Moderne Naturverhältnisse

Antikapitalismus zwischen Naturbeherrschung und Wissenschaftskritik

Workshop und Diskussion mit Julian Bierwirth

Dienstag, 1. August 2023, 16.30 – 18.00 Uhr, Hannover

im Rahmen des System Change Camp (Ende Gelände) in Hannover (UG-Zelt), 16.30 – 18:00 Uhr. Das Camp findet statt im Georgengarten Hannover

In der Klimagerechtigkeitsbewegung prallen zwei unterschiedliche Vorstellungen davon aufeinander, wie gesellschaftliche Naturverhältnisse jenseits von Raubbau und Naturzerstörung gedacht werden können.
Einerseits gibt es eine Vorstellung, die aus der marxistischen Tradition stammt. Sie fasst die Natur als etwas außerhalb des Menschen stehendes, auf das der Mensch äußerlich zugreift. Er tut dies durch den Einsatz von Werkzeugen und die Verbesserung dieser Werkzeuge gilt dann als die Geschichte der menschlichen Zivilisation (“Produktivkraftentwicklung” heißt das dann). Als Problem im Kapitalismus gilt es dann, dass die Naturbeherrschung unkontrolliert von einzelnen Unternehmen verantwortet wird (“Privateigentum an Produktionsmitteln”). Der Ausweg aus den ökologischen Krisen liegt dann in einer verbesserten Naturbeherrschung, nur diesmal demokratisch legitimiert und egalitär verteilt. So wird der Staat zum zentralen Modus der Krisenlösung – eine Position, die wir beispielsweise bei Andreas Malm finden.

Eine andere Vorstellung hat ihre Wurzeln in der radikalen Ökologie, in (Differenz-)feministischen Ansätzen und in der postmodernen Philosophie. Hier wird die Vorstellung, die Mensch und Natur als etwas wesenhaft unterschiedliches trennt bereits einer radikalen Kritik unterzogen. Die Dualität von Subjekt und Objekt, die das moderne Denken seit René Descartes beherrscht und die sich in den marxistischen Vorstellungen von Naturbeherrschung spiegelt, gilt hier nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems. Eine Überwindung der herrschaftsförmigen Naturbeherrschung wird hier zur Voraussetzung für eine emanzipative Überwindung ökologische Krisen.

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine

Wie hat sich die Debatte in Deutschland verändert?

Donnerstag, 29. Februar 2024, 19.00 Uhr, Stuttgart

Hospitalhof Stuttgart, Büchsenstr. 33, 70174 Stuttgart

Diskussion mit

  • Afina Albrecht, gebürtige Ukrainerin, ist u.a. Vorständin des Ukrainischen Ateliers für Kultur und Sport e.V.  und Redakteurin des Deutsch-Ukrainischen Magazins „Gelblau“. Für ihr vielfältiges Engagement wurde sie als „Stuttgarterin des Jahres 2022“ ausgezeichnet.
  • Anna Jikhareva, Reporterin bei der WOZ, geboren in Moskau und aufgewachsen in Deutschland, studierte Europa- und Politikwissenschaft. Für das transnationale Projekt „Europe’s Far Right“ wurde sie mit dem österreichischen Concordia-Preis ausgezeichnet
  • Professor Dr. Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität Tübingen
  • Moderation: Dr. Andreas Baumer, Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das politische Koordinatensystem in Deutschland grundlegend auf den Kopf gestellt. Insbesondere die Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine, aber auch die nach dem Verhältnis zu Russland in Vergangenheit und Gegenwart, haben zu heftigen Debatten geführt. Inzwischen gibt es ein breites Spektrum von politischen Kräften, das sich mit der Ukraine solidarisch zeigt und für militärische und wirtschaftliche Unterstützung einsteht – wenn auch mit unterschiedlichen Vorstellungen über Umfang und Qualität. Dem stehen Personen, Strömungen und Parteien gegenüber, die Ukraine und NATO (mit)verantwortlich für den Krieg machen und dafür eintreten, die Ukraine zu einem Verhandlungsfrieden zu zwingen. Hier versammelt sich ein Bündnis, das von Teilen der Linken und der Friedensbewegung, ehemals linksliberalen Intellektuellen bis zu Rechtsextremen und Leuten aus dem Querdenken-Milieu reicht. Zumindest phasenweise stand so die Anmutung einer Querfront im Raume. Wir gehen der Frage nach, welche grundlegenden politischen Veränderungen dieser Entwicklung zugrunde liegen und welche Konsequenzen für die politischen Konstellationen der Zukunft zu erwarten sind.

