Virtueller Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann
Donnerstag, 16. April 2020, 18.00 Uhr
Eine Veranstaltung der SJD – Die Falken Hessen Nord und der 4-Stunden-Liga
Dass die Welt, die wir kennen, im Eiltempo zerfällt, war schon vor der Coronakrise mit Händen zu greifen. Ob von Klima, Finanzen, Wirtschaft, Sozialsystemen, Demokratie, Migration oder internationalen Beziehungen die Rede ist – schon lange fällt wie von selbst das Wort Krise. Mit der Ausbreitung des Coronavirus spitzt sich diese allgemeine Krise in einer Geschwindigkeit und einem Ausmaß zu, wie es sich noch vor kurzem kaum jemand vorstellen konnte.
Klima- und Coronakrise demonstrieren eindrücklich, dass „unsere Wirtschaft“ existentiellen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Die Klimakrise offenbart, dass mit deren Prinzipien „Ewiges Wachstum, Maximaler Profit, Steigende Aktienkurse“ die Zerstörung des Planeten programmiert ist. Die Coronakrise führt zudem drastisch vor Augen, dass diese Wirtschaft bereits in kürzester Zeit Leichenberge produzieren würde, wenn nicht massiv in sie eingegriffen würde. Die Notbremse zieht im Moment, mehr schlecht als recht, der Staat und er führt damit alles ad absurdum, was gestern noch als unumstößlich und heilig galt – von der Schuldenbremse bis hin zum angeblich so segensreichen Wirken des Marktes selbst.
Doch die Spatzen pfeifen von den Dächern, welche Folgen diese staatlichen Beatmungsversuche der Wirtschaft haben werden. Denn Staaten und Zentralbanken können sie nicht beliebig und ungestraft mit Geld fluten. Die Krisenanfälligkeit des Systems wird noch größer und stellt bereits heute alles in den Schatten, was wir 2008/2009 und in den Folgejahren erlebt haben. Schon häufen sich die zynischen und schamlosen Appelle, die Leute mögen wieder arbeiten gehen und sich infizieren. Besser es sterben Menschen als die Wirtschaft bricht ein, lautet der Offenbarungseid des Kapitalismus.
Eine Rückkehr zum so genannten Normalzustand, von der manche noch träumen, wird es nicht geben. Es darf sie auch nicht geben. Schon deswegen, weil wir mit dieser Wirtschaft der nächsten Seuche noch mehr ausgeliefert wären. Der Ausstieg aus ihrer absurden und zerstörerischen Logik ist unser buchstäbliches Überlebensinteresse. Auch die Klimaschutzbewegung kann nur erfolgreich sein, wenn sie das thematisiert und einfordert. Tut sie das nicht, wird sie auch weiterhin am Argument mit den Arbeitsplätzen abprallen wie an einer Gummiwand. Denn wer arbeiten muss, um Geld zu verdienen, damit er leben kann, sitzt auch dann in der Falle, wenn er verstanden hat, dass es so nicht weitergehen kann.
Aber es gibt keinerlei sachlichen Zusammenhang zwischen einer guten und stabilen Lebensmittelversorgung und steigenden Aktienkursen. In einer vernünftig organisierten Wirtschaft könnte die Automobilproduktion massiv gedrosselt werden, ohne dass deswegen die Mittel für eine gute Gesundheitsversorgung fehlen würden. Diesen Zusammenhang erzwingt gegenwärtig allein die absurde Logik der Kapitalverwertung.
Doch wir müssen dem nicht hilflos ausgeliefert bleiben. Mit unserer Produktivität, unserem Wissen, unseren Fähigkeiten und unserer Phantasie können wir auch ganz anders wirtschaften, ohne dabei den tragischen Irrweg des Staatssozialismus zu wiederholen. Wir werden wirklich nachhaltig wirtschaften und Wachstumszwang und Aktienkurse ins Museum verbannen. Unser Wirtschaften wird endlich den stofflichen Reichtum, den wir zum Leben brauchen zum Mittelpunkt haben: Kleidung, Nahrung, Gesundheit, Wohnen, Bildung, Wissenschaft, Kultur – für alle Menschen.
Weil ein Großteil dessen, wofür wir gegenwärtig arbeiten, allein der zerstörerischen Logik der Kapitalverwertung dient, werden wir sehr vieles, wofür Menschen heute schuften müssen, ersatzlos abschaffen und vieles andere wesentlich reduzieren. Auch, wenn wir dann endlich genügend Zeit und Möglichkeiten für die notwendigen Care-Tätigkeiten wie z.B. die Gesundheitsversorgung haben werden, können wir die gesamtgesellschaftliche Arbeitszeit massiv reduzieren. Unser Leben wird reicher, sicherer und besser sein.
Lothar Galow-Bergemann hat lange in der Krankenpflege gearbeitet, war Personalrat in zwei Großkliniken und schreibt u.a. für konkret, Jungle World und www.emafrie.de
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