Klassenkampf: Zaubermittel gegen Faschismus?

Nachhaltige Antworten auf die autoritäre Welle müssen anders aussehen

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Sonntag, 17. November 2024, 15.30 Uhr, Wien

VHS Wiener Urania, Uraniastraße 1,1010 Wien

Eine Veranstaltung von Grüne Bildungswerkstatt Wien im Rahmen von ACT NOW II: Konferenz gegen Rechts

  • Eine Videoaufzeichnung des Vortrags und der anschließenden Diskussion ist mittlerweile HIER zu sehen

Klassenkampf muss sein. Aber höherer Lohn macht nicht antirassistisch, bezahlbarer Wohnraum nicht feministisch und ein Kindergartenplatz nicht kritisch gegen Verschwörungsdenken. Arbeiter*innen sind nicht von Autoritären und Faschisten „verführt“, sie haben ihren eigenen Kopf. Können sie ihre Arbeitskraft nicht verkaufen, ist ihr Lebensunterhalt gefährdet. Dieser Zwang ist eine Brutstätte des Autoritarismus. Zumal in Krisenzeiten. „Wer setzt sich durch – ich oder du, wir oder sie?“ Die rechte Welle entspringt der menschenfeindlichen kapitalistischen Ellenbogenkonkurrenz. Nur Kämpfe, die die Fesseln des Interesses von Arbeitskraftverkäufer*innen sprengen, können antikapitalistisch, antipatriarchal und antifaschistisch sein. „Klassenidentität“ hilft da nicht weiter.

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Michael Wilk: Reales Leid und deutsche Sorgen

von Minh Schredle

Der Notarzt Michael Wilk hilft in Kriegsgebieten wie Nordsyrien und leidet darunter, was hierzulande über Fluchtgründe erzählt wird. Dieses Wochenende warnt er in Stuttgart vor einem „massiven Faschismus-Problem“.

Manchmal, da sei der Kontrast zwischen den Welten schwer auszuhalten, berichtet Michael Wilk. Im Berufsleben arbeitet er als Notfallmediziner und Verhaltenstherapeut, in seiner Freizeit auch. Dann aber nicht in Deutschland, sondern in Krisen- und Kriegsgebieten. Schwerste Verletzungen zu behandeln macht ihm nicht zu schaffen, „dann wäre ich im falschen Beruf“. Vielmehr sind es die humanitären Katastrophen, die er auf der einen Seite sieht – und dem, was deutsche Politiker in letzter Zeit so über Flüchtlinge erzählen.

Wilk lernte zunächst Schmied und Schlosser, absolvierte dann ein Medizinstudium, bildete sich unter anderem zum Notarzt und Schmerzspezialisten fort und ist heute froh, dass er es sich leisten kann, ein paar Wochen im Jahr ohne Lohn zu behandeln. Seit 2014 ist er regelmäßig im nordsyrischen Rojava, einer Region die erst ein Bürgerkrieg, dann der Terror des Islamischen Staats und zuletzt die türkische Invasion unter Präsident Erdoğan zerrüttet haben. Hunderttausende verloren ihre Heimat. Nicht nur Wohnblocks und Schulen liegen in Trümmern, Teile der Infrastruktur sind schwer beschädigt, auch die Wasser- und Energieversorgung. Als Wilk 2023 in der Stadt Kobanê war, fielen ihm die lädierten Wände im Rathaus auf. Darin waren Einschusslöcher, weil das Gebäude nur wenige hundert Meter entfernt von den Militärposten an der türkischen Grenze steht und immer wieder willkürlich geschossen wird. 

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Fallstricke der Emanzipation

Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 28. November 2024, 18.30 Uhr, Lüneburg

Leuphana Universität Lüneburg Hörsaal 3, Universitätsalle 1, 21335 Lüneburg

Eine Veranstaltung im Rahmen von GESTERN, MORGEN

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

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Fallstricke der Emanzipation

Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Samstag, 2. November 2024, 16.00 Uhr, Weimar

mon ami, Goetheplatz 11

Eine Veranstaltung im Rahmen des 33. Antifaschistischen & Antirassitischen Ratschlags Thüringen

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

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Universen auf Kollisionskurs

In Stuttgart gibt es auch einen Hauptbahnhof, der funktioniert

von Minh Schredle

Stuttgart gibt viel Geld aus, um auf dem Gebiet der Kultur wettbewerbsfähig zu bleiben. Kunst wird zum Vehikel für Marketing degradiert – während Meisterwerke wie das Stadtmodell von Wolfgang Frey vor dem finanziellen Aus stehen.

