Kampf gegen rechts: Sag, wie hältst Du’s mit der Antifa?

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 673 am 21. Februar 2024)

Auf einigen Demos gegen rechts war „die Antifa“ zuletzt unerwünscht. Der Historiker Richard Rohrmoser wirbt für einen differenzierten Blick auf eine ambivalente Bewegung – und erinnert daran, dass die Einheitsfront gegen den Faschismus schon einmal zu spät kam.

Breite Bündnisse sollten es sein, da waren sich im Grunde alle einig in Sigmaringen, Lahr oder Leonberg. Wie in vielen Städten und Gemeinden gab es hier in den vergangenen Wochen große Demonstrationen gegen rechtsextreme Deportationsfantasien, und die Initiator:innen der Proteste zeigten sich überrascht, weil sie so viel Rückhalt selten erlebt hatten: Auf einmal unterstützten Turnvereine und Kleinunternehmen die Aktionen, eher unpolitische Kreise wirkten aufgerüttelt. Doch wie die Organisator:innen gegenüber Kontext betonten, wollten sie auf ihren Demos „weder Rechts- noch Linksradikale“, also auch keine Antifa mit Verweis auf deren Gewaltbereitschaft.

Dass dieser Vorwurf nicht ganz unbegründet ist, macht der Historiker Richard Rohrmoser an autonomen Gruppen fest, die sich teils offen zu Militanz bekennen. Oftmals würden „die Grenzen friedlicher Konfliktaustragung“ überschritten, Aktivist:innen reklamierten „punktuell ein Recht auf ‚Gewalt als politisches Lösungsmittel'“ und würden sich so zur Selbstjustiz ermächtigen. Das stoße auch auf enorme öffentliche Kritik. Allerdings weist er auch darauf hin, dass dabei „vielfach die Ambivalenzen der Antifa-Bewegung ausgeblendet und antifaschistische Aktivist:innen undifferenziert als ‚Systemoppositionelle‘ und ’schwarzgekleidete Terrorist:innen‘ pauschalisiert“ würden.

Der Historiker, Jahrgang 1987, untersucht schwerpunktmäßig Protestgeschichte, hat über Zivilen Ungehorsam gegen die nukleare Aufrüstung in Mutlangen promoviert. Seine Erkenntnisse über die Antifa hat er 2022 im „Porträt einer linksradikalen Bewegung: Von den 1920er-Jahren bis heute“ zusammengefasst. Und, so seltsam das bei über 100 Jahren Antifa-Geschichte klingt: Rohrmoser ist der erste, der zur historischen Entwicklung der vielschichtigen Bewegung eine Publikation vorgelegt hat, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. Es hätte zwar Verfassungsschutzberichte gegeben oder auch Eigendarstellungen von Antifa-Gruppen in linksradikalen Medien. Allerdings wären die jeweils „nicht so ganz fachwissenschaftlich“ sagt Rohrmoser im Gespräch mit Kontext. Zum Beispiel, wenn man dann in einem antifaschistischen Infoblatt „plötzlich etwas von ‚Bullenschweinen‘ liest“.

Angefangen hat es mit der Anfrage eines Jugendzentrums, ob Rohrmoser als Historiker nicht einmal einen Vortrag zur Antifa-Geschichte halten wolle. Zu diesem Zeitpunkt hat er ein Volontariat beim C. H. Beck Verlag absolviert, der das Thema interessant fand und das Potenzial für ein Buch erkannte. Bei seinen Recherchen hat Rohrmoser gelernt, wie stark sein Forschungsgegenstand als Projektionsfläche dient. „Viele, die sich an den Debatten über die antifaschistische Bewegung beteiligen, interpretieren den Begriff so, dass dieser ihren schablonenhaften Standpunkten und ihrem vorkonstruierten Weltbild entspricht“, urteilt er.

Was ist aus dem antifaschistischen Konsens geworden?

Selbst in gut gebildeten Kreisen kursierten Mythen und Halbwissen, meint Rohrmoser und erzählt anekdotisch: „Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben und davon im Freundes- und Bekanntenkreis erzählt habe, kam auch ganz oft von Leuten, die beispielsweise Politik und Geschichte studiert haben: ‚Ach ja, die Antifa, das ist ja noch so ein letztes Zerfallsprodukt der RAF.‘ Da herrscht das Bild vor, die Antifa sei irgendwie in den 80er- oder 90er-Jahren entstanden.“ Das war zwar die Phase, in der sich bundesweit autonome Antifa-Gruppen gründeten und öffentlich in Erscheinung traten. Doch eine positive Bezugnahme auf Terrorismus habe er bei seinen Arbeiten nicht als wesentliches Merkmal der Szene identifizieren können. Ganz im Gegenteil: „Wenn man ein gemeinsames Ziel der vielen Strömungen dieser heterogenen Bewegung erkennen kann, dann: dass sie sich gegen Faschismus und die damit verbundenen Charakteristika engagieren. Oder wenn man es positiver formulieren will, ist es eine Bewegung für humanistische Grundwerte.“

