Ich klage an

Brief eines Israeli an europäische Linke

von Avi Rybnicki, Tel Aviv

english translation

Liebe Genossinnen und Genossen von der Europäischen „Linken“!

Diese Zeilen sind nicht das Ergebnis einer gut durchdachten intellektuellen Analyse, sondern von Nächten mit sehr wenig Schlaf, heftigen Emotionen der Trauer, Traurigkeit, Wut, Frustration, Hilflosigkeit und Sorge darüber, was die nächsten Tage des Krieges mit sich bringen werden. Ich schreibe Euch, weil Ihr logischerweise auch in diesen Tagen meine Partner sein solltet, Partner im Kampf für eine bessere Welt mit mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und auch – ich wage es, dieses Wort sogar in diesen Tagen zu erwähnen – Frieden.

Ich schreibe auch deshalb, weil ich mich viele Jahre lang geweigert habe, die Überzeugung meiner Eltern, Überlebende von Auschwitz, zu akzeptieren, dass wir Juden in Wahrheit auf uns allein gestellt sind und es niemanden gibt, auf den wir uns verlassen können.

Sie hatten nicht recht. Der Präsident der Vereinigten Staaten, der Präsident Frankreichs, der deutsche Kanzler und andere kamen und drückten ihre Solidarität aus, ein Teil von ihnen nicht nur mit Worten.

Aber wir, die fortschrittlichen Israelis, wir fühlen uns ziemlich allein.

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I accuse

Letter from an Israeli Leftist to Western Leftists

by Avi Rybnicki, Tel Aviv

german version

Dear comrades from the western left (double meaning)!

These lines are not the product of a well thought intellectual analysis but of nights with very little sleep, high emotions of grief, sadness anger, frustration, helplessness and sorrow of what the next days of war will bring with. I write You because logically You ought be also in these days my partners, partners in the struggle for a better world of more freedom, justice, democracy and also – I dare to mention this word even in these days – peace.

I also write because for many years I refused to accept the conviction of my parents, survivors of Auschwitz, that in real time we Jews are on our own and there is nobody else to rely on. They were not right. The president of the United States, the President of France, the German Kanzler and others came and expressed their solidarity, part of them not only in words.

But we, the Israeli progressive people, we feel quite alone.

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Fallstricke der Emanzipation

Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Montag, 13. November 2023, 19 Uhr, Wien

[Neuer Ort:] Kunststankstelle Ottakring, Grundsteingasse 45, 1160 Wien

Eine Veranstaltung von encommun.at

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

Das kann sich in Männlichkeitskult und sexistischem Verhalten äußern, in der Vorliebe fürs Agitieren statt fürs Argumentieren oder in der Vorstellung, antifaschistische Akteur*innen seien stets im Recht, was auch immer sie tun. Aber auch im Glauben, man sei zur „Führung der Arbeiterklasse“ berufen. Der Griff in die Mottenkiste staatssozialistischer Parteidiktaturen und Sympathie für autoritäre Führergestalten wie Lenin liegen da oft nahe. Der Glaube, „die Klasse und das Volk“ brauche eigentlich nur die richtigen Führer, korreliert zudem mit zwei ebenso absurden wie folgenreichen Fehleinschätzungen: Nationalsozialismus und Antisemitismus seien die Folge rechter Verführungskünste und bürgerlich-rechtsstaatliche Verhältnisse seien letztlich ebenfalls „faschistisch“.

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Nun reicht’s auch der bürgerlichen Mitte

Ein sehr breites Bündnis stellt sich in Göppingen gegen die AfD

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 653 am 4. Oktober 2023)

Der AfDler Hans-Jürgen Goßner schikaniert die Grüne Ayla Cataltepe. Seit Jahren, bei jeder Gelegenheit. Nach einer Eskalation auf dem Stadtfest im gemeinsamen Wahlkreis Göppingen reagiert nun die Zivilgesellschaft.

