Aufstand im Orient

Ein Kommentar von Markus Mersault

gesendet im Freien Radio für Stuttgart am 25. Februar 2011

Man kann sich darüber nur freuen: Über die bereits gelungenen Aufstände in Tunesien und Ägypten; über die vielversprechenden Proteste gegen den irren Despoten in Libyen; über den in den Anfängen steckenden aber dennoch sich regenden Widerstand gegen verhasste Diktaturen und Regime in anderen arabischen Staaten wie Bahrain, Sudan, Jemen, Marokko, Algerien, Jordanien oder Syrien! Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur diese bis zum Erfolg andauern, sondern auch noch andere dazukommen, wie ein längst überfälliger Umsturz im Iran…

Teil 1: Endlich!

Man kann sich darüber nur freuen: Über die bereits gelungenen Aufstände in Tunesien und Ägypten; über die vielversprechenden Proteste gegen den irren Despoten in Libyen; über den in den Anfängen steckenden aber dennoch sich regenden Widerstand gegen verhasste Diktaturen und Regime in anderen arabischen Staaten wie Bahrain, Sudan, Jemen, Marokko, Algerien, Jordanien oder Syrien! Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur diese bis zum Erfolg andauern, sondern auch noch andere dazukommen, wie ein längst überfälliger Umsturz im Iran, in dem schon seit 2009 demokratische Regungen in der nach Wandel lechzenden Bevölkerung nur durch drastische Gewalt unterdrückt werden. In den arabischen Staaten demonstrieren überwiegend junge ernüchterte Menschen, Männer und Frauen, überdrüssig der staatlichen Repressionen, überdrüssig vor allem der Armut und virulenten, nicht weichen wollenden Arbeitslosigkeit, der korrupten Vetternwirtschaft der Regime und ihrer Unterstützer, überdrüssig der ewigen Bevormundung und leeren Versprechungen. Erwacht aus einem Jahrzehnte dauernden Alptraum protestieren sie für bürgerliche Freiheiten, für Demokratie und vor allem: für ihre Chance auf Wohlstand. Im Zuge der Jasmin-Revolution in Tunesien, die den Anfang vom Ende des Stillstandes der arabischen Staaten machte, waren nicht nur die Rufe nach den Idealen der französischen Revolution, nach „Liberté, Égalité, Fraternité“, zu hören, sondern auch die Rufe nach einer laizistischen Demokratie, Ausdruck eines säkularen Bewusstseins, das sicher nicht nur die lupenreinen Atheisten unter den Revolutionären haben dürften. Wenn es noch eines empirischen Beweises bedurfte, dass auch Moslems demokratische Revolutionen machen können, dann ist dieser hiermit erbracht. Die Stichworte „Facebook- oder Twitterrevolution“ weisen nicht nur auf das jugendliche Alter der Aufständischen hin, sondern darüber hinaus auf den Charakter und die Motive der Proteste: Überdrüssig der leeren Wohlstandsversprechungen durch die eigenen Diktatoren und Autokraten und konfrontiert mit dem Reichtum insbesondere der westlichen Staaten treibt die Massen eine Sehnsucht nach handfesten materiellen Verbesserungen und das Bedürfnis nach grundlegenden individuellen Freiheiten. Die Ähnlichkeit mit den Motiven der europäischen Umwälzungen von 1989 liegt – trotz wesentlicher Unterschiede natürlich – auf der Hand. Heute wie damals konnte eine über Jahrzehnte anhaltende Verkrustung und Bewegungslosigkeit aufgebrochen werden und so entpuppt sich die Starrheit und der Stillstand der arabisch-islamischen Welt nur als scheinbarer Stillstand, der spätestens mit den segensreichen Wirkungen der Globalisierung zumindest ins Wanken gerät, wenn die nahezu freie Verfügbarkeit von Informationen und der unweigerliche Vergleich mit relativ prosperierenden Ländern die Menschen nicht länger hinhalten kann.

Teil II: Der Westen und die arabischen Staaten

So wie sich auch gegenwärtig mit Blick auf den libyschen Staatsterror gegen die Demonstranten berechtigterweise fragen ließe, ob denn der Westen tatsächlich tatenlos zusehen müsse und die Souveränität Libyens wichtiger ist als das Leben tausender Menschen, so muss dieser sich seine mehr oder weniger aktive Unterstützung, ganz sicher aber seine ignorante und verharmlosende Haltung vorwerfen lassen gegenüber grauenvollen Gestalten wie Muammar al-Gaddafi, in dessen Folterkellern Tausende zu Tode kamen oder Husni Mubarak, dessen Staatsapparat kaum weniger unterdrückerisch war und dessen Schüren des Antisemitismus im Inneren seine prowestliche Außenpolitik konterkariert hat. Die Motive der westlichen Duldung der Despoten sind verschieden und unterschiedlich gewichtet. So konnte Libyen, das hier als pars pro toto gelten darf, untervGaddafi seit Jahren mit seiner Kooperationsbereitschaft in puncto Flüchtlingsabwehr bei denvEuropäern ebenso punkten wie mit seiner Zuverlässigkeit als Erdöllieferant. Zu dem offenkundig rassistischen Motiv der Flüchtlingsabwehr gesellt sich im Falle Ägyptens dessen prowestliche Außenpolitik, die es seit 1979 gerade auch für Israel zum überaus wichtigen und verlässlichen Kooperationspartner hat werden lassen. Dass sich gerade Israel in einem Dilemma befand – einerseits als demokratisches Land auch den demokratischen Werten verpflichtet, andererseits als kontinuierlich prekäres und bedrohtes Land unmittelbar und auch kurzfristig um Sicherheit bemüht – verweist auf die Komplexität der arabischen Verhältnisse wie auch auf die Prekarität der israelischen Sicherheit und beides darf in einer Debatte über die arabischen Revolutionen nicht ausgespart werden.

