Rede einer Aktivistin
auf der Mahnwache „Querdenkern“ in die Quere kommen – Schluss mit antisemitischem Verschwörungsgeraune! am 17. April 2021
[Text folgt unten]
Danke für den Redebeitrag an die Autonome Antifa Wien , den wir mit leichten Änderungen übernommen haben
Seit fast einem Jahr drängen selbsternannte Corona-Rebellen, sie nennen sich „Querdenker“, auf die Straßen, um gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zu protestieren – Stuttgart wurde schnell zum Hotspot dieser Bewegung. Und die extreme Rechte versuchte offensiv und erfolgreich, sich an die Spitze der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu setzen. Verwunderlich ist das nicht, bieten die konformistischen „Corona-Rebellen“ den Rechtsextremen nicht nur von Anbeginn an Platz, sondern auch eine Vielzahl an ideologischen Anknüpfungspunkten – von antisemitischen Verschwörungsideologien bis hin zu sozialdarwinistischen Stärke-Diskursen.
Was sich als freiheitsliebender alternativer Protest gibt, der sich kritisch am Corona-Management abarbeitet, ist in Wirklichkeit eine äußerst dynamische und bizarre Welle rechter Straßenmobilisierung. Mit Kritik haben diese selbsternannten „Querdenker“ jedoch nicht im Entferntesten etwas zu tun. Schon eher aber mit autoritärer Rebellion. Es handelt sich um falsche Freunde der Freiheit. Statt die vielfältigen Ausschlüsse und Brutalitäten zu kritisieren, die mit dem gesellschaftlichen Umgang mit Corona einhergehen – etwa die dramatischen Zustände in Refugee-Camps und Gefängnissen, die massive Zunahme häuslicher Gewalt oder den kapitalistisch überformten Gesundheitssektor – verbreiten sie Verschwörungsideologien um Impfmythen und einem geheimen Plan, die Bevölkerung mit Mikrochips unter Kontrolle zu bringen. Diese Halluzination der Corona-Krise als eine „Machtübernahme“ bedient dabei die üblichen antisemitischen Feindbilder in Medien und Politik, Pharmaindustrie und internationalen Organisationen. Dieser gesellschaftlich produzierte Wahn spitzt sich in Zeiten der Krise zu, erscheinen für viele die damit zusammenhängenden Umbrüche und Veränderungen doch als bedrohlich. Wie gefährlich solche Verschwörungsideologien sind, das zeigen nicht zuletzt die rechtsterroristischen Attentate in Halle oder Hanau auf erschreckende Art und Weise.
Die Rolle des Staates ist in Krisenzeiten tatsächlich ambivalent, auch als linke Beobachter*innen darf die Betrachtung nicht einseitig sein. Gerade in Zeiten von Covid-19 zeigt sich, dass die so oft gepredigte Solidarität sehr schnell ihre Grenze findet, und meistens ist es die nationale. Corona offenbart einmal mehr, dass wir in einer Gesellschaft leben, in denen soziale Ungleichheiten bestehen und die Krise eben nicht alle gleich trifft. Sie zeigt, dass diese Gesellschaft nicht zum Wohle aller eingerichtet ist, sondern der Marktlogik folgt und der Profit über den Einzelnen steht. Und selbst wenn Marktprinzipien durch die Pandemie ins Wanken geraten, setzt kein Nachdenken darüber ein, ob der Kapitalismus wirklich das Leitprinzip der Gesellschaft sein sollte, sondern wie er möglichst schnell und effizient wieder zum Laufen gebracht werden kann. Doch die europäische Gesundheits- und Wirtschaftskrise soll nicht nur schnellstmöglich behoben werden, es zeigte sich auch die Wirkmächtigkeit nationaler Vergemeinschaftung in Zeiten krisenhafter Umbrüche.
Während zu Beginn der Pandemie Teile der Bevölkerung anfingen, ihren Verzicht auf den gewöhnten Lebensstil als maximalen Freiheitsverlust zu empfinden und das Tragen einer Maske beim Einkaufen als unerträgliche Beschneidung ihrer fundamentalen Rechte beklagten, wurden zeitgleich die Grenzen Europas geschlossen. Die Situation für Geflüchtete in Lagern wie in Moria bleibt weiter katastrophal und durch Corona sogar lebensbedrohend.
Eine linke Perspektive muss sich also zwischen fundierter Staatskritik und der Einsicht, dass staatliche Eingriffe manchmal vonnöten sind, bewegen. Einige Maßnahmen waren wichtig und richtig, um sich mit Schutzbedürftigen zu solidarisieren und das Virus einzudämmen, das bereits viele Tote gefordert hat. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass diese Maßnahmen nur bedingt dem Schutz des Einzelnen dienen, sondern eher dem Aufrechterhalten des staatlichen und wirtschaftlichen Gemeinwesens. Einer radikalen Gesellschaftskritik muss es aber um mehr gehen, als das Offensichtlichste einzufordern. Vielmehr besteht der Skandal dieser Gesellschaftsordnung doch gerade darin, dass es mit ihr nicht möglich ist, ein gutes Leben für alle zu garantieren. Und das liegt nicht einfach an einer falschen Politik oder an unfähigen Politiker*innen, sondern an ihrem Zweck, der nicht darauf ausgerichtet ist, die vielfältigen menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, sondern Profit zu erwirtschaften. Die Krise bietet einerseits Möglichkeiten, um die Absurdität der kapitalistischen Ordnung offenzulegen. Anderseits gibt es keinen Automatismus zur Befreiung. Das zeigen nicht zuletzt die Mobilisierungen von „Corona-Rebellen“ bis zum autoritären Krisenmanagement der Regierungen.