Die Göppinger Zivilgesellschaft sei „zutiefst alarmiert“, heißt es im Manifest der demokratischen Solidargesellschaft, das ein breites Bündnis von Parteien und Organisationen am vergangenen Dienstag vorgestellt hat. Mit dabei sind Sozialverbände, Glaubensgemeinschaften, Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und alle demokratischen Parteien im Göppinger Gemeinderat, von FDP bis Linke. Sie haben zusammengefunden nach Vorfällen auf dem diesjährigen Stadtfest, das ein „Ort der Freude, des Miteinanders und der kulturellen Vielfalt sein“ sollte, wie es im Manifest heißt. Doch dieses Mal seien die Feierlichkeiten durch das „übergriffige Verhalten“ des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Goßner und seiner Sympathisanten überschattet worden.

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Theater »Warten auf Tränengas«: Bis einer heult

Das Stück »Warten auf Tränengas« am Neuen Theater Halle ist Revolutionstheater für Mitteextremisten

von Lara Wenzel

(zuerst erschienen in nd am 4. Oktober 2023)

Während sich Demonstrierende in der Regel unter gemeinsamen Forderungen treffen, versammelt sich im Innenhof des Neuen Theaters in Halle die »schweigende Mehrheit«. Getrieben von vager Unzufriedenheit stehen sie stumm vorm Palast des Präsidenten, der von einer Feuertreppe auf sie herabblickt. Was will die anschwellende Masse? Auf den Protestplakaten sieht man nur das Bild einer aufgehenden Sonne. Sie sind einfach gegen den Ist-Zustand. »Stillstand verschafft keine Stabilität, im Gegenteil«, philosophiert eine der Demonstrantinnen.

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Vom Zoll an einen Nazi verraten – Warum man deutschen Behörden misstrauen sollte

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 650 am 13. September 2023)

Ein Zollbeamter gibt die gesperrte Privatadresse eines kritischen Journalisten an einen bekanntermaßen gewaltbereiten Neonazi weiter – und darf im Dienst bleiben. Der Betroffene hält das für einen Grund mehr, deutschen Behörden zu misstrauen.

Angesichts zu vieler Einzelfälle fragte eine Autorin des Portals „Belltower News“ im vergangenen März: „Wie sollen rechtsextreme Behörden uns schützen?“ Konkreter Anlass für die Frage war eine Gruppe von AfD-Sympathisant:innen innerhalb des Verfassungsschutzes, die sich selbst das „Dreckige Dutzend“ nannten, bei klandestinen Treffen zusammenkamen und angestellt als „Spezialisten in der Früherkennung und Überwachung extremistischer Gruppierungen“ Zugang zu Verschlusssachen hatten. Eingegangen wird in dem Artikel aber auch auf einen AfD-nahen Spion, der im Dezember 2022 aufgeflogen ist und „den Bundesnachrichtendienst auf höchster Sicherheitsstufe für den russischen Geheimdienst FSB ausspioniert haben soll“. Der Mann habe sich zuvor im Rahmen einer routinemäßigen Sicherheitsüberprüfung als „sehr national“ beschrieben – aber das ist anscheinend kein Anlass, genauer hinzuschauen. Da stört dann auch die im Dienst getätigte Aussage nicht weiter, dass Flüchtlinge standrechtlich erschossen gehören. Zuvor war der Spitzel bei der Bundeswehr, wo er einmal unter Rechtsextremismusverdacht geriet. Doch die Nachforschungen wurden ergebnislos eingestellt.

Die Liste an Beispielen, in denen der Staat entweder sehr nachsichtig mit erwiesenem Rechtsextremismus umgeht oder diesen trotz eindeutiger Indizien übersieht, ließe sich beinahe beliebig erweitern. Tatsächlich ist es ein Arbeitsschwerpunkt von „Belltower News“, einem Angebot der Amadeu Antonio Stiftung, diese Umtriebe zu dokumentieren. Naheliegenderweise katapultiert das den Beliebtheitsgrad unter Neonazis nicht gerade in die Stratosphäre. Umso verstörender, dass das Medium die sehr lange Liste von Gründen, deutschen Behörden zu misstrauen, nun um einen Fall in eigener Sache erweitern muss.

