Durchsuchungen bei “Radio Dreyeckland”
von Minh Schredle
(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 617 am 25. Januar 2023)
Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung eines Textes hat die Berichterstattung ein Nachspiel: Gleich drei Hausdurchsuchungen gab es in Freiburg. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte eine Verlinkung in einem Artikel von “Radio Dreyeckland” als Werbung für eine verbotene Vereinigung interpretiert.
Zuerst habe er gedacht, da wären Einbrecher in seiner Wohnung, sagt der Journalist Fabian Kienert – und lässt wissen, dass es schönere Dinge gibt, als morgens um 6:45 Uhr von der Polizei geweckt zu werden. Die Staatsmacht ist in seine Wohnung eingedrungen, um zu klären, ob er der Autor eines Textes ist, der drei Hausdurchsuchungen am 17. Januar dieses Jahres rechtfertigen soll.
Verstehen lässt sich der Vorgang nur, wenn man die inzwischen fünf Jahre alte Vorgeschichte kennt. Denn auf vielen Umwegen handelt es sich um eine Spätfolge der Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg.
Eigentlich wollte der Staat damals seine Handlungsfähigkeit demonstrieren. “Die heutigen Maßnahmen sind ein Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus in Deutschland”, erklärte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) im August 2017, nachdem 250 Polizist:innen das linke Kulturzentrum KTS und weitere Räumlichkeiten in Freiburg durchsucht hatten. Hintergrund war das zeitgleich erfolgte Verbot von “linksunten.indymedia”, laut Strobl die “wichtigste Plattform des gewalttätigen Linksextremismus”: Auf dem Portal konnten alle Menschen mit Internetzugang anonyme Beiträge verfassen, wobei die Moderation nur in Ausnahmefällen eingriff. Neben Recherchen, Dossiers und Leaks, die auch von professionellen Medien wie “Correctiv” aufgegriffen wurden, erschienen auf “linksunten.indymedia” strafrechtlich relevante Beiträge, etwa Gewaltaufrufe gegen Polizist:innen, Bekennerschreiben aus der linksradikalen Szene oder Anleitungen zum Bombenbau.
Auf Verfügung des Bundesinnenministeriums wurde “linksunten.indymedia” kurz nach dem G20-Gipfel verboten. Doch bei den staatlichen Bemühungen, die Betreiber:innen der Plattform zur Verantwortung zu ziehen, ist eine Aneinanderreihung der Pleiten festzustellen. Trotz jahrelanger Bemühungen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz gelang es nicht, eine verschlüsselte Festplatte zu knacken, die bei der Durchsuchung in der KTS beschlagnahmt worden ist. Im Oktober 2020 urteilte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, dass die Razzia im Kulturzentrum rechtswidrig war. Und, wie unter anderem der Freiburger Sender “Radio Dreyeckland” (RDL) vermeldete, wurde das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen “Bildung einer krimineller Vereinigung” am 12. Juli 2022 aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Die drei Indizien
Ein halbes Jahr später sollte die Berichterstattung ein Nachspiel haben. Der Artikel bei RDL ist zwar nur einen Absatz lang – in der “Gesamtschau” habe er aber, wie ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegenüber Kontext ausführt, einen Anfangsverdacht begründet, dass hier ein Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot vorliegen könnte. Woran das festzumachen ist? Laut der Staatsanwaltschaft am Zusammenspiel von drei Indizien. Erstens heißt es im ersten Satz der inkriminierten Publikation: “Bald fünf Jahre ist der konstruierte Verein Indymedia Linksunten nun verboten.” Das ist zwar eine zutreffende Tatsachenbehauptung: Einen eingetragenen linksunten e.V. gibt es nicht, das Bundesinnenministerium hat 2017 einen linksunten-Verein konstruiert, um den informellen Zusammenschluss verbieten zu können – aber der Sprecher der Staatsanwaltschaft nimmt Anstoß daran, dass der Verein mit dem Attribut “konstruiert” und nicht mit “verboten” eingeführt wird.
Nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg durchsuchten Beamte das Freiburger Kulturzentrum KTS, in dem sich gewaltbereite Linksextremisten verbergen sollten. Doch drei Jahre später liegen keinerlei Beweise vor, alle Ermittlungen sind eingestellt, und die Razzia wurde als rechtswidrig verurteilt.
Indiz Nummer 2: Der RDL-Artikel ist mit dem Foto einer Hauswand bebildert, auf die jemand den Schriftzug “Wir sind alle linksunten” gesprayt hat. Dieses “bildliche Statement” müsse “von dem angesprochenen Leserkreis als eine sich die unterstützende Tendenz zu eigen machende Meinungsäußerung der Verfasser verstanden werden”, teilt die Staatsanwaltschaft mit – wobei es anscheinend keine Rolle spielt, dass die begleitende Bildunterschrift bei RDL keine affirmativen Tendenzen erkennen lässt, sondern lediglich feststellt: “‘Wir sind alle linksunten’ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.” Und zuletzt: “Den Beschuldigten liegt zur Last, auf der Homepage des genannten Rundfunksenders einen Artikel veröffentlicht zu haben, der eine Verlinkung eines Archivs der verbotenen Vereinigung ‘linksunten.indymedia’ enthält.” Konkret geht es um den – ebenfalls zutreffenden – Satz: “Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.”