Hoppla. Ob das keinen Ärger gibt in einem Diskursklima, in dem zum Beispiel der Historikerkollege Jan Behrends die Antifa als „ein Produkt aus der Giftküche des Stalinismus“ bezeichnet? Gilt man mit solchen Aussagen nicht schnell als Verharmloser linker Gewalt? Rohrmoser verweist trocken auf die Fakten. Damit sich Auschwitz nicht wiederhole, sei die politische Neuordnung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg einmal von einem antifaschistischen Konsens geprägt gewesen. Nach den historisch beispiellosen Zivilisationsbrüchen des Nationalsozialismus hätten etwa die Garantie der Menschenwürde, der Schutz der Freiheit des Einzelnen und die Gewaltenteilung Einzug ins Grundgesetz gefunden.

Erst „im Kontext des entstehenden Kalten Krieges und der antikommunistischen Feindbildkonstruktion“ sei aus dem „antifaschistischen“ ein „antitotalitärer Konsens“ geworden. Heute, sagt Rohrmoser, würden große Teile der Bevölkerung mit dem Begriff Antifaschismus etwas Anrüchiges verbinden. Und dieser Eindruck werde durch eine „fatale Symbiose zwischen der Szene und den Medien verstärkt“. Das Bild sei stark geprägt durch vermummte Chaoten, die Polizist:innen angreifen oder Barrikaden in Brand setzen, „weil Gewaltausschreitungen stets reichlich publizistischen Sauerstoff liefern und die stärkste Resonanz in der Öffentlichkeit zur Folge haben“. Weniger aufregend sind da ein Adorno-Seminar im klandestinen Zirkel oder auch Aktivist:innen, die sich bei schlechtem Wetter im Gebüsch verstecken, um völkische Zeltlager zu observieren.

Besseres Frühwarnsystem als der Verfassungsschutz

Doch gerade die Recherchearbeit der Antifa-Bewegung wird sogar vom Bayerischen Verfassungsschutz honoriert, der Erkenntnisse aus der Szene in seine Berichte einfließen lässt. „Durch ihre akribischen Chronologien und Dokumentationen sind sie über rechte Aktivitäten und Strukturen oftmals schneller im Bilde als die staatlichen Institutionen und besser informiert als die Medien“, schreibt Rohrmoser. Somit waren viele Antifa-Aktive nicht verwundert über die Medienberichte zum Monatsanfang, wonach AfD-Nachwuchs bei einer Wanderung über Arbeitslager für Juden nachgedacht haben soll. Auch dass der Faschist Björn Höcke schon vor fünf Jahren seine Absichten aufschrieb, ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ anzustoßen und dabei „wohltemperierte Grausamkeiten“ in Kauf zu nehmen, ist in kundigen Kreisen altbekannt.

Laut Rohrmoser hätten Antifa-Aktive „durch sorgfältige Recherche- und Enttarnungsarbeit“ als Frühwarnsystem bereits „viele rassistische und rechtsextreme Straftaten vereiteln“ können. Ein Stück weit kompensiert die Szene damit sogar das Versagen der offiziellen Geheimdienste. Zur Erinnerung: Nachdem der Verfassungsschutz den NSU-Terror übersehen hatte, sollte ein gewisser Hans-Georg Maaßen als neuer Präsident das Vertrauen in die Behörde wieder herstellen – heute gilt er selbst als gesichert rechtsextrem. Antifaschistische Gruppen hatten schon früh auf Maaßens Gesinnung hingewiesen.

Als Experte für Protestgeschichte sucht Rohrmoser den Vergleich zu Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Frauenbewegung und Homosexuellenbewegung: Alle würden heute im Rückblick überwiegend positiv bewertet und es sei gemeinhin anerkennt, dass sie sozialen Wandel vorangebracht hätten. „Meiner Meinung nach ist das bei der Antifa-Bewegung genauso zutreffend, aber historisch noch nicht so aufgearbeitet.“ Das Bild vom martialischen Straßenkämpfer, der mit Bandana vermummt einen Rauchtopf emporhebt, sei dabei längst auch in der Szene selbst umstritten, sagt der Historiker. Zum Beispiel komme heftige Kritik von feministischen Antifa-Gruppen, die sich an Mackertum stören und eine kampforientierte Ästhetik weniger heldenhaft denn toxisch finden.