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Audio: „Das Recht, Rechte zu haben“ (Hannah Arendt)

Anmerkungen zum Verhältnis von Menschenrechten und Widerstandsakten

Vortrag von Claus Baumann

gehalten am 20. April 2023 in Stuttgart

Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Gegenwart sind die Menschenrechte in den öffentlichen Debatten präsent. Sie gelten als eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 verkündet wurde, feiert dieses Jahr ihr 75. Jubiläum.
Wie in den historischen Vorläufern, dem Virginia Bill of Rights von 1776 oder der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, werden auch in der Erklärung von 1948 bestimmte Grundsätze für die Gestaltung des Verhältnisses von Individuum, Staat und Gesellschaft formuliert, so beispielsweise das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit der Person, auf körperliche Unversehrtheit, auf Meinungs- und Pressefreiheit, auf Freizügigkeit, auf freie Berufswahl und auf Bildung. In geschichtlicher Hinsicht reagierte die Erklärung von 1948 auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und auf die präzedenzlose deutsche Barbarei mit ihrem Zivilisationsbruch der Shoah. Diese historische Bezugnahme markiert inhaltlich eine neue Qualität der Allgemeinen Erklärung von 1948 gegenüber ihren historischen Vorläufern, die insbesondere im Verständnis der Menschenwürde zum Ausdruck kommt, die vor den „Akten der Barbarei“ zu schützen sei (siehe Präambel von 1948).
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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine

Wie hat sich die Debatte in Deutschland verändert?

Donnerstag, 29. Februar 2024, 19.00 Uhr, Stuttgart

Hospitalhof Stuttgart, Büchsenstr. 33, 70174 Stuttgart

Diskussion mit

  • Afina Albrecht, gebürtige Ukrainerin, ist u.a. Vorständin des Ukrainischen Ateliers für Kultur und Sport e.V.  und Redakteurin des Deutsch-Ukrainischen Magazins „Gelblau“. Für ihr vielfältiges Engagement wurde sie als „Stuttgarterin des Jahres 2022“ ausgezeichnet.
  • Professor Dr. Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität Tübingen
  • N.N.
  • Moderation: Dr. Andreas Baumer, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das politische Koordinatensystem in Deutschland grundlegend auf den Kopf gestellt. Insbesondere die Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine, aber auch die nach dem Verhältnis zu Russland in Vergangenheit und Gegenwart, haben zu heftigen Debatten geführt. Inzwischen gibt es ein breites Spektrum von politischen Kräften, das sich mit der Ukraine solidarisch zeigt und für militärische und wirtschaftliche Unterstützung einsteht – wenn auch mit unterschiedlichen Vorstellungen über Umfang und Qualität. Dem stehen Personen, Strömungen und Parteien gegenüber, die Ukraine und NATO (mit)verantwortlich für den Krieg machen und dafür eintreten, die Ukraine zu einem Verhandlungsfrieden zu zwingen. Hier versammelt sich ein Bündnis, das von Teilen der Linken und der Friedensbewegung, ehemals linksliberalen Intellektuellen bis zu Rechtsextremen und Leuten aus dem Querdenken-Milieu reicht. Zumindest phasenweise stand so die Anmutung einer Querfront im Raume. Wir gehen der Frage nach, welche grundlegenden politischen Veränderungen dieser Entwicklung zugrunde liegen und welche Konsequenzen für die politischen Konstellationen der Zukunft zu erwarten sind.

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Fallstricke der Emanzipation

Autoritäres und Regressives in der Linken gestern und heute

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Freitag, 28. Juli 2023, 15 Uhr, Mellnau (Hessen)

Eine Veranstaltung von krisis Kritik der Warengesellschaft

im Rahmen von Krise. Kritik. Kapitalismus. Wertkritisches Sommercamp der Gruppe Krisis von Mo. 24. – So. 30. Juli 2023

Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Besser lassen sich Anspruch und Programm menschlicher Emanzipation nicht auf den Punkt bringen. Wenn der Begriff Links Sinn hat, dann diesen. Oft sehen linke Theorie und Praxis jedoch ganz anders aus. Was längst überwunden sein sollte, lebt auch in vielen linken und linksradikalen Strukturen und Denkweisen fort: Die Herrschaft von Zwangsgemeinschaften und von Menschen über andere Menschen.