Berücksichtigt man all diese Aspekte, begründet dies nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Vorwurf, der Autor von RDL habe sich zum “verlängerten Arm” und zum “Sprachrohr” der verbotenen Vereinigung gemacht, indem er sie, unter dem Vorwand zu informieren, beworben habe. Die Interpretation scheint das Amtsgericht Karlsruhe überzeugt zu haben, denn auf dieser Grundlage genehmigte es die Vollstreckung von drei Durchsuchungsbeschlüssen: bei RDL-Redakteur Fabian Kienert, der als Autor des Textes verdächtigt wurde, beim presserechtlich Verantwortlichen der RDL-Website sowie in den Räumlichkeiten des Radiosenders. Im Zuge der Maßnahmen wurden verschiedene Datenträger beschlagnahmt.
Die Medienbranche wundert sich
Die Vorgänge haben ein breites Medienecho hervorgerufen. Der Sender selbst bewertet die staatlichen Maßnahmen als “völlig unverhältnismäßig” und spricht von einem “verfassungswidrigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit”. In der Medienkolumne “Altpapier” schildert Autor René Martens den Fall und stuft die Bundesrepublik als Abstiegskandidaten im Ranking der Pressefreiheit ein. In der taz schreibt der Jurist Christian Rath: “Was genau die Polizei bei Radio Dreyeckland gesucht hat, wird auch aus dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Karlsruhe nicht recht deutlich. Das Kürzel ‘FK’, das unter dem RDL-Artikel stand, hatte die Polizei bereits dem Redakteur Fabian Kienert zugeordnet.” Und weiter: “Unklar dürfte vor allem die Frage sein, ob der Hinweis auf das linksunten-Archiv wirklich strafbar war.”
Im Jahr 2017 hat das Innenministerium die Online-Plattform “linksunten.indymedia” verboten. Betreiber konnten bislang keine ermittelt werden. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat nun ihre Ermittlungen gegen Beschuldigte aus Freiburg eingestellt.
Rechtsanwalt Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert im Gespräch mit “netzpolitik.org”: “Die Staatsanwaltschaft verkennt die Bedeutung der Pressefreiheit, wenn Sie den Anfangsverdacht auf das Setzen eines Links in einem redaktionellen Beitrag stützt, der erkennbar der Berichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis dient. (…) Eine Strafbarkeit ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar, andernfalls drohen der Presse unkalkulierbare Strafbarkeitsrisiken.”
Im Medienmagazin “Übermedien” beschreibt Andrej Reisin, “wie der Staat gegen einen unliebsamen Sender vorgeht”. Für ihn ist es offenbar ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung: “Denn fantasievolle Staatsanwält:innen könnten in Zukunft durchaus noch ganz andere Annahmen haben, wie Nutzer:innen Medien, die sie konsumieren, wohl verstehen ‘müssen’. Mit entsprechendem Ermittlungseifer könnten dann auch ganz andere betroffen sein – weil sie einen Link gesetzt haben.” Der Bundesverband Bürgermedien verurteilt die Durchsuchungen. Im Verdi-Magazin “Menschen Machen Medien” schreibt Ralf Hutter von “absurden Vorwürfen gegen Dreyeckland”.
Indessen hat der Sender angekündigt, gegen die Durchsuchungsbeschlüsse klagen zu wollen. Es hätte mildere Mittel gegeben, um herauszufinden, wer den Artikel verfasst hat, sagt ein Mitarbeiter gegenüber Kontext. Er werde den Verdacht nicht los, dass hier ein “weitergehendes Ausforschungsinteresse” vorliege. Ansonsten sei seiner Ansicht nach nicht plausibel zu erklären, warum Datenträger beschlagnahmt worden sind, obwohl bereits feststand, wer der Autor ist.
Manchmal geht es um mehr als nur um Strafverfolgung
Anlässlich der bundesweiten Durchsuchungen nach dem G20-Gipfel 2017 erklärte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, die Ermittlungsbehörden wollten auf diesem Wege “Hintergründe, Verbindungen und Strukturen der linken Szene” offenlegen. Die Aussage birgt eine gewisse Brisanz, denn eigentlich fällt es gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizei, die Hintergründe, Verbindungen und Strukturen politischer Szenen offenzulegen. Normalerweise ist das Aufgabe des Verfassungsschutzes, der allerdings keine Befugnis zu Hausdurchsuchungen hat.
Nachdem er zehn Jahre lang die Legitimität von Razzien am höchsten deutschen Gericht geprüft hat, ist bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Rudolf Mellinghoff der Eindruck entstanden, dass es manchmal “noch um etwas anderes als um Strafverfolgung” geht. Zum Beispiel “um Einschüchterung und Disziplinierung”, wie er 2011 im Interview mit der taz erklärte. “Dazu sind Hausdurchsuchungen im Rechtsstaat aber ganz sicher nicht da.”
Weil der staatliche Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre der Wohnung an strikte Bedingungen geknüpft ist, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die hohen Anforderungen dafür ausformuliert. Exemplarisch in einem Urteil von 2015: “Die Durchsuchung bedarf einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.” Ob diese Kriterien im Fall von “Radio Dreyeckland” ausreichend erfüllt sind, soll nun gerichtlich geklärt werden.
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Zum Fortgang der Dinge (Stand Ende Mai 2023): Das Schutzbedürfnis der Machtkritik. Radio Dreyeckland: Staatsanwaltschaft blamiert sich vor Gericht