Islamophobie? Rassismus? Islamkritik?

Über begriffliche und inhaltliche Verwirrungen einer aktuellen Debatte

Ein Seminar von Emanzipation und Frieden, 3. Juli 2010

mit Vorträgen von Floris Biskamp (Uni Gießen), Klaus Blees (Aktion 3. Welt Saar, Trier), Lothar Galow-Bergemann und Markus Mersault (beide Emanzipation und Frieden, Stuttgart).

Die Vorträge sind zu hören in einer Sendereihe von Emanzipation undFrieden vom Herbst 2010 Anhören oder Download

Wie hat eine emanzipatorische Kritik an rassistischen und antimuslimischen Ressentiments ebenso wie an Begriffslosigkeit, unverstandenem Antisemitismus und Kulturrelativismus auszusehen, ohne die Kritik der Religion und die Kritik an fundamental-religiösen Zuständen gleich mit zu entsorgen ?


Während die einen glauben, der Antisemitismus habe sich ein neues Gewand gesucht und in den Moslems gefunden, der neue Antisemitismus heiße also Islamophobie, meinen die anderen erkannt zu haben, dass sich im Moslemhass nur der althergebrachte Rassismus verberge, welcher sich früher gegen Schwarze, Italiener und Türken richtete und heute eben gegen Muslime; analog hierzu empfinden einige Religionskritik im Allgemeinen und Kritik an islamischen oder islamistischen Zuständen im Besonderen als Verletzung der Menschenwürde und imaginieren einen wesenhaft guten und friedfertigen Islam, während andere nicht Religionskritik, sondern einzig Islamkritik betreiben, die in jedem Muslim einen potentiellen Terroristen und in jeder Muslima eine potentielle Geburtenmaschine sieht, oder gleich ganz in manichäischer Tradition dem wesenhaft bösen Islam das moralisch überlegene und gute christlich-jüdische Abendland gegenüberstellen.

Floris Biskamp: Die Debatten um antiislamische Ressentiments schlagen in der linken ebenso hohe Wellen wie in Akademie und Feuilleton. Der Konflikt ist jeweils derselbe: Während die einen jegliche negative Äußerung über den Islam oder auch einzelne Phänomene im Islam als Ressentiment delegitimieren, wird auf der anderen Seite die Behauptung eines spezifischen Feindbildes Islam als Apologetik abgetan. Doch wer sich von der politisch zugespitzten Situation nicht dumm machen, sich das Denken nicht abgewöhnen lassen will, sollte bemüht sein, das Ressentiment, das sich gegen den Islam als solchen richtet, auf einen kritischen Begriff zu bringen, der weder den Blick auf das falsche Bewusstsein über den Islam noch den auf das falsche Bewusstsein im Islam verstellt. Einem solchen Begriff möchte der Referent sich durch ein kritisches Abarbeiten an den verschiedenen theoretischen und untheoretischen Ansätzen, antiislamische Ressentiments zu fassen, nähern.

Floris Biskamp hat in Gießen und Boston Physik und Politikwissenschaft studiert und promoviert aktuell zu Kritischer Theorie und postkolonialer Dekonstruktion. Er ist im Gießener „Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation“ tätig.

Lothar Galow-Bergemann und Markus Mersault: Wenig verdeutlicht den hilflosen Zustand einer verwirrten und desorientierten Linken, deren Koordinatensystem zu Bruch gegangen ist, plastischer als das Begriffs-Tohuwabohu, mit dem sie um sich wirft, sobald sie sich dem Themenkreis Islam, Islamismus und Muslime widmet. Wie in einem Brennglas werden in dieser Debatte Versäumnisse und Defizite sichtbar, es scheint kaum einen Holzweg zu geben, der in dieser mitunter recht hitzig geführten Auseinandersetzung nicht beschritten wird. Die Autoren hinterfragen einige der scheinbaren Gewissheiten – beispielsweise über Rassismus, Religionskritik und Antisemitismus – und versuchen, sich dem in vieler Hinsicht neuen Phänomen des antimuslimischen Ressentiments zu nähern.

Lothar Galow-Bergemann ist in der Assoziation Emanzipation und Frieden aktiv und lebt in Stuttgart. Seine Veröffentlichungen erschienen u. a. in der Jungle World, Konkret und Streifzüge.

Markus Mersault ist in der Assoziation Emanzipation und Frieden aktiv. Er studiert unglücklich Wirtschaftswissenschaften und lebt in Stuttgart.

Klaus Blees: Gibt es einen „antimuslimischen Rassismus“? Der Vortrag setzt sich mit den Vorwürfen der „Islamophobie“ und des „Antimuslimischen Rassismus“ auseinander, denen Kritiker des Islamismus ausgesetzt sind. Er geht der Frage nach Ursprung und Funktion dieser Wortschöpfungen nach und stellt dar, wie sie einerseits dazu dienen, säkulare, emanzipatorische Kritik an islamisch begründeten Menschenrechtsverletzungen zu tabuisieren und auf der anderen Seite die Benennung von ordinärem Rassismus und ordinärer Fremdenfeindlichkeit, die sich auch, aber nicht nur gegen Muslime richten, durch Umdefinition vernebeln. Klaus Blees ist Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Islamismus der Aktion 3.Welt Saar und dort tätig für das Projekt „Islamismus zurückdrängen – Menschenrechte wahren“, das die Aktion 3.Welt Saar zur Zeit mit Unterstützung der EU/Europäischer Flüchtlingsfonds durchführt.