Explosionsgefahr

Soziale Medien und Bauernproteste

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Erzählungen von schlimmen Grünen, die das Land ruinieren, sind gerade ziemlich beliebt. Auch bei den Bauernprotesten ist plumpe Hetze virulent. Wer mobilisiert zu Aktionen wie in Biberach?

„Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“, hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), bereits Anfang Januar erklärt. Anlass waren etwa 250 bis 300 Bauern, die einen Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel blockiert hatten und so den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck daran hinderten, ein Schiff zu verlassen. Die Stimmung wirkte aufgeheizt und aggressiv, für viele Politiker:innen war mit dieser Form des Protests eine Grenze überschritten.

Seitdem kursiert in sozialen Netzwerken eine kreisrunde Grafik, die die Aktion feiert. Darauf der Slogan: „Wenn der Bauer steht am Stand, kommt der Habeck nicht an Land.“ Zu sehen war ein entsprechend bedrucktes Plakat auch vergangene Woche in Biberach, wo der politische Aschermittwoch der Grünen aus Sicherheitsgründen abgesagt worden ist. Vor der Stadthalle hatten sich laut Polizeiangaben etwa 1.000 Menschen zu einer nicht angemeldeten Protestaktion versammelt. Ein Demonstrant hatte eine Sense dabei, ein weiterer schwang eine Kettensäge.

Die Zusammensetzung der Beteiligten scheint heterogen und offenbar haben sich nicht nur Landwirte eingebracht. Der Biberacher Oberbürgermeister Norbert Zeidler (parteilos) schilderte gegenüber Kontext den Eindruck, ein paar Gesichter aus der regionalen „Coronaleugner- und Reichsbürger-Szene“ wiederzuerkennen. Tatsächlich wurde über soziale Netzwerke breit mobilisiert. Ein vielfach geteiltes Sharepic richtete sich dabei auch an „Pflegedienst, Handwerker, Spediteure, Bauunternehmen, Mittelstand“. Auf Telegram wurde zudem schon seit dem 4. Februar ein „Veranstaltungstipp“ über einen „Querdenken“-Kanal beworben: „Wer Jürgen Trittin, Ricarda Lang und Cem Özdemir mal live sehen will und mit ihnen ordentlich abfeiern möchte, sollte am 14. Februar um 11 Uhr an der Stadthalle in Biberach sein.“ Sarkastisch heißt es weiter: „Das wird ein Spaß, endlich richtig gute Politiker begrüßen.“

Seitdem die Bauernproteste Anfang Januar dieses Jahres an Fahrt aufnahmen, ist zudem die extreme Rechte bemüht, die Demonstrationen für ihre Zwecke zu nutzen. Bei Aktionen im Bundesgebiet haben sich unter anderem die Identitäre Bewegung (Hannover) und die Kleinstpartei Der Dritte Weg (Reutlingen) beteiligt, in Baden-Württemberg ruft die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative zur Teilnahme auf, bei einem Protest in Stuttgart waren Logos der Partei „Heimat“ zu sehen, bei der es sich um die Nachfolgeorganisation der NPD handelt. Auch Ex-NPDler Carsten Jahn vom „Team Heimat“ erreicht über Telegram fast 40.000 Follower, die sich bei den Aktionen einbringen sollen.

Nach Einschätzung des baden-württembergischen Verfassungsschutzes sei bislang allerdings nicht zu beobachten, dass eine Unterwanderung in großem Umfang geglückt sei oder von den benannten extremistischen Kräften ein „steuernder Einfluss auf die Proteste“ ausgehe.

Angst und Unsicherheit wird zu Zorn

Demnach sind radikale Gruppierungen zwar bemüht, die Aktionen zu kapern, aber bislang ohne großen Erfolg. Entsprechend waren nach der Aktion in Biberach auch nachdenkliche Wortmeldungen zu hören, ob diese Art des Protests wirklich der eigenen Sache dient. Der einflussreiche Agrar-Influencer Markus Wipperfürth, mit über 500.000 Followern auf Facebook, sagte etwa in einem Video, er wisse nicht genau, was in Biberach abgelaufen sei, wolle sich kein Urteil erlauben, ohne dabei gewesen zu sein, aber: „Ich hoffe auch, da bete ich drum, dass es weiterhin friedlich bleibt. Und wenn jemand ’nen Stein in die Hand nimmt, um irgendne Scheibe einzuschmeißen, dass wir ihm den Stein aus der Hand nehmen und sagen: Hör mal, das ist nicht das, was wir wollen, wir wollen hier in Frieden demonstrieren.“

