Ist ein ökologischer Kapitalismus machbar?

Diskussion mit Julian Bierwirth

Sonntag, 9. Juli 2023, 18.00 Uhr, Göttingen

im Rahmen des Sommerfestes des Essbaren Waldgarten Grone

Das Sommerfest beginnt um 14.30 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Es gibt Führungen durch den Garten, Programm für Kids & direkt im Anschluss an die Diskussion ein Lagerfeuer.

Im Angesicht der ökologischen Krisen bleibt nicht viel Zeit, um das Ruder herumzureißen und ein qualitativ neues Mensch-Natur-Verhältnis zu etablieren. Die Zeit scheint so knapp zu sein, dass ein Ausweg oftmals nur innerhalb der bereits Bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse denkbar scheint.

Wir wollen bei dieser Diskussionsveranstaltung genauer hinsehen: Wie ist es um die Möglichkeit eines ökologischen Kapitalismus bestellt? Kann uns eine öko-soziale Marktwirtschaft, wie sie Teile der aktuellen Bundesregierung befürworten, vor der Klimakatastrophe retten? Welche Rolle spielen möglicherweise die globalen Konkurrenz- und Handelsbeziehungen, in die unsere Ökonomie eingebunden ist? Ist eine Veränderung des Naturverhältnisses möglich, ohne zentrale gesellschaftliche Beziehungsformen zu transformieren?


Wie im Kapitalismus

Das Konzept der Arbeitszeitrechnung stellt keine Alternative zum Kapitalismus dar

In einer nach dem Konzept der Arbeitszeitrechnung organisierten Gesellschaft bliebe der Austausch von Arbeitsleistungen das zentrale Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung. Einen Ausweg aus den Zwängen der warenproduzierenden Gesellschaft böte das nicht.

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen in Jungle World vom 22.6.2023)

Mit der verstärkten Hinwendung zur Ökonomiekritik in linken Debatten rückt auch die Frage, wie eine postkapitalistische Gesellschaft organisiert sein könnte, wieder in den Mittelpunkt. Felix Klopotek, Christian Hofmann und Philip Broistedt haben das Konzept einer Arbeitszeitrechnung (AZR) ins Gespräch gebracht, das die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) vorgelegt hatte. Das Modell, das 1930 in der Schrift »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« dargestellt wurde, erweist sich jedoch als kaum geeignet, um vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Situation und heutiger linker Kämpfe eine emanzipatorische Perspektive zu skizzieren.

Weiterlesen

CSD in Freiburg: Antifa als Publikumsmagnet?

Trotz eines Boykotts durch drei Schwulen- und Lesbenverbände wurde der CSD am vergangenen Wochenende zum größten, den es je in Freiburg gab

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 639 am 28. Juni 2023)

Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

Screenshot @csdfreiburg

Die Reaktion kam spät, war aber heftig: Knapp zwei Monate nachdem das Logo für den diesjährigen Christopher-Street-Day (CSD) in Freiburg publik geworden war, zeigten sich der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD BW) und die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart „entsetzt“. Am 21. Juni begründeten beide Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung ihren Boykott der Demonstration. Denn beworben wurde die Veranstaltung unter anderem mit einem Schwarzwaldmädel, das neben einem regenbogenbunten Bollenhut auch eine Sturmmaske trägt. Daneben zu sehen: ein leicht abgewandeltes Logo der Antifaschistischen Aktion. „Wir können als familienorientierter Verband an keiner Veranstaltung teilnehmen, die offen für Linksradikalismus wirbt oder im direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen steht“, erklärte Kersin Rudat aus dem Vorstand des LSVD BW. Beide Zusammenschlüsse kritisierten, „dass solch eine Provokation auch krasse Gegenreaktionen erzeugen und rechtsextreme Gruppierungen erst recht locken könnte“. Und Detlef Raasch vom CSD Stuttgart betonte: „Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab.“ Bemerkenswert sind diese Aussagen vor dem Hintergrund der Historie des Christopher-Street-Days.