Wo die Wirklichkeit einen zerrütteten Eindruck macht, sind Paralleluniversen besonders verlockend. „Das Strafgericht Gottes ist der Bau des neuen Stuttgarter Bahnhofs und verwüstet die gesamte Innenstadt“, urteilte Ästhetikpapst Bazon Brock, als er Baden-Württembergs Landeshauptstadt 2018 einen Besuch abstattete. Deren Erscheinungsbild ist seit geraumer Zeit von aufwendigen Umgrabungsarbeiten geprägt, die für das Projekt Stuttgart 21 anfallen. Im Herzen der Stadt klaffen gewaltige Baugruben. Der eigentlich denkmalgeschützte Bonatzbau am Bahnhof wurde entkernt und auf eine Fassade reduziert, er ist inzwischen eine Attrappe seiner selbst – aus der bisweilen metergroße Steinbrocken herausbrechen, die hoffentlich auf keinen Köpfen landen.

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Linke Melancholie

Vortrag und Diskussion mit Christian Voller

Donnerstag, 20. März 2025, 19.30 Uhr, Stuttgart

Laboratorium, Wagenburgstr.147

Was heißt linke Melancholie? Häufig wird damit der Zustand der gegenwärtigen Linken beschrieben, deren Enttäuschung über das Scheitern alternativer Gesellschaftsentwürfe in eine nachgerade ontologische Schwermut gekippt sei. Dagegen hielt bereits Walter Benjamin sie bereits in den 1920er Jahren für ein Symptom der Anpassung ans Bestehende. Christian Voller versucht, die kritischen Wurzeln des Begriffs freizulegen und dabei insbesondere die „Fähigkeit, sich zu ekeln“ (Benjamin) gegen die Routine linker Trauerarbeit in Anschlag zu bringen.

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Feministisch streiten 2

Texte zu Bewegung und transnationalen Kämpfen

Lesung und Diskussion mit Koschka Linkerhand

Donnerstag, 23. Januar 2025, 19.30 Uhr, Stuttgart

Laboratorium, Wagenburgstr.147

Trotz vielfältiger gesellschaftlicher Krisen bleibt der Feminismus hierzulande häufig auf Akademie und Subkultur, soziale Arbeit und neoliberale Selbstdarstellung begrenzt. Dabei bestimmt das kapitalistische Patriarchat überall auf der Welt das Leben von Frauen, Queers und Rassifizierten. Ein Feminismus, der die Verhältnisse umwälzen will, muss also transnational denken und handeln. Wie kommen wir aus unseren begrenzten Nischen heraus? Wie können wir uns feministisch aufeinander beziehen und organisieren? Welche sozialen Bewegungen eignen sich als Vorbilder? Und: Wer sind „wir“ überhaupt?

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Reichtum als Schande

Über die Millionenerbin und -verschenkerin Marlene Engelhorn und ein Theaterstück, in dem sie selbst auftritt

von Minh Schredle

Über Geld reden Reiche angeblich nicht. Die Millionenerbin und -verschenkerin Marlene Engelhorn tut es jetzt sogar auf einer Bühne. Das Theaterstück „Geld ist Klasse“ von Lothar Kittstein und Volker Lösch will mit der Illusion aufräumen, dass riesige Vermögen durch eigene Leistung zustande kommen.

Wo der gehobene Mittelstand seinem Nachwuchs noch einbläuen muss, nicht mit den Schmuddelkindern zu spielen, erübrigt sich der Hinweis für die exorbitant Reichen: In einer Villa mit großem Garten aufzuwachsen, die von Villen mit großen Gärten umgeben ist, bedeutet, erst auf der Privatschule zu lernen, dass Armut existiert. Nicht weil das Lumpenproletariat zum Klassenkameraden geworden wäre, Gott bewahre. Doch zu exzellenter Bildung gehört nunmal, sich auch mit den großen Problemfeldern auseinanderzusetzen. Nur wie Armut und Reichtum zusammenhängen – das habe ihr im Eliteunterricht niemand vermittelt, berichtet Marlene Engelhorn über die Bühnenfigur, die ihr selbst ziemlich nahe kommt, aber nicht mit ihr identisch ist.