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Deutschland als Autobahn

Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus

Buchvorstellung, Vortrag und Diskussion mit Conrad Kunze

Donnerstag, 19. Oktober 2023, 19.30 Uhr, Stuttgart

Laboratorium, Wagenburgstr.147

  • Der Vortrag ist mittlerweile HIER anzuhören
  • Unser Referent Conrad Kunze lebt derzeit in Lateinamerika und wird daher CO₂-sparend per Untersee-Lichtwellenleiter anreisen, um auf der Leinwand des Laboratoriums anwesend zu sein

In Griechenland brennen bei 40 °C die Wälder, während zeitgleich in Deutschland eintausend Kilometer Autobahn mehrspurig erweitert werden. Während sonst wenigstens vom Energiesparen gesprochen wird, dürfen überwiegend Männer in SUV („Geländewagen“) mit einem CW-Wert eines Kleiderschranks bei 250 km/h weiterhin auf der linken Spur ihre Impotenzängste abwehren.

Die Gleichzeitigkeit von Dämonisierungsversuchen gegen Klimaschützer*innen und dem nicht einmal mehr verhüllten Gesetzesbruch der Regierenden an den Klima-Sektoren-Zielen lässt abermals zwei Prämissen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hell aufscheinen: die Erniedrigung der Vernunft durch einen vernunftlosen technologischen Verstand und ein ökologisch gewendeter Todestrieb.

In allen (ehemals?) entwickelten Gesellschaften sind diese Erosionsprozesse am Werk. Aber wo es in den USA Schusswaffen und Krankenversicherung sind, kristallisieren sie in Deutschland an der Frage um Autobahn, Tempolimit und Radwege. Der Vortrag geht der Frage nach, warum und wie das Auto zu einem so zentralen Signifikanten für fragilen Maskulinismus und Nationalismus wurde.

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Mit Plan oder im Chaos?

Vielleicht braucht es ein Fukushima für den Verkehr

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 640 am 5. Juli 2023)

Stephan Krull wünscht sich eine Halbierung der Menge an Autos in Deutschland. Denn eine Verkehrswende müsse viel grundlegender ansetzen als beim Austausch von Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe, sagt der Ex-VW-Betriebsrat.

Er ist das erste Mal in Schwäbisch Hall, erzählt Stephan Krull, und eigentlich hätte er sich die Stadt gerne genauer angeschaut. Dafür blieb ihm keine Gelegenheit. Seinen Plan, schon gegen Mittag anzukommen, vereitelte die Deutsche Bahn. Mit vielen Stunden Verspätung und nach hochkomplizierten Umleitungen hat es der Gewerkschafter aus Hamburg gerade noch rechtzeitig zu seinem Vortrag geschafft. Der startet um 20 Uhr im Club Alpha 60 und die Ereignisse rund um Krulls Ankunft passen gut zu den Inhalten, die er vorträgt: „Solche Reisen zeigen, warum eine Verkehrswende nötig ist.“

Krull war 16 Jahre lang Betriebsrat bei VW und im Vorstand der IG-Metall-Geschäftsstelle Wolfsburg. Er ist also bestens vertraut mit den Mechanismen der Interessenvertretung für Beschäftigte, hat daran mitgewirkt, bei VW 6-Stunden-Schichten einzuführen und sagt über die Bedürfnisse der Arbeiterschaft, dass es im wesentlichen darum gehe, sich selbst und seinen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Was laut Krull auch eine gewisse Offenheit für Umweltschutz bedeute, teils Einsicht in die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation – aber eben auch und vielleicht sogar vor allem: Sichere Beschäftigung, die materiell keine Einbußen zum Ist-Zustand bedeute.

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Aufruf: Unsere Solidarität mit der Klimabewegung

Alle reden über Klimakleber. Tun wir was gegen die Klimakatastrophe!