Weiterlesen

Technologieoffenheit als Treppenwitz. Der drohende Einbruch deutscher Autoexporte

Das selbstfahrende Auto dürfte noch lange auf sich warten lassen. Außerdem haben deutsche Autobauer den Umstieg auf Elektroantriebe verschlafen

von Minh Schredle

(Zuerst gekürzt und unter einem anderen Titel in der Jungle World 2023/23 vom 8. Juni 2023 erschienen.)

Wie eine Straßenbahn ohne Gleise oder ein Bus, den man sich mit niemandem teilen muss, so soll automatisiertes Fahren funktionieren. „Schon seit Jahren sind die Ingenieure fast aller Autohersteller mit Systemen zum automatisierten und hochautomatisierten Fahren unterwegs“, informierte jüngst der ADAC, der enorme Potenziale in dieser Technologie sieht. Einschränkungen ergeben sich allerdings bei der Umsetzung, denn „der ambitionierte Zeitplan“ zur Markteinführung habe sich „immer wieder verschoben“. An knausrigen Geldgebern liegt es eher nicht: Nach Angaben von McKinsey haben Fahrzeugproduzenten und Risikokapitalgeber zwischen 2010 und 2020 mehr als 100 Milliarden Dollar in selbstfahrende Systeme investiert. Doch weltweit bleiben die Erfolge hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland scheint der Optimismus ohnehin überschaubar. Nur „21 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger glauben, dass klassische deutsche Hersteller den Wettbewerb um das autonome Fahren für sich entscheiden werden“, ergab eine repräsentative Befragung im Auftrag des Marktforschungsunternehmens Bitkom Ende 2022. Hingegen waren 43 Prozent überzeugt, „dass neue Automobilhersteller wie Tesla letztlich an der Spitze stehen“. Allerdings läuft es auch beim vermeintlichen Branchenprimus alles andere als rund.

Weiterlesen

Arbeit, Wachstumszwang und Autoritarismus

Zum Charakter der Krise und antifaschistischen Perspektiven

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 6. Juli 2023, 15.30 Uhr, Nordrhein-Westfalen

Eine Veranstaltung von Antifa.NRW im Rahmen von Sommer, Sonne, Antifa! Festival 2023

Die Erde erwärmt sich unaufhörlich, die Ozeane werden vermüllt. Hunger und Armut wachsen, selbst in den reicheren Weltregionen. Eine Zoonose und Pandemie folgt auf die nächste. Kriege und Kriegsgefahr werden immer bedrohlicher. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht.

Es mangelt nicht an Konferenzen und Beschlüssen „zur Nachhaltigkeit“. Doch eine Wirtschaftsweise, der unendliches Wachstum, maximaler Profit und steigende Aktienkurse wichtiger sind als das Leben künftiger Generationen, schafft Probleme, die sie selbst nicht lösen, sondern nur weiter vertiefen kann.

Weltweit kämpfen viele Menschen gegen die Folgen an. Die Einsicht, dass Umweltkrise, soziales Elend, rassistische und sexistische Unterdrückung miteinander zusammenhängen, verbreitet sich. Immer weniger Menschen finden sich mit Diskriminierung ab, immer mehr fordern das Recht ein, ohne Angst verschieden sein zu können. Sie verlangen, „dass es nicht mehr so weitergeht“.

Aber viele bestehen auch explizit darauf, „dass es so weitergeht“. Je tiefer die Krise, desto mehr klammern sie sich an das, was keine Perspektive mehr hat. Anstatt darüber nachzudenken, was sie eigentlich denken, behaupten sie lieber, sie dürften „nicht mehr sagen, was sie denken“. Rassistische, sexistische, antisemitische und nationalistische Reaktionen verschärfen die Krise weiter. Verschwörungsphantasien verbreiten sich. Hass und Hetze gegen Klimaaktivist*innen und „Woke“ wirken bis in die „Mitte der Gesellschaft“. Ein neu-alter Autoritarismus wächst heran. In ihm gärt rohe Gewalt.