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Gekränkte Randfiguren

Beobachtungen aus dem libertären Paralleluniversum in der Stuttgarter Liederhalle

von Minh Schredle

Treffen sich ein Whisky-Experte, ein Untergangsprophet und eine abgesägte Parteichefin, heißt die Pointe: Bürgergipfel. Beobachtungen aus dem libertären Paralleluniversum in der Stuttgarter Liederhalle.

Ein Mann schnaubt aufgebracht. „Wer hat denn diesen Raum für den Krall organisiert?“, fragt er fassungslos. Er hätte gerne den als Stargast anmoderierten Goldverkäufer Markus Krall gesehen, aber in dem Zimmer in der Stuttgarter Liederhalle, das die Veranstalter „Bitcoin Hotel“ genannt haben, sind die 40 Stühle schon eine halbe Stunde, bevor es losgeht, besetzt. Ein paar Interessierte haben sogar auf dem Boden Platz genommen, aber jetzt ist das Boot endgültig voll. Die Spannung steigt, doch der Stargast lässt auf sich warten. Also startet die Podiumsdiskussion schon mal mit Moderator Marc Guilliard und dem Whisky tastenden Youtuber Horst Lüning. Guilliard ist manchmal deprimiert, wenn er die Nachrichten guckt. Lüning hat einen Tipp: „Tagesschau“ abschalten. „Was geht das mich, meine Familie oder mein Umfeld an?“ Um die ganze Welt kann er sich ja eh nicht kümmern.

Lüning vertritt eine Theorie der gesellschaftlichen Zyklen, die sich im Wesentlichen so zusammenfassen lässt: Harte Zeiten erzeugen harte Kerle. Harte Kerle erzeugen gute Zeiten. Gute Zeiten erzeugen schwache Memmen. Schwache Memmen erzeugen harte Zeiten. Das sei laut Lüning „wie ein Naturgesetz“, jetzt gerade stehe wieder ein großer Kollaps bevor. Da hilft auch kein US-Präsident Trump, von dem sich Lüning „viele gute Sachen“ verspricht. „Aber nicht einmal er wird den Untergang aufhalten können.“ Gerade will Lüning erklären, wie die Gesamtmisere mit der vor gut 50 Jahren aufgehobenen Goldbindung des Dollars zusammenhängt – da taucht endlich Markus Krall auf. Das Publikum wirkt elektrisiert.

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Das vermeintlich sichere Zuhause

Eine materialistische Analyse der Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen

Vortrag und Diskussion mit Maria Jordan

Donnerstag, 10. Oktober 2024, 19.30 Uhr, Stuttgart

Sunny High im Prisma (ehemalige Schwabenbräupassage), Bahnhofstr. 14-18, 70372 Stuttgart

  • Eine gemeinsame Veranstaltung von Sunny High und emma&fritz

Gewalt, welche Frauen in unserer Gesellschaft erleben, ist vielfältig und findet in unterschiedlichen Kontexten statt. Trotz zunehmender feministischer Errungenschaften scheint das Phänomen der Gewalt gegen Frauen insbesondere in Paarbeziehungen unverändert zu bleiben. So wurden im vergangenen Jahr 155 Frauen Opfer eines Femizids. Sie wurden ermordet, weil sie Frauen sind. Laut WHO stellt Gewalt gegen Frauen für diese das größte Gesundheitsrisiko dar und der gefährlichste Ort für sie ist das eigene Zuhause.

Die von Frauen erlebte Gewalt muss innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen betrachtet und analysiert werden. Individuelle Gewalterfahrungen sind Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaftsordnung. Das Patriarchat ist ein Strukturmerkmal des Kapitalismus, dessen Gesellschaftssystem auf der Gewalt gegen Frauen beruht. Der Vortrag erklärt, warum die bürgerliche Subjektwerdung nur dem Mann vorbehalten ist und diskutiert die Folgen für weibliche Subjektwerdung. Die Thesen werden am Beispiel des Phänomens der sogenannten häuslichen Gewalt erläutert.