Zeichnet die Petition auf weact.campact.de

(Der Förderverein Emanzipation und Frieden e.V. gehört zu den Erstunterzeichnenden dieses Aufrufs – hier im Original. Danke an die Initiator*innen aus dem Umfeld der Naturfreundejungend Berlin)

Wir mussten in den letzten Wochen eine bittere Wahrheit erkennen: Die Staaten dieser Welt schauen der Klimakatastrophe nicht nur weitgehend tatenlos zu. Viele Regierungen breiten der fossilen Industrie weiterhin den roten Teppich aus. Und sie gehen sogar aktiv und mit Gewalt gegen die Klimabewegung vor. Eine Allianz aus rechten Hetzer*innen sowie konservativen, sozialdemokratischen und selbst grünen Politiker*innen versucht, die unbequeme Stimme der Klimabewegung zu kriminalisieren und zum Schweigen bringen. Unterstützt werden sie dabei von Teilen der Medien und der Wirtschaft. Hinzu kommen körperliche Angriffe auf Aktivist*innen auf der Straße durch Menschen, die sich durch diese Hetze zur Selbstjustiz ermächtigt fühlen.

Angesichts der sich entfaltenden Klimakatastrophe ist es an der Zeit, die Prioritäten anders zu setzen. Statt über die Aktionsformen der Klimabewegung zu debattieren, sollten wir über das eigentliche Problem sprechen: die fortschreitende Zerstörung unserer Umwelt. Lasst uns die Perspektive zurückgewinnen und uns bewusst machen, dass alle Aktionsformen harmlos sind im Vergleich zur ökologischen Katastrophe. Was ist eine Straßenblockade gegen einen verwüsteten Planeten? 

Wir verurteilen daher mit aller Schärfe die völlig überzogene Repression gegen Klima-Aktivist*innen, aktuell insbesondere gegen die Letzte Generation. Wir stehen hinter den Zielen der Klimabewegung und rufen dazu auf, endlich die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Planeten zu ergreifen!

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Ist ein ökologischer Kapitalismus machbar?

Diskussion mit Julian Bierwirth

Sonntag, 9. Juli 2023, 18.00 Uhr, Göttingen

im Rahmen des Sommerfestes des Essbaren Waldgarten Grone

Das Sommerfest beginnt um 14.30 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Es gibt Führungen durch den Garten, Programm für Kids & direkt im Anschluss an die Diskussion ein Lagerfeuer.

Im Angesicht der ökologischen Krisen bleibt nicht viel Zeit, um das Ruder herumzureißen und ein qualitativ neues Mensch-Natur-Verhältnis zu etablieren. Die Zeit scheint so knapp zu sein, dass ein Ausweg oftmals nur innerhalb der bereits Bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse denkbar scheint.

Wir wollen bei dieser Diskussionsveranstaltung genauer hinsehen: Wie ist es um die Möglichkeit eines ökologischen Kapitalismus bestellt? Kann uns eine öko-soziale Marktwirtschaft, wie sie Teile der aktuellen Bundesregierung befürworten, vor der Klimakatastrophe retten? Welche Rolle spielen möglicherweise die globalen Konkurrenz- und Handelsbeziehungen, in die unsere Ökonomie eingebunden ist? Ist eine Veränderung des Naturverhältnisses möglich, ohne zentrale gesellschaftliche Beziehungsformen zu transformieren?


Wie im Kapitalismus

Das Konzept der Arbeitszeitrechnung stellt keine Alternative zum Kapitalismus dar

In einer nach dem Konzept der Arbeitszeitrechnung organisierten Gesellschaft bliebe der Austausch von Arbeitsleistungen das zentrale Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung. Einen Ausweg aus den Zwängen der warenproduzierenden Gesellschaft böte das nicht.

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen in Jungle World vom 22.6.2023)

Mit der verstärkten Hinwendung zur Ökonomiekritik in linken Debatten rückt auch die Frage, wie eine postkapitalistische Gesellschaft organisiert sein könnte, wieder in den Mittelpunkt. Felix Klopotek, Christian Hofmann und Philip Broistedt haben das Konzept einer Arbeitszeitrechnung (AZR) ins Gespräch gebracht, das die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) vorgelegt hatte. Das Modell, das 1930 in der Schrift »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« dargestellt wurde, erweist sich jedoch als kaum geeignet, um vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Situation und heutiger linker Kämpfe eine emanzipatorische Perspektive zu skizzieren.