Weiterlesen

Gesellschaftskritik und Klassentheorie

Zur Notwendigkeit, unsere Vorstellung von sozialen Kämpfen zu reformulieren

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen bei Disposable Times)

Der Text basiert auf einem Input, das der Autor bei der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche am 29. Mai in Frankfurt am Main gehalten hat.

Die Kategorie „Klasse“ hat in den Diskussionen um die Ausrichtung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik und die Stoßrichtung sozialer Kämpfe in den vergangenen Jahren erneut eine große Bedeutung erlangt. Das Revival der Klassenpolitik wird dabei als große Chance für eine präzisere Bestimmung der gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen und eine Radikalisierung sozialer Kämpfe verstanden. Für beides scheint der Begriff bei genauerer Betrachtung jedoch wenig geeignet. Es braucht ein anderes Paradigma, um die notwendigen Auseinandersetzungen im Kapitalozän zu führen.

Weiterlesen

Hat hier gerade jemand Spaltung gesagt?

Eine Reise durch die Theoriegeschichte der Linken

Input und Diskussion mit Julian Bierwirth

Mittwoch, 14. Juni 2023, 19.00 Uhr, Braunschweig

Goslarsche Straße 20a, 38118 Braunschweig

Eine Veranstaltung der Sozialistischen Jugend Die Falken Braunschweig

In den letzten Jahren wird wieder vermehrt über linke Theorie diskutiert. Im Zentrum vieler Auseinandersetzungen steht der Marxismus und seine Wirkungsgeschichte. Und tatsächlich kann der Traditionelle Marxismus als eine Art Urbild emanzipativer Gesellschaftstheorie gelten. Hier wurde das erste mal eine konsistente und umfassende Befreiungstheorie vorgelegt.

Der Referent wird die Grundüberlegungen des Traditionellen Marxismus darstellen und ihre weltgeschichtliche Wirkung nachzeichnen. Im Anschluss daran werden wir uns den gängigen Kritiken aus anderen linken Strömungen zuwenden: aus der Kritischen Theorie, dem Poststrukturalismus, dem Operaismus und der Wertkritik. Diese Strömungen haben – bei aller Unterschiedlichkeit – die Gemeinsamkeit, dass sie aus einer Kritik am Traditionellen Marxismus entstanden sind. Aus der Kritik am Traditionsmarxismus lassen sich dann in einem dritten Schritt die jeweiligen Zugänge unterschiedlicher Linker Strömungen zu Theorie und Praxis sowie aktuelle linke Debatten nachzeichnen.

Gesellschaftstheoretisches Vorwissen ist nicht notwendig.

Autoritäre Versuchungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Moderation: Martin Gohlke

Dienstag, 11. Juli 2023, 15.00 bis 16.45 Uhr, Online

Eine Veranstaltung von Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich

Zugang über Zoom Meeting-ID: 829 2788 5661; Kenncode: X0bdtA

Klima, Krieg, Inflation, Sorge um die wirtschaftliche Existenz und sozialen Abstieg… Vieles beunruhigt. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber manchen erscheinen sie verlockend. Autoritäre Politikkonzepte werden attraktiver. Freiheit wird mit Ellenbogenegoismus verwechselt. Die Suche nach „den Schuldigen“ vermischt sich mit der Sehnsucht nach dem „starken Mann“. Krisenzeiten waren selten gut für die Demokratie. Wie können wir die Gesellschaft angesichts großer ökologischer und sozialer Herausforderungen krisenresistenter gestalten und auf einen guten Weg kommen?

System Change not Climate Change?