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Offen für alles

Beim „Bürgergipfel” in Stuttgart finden sich sowohl rechtspopulistische als auch Querfronttendenzen

Zusammen mit „produktiven Bürgern“ will Unternehmer Oliver Gorus Aufbruchstimmung erzeugen und Deutschland retten. Zu seinem Bürgergipfel in der Stuttgarter Liederhalle kommen nicht nur Rechtspopulist:innen. Es gibt auch Querfronttendenzen.

von Minh Schredle

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel der Kontext:Wochenzeitung 699 vom 21.08.2024. Für Emafrie und Krisis wurde er überarbeitet und erweitert.

Letzten Winter hat Oliver Gorus eine Beobachtung gemacht: „Eigentlich vernünftige Leute sahen nur noch schwarz“, schreibt er, und fasst das, was er so gehört hat, wie folgt zusammen: „Das Land sei nicht mehr zu retten. Die Politiker seien ja doch nur Marionetten (…). In Wahrheit würden finstere Finanzoligarchen regieren, die den Untergang der Nationalstaaten in Mitteleuropa beschlossen hätten. Der totalitäre europäische Superstaat mit totaler Kontrolle und digitalem Zentralbankgeld komme sowieso. (…) Die Linken würden sowieso keine freien und ungefälschten Wahlen mehr stattfinden lassen. Wir würden in einer Demokratiesimulation leben (…). Und in ein paar Jahrzehnten würden hier ohnehin nur noch Immigranten leben, die europäischen Völker seien dem Untergang geweiht. Unausweichlich.“

Was Gorus an diesen Analysen stört, ist der Fatalismus. Er stimmt zu, dass die deutsche Wirtschaft auf Talfahrt sei, „unsere Länder“ sich auf einem „schlüpfrigen Pfad abwärts“ befänden, „wir sind infiziert vom neomarxistischen Gedankenvirus“. Karrierepolitiker hätten „eine neue arrogante Fürstenklasse gebildet“, die Parteien seien „das Problem, nicht die Lösung“ und die „Staatsfinanzen entwickeln sich wie ein Tumor“. Aber die Hoffnung aufgeben, will er deshalb noch nicht. Und weil er „MACHEN“ schon als Kind krasser fand als „wollen“, hat Gorus den „Bürgergipfel 2024“ initiiert. So will er am 7. September mit dem verbliebenen „Rest der produktiven Bürger“ in der Stuttgarter Liederhalle Aufbruchstimmung und Zuversicht erzeugen. Er rechnet mit mindestens 1.000 Gästen.

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Probleme der Palästina-Solidarität

Anmerkungen zu einer Kritik an einem Vortrag auf dem System Change Camp

von Julian Bierwirth

Der Flyer (der hier eingesehen werden kann) beginnt mit einer falschen Beschreibung der Themenstellung: Es wird behauptet, es wäre ein Vortrag über den “Nah-Ost-Konflikt” (Zitat aus dem Flyer) gewesen. Das ist falsch. Es ging um die Rolle des Kapitalismus für das Verständnis der Klimakrise und des Antisemitismus.

In der Diskussion nach dem Vortrag hatte ein nicht unerheblicher Teil des Publikums wenig Interesse an einer Diskussion zur Kritik des Antisemitismus, Kapitalismus oder der Klimakrise, sondern wollte einen Weg finden, auch weiterhin “Israel kritisieren zu dürfen”. Mehrfach wurde dieser Wunsch geäußert und so eine Diskussion nicht zu Fragen der Bedeutung des Antisemitismus, sondern zum “Nah-Ost-Konflikt” eingefordert. 

In den letzten Monaten ist häufig der Reflex zu beobachten, dass auf die Thematisierung von Antisemitismus der Hinweis auf aktuelle politische Entwicklungen in Israel folgt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dies geschieht, um sich mit einer Kritik von Antisemitismus nicht mehr auseinandersetzen zu müssen. Es wäre eine eigene Reflexion wert, den damit zusammenhängenden sozialtheoretischen und sozialpsychologischen Mechanismen nachzugehen.

Ich werde im Folgenden zunächst etwas ausführlicher auf ein grundlegendes Manko vieler sog. “antiimperialistischer bzw. “antizionistischer” Analysen eingehen, die sich auch in dem Kritik-Papier widerspiegeln. Im Anschluss werde ich kurz die inhaltlichen Vorwürfe kommentieren. Mir ist bewusst, dass diese kurze Darstellung eine notwendige und umfassende Kritik dieser nicht nur verkürzten, sondern inhaltlich falschen Perspektiven linker Welterklärung nicht ersetzen kann.