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CSD in Freiburg: Antifa als Publikumsmagnet?

Trotz eines Boykotts durch drei Schwulen- und Lesbenverbände wurde der CSD am vergangenen Wochenende zum größten, den es je in Freiburg gab

von Minh Schredle

(zuerst erschienen in Kontext: Wochenzeitung Ausgabe 639 am 28. Juni 2023)

Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

Screenshot @csdfreiburg

Die Reaktion kam spät, war aber heftig: Knapp zwei Monate nachdem das Logo für den diesjährigen Christopher-Street-Day (CSD) in Freiburg publik geworden war, zeigten sich der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD BW) und die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart „entsetzt“. Am 21. Juni begründeten beide Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung ihren Boykott der Demonstration. Denn beworben wurde die Veranstaltung unter anderem mit einem Schwarzwaldmädel, das neben einem regenbogenbunten Bollenhut auch eine Sturmmaske trägt. Daneben zu sehen: ein leicht abgewandeltes Logo der Antifaschistischen Aktion. „Wir können als familienorientierter Verband an keiner Veranstaltung teilnehmen, die offen für Linksradikalismus wirbt oder im direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen steht“, erklärte Kersin Rudat aus dem Vorstand des LSVD BW. Beide Zusammenschlüsse kritisierten, „dass solch eine Provokation auch krasse Gegenreaktionen erzeugen und rechtsextreme Gruppierungen erst recht locken könnte“. Und Detlef Raasch vom CSD Stuttgart betonte: „Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab.“ Bemerkenswert sind diese Aussagen vor dem Hintergrund der Historie des Christopher-Street-Days.

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Arbeit, Wachstumszwang und Autoritarismus

Zum Charakter der Krise und antifaschistischen Perspektiven

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Donnerstag, 6. Juli 2023, 15.30 Uhr, Nordrhein-Westfalen

Eine Veranstaltung von Antifa.NRW im Rahmen von Sommer, Sonne, Antifa! Festival 2023

Die Erde erwärmt sich unaufhörlich, die Ozeane werden vermüllt. Hunger und Armut wachsen, selbst in den reicheren Weltregionen. Eine Zoonose und Pandemie folgt auf die nächste. Kriege und Kriegsgefahr werden immer bedrohlicher. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht.

Es mangelt nicht an Konferenzen und Beschlüssen „zur Nachhaltigkeit“. Doch eine Wirtschaftsweise, der unendliches Wachstum, maximaler Profit und steigende Aktienkurse wichtiger sind als das Leben künftiger Generationen, schafft Probleme, die sie selbst nicht lösen, sondern nur weiter vertiefen kann.

Weltweit kämpfen viele Menschen gegen die Folgen an. Die Einsicht, dass Umweltkrise, soziales Elend, rassistische und sexistische Unterdrückung miteinander zusammenhängen, verbreitet sich. Immer weniger Menschen finden sich mit Diskriminierung ab, immer mehr fordern das Recht ein, ohne Angst verschieden sein zu können. Sie verlangen, „dass es nicht mehr so weitergeht“.

Aber viele bestehen auch explizit darauf, „dass es so weitergeht“. Je tiefer die Krise, desto mehr klammern sie sich an das, was keine Perspektive mehr hat. Anstatt darüber nachzudenken, was sie eigentlich denken, behaupten sie lieber, sie dürften „nicht mehr sagen, was sie denken“. Rassistische, sexistische, antisemitische und nationalistische Reaktionen verschärfen die Krise weiter. Verschwörungsphantasien verbreiten sich. Hass und Hetze gegen Klimaaktivist*innen und „Woke“ wirken bis in die „Mitte der Gesellschaft“. Ein neu-alter Autoritarismus wächst heran. In ihm gärt rohe Gewalt.

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Gesellschaftskritik und Klassentheorie

Zur Notwendigkeit, unsere Vorstellung von sozialen Kämpfen zu reformulieren

von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen bei Disposable Times)

Der Text basiert auf einem Input, das der Autor bei der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche am 29. Mai in Frankfurt am Main gehalten hat.