Warum wer von Kapitalismus nicht reden will, auch von Nachhaltigkeit schweigen sollte

Workshop mit Franziska Sander

im Rahmen des AUFSTAND 2023 der NAJU Baden-Württemberg

Sonntag, 11. Juni 2023, 10 Uhr, Waldenbuch

Waldjugendzeltplatz Jungviehweide in 71111 Waldenbuch

Klimagerechtigkeit, System Change not climate change, dies das – von all den Begriffen kann einem schon mal der Kopf brummen. Wir beschäftigen uns im Workshop mit der Frage, was Klimagerechtigkeit eigentlich genau heißt, mit Grundzügen der Kapitalismuskritik und damit, warum es sich lohnt, für „System Change not climate change“ zu kämpfen.

Anreisebeschreibung

Rache statt Verbrüderungskitsch

Eine kritische Analyse der deutschen Erinnerungskultur

Rezension zu Max Czollek: „Versöhnungstheater“

von Lara Wenzel

(zuerst erschienen in TdZ am 27.4.2023)

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor einem Jahr brach in Deutschland eine „Zeitenwende“ an, wie Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete. „[N]ach knapp achtzig Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem.“, betonte auch SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil. Jenseits der Frage, ob Waffenlieferungen in die Ukraine notwendig sind, bedient sich ihre Begründung einer „Schlussstrich-Rhetorik“. Nachdem Deutschland die letzten Jahrzehnte die Füße stillhielt und die Überlebenden des zweiten Weltkriegs und der Shoa schwanden, denkt man sich nun, man könnte ja wieder… Mit der Zeitenwende-Rede von Scholz sei eine neue Stufe der deutschen Erinnerungskultur erreicht, meint Max Czollek. Das „Versöhnungstheater“ bestimmt nun das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Rolle, die die weiße, christliche Mehrheitsgesellschaft Juden und Jüdinnen darin zu weist. Debora Antmann prägte für dieses oft aufgerufene „Wir“ das Adjektiv wc-deutsch, [weiß-christlich-deutsch].

Weiterlesen

Das Schutzbedürfnis der Machtkritik

Radio Dreyeckland: Staatsanwaltschaft blamiert sich vor Gericht

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 634 am 24. Mai 2023)

Weil er in einem Artikel die Archivseite einer verbotenen Vereinigung verlinkte, hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe einen Redakteur von „Radio Dreyeckland“ angeklagt. Das Landgericht Karlsruhe nutzte die Gelegenheit für Nachhilfe in den Fächern Grundrechte und Denklogik.

Der freie Sender „Radio Dreyeckland“ (RDL) kann seit der Gründung 1977 auf ein paar seltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht zurückblicken, auch in der jungen Vergangenheit. Als ein freier Mitarbeiter, der zu diesem Zeitpunkt in der Nähe der französischen Stadt Dijon lebte, 2019 über den G7-Gipfel in Biarritz berichten wollte, hat ihn die Polizei eingesperrt und nach Kehl abgeschoben – weil sie ihn auf Basis eines falschen Hinweises der deutschen Kolleg:innen für einen „Gefährder“ hielten (später bekam der Betroffene wegen dieser rechtswidrigen Behandlung eine Entschädigung zugesprochen). Nur wenige Monate später, im September 2020, war der RDL-Redakteur und Fotojournalist Julian Rzepa auf einer „Querdenken“-Kundgebung, um Bilder zu machen. Dabei schlug eine Demonstrantin gegen seine Kamera und beschädigte das Objektiv. Rzepa zeigte das an, doch das Freiburger Amtsgericht stellte das Verfahren aus „Mangel an öffentlichem Interesse“ ein und der Journalist blieb auf den Anwaltskosten und einem kaputten Objektiv sitzen.

Der neuste Fall in dieser unrühmlichen Serie ist allerdings noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Weiterlesen

„Die BDS-Bewegung fügt den palästinensischen Arbeitern den größten Schaden zu“

Unter der BDS-Kampagne, als deren prominentester Aktivist Roger Waters gilt, leiden nicht nur Jüdinnen*Juden, sondern auch viele Palästinenser*innen.

