Warum gegenwärtiger Antirassismus Kritik verdient und warum diese Kritik immer wieder den eigenen Anspruch unterbietet.
Vortrag von Felix Riedel
gehalten am 8. November 2018 in Stuttgart
Der bürokratische Antirassismus versucht durch eindeutige Zeichen das äußerliche Bild einer offenen Gesellschaft herzustellen. Weil neben der Hautfarbe das Kopftuch als Signal für „gelungene Integration“ gilt, gehen sozialdemokratische und wertkonservative Politik für marktgerechte Bilder Bündnisse mit Islamisten ein. Die Widersprüche innerhalb der Minderheiten – Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie – werden ausgeblendet. Das gleiche gilt für den identitätspolitischen Antirassismus von Critical Whiteness-AktivistInnen. Auch hier zählen bürokratische Kategorien wie Bekenntnis, Hautfarbe, Privileg. Die universalen Menschenrechte werden aufgegeben, an ihre Stelle tritt ein kulturalistischer Wertepluralismus. Statt Reflexion und Analyse werden Betroffenheit und „Positionierung“ relevant. Dabei sind Schnittstellen von Antisemitismus und Antirassismus entstanden, die bei genauerem Hinsehen eine ältere Tradition fortsetzen. Die Kritik dieses bürokratisierten und seiner Gesellschaftskritik beraubten Antirassismus scheitert allerdings dort, wo sie im Umfeld der Neurechten die prinzipielle Notwendigkeit des Antirassismus leugnet.
Durch den historischen Rassismus entstand global eine rassisierte Ökonomie, die in den Individuen fatale, selbstschädigende Zwänge freisetzt: Menschen mit dunkler Haut greifen zu Bleichcremes und rassistischen Ressentiments, um die eigene Armut zu erklären. Die weißen, wohlhabenden oder im Abstieg begriffenen Individuen hingegen wenden sich dem Kulturchauvinismus zu, um die Unterschiede ausschließlich durch Kultur und letztlich über Blut und Intelligenz zu erklären. Dass solche Erklärungsmuster nicht nur bei Rechten greifen, sondern auch unter Marxisten Erfolg hatten, lässt sich am Beispiel der Türcke-Kontroverse und der Zeitschrift Bahamas belegen. Die Offenheit von Teilen der marxistischen Szene für rassistische Mythologie wird an zwei Punkten greifbar: einer vordialektischen Zivilisationstheorie, die dualistisch in Zivilisation und Barbarei trennt; sowie eine Notstandsrhetorik, die unmenschliche Politik als unschöne, aber notwendige Maßnahme gegen die von außen drohende „Barbarei“ legitimiert. Der Antirassismus wird in dieser Rhetorik zum Feindbild, das Erstarken rechtsextremer Parteien dabei geleugnet oder als verständlich rationalisiert.
Felix Riedel ist promovierter, freiberuflicher Ethnologe. Er hat zu modernen Hexenjagden in Ghana geforscht und auf seinem Blog „Nichtidentisches“ sowie in diversen Zeitungen seit 2006 das Entstehen und Erstarken von Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Islamismus und regressiver Flüchtlingspolitik kritisch beobachtet und kommentiert. Sein Vortrag wird am Beispiel zweier antagonistischer Szenen den Zustand des Antirassismus diskutieren.
Eine Veranstaltung von Emanzipation und Frieden