Die Kategorie „Klasse“ hat in den Diskussionen um die Ausrichtung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik und die Stoßrichtung sozialer Kämpfe in den vergangenen Jahren erneut eine große Bedeutung erlangt. Das Revival der Klassenpolitik wird dabei als große Chance für eine präzisere Bestimmung der gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen und eine Radikalisierung sozialer Kämpfe verstanden. Für beides scheint der Begriff bei genauerer Betrachtung jedoch wenig geeignet. Es braucht ein anderes Paradigma, um die notwendigen Auseinandersetzungen im Kapitalozän zu führen.

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Audio: Russland zwischen Bandenherrschaft und Geopolitik

Putins Racket-Staat im Krieg gegen die Ukraine

Vortrag von Thorsten Fuchshuber

gehalten am 4. Mai 2023 in Stuttgart

„Wenn Demokratie Staatszerfall bedeutet“, sagte Wladimir Putin im Jahr 2003 im Gespräch mit Journalisten, „dann brauchen wir keine solche Demokratie“. Seitdem hat er eine Politik vorangetrieben, die als „System Putin“ bekannt geworden ist. Doch was ist das für ein Staatswesen, als dessen Garant der russische Staatspräsident gelten möchte? Insbesondere seit dem eskalierten Krieg gegen die Ukraine mit der Invasion des Landes am 24. Februar 2022 wird Putins Machtanspruch häufig als imperial oder neoimperial bezeichnet; er habe zum Ziel, ein neues russisches Großreich zu errichten.

Der Vortrag geht von der These aus, dass es sich bei dem von Putin geschaffenen System um eine hochgradig instabile Herrschaftsform handelt. Diese basiert auf der entfesselten Rivalität verschiedener Machtfraktionen. Putin hat diese Rackets seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 nicht zerschlagen, sondern sich geschickt an ihre Spitze gesetzt. Seine integrative Funktion ist jedoch prekär und beruht nicht zuletzt darauf, dass es genügend zu verteilen gibt. Putin braucht den auf Dauer gestellten Ausnahmezustand nach innen und den permanenten Kriegszustand nach außen, um sein fragiles Machtkonstrukt zu stabilisieren. Er hält die verschiedenen Rackets in Schach, indem er eine negative Mobilisierung der Gesellschaft erzwingt und zugleich das ökonomische Scheitern Russlands auf dem Weltmarkt mit geopolitischen Manövern zu kompensieren versucht.

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Hat hier gerade jemand Spaltung gesagt?

Eine Reise durch die Theoriegeschichte der Linken

Input und Diskussion mit Julian Bierwirth

Mittwoch, 14. Juni 2023, 19.00 Uhr, Braunschweig

Goslarsche Straße 20a, 38118 Braunschweig

Eine Veranstaltung der Sozialistischen Jugend Die Falken Braunschweig

In den letzten Jahren wird wieder vermehrt über linke Theorie diskutiert. Im Zentrum vieler Auseinandersetzungen steht der Marxismus und seine Wirkungsgeschichte. Und tatsächlich kann der Traditionelle Marxismus als eine Art Urbild emanzipativer Gesellschaftstheorie gelten. Hier wurde das erste mal eine konsistente und umfassende Befreiungstheorie vorgelegt.

Der Referent wird die Grundüberlegungen des Traditionellen Marxismus darstellen und ihre weltgeschichtliche Wirkung nachzeichnen. Im Anschluss daran werden wir uns den gängigen Kritiken aus anderen linken Strömungen zuwenden: aus der Kritischen Theorie, dem Poststrukturalismus, dem Operaismus und der Wertkritik. Diese Strömungen haben – bei aller Unterschiedlichkeit – die Gemeinsamkeit, dass sie aus einer Kritik am Traditionellen Marxismus entstanden sind. Aus der Kritik am Traditionsmarxismus lassen sich dann in einem dritten Schritt die jeweiligen Zugänge unterschiedlicher Linker Strömungen zu Theorie und Praxis sowie aktuelle linke Debatten nachzeichnen.

Gesellschaftstheoretisches Vorwissen ist nicht notwendig.