Von Thomas Tews

(zuerst erschienen am bei haGalil.com)

Durch die aktuelle Antisemitismusdebatte rund um Roger Waters, den ehemaligen Pink-Floyd-Bassisten und lautstarken Unterstützer der zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen den einzigen jüdischen Staat aufrufenden BDS-Kampagne, steht letztere wieder stärker im Fokus des öffentlichen Diskurses. Die jüdische Mehrheitsmeinung zu ihr fällt sehr eindeutig aus: Eine 2018 von der »Agentur der Europäischen Union für Grundrechte« durchgeführte Studie ergab, dass 82 Prozent der in der EU lebenden Jüdinnen*Juden die Unterstützung von Boykotten gegen Israel oder Israelis als antisemitisch empfinden – in Deutschland waren es sogar 84 Prozent. Wie begründet diese Meinung ist, zeigt eine im vergangenen November von der »Amcha Initiative«, die sich der Dokumentation und Bekämpfung von Antisemitismus an US-Hochschulen widmet, veröffentlichte Studie. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass an Hochschulen mit fünf oder mehr einen akademischen Israelboykott unterstützenden Lehrkräften die Wahrscheinlichkeit für Angriffe auf jüdische Identität fast viermal so hoch ist als an anderen Hochschulen. Da zudem der in Katar geborene BDS-Gründer Omar Barghouti offen zugibt, »definitiv, ganz definitiv gegen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas« zu sein, kann an der antijüdischen Ausrichtung von BDS kaum ein ernsthafter Zweifel bestehen. Interessanter gestaltet sich die Frage, ob die 2005 ins Leben gerufene BDS-Kampagne tatsächlich so propalästinensisch, also im Interesse der Palästinenser*innen, agiert, wie sie vorgibt.

Weiterlesen

Emanzipatorisches Subjekt – Klasse & Kritische Theorie

Podiumsdiskussion mit Julian Bierwirth und Lena Reichardt

auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche

Montag, 29. Mai 2023, 19.30 – 20.45 Uhr, in Frankfurt/Main

In den letzten Jahren hat sich in den kritischen Gesellschaftstheorien eine zunehmende Rückbesinnung auf die Klasse bemerkbar gemacht. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung und der Subjektivierung durch »Klasse«. Der Klassenbegriff ist einer von mehreren zentralen Begriffen kritischer Gesellschaftstheorie, welcher mit den Krisendynamiken der letzten Jahrzehnte auch in die öffentliche Diskussion zurückgekehrt ist. Es stellt sich also die Frage, wie sich eine kritische Gesellschaftstheorie angesichts der weltweit ausgetragenen Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung heute positioniert und welches explanatorische Potential der Klasse dabei zukommt. In der Veranstaltung soll deswegen die Bedeutung der Klasse für eine kritische Gesellschaftstheorie diskutiert, und danach gefragt werden, inwiefern eine theoretische, wie praktische Rehabilitation der Klasse als emanzipatorisches Subjekt in heutigen Zeiten möglich erscheint.

Weiterlesen

Moishe Postone und die Weiterführung der Kritischen Theorie

Workshop von Nikolaus Gietinger

auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche

Sonntag, 28.Mai 2023, 11.00 bis 12.30 Uhr, Frankfurt/Main

Im Schatten des Aktivismus der 70er Jahre entstand in Frankfurt eine theoretische Tradition, die Marx‘ Werttheorie in den Fokus rückte. Einer dieser Theoretiker war Moishe Postone. Seine Lesart von Marx fokussierte sich auf die »abstrakte Herrschaft« der Arbeit im Kapitalismus und kritisierte den orthodoxen Marxismus dafür, den zentralen Widerspruch des Kapitalismus vor allem zwischen den Klassen zu sehen. Mit seiner originellen Lesart von Marx kritisierte Postone sowohl den traditionellen Marxismus als auch poststrukturalistische Theorieansätze. Zentral war, und damit blieb er der Frankfurter Schule treu, das Festhalten am Widerspruch der kapitalistischen Totalität, welcher über den Klassenwiderspruch hinausgeht. Laut Postone führe der Fokus auf den Klassenkampf zu einer Affirmation der Arbeit. Sein emanzipatorischer Anspruch zielt jedoch auf die Abschaffung der Arbeit.