Teil III: Quo vadis?

So sehr man hofft, die Revolutionen mögen auch das letzte arabische Land erfassen und so sehr man allen Beteiligten dies gönnt, so sehr muss einem klar sein, dass irgendwann nach der revolutionären Besoffenheit die Phase der Ernüchterung eintreten wird. Während die Revolutionsenthusiasten von Problemen – wie der Muslimbruderschaft als einer äußerst gut organisierten Opposition in Ägypten – häufig wenig wissen wollen, werden die Skeptiker nicht müde, auch in einer noch so marginalen fundamental-religiösen Erscheinung während der Proteste den Anfang vom Ende der demokratisch- säkularen Bewegung auszumachen. Doch die Richtung ist noch nicht entschieden. Vieles wird davon abhängen, welche Entwicklungen in den nächsten Monaten stattfinden werden, vor allem auch welche handfesten materiellen Interessen befriedigt werden, ob also die Wohlstandshoffnungen vieler junger Araber und Araberinnen sich wenigstens in Teilen als erfüllbar erweisen oder ob sie bitter enttäuscht werden. Nicht nur für die umgestürzten Staaten wird sich die Frage nach der Realisierung materieller Verbesserungen stellen, sondern vor allem auch für den Westen. Wenn er seiner langjährigen und skandalösen Unterstützung der arabischen Despoten wenigstens jetzt etwas halbwegs Glaubwürdiges entgegensetzen will, so ist er gefordert, den Menschen in den Revolutionsstaaten mit einer konkreten, schnellen und vor allem immensen ökonomischen Unterstützung zu helfen. Andernfalls werden die Hoffnungen auf Demokratisierung auf Sand gebaut sein. Wenn man sich vergegenwärtigt , wie schwierig und wie langfristig eine solche ökonomische Mammutleistung sein wird – und sie muss unbedingt versucht werden -, wird man sich auch Gedanken machen müssen über konkrete Beteiligungen von oppositionellen Gruppierungen an einer Übergangsregierung, etwa in Ägypten, wo spätestens im Herbst dieses Jahres freie Wahlen stattfinden sollen. So unsympathisch eine Übergangsregierungsbeteiligung der islamistischen Muslim-Brüder auch ist, so fatal könnte Ägypten enden, würden diese ausgeschlossen: scheitert nämlich der noch ungewisse Aufbruch, gerade auch der wirtschaftliche oder zeigen sich bis zu den Wahlen kaum Verbesserungen, werden gerade die Allahfans erhobenen Zeigefingers neue Zustimmung und Zulauf bei denen ernten, die weder mehr zu essen noch etwas zu schaffen haben werden. Zu vermeiden gilt es in diesen unsicheren Zeiten vor allem, dass sich religiöse Fanatiker mit dem Nimbus der Nichtverantwortlichkeit als die scheinbar wahren Revolutionäre anpreisen können. Der gut gemeinte Rat, die Muslimbrüder aus einer Übergangsregierung auszuschließen, könnte sich dann als Kurzsichtigkeit erweisen und gerade im Gegenteil enden: Im Erstarken des islamischen Fundamentalismus.

Teil IV: Die prekäre Existenz ́Israels

Auch mit Blick auf seine Sicherheitslage sollten Israel und seine Verbündeten ihre Außenpolitik überdenken. Die Hässlichkeit der Verhältnisse in vielen arabischen Staaten, der virulente Antisemitismus nicht nur in Gaza oder im Libanon, sondern auch in den anderen arabischen Staaten, allen voran Ägypten mit den antisemitischen und aufklärungsfeindlichen Muslimbrüdern, denen bei freien Wahlen immerhin 20% der Stimmen zugetraut werden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bündnisse wie das mit Mubarak zwar kurzfristig den akuten Sicherheitsinteressen Israels gerecht wurden, langfristig aber ein vergiftetes Geschenk an den Judenstaat waren. Bündnisse mit Despoten sind auf Sand gebaut, der Fall Mubarak hat jahrzehntelang demonstriert, wie innenpolitische Versäumnisse und Grausamkeiten mit antisemitischer und antiisraelischer Propaganda, Hetze und Gerüchten nach Innen kaschiert wurden. Vor welch  grundsätzlichem Dilemma Israel steht, das einerseits von stabilen Demokratien in den arabischen Ländern stärker profitieren würde als von lediglich strategischen Bündnissen wie dem mit Ägypten unter Mubarak, zeigt sich auch jetzt wieder, wenn besorgt Richtung Ägypten geschaut wird, das unter den Muslimbrüdern zu einem islamischen Regime und damit zu einer weiteren Riesengefahr neben dem Iran mutieren könnte. Dass die gegenwärtige militärische Führung zwar bislang den Friedenvertrag mit Israel nicht infrage gestellt hat, aber gleichzeitig zwei Kriegsschiffen des Iran die Passage des Suezkanals genehmigt hat, verursacht Sorgenfalten bei allen jenen, die um die Prekarität Israels wissen. Und so wäre eine massive wirtschaftliche Hilfe Europas und der USA für die arabischen Revolutionsstaaten, die sich nicht in Millionen- sondern in Milliardenbeträgen bewegen müsste, am Ende nicht nur das Beste, was man für die Menschen dort tun könnte, sondern sie würde indirekt auch der Sicherheit Israels nützen.