Und das bedeutet eben dass wir uns einmischen müssen. Einerseits, um reaktionären Ideologien einen antifaschistischen Platzverweis zu erteilen, andererseits um diese menschenfeindliche Gesellschaftsordnung radikal infrage zu stellen.
Siehe dazu auch: Menschenhass mit Grundgesetzfetisch. Warum die selbst ernannten „Querdenker“ in Wahrheit autoritäre Konformist*innen sind.
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Aufruf von #ZeroCovid:
Das Ziel heißt Null Infektionen!
Für einen solidarischen europäischen Shutdown
Nach einem Jahr Pandemie sind wir in ganz Europa in einer äußerst kritischen Situation. Tausende Menschen sterben jeden Tag und noch viel mehr erkranken. Das neue Coronavirus breitet sich rasend schnell aus, von Mutationen noch beschleunigt. Die Maßnahmen der Regierungen reichen nicht aus: Sie verlängern die Pandemie, statt sie zu beenden, und gefährden unser Leben.
Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren, ist gescheitert („flatten the curve“). Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht. Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.
Wir brauchen sofort eine gemeinsame Strategie in Europa, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Mit Impfungen allein ist der Wettlauf gegen die mutierte Virusvariante nicht zu gewinnen – erst recht nicht, wenn die Pandemiebekämpfung weiter aus aktionistischen Einschränkungen der Freizeit ohne Shutdown der Wirtschaft besteht. Wir setzen uns dafür ein, dass die Sars-CoV-2-Infektionen sofort so weit verringert werden, dass jede einzelne Ansteckung wieder nachvollziehbar ist. Das entschlossene Handeln etlicher Länder hat gezeigt, dass es möglich ist, die Verbreitung des Virus zu beenden.
Wir orientieren uns am internationalen Aufruf für die konsequente Eindämmung der Covid-19 Pandemie in Europa, den Wissenschaftler*innen am 19. Dezember 2020 initiiert haben.1 Wir sind allerdings überzeugt, dass die Eindämmung des Sars-CoV-2 Virus nur gelingen kann, wenn alle Maßnahmen gesellschaftlich solidarisch gestaltet werden. Darum fordern wir diese unerlässlichen gesellschaftlichen Maßnahmen:
1. Gemeinsam runter auf Null: Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf Null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. Wenn dieses Ziel erreicht ist, können in einem zweiten Schritt die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. Die niedrigen Fallzahlen müssen mit einer Kontrollstrategie stabil gehalten und lokale Ausbrüche sofort energisch eingedämmt werden. Wir brauchen drittens auch eine gemeinsame langfristige Vision – und auf deren Basis regionale und nationale Aktionspläne. Diese beinhalten Screening- und Impfstrategien, Schutz von Risikogruppen und Unterstützung der Menschen, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine solidarische Pause von einigen Wochen. Shutdown heißt: Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum ein – und zwar auch am Arbeitsplatz! Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen. Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden. Diese Pause muss so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind. Wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen. Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren.
2. Niemand darf zurückgelassen werden: Menschen können nur zu Hause bleiben, wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes Rettungspaket für alle nötig. Die Menschen, die von den Auswirkungen des Shutdowns besonders hart betroffen sind, werden besonders unterstützt – wie Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose. Sammelunterkünfte müssen aufgelöst, geflüchtete Menschen dezentral untergebracht werden. Menschen, die im Shutdown besonders viel Betreuungs- und Sorgearbeit leisten, sollen durch gemeinschaftliche Einrichtungen entlastet werden. Kinder erhalten Unterricht online, notfalls in Kleingruppen.
3. Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur: Der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich muss sofort und nachhaltig ausgebaut werden. Dies gilt auch für Gesundheitsämter und Behörden, die für das Verfolgen der Infektionsketten zuständig sind. Das Personal muss in diesem Bereich aufgestockt werden. Die Löhne sind deutlich anzuheben. Das Profitstreben im Gesundheits- und Pflegebereich gefährdet die kollektive Gesundheit. Wir verlangen die Rücknahme bisheriger Privatisierungen und Schließungen. Die Finanzierung von Krankenhäusern über Fallpauschalen sollte durch eine solidarische Finanzierung des Bedarfs ersetzt werden.
4. Impfstoffe sind globales Gemeingut: Eine globale Pandemie lässt sich nur global besiegen. Öffentliche und private Unternehmen müssen umgehend die erforderliche Produktion von Impfstoffen vorbereiten und durchführen. Impfstoffe sollten der privaten Profiterzielung entzogen werden. Sie sind ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen, sie müssen der gesamten Menschheit gehören.
5. Solidarische Finanzierung: Die notwendigen Maßnahmen kosten viel Geld. Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben. Mit diesem Reichtum sind die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar. Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.
Wir wollen die politische Lähmung in Bezug auf Corona überwinden. Wir wollen uns auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz für den nötigen solidarischen ZeroCovid-Strategiewechsel sammeln. Wie unsere Mitstreiter*innen in Großbritannien wissen wir, dass wir den Schutz unserer Gesundheit gegen kurzfristige Profitinteressen und große Teile der Politik erkämpfen müssen.
Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gesundheitsschutz und Pandemiebekämpfung einerseits und der Verteidigung demokratischer Rechte und des Rechtsstaats andererseits. Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid-Strategie.