Weiterlesen

Autobahn und Recht und Freiheit

Conrad Kunze hat eine Kulturgeschichte des deutschen Automobilismus verfasst

von Lara Wenzel

(zuerst erschienen in Neues Deutschland)

Auf der menschenleeren Autobahn dahinheizen, ohne Tempolimit, ohne Hindernis, das ist die libertäre Freiheitsfantasie, die viele Pkw-Fans verteidigen. Mit gedrosselter Geschwindigkeit durch die deutsche Landschaft fahren? Das wäre wie Sex mit Kondom. Da spürt man ja gar nichts. Eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 130 km/h könnte 1,9 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen, errechnete das Bundesumweltamt, und Unfälle reduzieren. Doch das greift die individuelle Freiheit der fossilen Maskulinisten und ihre faschistisch geprägte Männlichkeit an, erläutert Conrad Kunze in seinem Buch »Deutschland als Autobahn. Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus«.

Weiterlesen

Mehr Bock auf weniger Arbeit

Die IG Metall geht mit der Forderung nach der Viertagewoche in die Offensive

von Lothar Galow-Bergemann

(leicht gekürzt erschienen am 27. April 2023 in Jungle World #17/2023)

Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen endlich mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbunden werden.

Kurz vor Ostern überraschte die Gewerkschaft IG Metall mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Viertagewoche mit 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die Gewerkschaft in die Ende 2023 anstehende Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gehen. Ihr Vorsitzender Jörg Hofman erwartet gar eine gesamtgesellschaftliche Wirkung: Die Stahlindustrie sei schon oft Vorreiter für fortschrittliche Regelungen gewesen. Insofern habe diese Forderung eine „grundsätzliche Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus“.

Mit Recht verweist die IG Metall auf die intensiver werdende Debatte über Arbeitszeitverkürzungen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Viertagewoche.

Die Ankündigung der Gewerkschaft kommt zur richtigen Zeit, sie setzt einen Kontrapunkt zu den belehrenden und anmaßenden Tönen von Politikern und Arbeitgebern. Erst im Februar ermahnte Andrea Nahles, ehemalige SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, junge Menschen mit erhobenem Zeigefinger: „Arbeiten ist kein Ponyhof.“ Und Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, forderte längere Arbeitszeiten und „mehr Bock auf Arbeit“. Arrogante Ansprüche, die meilenweit entfernt sind von dem, was immer mehr Menschen bewegt, die aus guten Gründen eben keinen Bock haben.

Weiterlesen

„Alles wird besser“ Wirklich?

Eine Auseinandersetzung mit liberalen Fortschrittserzählungen anhand des einflußreichen Buches „Factfullness“ von Hans Rosling

Von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen bei Disposable Times unter dem Titel Faktencheck: Hans Rosling)

„Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right.
Singin‘: Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right!“
(Bob Marley)

Faktencheck mit Hans Rosling

Hans Roslings Factfulness ist ein Buch mit einer Botschaft: die Bedingungen in der kapitalistischen Spätmoderne werden besser und besser. Zwar haben viele Menschen noch abstruse Ideen über schier unüberwindbare gesellschaftliche Hierarchien im Kopf und glauben, globalen Trends gegenüberzustehen, die zielsicher dafür sorgen, dass die Dinge immer schlimmer werden. Tatsächlich spielen beide Vorstellungen ja durchaus eine große Rolle, nicht zuletzt aus der Perspektive von kapitalismuskritischen Krisentheoretiker*innen. Gefragt, ob die Dinge in der Welt a) immer besser, b) immer schlechter oder c) gleichbleibend gut oder schlecht seien, antworten sie zielsicher mit b) – immer schlechter.