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Ein Hauch von Anarchie im Lichthof 

Über die Ausstellung „Black Flags“ im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe

von Hans-Peter Häfele

Die Ausstellung „Black Flags“ im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) präsentiert drei Werke der renommierten Künstler*innen William Forsythe, Edith Dekyndt und Santiago Sierra. Die Konzeptidee stammt von Alistair Hudson, die Kuration übernahmen Margit Rosen und Philipp Ziegler.

Die Ausstellungsbesuchenden sollen vor dem Hintergrund der unübersehbar existentiellen Bedrohungslagen, sensibilisiert werden für die Verletzbarkeit unseres gleichermaßen vernetzten wie fragilen Ökosystems und vermittelt über die Kunst, neue Perspektiven auf die Welt gewinnen. Zu sehen ist die Gesamtschau im großen Lichthof des vom früheren Medienkünstler und Kunsttheoretiker Peter Weibel, bis zu seinem überraschenden Tod 2023, geleiteten Zentrums für digitale Medienkunst.

Die drei medial unterschiedlichen Kunstwerke werden als ein assoziativ sinnvolles Arrangement dargeboten und regen auf Grund ihrer je eigenen Semantik zu einer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit den Installationen an. Als das Verbindende und zentraler Gegenstand einer sowohl politischen als auch ästhetischen Reflektion steht die ,,Schwarzen Flagge“ als dem ikonischen Motiv und Symbol für den politischen Anarchismus.

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Klassenkampf: Zaubermittel gegen Faschismus?

Nachhaltige Antworten auf die autoritäre Welle müssen anders aussehen

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Freitag, 27. September 2024, 19.00 Uhr, Leipzig

Plaque, Industriestraße 101, Leipzig-Plagwitz

Eine Veranstaltung von fantifa Leipzig

  • Der Vortrag ist mittlerweile HIER zu hören

Klassenkampf muss sein. Aber höherer Lohn macht nicht antirassistisch, bezahlbarer Wohnraum nicht feministisch und ein Kindergartenplatz nicht kritisch gegen Verschwörungsdenken. Arbeiter*innen sind nicht von Autoritären und Faschisten „verführt“, sie haben ihren eigenen Kopf. Können sie ihre Arbeitskraft nicht verkaufen, ist ihr Lebensunterhalt gefährdet. Dieser Zwang ist eine Brutstätte des Autoritarismus. Zumal in Krisenzeiten. „Wer setzt sich durch – ich oder du, wir oder sie?“ Die rechte Welle entspringt der menschenfeindlichen kapitalistischen Ellenbogenkonkurrenz. Nur Kämpfe, die die Fesseln des Interesses von Arbeitskraftverkäufer*innen sprengen, können antikapitalistisch, antipatriarchal und antifaschistisch sein. „Klassenidentität“ hilft da nicht weiter.

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Angriff der Drogenautomaten

Reflexionen zu Mensch, Maschine und Rausch

von Minh Schredle

Der Hanf ist frei, aber nicht erhältlich. In die Angebotslücke drängen Drogenautomaten mit dubiosen Alternativstoffen. Am Stuttgarter Rotebühlplatz wurde zwischenzeitlich sogar eine Art LSD feilgeboten. Daher Reflexionen zu Mensch, Maschine und Rausch.

Die Regierung hasst diesen Trick: So ist sie doch stets bemüht, den Rauschgifthandel zu regulieren. Aber auch nach jahrzehntelanger Erfahrung in der Prohibitionspolitik lassen sich Verkaufsverbote für bestimmte Betäubungsmittel immer wieder mit der gleichen Masche umgehen. Zwar ist es auch nach der Cannabis-Freigabe nicht erlaubt, Blüten mit dem Wirkstoff THC in jedem Späti zu verhökern. Ein paar Schlupflöcher eröffnen sich allerdings durch molekulare Bastelarbeiten. Etwa indem einer Substanz, die eigentlich unter strengen Auflagen steht, ein paar atomare Anhängsel hinzugefügt werden. Und, schwups, schon erwächst ein florierender Handelszweig mit HHC, dem THC-Bruder aus der Retorte, der sich vom Ausgangsstoff durch drei zusätzliche Wasserstoffatome unterscheidet und damit genau genommen nicht mehr das ist, was laut Gesetz unter ein kommerzielles Verkaufsverbot fällt.

