen Mannestums“ darstellten, zu erwähnen. Die Umdeutung der eigenen Geschichte durch Verharmlosen, Verschweigen oder Verleugnen der in ihr begangenen Verbrechen ist ein bewährtes Mittel aller autoritären und faschistischen Kräfte. Dieser gilt es entschlossen entgegenzuwirken!
[zuerst erschienen am 22.Mai 2025 bei haGalil.com]