Das, so versichert und Hans Rosling, sei aber ein Trugschluss. Sicher gebe es Dinge, die sich verschlechterten. Aber in the long run, im Großen und Ganzen, entwickele sich die Sache doch in die richtige Richtung. Mit einem Satz: dass Versprechen des Liberalismus wirkt! Weiterlesen

»Meister Röckle«: Der Teufel, beim Namen genannt

Das Theater Magdeburg bringt ein Märchen nach Karl Marx auf die Bühne

von Lara Wenzel

(zuerst erschienen in Neues Deutschland)

Geschichtenerzählen und -spielen stand in der Familie Marx hoch im Kurs. Die gesammelten Werke Shakespeares waren ihre Hausbibel, aus der sie lange Passagen rezitierten, und zwei Töchter träumten von einem Leben auf der Bühne. Inspiration bot auch ihr Vater, ein fantastischer Märchenerfinder. In den Stunden, die Karl nicht in der Bibliothek des britischen Museums verbrachte, erzählte er Jenny und Laura Marx von Hans Röckle. Der Spielzeugmacher paktierte mit dem Teufel, um die wunderbarsten Dinge zu schaffen. Erst zaubert er Hula-Hoop-Reifen, dann Maschinen zur Arbeitserleichterung. In der Neuerzählung verwandelt sich die Kindergeschichte »Meister Röckle« in ein Schauermärchen, das die Jahrhunderte von der industriellen Revolution zum Green New Deal durchschreitet. Von den Theatermacher*innen les dramaturx verfasst, wurde sie am vergangenen Samstag für ein Publikum ab 15 Jahren auf die Bühne des Theaters Magdeburg gebracht.

Weiterlesen

»Dies bleibt sein unsterbliches Verdienst«

Wie ein Breslauer Jude vor 175 Jahren in der 48er-Revolution für die Demokratie kämpfte und vor 160 Jahren die spätere SPD gründete.

Von Thomas Tews

(zuerst erschienen am April 2023 – 29 Nisan 5783 bei haGalil.com)

Ferdinand Lassalle kam am 13. April 1825 als Spross einer jüdischen Breslauer Bürgerfamilie zur Welt. Sein Großvater Feitel Braun war ein Anhänger des jüdischen Philosophen der Aufklärung Moses Mendelssohn und sein Vater Chaijm Wolfsohn aus Loslau, später Heymann Lasal, sollte ursprünglich Rabbiner werden, entschied sich aber für eine Tätigkeit als Seidenhändler und heiratete Rosalie Herzfeld, Lassalles Mutter. Im Alter von 14 Jahren zog Lassalle von Breslau nach Leipzig, um eine dortige Handelsschule zu besuchen. Dort notierte er nach einem jüdischen Begräbnis am 2. Februar 1840 in seinem Tagebuch: »Ich könnte … mein Leben wagen, um die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu befreien.« Als Lasalle im Mai 1840 erfuhr, dass der Gouverneur von Damaskus, Scherif Pascha, aufgrund falscher, von katholischen Mönchen in Umlauf gebrachter Ritualmordbeschuldigungen – mit Unterstützung des Konsuls der »Schutzmacht« Frankreich – zahlreiche jüdische Menschen, unter ihnen 60 Kinder, eingesperrt hatte, um sie durch Aushungerung und Folterung zu falschen Aussagen oder Geständnissen zu zwingen, schrieb er erschüttert in sein Tagebuch: »Abends brachte mir der Bruder von Madame Direktor den Bericht über die Juden von Damaskus. O, es ist schrecklich zu lesen, schrecklich zu hören, ohne dass die Haare starren und sich alle Gefühle des Herzens in Wut verwandeln.« Der erst 15-jährige Lassalle wünschte, dass die Ereignisse in Damaskus zu einem Fanal der Revolution würden: »Gab es je eine Revolution, die gerechter wäre, als die, wenn die Juden in jeder Stadt aufständen …?«

Weiterlesen