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Cancel Culture, aber in echt

Neutralitätspflicht? Von wegen. Rechte Kulturkämpfer greifen Theater in Ostdeutschland an

von Lara Wenzel

Mit den Stichworten »Homo-Propaganda« und »linke Indoktrination« wird das ostdeutsche Theater Zielscheibe rechter Kulturkämpfer. Die Drohungen schlagen sich längst in der Kulturpolitik der Kommunen nieder. Jüngstes Beispiel ist eine Theaterproduktion über die Widerstandsgruppe »Weiße Rose«. Am Theater Burattino im Erzgebirgskreis setzten sich Jugendliche mit den Geschwistern Scholl, Unterdrückung und Widerspruch auseinander.

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Harztheater Halberstadt: Sodomiterey unterm Kirchendach

„Ich bin dann Er“ von Marcus Everding – Regie Rosmarie Vogtenhuber-Freitag, Ausstattung TOTO, Mentorin der Produktion und Autorin von „In Männerkleidern“ Angela Steidele

von Lara Wenzel

Hosenrollen waren im 18. Jahrhundert der letzte Schrei. Während auf der Bühne Sopranistinnen die Arien von Feldherren sangen, verfolgte die Inquisition den Übertritt von Gendergrenzen im Alltag als Unzucht und Sodomie. 1721 fand Catharina Margaretha Linck ihr als letzte Person ihr Ende bei einer Hinrichtung für „Unzucht mit einem Weybe“. In Halberstadt, dem Ort ihres Todes, erinnert ein Sommertheaterstück an die queere Ikone, die als Mann verkleidet ihr Leben selbst in die Hand nahm. Weiterlesen

„Compact“-Verbot … Wieder durch die Hintertür

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 694 am 17. Juli 2024)

Das rechtsextreme „Compact“-Magazin betrieb einen abstoßenden Schmierenjournalismus, der seine menschenverachtende Hetze absichtlich mit Falschinformationen unterfütterte. Die Art und Weise, wie die Publikation nun verboten wurde, hält unser Autor dennoch für problematisch.

Bei der inhaltlichen Bewertung ist der Bundesinnenministerin voll und ganz zuzustimmen: Das „Compact“-Magazin sei „ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“, erklärte Nancy Faeser (SPD) am vergangenen Dienstag: „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“ In boulevardesker Manier vermengen sich bei „Compact“ Wahlwerbung für die AfD, Verschwörungsgeraune, mal mehr mal minder codierter Antisemitismus und rassistische Hetze insbesondere gegen Muslime mit einer Verharmlosung des Nationalsozialismus und absichtlich gestreuten Lügen. Chefredakteur Jürgen Elsässer erläuterte dazu einmal im Gespräch mit dem RBB: „Es werden Erzählungen gemacht, es werden Märchen und Allegorien formuliert, die dann wabern. Es ist nicht die Wahrheit, aber es hält sozusagen die Volksseele, den Volksdiskurs am Laufen.“

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Mühsame Arbeit für eine freiere Gesellschaft

Zu Erich Mühsams 90.Todestag

von Thomas Tews

[zuerst erschienen am 10. Juli 2024 bei haGalil.com]

Der Anarchist, Chronist und Dichter Erich Mühsam kam am 6. März 1878 als Sohn jüdischer Eltern, des Apothekers Siegfried Mühsam sowie dessen Frau Rosalie, geb. Cohn, in Berlin zur Welt. In seinen eigenen Worten führte ihn sein späterer Lebensweg »aus dem bürgerlichen Beruf eines Apothekergehilfen ins Ungewisse dessen, was mir Freiheit schien und was sich auf dem schwankenden Grunde der erwerbsmäßigen Schriftstellerei aufbauen sollte«.

In seinen Bemühungen »um Wandlung von Welt und Gesellschaft« als Bohemien bezeichnet zu werden, störte Mühsam nicht, denn:

»Weder Armut noch Unstetigkeit ist entscheidendes Kriterium für die Boheme, sondern Freiheitsdrang, der den Mut findet, gesellschaftliche Bindungen zu durchbrechen […]. Weiterlesen