Spätestens seit den 1990er-Jahren könne man in der Szene einen „cultural turn“ beobachten, sagt Rohrmoser. Demnach sei die Erkenntnis durchgesickert, dass sich mit Genuss Politik machen lasse. „Im Zuge dieser theoretischen Auseinandersetzung begriff die linksradikale Szene zunehmend, dass in der Geschichte der Bundesrepublik wahrscheinlich bedeutend mehr Personen etwa durch linke Schriftsteller:innen, Punkbands und Kulturkneipen ihr Interesse an Politik entdeckt haben als durch alle kommunistischen Parteien zusammen.“ Die bis dahin als verbissen, mindestens aber extrem ernst geltende Szene öffnete sich schrittweise für Humor, entdeckte Ironie und Satire als Instrumente gegen Rechtsextremismus. Zum Beispiel mit einer Kampagne gegen den damaligen NPD-Vorsitzenden Holger Apfel, die „Keine Überfremdung des deutschen Obstbestandes!“ forderte oder auch „Südfrüchte raus!“. Ein zeitgenössischeres Beispiel für das Phänomen der Pop-Antifa wären die T-Shirts: schwarze und rote Espresso-Kanne auf weißem Grund. In Anlehnung an das Logo der Antifaschistischen Aktion wurde so die Zeugenaussage eines Polizisten verballhornt, der glaubte, auf einer Demo den Schlachtruf „Barista, Barista, Antifascista!“ gehört zu haben.

Zerstrittenheit mit Tradition

Vom undogmatischen Horkheimer-Lesekreis zu doktrinären Lenin-Fans: Insgesamt sind die vielen Strömungen der Antifa-Bewegung wohl nicht minder zerstritten als das linke Spektrum hierzulande. Es gibt weder einen Antifa-Dachverband noch ein Zentralkomitee. In seinem Buch verweist Rohrmoser auf die lange Vorgeschichte der linken Zerstrittenheit in Deutschland, die mindestens bis 1914 zurückreicht. Ein Schlüsselpunkt war die Haltung der SPD, die sich im Juli noch für „flammenden Protest gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer“ aussprach – und wenige Tage später im Reichstag mit großer Mehrheit die zur Kriegsführung benötigten Kredite bewilligte. Mit der Erklärung der Partei: „Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.“ Da ging ein Riss durch die SPD, aus der schließlich die Mehrheitssozialdemokratische Partei und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei wurde. Wobei sich von letzterer wenig später die Kommunistische Partei abspaltete, die schon bei ihrem Gründungsparteitag zerstritten war.

Zumindest Teile der Linken erkannten früh die Gefahr, die vom Faschismus ausging. Inspiriert vom Widerstand gegen Mussolini in Italien hatte die Kommunistische Partei in Deutschland schon am 29. Juli 1923 zu einem „Antifaschisten-Tag“ mobilisiert: „Die KPD ruft die Arbeiter auf, überall Abwehrorganisationen zu bilden, die, wenn nötig, mit Waffen in der Hand, einen faschistischen Umsturz verhindern würden.“ Ziel war „eine Abwehrfront der Arbeiter ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit gegen die faschistischen Organisatoren des Bürgerkrieges“.

Doch gegen den Kurs der KPD agitierte später … die KPD. Rohrmoser schreibt: „Im Kontext der erbitterten Feindschaft innerhalb der Parteien des linkspolitischen Spektrums erhoben sich Stimmen, welche die Sozialdemokratie – aufgrund ihrer Haltung zu faschistischen Bewegungen und Regimen in diversen Ländern – als elementaren Teil dieses Problems identifizierten.“ So erklärte Stalin persönlich: „Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus.“ Zur „antifaschistischen Einheitsfront“ kam es daher erst viel zu spät. „Obwohl die SPD und die KPD je eigene antifaschistische Kampfbünde ins Leben riefen, standen sich die beiden linken Arbeiter:innen-Parteien weiterhin feindlich und unversöhnlich gegenüber. Überparteiliche antifaschistische Reaktionen setzten erst im Vorfeld der Reichstagswahl vom Juli 1932 ein.“

Die faschistische Machtübernahme konnte nicht mehr verhindert werden. Rohrmoser empfiehlt, daraus Lehren zu ziehen und einen Schulterschluss trotz Differenzen zu suchen, wo es gilt, buchstäblich das Schlimmste zu verhindern. Er zitiert den kommunistischen Widerstandskämpfer Peter Gingold, der in seinen Erinnerungen schrieb: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass diese nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist.“

Richard Rohrmoser: „Antifa: Portrait einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute“, Verlag C. H. Beck, 208 Seiten, 16 Euro. Außerdem für 4,50 Euro erhältlich über die Bundeszentrale für politische Bildung.