Fest gegen rechts
von Minh Schredle
(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 685 am 15. Mai 2024)
Politisches Engagement muss Freude machen, meint das Stuttgarter “Netzwerk gegen rechts”. Am Samstag gibt’s daher ein Fest mit analytischem Blick auf gesellschaftliche Desaster und mit Humor.
Der ordnungsliebende Immanuel Kant definiert in seiner “Anthropologie” einen Dreiklang für den fruchtbaren Gedankenaustausch in Gesellschaft, und zwar in genau dieser Reihenfolge: erstens Erzählen, zweitens Räsonieren und drittens Scherzen. Nachdem alle über die Neuigkeiten des Tages im Bilde sind, folgt der kultivierte Streit um die Beurteilung der Ereignisse. “Weil aber das Vernünfteln immer eine Art von Arbeit und Kraftanstrengung ist” und das auf Dauer beschwerlich werde, “so fällt die Unterredung natürlicherweise auf das bloße Spiel des Witzes”.
Obwohl dieser Leitfaden – Kant selbst spricht von “Gesetzen der verfeinerten Menschheit” – schon über 200 Jahre alt ist, kommt die vergnügliche Komponente bei politischen Versammlungen oftmals zu kurz. Sie enden allzu häufig mit der bierernsten Erörterung über gesellschaftliche Missstände und lassen ihr Publikum spaßbefreit zurück. Wie viele Adorno-Lesezirkel verliefen ganz und gar ohne Zwerchfellerschütterung? Und unter uns: Wann haben Sie zuletzt auf einer Demonstration herzhaft gelacht?
In Stuttgart hat das “Netzwerk gegen rechts” Lehren daraus gezogen, ein Fest an diesem Samstag steht unter dem Motto: “Politisches Engagement muss auch Freude machen”. Das Programm soll informativ und spielerisch zugleich sein, unterhalten, ohne den Ernst der Lage zu verkennen. Gerade jetzt, wo der Faschismus womöglich vor einem großen Comeback steht, wollen die Organisator:innen auch solche Kreise für zivilgesellschaftlichen Einsatz begeistern, die nicht schon zwei Demonstrationen pro Woche besuchen und danach kämpferische Flugschriften verfassen.
Dass grundsätzlich Potenzial für eine breite Bewegung gegen Diskriminierung und Hass vorhanden ist, zeigen die Proteste gegen die Deportationsabsichten der AfD. Zu Jahresbeginn gingen bundesweit Hunderttausende auf die Straßen, neue Bündnisse formierten sich. Und doch klagen viele Aktive, dass ihre Organisationen nicht genügend Schultern haben, um alles zu stemmen, was eigentlich nötig wäre.
Das “Netzwerk gegen rechts” will nicht nur verschiedene Gruppen zusammenbringen, die hin und wieder aneinander vorbei arbeiten. Sogar Kunst und Wissenschaft sollen am Wochenende kooperieren: Für den theoretischen Input sorgen die Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas (Uni Tübingen) und der Politikwissenschaftler Klaus Dörre (Uni Jena), der Schauspieler Walter Sittler liest Erich Kästner. Der Rapper Max Herre, früher für die Vocals bei “Freundeskreis” zuständig, tritt auf, ebenso wie der Kabarettist Max Uthoff, bekannt aus “Die Anstalt”. Es moderieren Maike Schollenberger von Verdi und Joe Bauer vom Netzwerk.
So wollen die Organisator:innen raus aus der Blase kommen mit einem Angebot, das breite Kreise anspricht. Denn mit Blick auf das Erstarken rechtsextremer Kräfte sei es dem Netzwerk zufolge notwendig, sich trotz Meinungsverschiedenheiten “gemeinsam den Feinden der Demokratie entgegenzustellen”.
Das ganze Programm gibt es hier. Los geht es um 14 Uhr auf dem Schlossplatz, Stuttgart-Mitte.
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“Remigration” als Wahlkampfversprechen
Im Januar berichtete “Correctiv” über ein rechtsextremes Treffen in Potsdam, bei dem AfD-Politiker:innen mit Gleichgesinnten unter dem Stichwort Remigration millionenfache Vertreibungen ihnen unliebsamer Personen diskutiert haben. Der AfD-Bundesvorstand veröffentlichte daraufhin ein Positionspapier, im Rahmen einer “Remigrationsagenda” eine “Offensive” starten zu wollen, allerdings “rechtsstaatlich” und “verfassungskonform”, indem ausreisepflichtige Ausländer:innen konsequent abgeschoben würden. Nun wurde daraus sogar ein Wahlkampfversprechen. Thomas Rosspacher, der bei der Stuttgarter Kommunalwahl am 9. Juni auf Listenplatz drei für die AfD antritt, wirbt mit dem Slogan: “Schnelle Remigration schafft Wohnraum!” Die Vertreibungspläne der Partei sind nicht so harmlos, wie sie tut. Das zeigt sich unter anderem an einem ihrer Spitzenkandidaten. Der Faschist Björn Höcke, der in Thüringen Ministerpräsident werden will, erklärte bereits 2015: “Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.” Basierend auf diesem rassentheoretischen Hirngespinst forderte er Konsequenzen. Diese konkretisierte er 2018 in einem Buch: “Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein”, bei dem “wohltemperierte Grausamkeit” in Kauf genommen werden müsste. Angesichts dieser Blut-und-Boden-Ideologie ist anzunehmen, dass “ausreisepflichtig” für die AfD sich nicht an Recht und Gesetz, sondern an Herkunft orientiert. (min)
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Transparenzhinweis: Kontext-Kolumnist Joe Bauer gehört zum Orga-Kreis des Fests gegen rechts.