Das kann sich in Männlichkeitskult und sexistischem Verhalten äußern, in der Vorliebe fürs Agitieren statt fürs Argumentieren oder in der Vorstellung, antifaschistische Akteur*innen seien stets im Recht, was auch immer sie tun. Aber auch im Glauben, man sei zur „Führung der Arbeiterklasse“ berufen. Der Griff in die Mottenkiste staatssozialistischer Parteidiktaturen und Sympathie für autoritäre Führergestalten wie Lenin liegen da oft nahe. Der Glaube, „die Klasse und das Volk“ brauche eigentlich nur die richtigen Führer, korreliert zudem mit zwei ebenso absurden wie folgenreichen Fehleinschätzungen: Nationalsozialismus und Antisemitismus seien die Folge rechter Verführungskünste und bürgerlich-rechtsstaatliche Verhältnisse seien letztlich ebenfalls „faschistisch“.

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Wie im Kapitalismus

Das Konzept der Arbeitszeitrechnung stellt keine Alternative zum Kapitalismus dar

In einer nach dem Konzept der Arbeitszeitrechnung organisierten Gesellschaft bliebe der Austausch von Arbeitsleistungen das zentrale Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung. Einen Ausweg aus den Zwängen der warenproduzierenden Gesellschaft böte das nicht.

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen in Jungle World vom 22.6.2023)

Mit der verstärkten Hinwendung zur Ökonomiekritik in linken Debatten rückt auch die Frage, wie eine postkapitalistische Gesellschaft organisiert sein könnte, wieder in den Mittelpunkt. Felix Klopotek, Christian Hofmann und Philip Broistedt haben das Konzept einer Arbeitszeitrechnung (AZR) ins Gespräch gebracht, das die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) vorgelegt hatte. Das Modell, das 1930 in der Schrift »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« dargestellt wurde, erweist sich jedoch als kaum geeignet, um vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Situation und heutiger linker Kämpfe eine emanzipatorische Perspektive zu skizzieren.

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CSD in Freiburg: Antifa als Publikumsmagnet?

Trotz eines Boykotts durch drei Schwulen- und Lesbenverbände wurde der CSD am vergangenen Wochenende zum größten, den es je in Freiburg gab

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 639 am 28. Juni 2023)

Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

Screenshot @csdfreiburg

Die Reaktion kam spät, war aber heftig: Knapp zwei Monate nachdem das Logo für den diesjährigen Christopher-Street-Day (CSD) in Freiburg publik geworden war, zeigten sich der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD BW) und die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart „entsetzt“. Am 21. Juni begründeten beide Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung ihren Boykott der Demonstration. Denn beworben wurde die Veranstaltung unter anderem mit einem Schwarzwaldmädel, das neben einem regenbogenbunten Bollenhut auch eine Sturmmaske trägt. Daneben zu sehen: ein leicht abgewandeltes Logo der Antifaschistischen Aktion. „Wir können als familienorientierter Verband an keiner Veranstaltung teilnehmen, die offen für Linksradikalismus wirbt oder im direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen steht“, erklärte Kersin Rudat aus dem Vorstand des LSVD BW. Beide Zusammenschlüsse kritisierten, „dass solch eine Provokation auch krasse Gegenreaktionen erzeugen und rechtsextreme Gruppierungen erst recht locken könnte“. Und Detlef Raasch vom CSD Stuttgart betonte: „Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab.“ Bemerkenswert sind diese Aussagen vor dem Hintergrund der Historie des Christopher-Street-Days.

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Arbeit, Wachstumszwang und Autoritarismus

Zum Charakter der Krise und antifaschistischen Perspektiven

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 6. Juli 2023, 15.30 Uhr, Nordrhein-Westfalen

Eine Veranstaltung von Antifa.NRW im Rahmen von Sommer, Sonne, Antifa! Festival 2023

Die Erde erwärmt sich unaufhörlich, die Ozeane werden vermüllt. Hunger und Armut wachsen, selbst in den reicheren Weltregionen. Eine Zoonose und Pandemie folgt auf die nächste. Kriege und Kriegsgefahr werden immer bedrohlicher. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht.

Es mangelt nicht an Konferenzen und Beschlüssen „zur Nachhaltigkeit“. Doch eine Wirtschaftsweise, der unendliches Wachstum, maximaler Profit und steigende Aktienkurse wichtiger sind als das Leben künftiger Generationen, schafft Probleme, die sie selbst nicht lösen, sondern nur weiter vertiefen kann.