Autoritäre Versuchungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit

Vortrag und Diskussion mit Lothar Galow-Bergemann

Moderation: Martin Gohlke

Dienstag, 11. Juli 2023, 15.00 bis 16.45 Uhr, Online

Eine Veranstaltung von Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich

Zugang über Zoom Meeting-ID: 829 2788 5661; Kenncode: X0bdtA

Klima, Krieg, Inflation, Sorge um die wirtschaftliche Existenz und sozialen Abstieg… Vieles beunruhigt. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber manchen erscheinen sie verlockend. Autoritäre Politikkonzepte werden attraktiver. Freiheit wird mit Ellenbogenegoismus verwechselt. Die Suche nach „den Schuldigen“ vermischt sich mit der Sehnsucht nach dem „starken Mann“. Krisenzeiten waren selten gut für die Demokratie. Wie können wir die Gesellschaft angesichts großer ökologischer und sozialer Herausforderungen krisenresistenter gestalten und auf einen guten Weg kommen?

System Change not Climate Change?

Warum wer von Kapitalismus nicht reden will, auch von Nachhaltigkeit schweigen sollte

Workshop mit Franziska Sander

im Rahmen des AUFSTAND 2023 der NAJU Baden-Württemberg

Sonntag, 11. Juni 2023, 10 Uhr, Waldenbuch

Waldjugendzeltplatz Jungviehweide in 71111 Waldenbuch

Klimagerechtigkeit, System Change not climate change, dies das – von all den Begriffen kann einem schon mal der Kopf brummen. Wir beschäftigen uns im Workshop mit der Frage, was Klimagerechtigkeit eigentlich genau heißt, mit Grundzügen der Kapitalismuskritik und damit, warum es sich lohnt, für „System Change not climate change“ zu kämpfen.

Anreisebeschreibung

Emanzipatorisches Subjekt – Klasse & Kritische Theorie

Podiumsdiskussion mit Julian Bierwirth und Lena Reichardt

auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche

Montag, 29. Mai 2023, 19.30 – 20.45 Uhr, in Frankfurt/Main

In den letzten Jahren hat sich in den kritischen Gesellschaftstheorien eine zunehmende Rückbesinnung auf die Klasse bemerkbar gemacht. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung und der Subjektivierung durch »Klasse«. Der Klassenbegriff ist einer von mehreren zentralen Begriffen kritischer Gesellschaftstheorie, welcher mit den Krisendynamiken der letzten Jahrzehnte auch in die öffentliche Diskussion zurückgekehrt ist. Es stellt sich also die Frage, wie sich eine kritische Gesellschaftstheorie angesichts der weltweit ausgetragenen Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung heute positioniert und welches explanatorische Potential der Klasse dabei zukommt. In der Veranstaltung soll deswegen die Bedeutung der Klasse für eine kritische Gesellschaftstheorie diskutiert, und danach gefragt werden, inwiefern eine theoretische, wie praktische Rehabilitation der Klasse als emanzipatorisches Subjekt in heutigen Zeiten möglich erscheint.

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Moishe Postone und die Weiterführung der Kritischen Theorie

Workshop von Nikolaus Gietinger

auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche

Sonntag, 28.Mai 2023, 11.00 bis 12.30 Uhr, Frankfurt/Main

Im Schatten des Aktivismus der 70er Jahre entstand in Frankfurt eine theoretische Tradition, die Marx‘ Werttheorie in den Fokus rückte. Einer dieser Theoretiker war Moishe Postone. Seine Lesart von Marx fokussierte sich auf die »abstrakte Herrschaft« der Arbeit im Kapitalismus und kritisierte den orthodoxen Marxismus dafür, den zentralen Widerspruch des Kapitalismus vor allem zwischen den Klassen zu sehen. Mit seiner originellen Lesart von Marx kritisierte Postone sowohl den traditionellen Marxismus als auch poststrukturalistische Theorieansätze. Zentral war, und damit blieb er der Frankfurter Schule treu, das Festhalten am Widerspruch der kapitalistischen Totalität, welcher über den Klassenwiderspruch hinausgeht. Laut Postone führe der Fokus auf den Klassenkampf zu einer Affirmation der Arbeit. Sein emanzipatorischer Anspruch zielt jedoch auf die Abschaffung der Arbeit.