Allerdings gibt Wipperfürth der Regierung eine Mitschuld für potenzielle Eskalationen: „Weil das die Konsequenz aus dem Nichthandeln der Politik ist. Und aus dem Untern-Teppich-Kehren. Und das muss man hier auch mal klar und deutlich sagen. Wie lange demonstrieren wir schon und was ist bis jetzt passiert? Und die Nachrichten werden immer schlechter, immer schlimmer, immer mehr Firmen machen zu.“ Wenn das so weitergehe, „haben wir schon bald eine ganz andere Demonstrationskultur und da möchte ich nicht dabei sein, mit Sicherheit“, denn „dann wird’s wirklich heftig werden hier in Deutschland und dann sind solche Demonstrationen, wie ich sie hier in Biberach mitbekommen habe, mit Sicherheit das geringste Problem“.

Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist, dass der Erfolg der bisherigen Bauernproteste völlig ausgeblendet wird: Schließlich hat die Bundesregierung einen großen Teil der geplanten Kürzungen von Agrarsubventionen schnell wieder zurückgenommen, auch auf EU-Ebene rudert die Politik zurück. Doch bei Wipperfürth geht es um mehr, er formuliert massive Zukunftssorgen, die viele verzweifeln lässt.

Die Grünen als Feindbild für alles

Vor diesem Hintergrund erscheint alarmierend, was sich auf den Straßen an Zorn zusammenbraut und das Radikalisierungspotenzial sollte nicht unterschätzt werden. Galgen auf Demonstrationen, an denen bei Bauernprotesten aktuell Ampeln baumeln, waren bisher eher ein Stilmittel, das dem ganz rechten Rand à la Pegida vorbehalten schien. Würde die Antifa mit einer Kettensäge zur Demo anrücken – wie groß wäre der Aufschrei? Doch Verrohung schreitet voran und die Verächtlichmachung des politischen Gegners scheint kaum noch ein Achselzucken zu provozieren. So war in Biberach ein Plakat zu sehen, das bereits bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat: Zu sehen sind die Köpfe grüner Spitzenpolitiker:innen, die auf herausgerupfte Sonnenblumen montiert worden sind und als „grüner Mist“ bezeichnet werden. „Packen wir das Übel an der Wurzel“, heißt es begleitend.

Zu sehen war dieses Plakat auch schon in den hessischen Orten Seligenstadt, Hanau und Hainburg oder im bayerischen Aschaffenburg. Verantwortlich zeichnet der Immobilienunternehmer Karl Wolf, der laut dem „Rodgauer Morgen“ als Mäzen geschätzt sei. 2013 ließ er der CDU eine Parteispende in Höhe von 10.622,08 Euro zukommen, ist zudem aktiv in der Wirtschaftsinitiative Mittelstand Main-Kinzig. Von der „Bild“-Zeitung auf seine grünenfeindliche Darstellung angesprochen, erklärte er: „Absicht dieses Plakats war eine vernünftige Unterhaltung mit allen Beteiligten.“

Bei den verschiedenen Strömungen, die bei den Bauernprotesten zusammentreffen, scheint das Feindbild der Grünen der gemeinsame Nenner zu sein. Sie werden verantwortlich für die globale Großkrise gemacht und verkörpern für die Szene offenbar Deindustrialisierung und eine Transformation, die aus purer Ideologie den Wohlstand ruinieren. Neben der extremen Rechten, die bei den Protesten bisher nicht flächendeckend Fuß fassen konnte, sollte daher auch der potenzielle Einfluss der fossilen Lobby nicht unterschätzt werden – wenngleich er sich aktuell nur punktuell nachweisen lässt. So betreibt unter anderem Christoph Canne einen X-Account namens „Bauern- und Bürgerproteste“, der in einer Art Liveticker auf Aktionen im gesamten Bundesgebiet hinweist. Canne ist Bundessprecher des Vereins „Vernunftkraft“, der seit Jahren gegen Wind- und Solarenergie agitiert und stattdessen Kohle und Atom als Alternativen schmackhaft machen möchte. Das grüne Feindbild zu pflegen, dürfte ganz im Sinne einer Lobby sein, der niedrige Energiekosten wichtiger sind als intakte Lebensgrundlagen.