Weltweit kämpfen viele Menschen gegen die Folgen an. Die Einsicht, dass Umweltkrise, soziales Elend, rassistische und sexistische Unterdrückung miteinander zusammenhängen, verbreitet sich. Immer weniger Menschen finden sich mit Diskriminierung ab, immer mehr fordern das Recht ein, ohne Angst verschieden sein zu können. Sie verlangen, „dass es nicht mehr so weitergeht“.

Aber viele bestehen auch explizit darauf, „dass es so weitergeht“. Je tiefer die Krise, desto mehr klammern sie sich an das, was keine Perspektive mehr hat. Anstatt darüber nachzudenken, was sie eigentlich denken, behaupten sie lieber, sie dürften „nicht mehr sagen, was sie denken“. Rassistische, sexistische, antisemitische und nationalistische Reaktionen verschärfen die Krise weiter. Verschwörungsphantasien verbreiten sich. Hass und Hetze gegen Klimaaktivist*innen und „Woke“ wirken bis in die „Mitte der Gesellschaft“. Ein neu-alter Autoritarismus wächst heran. In ihm gärt rohe Gewalt.

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Audio: Russland zwischen Bandenherrschaft und Geopolitik

Putins Racket-Staat im Krieg gegen die Ukraine

Vortrag von Thorsten Fuchshuber

gehalten am 4. Mai 2023 in Stuttgart

„Wenn Demokratie Staatszerfall bedeutet“, sagte Wladimir Putin im Jahr 2003 im Gespräch mit Journalisten, „dann brauchen wir keine solche Demokratie“. Seitdem hat er eine Politik vorangetrieben, die als „System Putin“ bekannt geworden ist. Doch was ist das für ein Staatswesen, als dessen Garant der russische Staatspräsident gelten möchte? Insbesondere seit dem eskalierten Krieg gegen die Ukraine mit der Invasion des Landes am 24. Februar 2022 wird Putins Machtanspruch häufig als imperial oder neoimperial bezeichnet; er habe zum Ziel, ein neues russisches Großreich zu errichten.

Der Vortrag geht von der These aus, dass es sich bei dem von Putin geschaffenen System um eine hochgradig instabile Herrschaftsform handelt. Diese basiert auf der entfesselten Rivalität verschiedener Machtfraktionen. Putin hat diese Rackets seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 nicht zerschlagen, sondern sich geschickt an ihre Spitze gesetzt. Seine integrative Funktion ist jedoch prekär und beruht nicht zuletzt darauf, dass es genügend zu verteilen gibt. Putin braucht den auf Dauer gestellten Ausnahmezustand nach innen und den permanenten Kriegszustand nach außen, um sein fragiles Machtkonstrukt zu stabilisieren. Er hält die verschiedenen Rackets in Schach, indem er eine negative Mobilisierung der Gesellschaft erzwingt und zugleich das ökonomische Scheitern Russlands auf dem Weltmarkt mit geopolitischen Manövern zu kompensieren versucht.

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Autoritäre Versuchungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Moderation: Martin Gohlke

Dienstag, 11. Juli 2023, 15.00 bis 16.45 Uhr, Online

Eine Veranstaltung von Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich

Zugang über Zoom Meeting-ID: 829 2788 5661; Kenncode: X0bdtA

Klima, Krieg, Inflation, Sorge um die wirtschaftliche Existenz und sozialen Abstieg… Vieles beunruhigt. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber manchen erscheinen sie verlockend. Autoritäre Politikkonzepte werden attraktiver. Freiheit wird mit Ellenbogenegoismus verwechselt. Die Suche nach „den Schuldigen“ vermischt sich mit der Sehnsucht nach dem „starken Mann“. Krisenzeiten waren selten gut für die Demokratie. Wie können wir die Gesellschaft angesichts großer ökologischer und sozialer Herausforderungen krisenresistenter gestalten und auf einen guten Weg kommen?

Das Schutzbedürfnis der Machtkritik

Radio Dreyeckland: Staatsanwaltschaft blamiert sich vor Gericht

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 634 am 24. Mai 2023)

Weil er in einem Artikel die Archivseite einer verbotenen Vereinigung verlinkte, hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe einen Redakteur von „Radio Dreyeckland“ angeklagt. Das Landgericht Karlsruhe nutzte die Gelegenheit für Nachhilfe in den Fächern Grundrechte und Denklogik.