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Autobahn und Recht und Freiheit

Conrad Kunze hat eine Kulturgeschichte des deutschen Automobilismus verfasst

von Lara Wenzel

(zuerst erschienen in Neues Deutschland)

Auf der menschenleeren Autobahn dahinheizen, ohne Tempolimit, ohne Hindernis, das ist die libertäre Freiheitsfantasie, die viele Pkw-Fans verteidigen. Mit gedrosselter Geschwindigkeit durch die deutsche Landschaft fahren? Das wäre wie Sex mit Kondom. Da spürt man ja gar nichts. Eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 130 km/h könnte 1,9 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen, errechnete das Bundesumweltamt, und Unfälle reduzieren. Doch das greift die individuelle Freiheit der fossilen Maskulinisten und ihre faschistisch geprägte Männlichkeit an, erläutert Conrad Kunze in seinem Buch »Deutschland als Autobahn. Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus«.

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Mehr Bock auf weniger Arbeit

Die IG Metall geht mit der Forderung nach der Viertagewoche in die Offensive

von Lothar Galow-Bergemann

(leicht gekürzt erschienen am 27. April 2023 in Jungle World #17/2023)

Kämpfe um radikale Arbeitszeitverkürzung müssen endlich mit solchen um Klimaschutz und um Vergesellschaftung zentraler Ressourcen verbunden werden.

Kurz vor Ostern überraschte die Gewerkschaft IG Metall mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Eine Viertagewoche mit 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich – mit dieser Forderung will die Gewerkschaft in die Ende 2023 anstehende Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gehen. Ihr Vorsitzender Jörg Hofman erwartet gar eine gesamtgesellschaftliche Wirkung: Die Stahlindustrie sei schon oft Vorreiter für fortschrittliche Regelungen gewesen. Insofern habe diese Forderung eine „grundsätzliche Ausstrahlung über die Stahlbranche hinaus“.

Mit Recht verweist die IG Metall auf die intensiver werdende Debatte über Arbeitszeitverkürzungen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen sich 70 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Viertagewoche.

Die Ankündigung der Gewerkschaft kommt zur richtigen Zeit, sie setzt einen Kontrapunkt zu den belehrenden und anmaßenden Tönen von Politikern und Arbeitgebern. Erst im Februar ermahnte Andrea Nahles, ehemalige SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, junge Menschen mit erhobenem Zeigefinger: „Arbeiten ist kein Ponyhof.“ Und Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, forderte längere Arbeitszeiten und „mehr Bock auf Arbeit“. Arrogante Ansprüche, die meilenweit entfernt sind von dem, was immer mehr Menschen bewegt, die aus guten Gründen eben keinen Bock haben.

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„Alles wird besser“ Wirklich?

Eine Auseinandersetzung mit liberalen Fortschrittserzählungen anhand des einflußreichen Buches „Factfullness“ von Hans Rosling

Von Julian Bierwirth

(zuerst erschienen bei Disposable Times unter dem Titel Faktencheck: Hans Rosling)

„Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right.
Singin‘: Don’t worry about a thing,
Cause every little thing gonna be all right!“
(Bob Marley)

Faktencheck mit Hans Rosling

Hans Roslings Factfulness ist ein Buch mit einer Botschaft: die Bedingungen in der kapitalistischen Spätmoderne werden besser und besser. Zwar haben viele Menschen noch abstruse Ideen über schier unüberwindbare gesellschaftliche Hierarchien im Kopf und glauben, globalen Trends gegenüberzustehen, die zielsicher dafür sorgen, dass die Dinge immer schlimmer werden. Tatsächlich spielen beide Vorstellungen ja durchaus eine große Rolle, nicht zuletzt aus der Perspektive von kapitalismuskritischen Krisentheoretiker*innen. Gefragt, ob die Dinge in der Welt a) immer besser, b) immer schlechter oder c) gleichbleibend gut oder schlecht seien, antworten sie zielsicher mit b) – immer schlechter.

Das, so versichert und Hans Rosling, sei aber ein Trugschluss. Sicher gebe es Dinge, die sich verschlechterten. Aber in the long run, im Großen und Ganzen, entwickele sich die Sache doch in die richtige Richtung. Mit einem Satz: dass Versprechen des Liberalismus wirkt! Weiterlesen