Der freie Sender „Radio Dreyeckland“ (RDL) kann seit der Gründung 1977 auf ein paar seltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht zurückblicken, auch in der jungen Vergangenheit. Als ein freier Mitarbeiter, der zu diesem Zeitpunkt in der Nähe der französischen Stadt Dijon lebte, 2019 über den G7-Gipfel in Biarritz berichten wollte, hat ihn die Polizei eingesperrt und nach Kehl abgeschoben – weil sie ihn auf Basis eines falschen Hinweises der deutschen Kolleg:innen für einen „Gefährder“ hielten (später bekam der Betroffene wegen dieser rechtswidrigen Behandlung eine Entschädigung zugesprochen). Nur wenige Monate später, im September 2020, war der RDL-Redakteur und Fotojournalist Julian Rzepa auf einer „Querdenken“-Kundgebung, um Bilder zu machen. Dabei schlug eine Demonstrantin gegen seine Kamera und beschädigte das Objektiv. Rzepa zeigte das an, doch das Freiburger Amtsgericht stellte das Verfahren aus „Mangel an öffentlichem Interesse“ ein und der Journalist blieb auf den Anwaltskosten und einem kaputten Objektiv sitzen.

Der neuste Fall in dieser unrühmlichen Serie ist allerdings noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Weiterlesen

Audio: Die ökologische Krise: Wie radikal ist realistisch?

Vortrag von Bernd Ulrich

Stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit

gehalten am 23. März 2023 in Stuttgart            

In den achtziger Jahren stand die damalige ökologische Avantgarde in den westlichen Gesellschaften vor einem gravierenden demokratischen Problem: Wie kann man die Menschen davon überzeugen, jetzt ihr Verhalten zu ändern wegen Problemen, die erst in dreißig Jahren auftreten? Letztlich haben die Ökologen von damals dieses Problem nicht lösen können. Zwar haben sie viel Umdenken bewirkt, doch ging zugleich die Schere zwischen ökologisch Gebotenem und ökologischem Tun immer weiter auseinander. Nun aber sind diese dreißig Jahre vorbei, der Klimawandel hat eingesetzt, die Meere befinden sich in einem äußerst kritischen Zustand, das Artensterben galoppiert. Der Menschheit wird hier und heute der ökologische Kragen eng, sie hat zu lange zu wenig getan und muss sich jetzt sputen, wenn die Erde, wie wir sie kennen, noch leidlich gerettet werden soll.

Die Normalität, die diese Krise vorantreibt, ist weitgehend ungebrochen. Doch alle Versuche, sich diesem „Extremismus der Normalität“ durch eine „realistische Radikalität“ entgegenzustellen, können – bislang – einigermaßen erfolgreich als radikal im Sinne von extremistisch, randständig oder gar undemokratisch gebrandmarkt werden. Warum ist das so und wird das so bleiben? Der Journalist Bernd Ulrich plädiert in dieser Diskussion für ein „neues Rendezvous mit der Wirklichkeit“ und eine „besonnene Radikalität aus der Sache heraus.“

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»Dies bleibt sein unsterbliches Verdienst«

Wie ein Breslauer Jude vor 175 Jahren in der 48er-Revolution für die Demokratie kämpfte und vor 160 Jahren die spätere SPD gründete.

Von Thomas Tews

(zuerst erschienen am April 2023 – 29 Nisan 5783 bei haGalil.com)

Ferdinand Lassalle kam am 13. April 1825 als Spross einer jüdischen Breslauer Bürgerfamilie zur Welt. Sein Großvater Feitel Braun war ein Anhänger des jüdischen Philosophen der Aufklärung Moses Mendelssohn und sein Vater Chaijm Wolfsohn aus Loslau, später Heymann Lasal, sollte ursprünglich Rabbiner werden, entschied sich aber für eine Tätigkeit als Seidenhändler und heiratete Rosalie Herzfeld, Lassalles Mutter. Im Alter von 14 Jahren zog Lassalle von Breslau nach Leipzig, um eine dortige Handelsschule zu besuchen. Dort notierte er nach einem jüdischen Begräbnis am 2. Februar 1840 in seinem Tagebuch: »Ich könnte … mein Leben wagen, um die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu befreien.« Als Lasalle im Mai 1840 erfuhr, dass der Gouverneur von Damaskus, Scherif Pascha, aufgrund falscher, von katholischen Mönchen in Umlauf gebrachter Ritualmordbeschuldigungen – mit Unterstützung des Konsuls der »Schutzmacht« Frankreich – zahlreiche jüdische Menschen, unter ihnen 60 Kinder, eingesperrt hatte, um sie durch Aushungerung und Folterung zu falschen Aussagen oder Geständnissen zu zwingen, schrieb er erschüttert in sein Tagebuch: »Abends brachte mir der Bruder von Madame Direktor den Bericht über die Juden von Damaskus. O, es ist schrecklich zu lesen, schrecklich zu hören, ohne dass die Haare starren und sich alle Gefühle des Herzens in Wut verwandeln.« Der erst 15-jährige Lassalle wünschte, dass die Ereignisse in Damaskus zu einem Fanal der Revolution würden: »Gab es je eine Revolution, die gerechter wäre, als die, wenn die Juden in jeder Stadt aufständen …?«

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Wie ich die Ostermärsche ernst nehmen könnte

Kurze Kritik und Vorschlag für ein Plakat

von Lothar Galow-Bergemann

Weltweit wächst ein alt-neuer Autoritarismus. Die Putins, Trumps, Erdogans, Orbans, Le Pens, Höckes und Co stützen sich auf Massen von Menschen, die rassistisch, sexistisch, nationalistisch, antisemitisch, homophob und transphob – kurz inhuman – auf die Krise reagieren.

Die globale autoritäre Welle erwächst aus der globalen kapitalistischen Krise. Sie macht sich in allen Ländern und Kontinenten breit. Die platte Rede vom guten Westen und dem bösen Rest der Welt verbietet sich. Aber dass man keine Angst haben muss, von einer Geheimpolizei in Folterkeller verschleppt oder von der Regierung vergiftet zu werden, ist von riesengroßem Wert für demokratische und emanzipatorische Bewegungen. Ohne demokratische Rechte und Freiheiten keine sozial-ökologische Transformation, kein Ausstieg aus dem Kapital-ismus.

Autoritäre hassen diese Freiheiten. Frech bezeichnen sie ihre Gegner als Faschisten und sich selbst als Antifaschisten. Man kennt es von der AfD. Auch das Putinregime spielt auf diesem Klavier. Dabei nimmt es zunehmend selbst faschistoide Züge an. Weiterlesen

Ökologische und soziale Frage zusammendenken! Und wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? 

Podiumsdiskussion mit Lothar Galow-Bergemann (Gruppe Krisis), Johanna Schellhagen (labournetTV), Maximilian Wedekind (Aktivist der Letzten Generation) und N.N. (Sand im Getriebe) Moderation: Peter Nowak (Journalist), Anne Seeck (Teilhabe e.V.)

Donnerstag, 11. Mai 2023, 19.00 bis 21.00 Uhr, Berlin

Mehringhof, Versammlungsraum, Gneisenaustr.2a (U-Bhf. Mehringdamm)

Eine Veranstaltung von Teilhabe e.V.

  • Die Veranstaltung ist mittlerweile HIER nachzuhören
  • Die Antworten von Lothar Galow-Bergemann sind HIER nachzulesen

Die Erde steht vor dem Kollaps: Dürren, Waldbrände, Überflutungen bedrohen immer mehr Menschen. Der Klimawandel geht uns deshalb alle an. Aber die Energiekrise kann zu einem klimapolitischen Rollback führen. So wird der Kohleabbau fortgesetzt, wie die Räumung von Lützerath zeigt. Auch setzen Nachbarländer Deutschlands weiterhin auf Atomkraftwerke. Aber auch hierzulande wird offen eine mögliche Renaissance der Atomkraft beschworen. Während viele Arme am meisten vom Klimawandel betroffen sind und global schon klimaneutral leben, richten die Reichen die größten Klimaschäden an. Offensichtlich darf die Ressourcenverschwendung so nicht weitergehen. Und doch herrschen bei vielen Menschen Blockaden und Ängste in Bezug auf einen ökologischen Wandel vor. Es bilden sich politische Lager, zumal ökologische Themen immer mit der sozialen Frage verwoben sind.

In der Podiumsdiskussion diskutieren wir in folgenden Blöcken:

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